Friedel Kürschner an Käthe Utermöhlen: Briefe 1917 bis 1969,

nebst Bildern und einigem Zusatzmaterial.

Einleitung

Im folgenden legen wir im Sinne eines Beitrags zur Alltagsgeschichte der geneigten Öffentlichkeit die Transkription und erläuternde Kommentierung eines Konvoluts von Briefen, Photos und Ansichtskarten vor, die der Schweizer Friedrich Kürschner, genannt Friedel, zwischen 1917 und 1969 seiner in der Braunschweiger Gegend lebenden angeheirateten Cousine Käthe Utermöhlen zudachte und die sich im Privatarchiv der Familie Dr. Henning Barnstorf zu Braunschweig erhalten haben: Henning Barnstorfs Mutter Lisa war eine geborene Utermöhlen, genauer gesagt die jüngere Schwester Käthes. Käthe Utermöhlens Anteil an der Korrespondenz – der Löwenanteil nach allem, was wir wissen – liegt uns leider nicht vor; auch ist ungewiß bzw. angesichts der großen Lücken höchst fraglich, ob die Briefe ihres Cousins vollzählig überliefert sind. Über die auf uns gekommenen hinaus bieten wir ergänzend drei Briefe aus anderer Feder dar, die im Familienarchiv bei Friedel Kürschners Briefschaften lagen und die geeignet sind, zusätzliches Licht in die komplizierten, auch nach abgeschlossener Edition keineswegs restlos aufgeklärten Verhältnisse zu bringen.

 Einleitend sei zusammengetragen, was wir über die beiden Briefpartner und ihre Herkunft sagen können. Es ist dies der Grundstock an Tatsachen und Vermutungen, der einerseits der Brieferschließung vorausliegt und diese überhaupt erst ermöglicht hat, in den andererseits die Auskünfte aus den Briefen eingeflossen sind und mit dem folglich in den kommentierenden Anmerkungen beständig gearbeitet, auf die immer wieder verwiesen wird. Neben den persönlichen Erinnerungen der Angehörigen war unsere wertvollste Quelle außerhalb des Briefmaterials selbst die im Familienarchiv bewahrte ‹Stammliste Utermöhlen – Zweig Bonafort, Heimgarten, Weferlingen, Peine u.s.w.›.1 Ihr letzter getippter Eintrag stammt aus dem Jahre 1937, doch sind nachträglich von Hand zahlreiche Ergänzungen und Korrekturen angebracht worden.

Friedrich alias Friedel Kürschner war der Sohn eines gleichfalls Friedrich geheißenen Bruders der Maria (?-[zw. 2. Hälfte Juli und Anf. Okt.]1923) und der Helene (12.1.1872-?[vor 13.5.]1944) Kürschner, die sich in der Schweiz mit den beiden Utermöhlen-Brüdern Karl (11.5.1861-?) und Wilhelm (20.1.1871-?.?.1942) verheiratet hatten. Ein weiterer Bruder aus der achtköpfigen Utermöhlen-Geschwisterschar wiederum, Hermann (14.2.1868-8.11.1920), war der Vater Käthes.

 Mitglieder beider Familien, der Utermöhlens wie der Kürschners, waren, vermutlich in der zweiten Hälfte der 1870er, vielleicht aber auch erst anfangs der 1880er Jahre, gleich vielen anderen Deutschen in die Schweiz ausgewandert, um dem 1874/75 im Deutschen Reich eingeführten Impfzwang zu entkommen. Von den Utermöhlens existiert ein Gruppenbild, das justament 1875 aufgenommen wurde, vielleicht aus Anlaß der Trennung der Familie in einen auswandernden und einen zurückbleibenden Teil.2 Andererseits feierte die älteste Tochter der Familie, Ida, noch im Juni 1881 Hochzeit in Ohrum, bevor sie mit ihrem Mann in die Schweiz zog:3 was sowohl bedeuten könnte, daß der gesamte Auswanderer-Zweig der Utermöhlens erst um 1881/82 aufbrach, als auch, daß Ida und ihr Mann den Mitte der siebziger Jahre Vorausgegangenen nachzügelten. Im letztern Falle wäre davon auszugehen, daß Ida, 1875 neunzehn Jahre alt, die Mutterstelle an jenen drei Geschwistern vertrat, die nicht mit nach Süden zogen, zu dieser Zeit aber noch zu jung waren, um ganz für sich selbst zu sorgen.4 Den Terminus ante quem der Auswanderung bildet in jedem Falle das Jahr 1882, für welches die Stammliste das erste Familienereignis auf Schweizer Boden verzeichnet: die Geburt Erika Utermöhlens als erstem Kind von Maria Kürschner und Karl Utermöhlen in Heimgarten bei Bülach im Kanton Zürich.5

 In Heimgarten gründeten unsere Émigrés dann auch zusammen mit anderen deutschen Siedlern am 23. Mai 1893 auf Initiative des Schweizers Julius Sponheimer die bodenreformerische Genossenschaftssiedlung ‹Obstbaugenossenschaft Heimgarten bei Bülach›:6 Unter den zahlreichen deutschen Impfgegnern fanden sich besonders viele Vertreter der Genossenschafts- und Gemeineigentumsidee, Lebensreformer, Vegetarier, Abstinenzler (Guttempler), Anhänger der Homöopathie, der Naturheilkunde, der Makrobiotik, der Steinmehl-Düngung7 usw. usf. An Berufen waren unter ihnen v.a. Lehrer und Kaufleute vertreten, kaum Bauern. Der Name ‹Heimgarten›, den sich seinerzeit auch einige Schrebergartenkolonien etwa in Wien und Berlin gaben, geht wohl auf des österreichischen Schriftstellers Peter Rosegger (1843-1918) ab 1876/77 in Graz herausgebrachte Monatszeitschrift ‹Heimgarten› zurück, worin der Autor Beiträge mit lebensreformerischer und zivilisationskritischer Stoßrichtung publizierte.8

 Sponheimers Genossenschaftsprojekt ging am 2. März 1907 in Konkurs,9 doch etliche Auswanderer hatten sich in der Schweiz gut eingelebt und blieben, allen voran die Gründerdynastie Utermöhlen selbst, zu der neben Wilhelm und Karl noch beider ältere Schwestern Ida (22.8.1856-20.11.1935)10 und Minna (3.5.1858-?) mit ihren jeweiligen Familien sowie die Eltern Georg (18.8.1831-30.5.1920) und Lisette (1.7.1832-21.8.1900) Utermöhlen zählten.11 Wilhelm und Karl, die neben ihrer Obstplantage eine Fabrik für Obstkonserven, Sirupe, Gelees und Konfitüren führten (‹Konservenfabrik Gebr. Utermöhlen Heimgarten-Bülach›),12 kauften zahlreiche Liegenschaften aus der Konkursmasse der Genossenschaft auf und expandierten.13

 Im Unterschiede zu den Utermöhlens scheint Friedels Vater Friedrich, dessen Geburtsdatum uns unbekannt ist – wahrscheinlich liegt es Mitte bis Ende der 1860er Jahre, zwischen dem seiner beiden Schwestern –, zusammen mit seinem Sohn irgendwann nach Deutschland zurückgekehrt zu sein, vielleicht im Zuge seiner brieflich erwähnten zweiten Eheschließung,14 und zwar nach Ulm,15 möglicherweise Heimatstadt seiner zweiten Frau. Über seine Eltern wissen wir nur, daß sie aus Elberfeld stammten, wo sein Vater, also Friedels Großvater, ebenfalls Friedrich Kürschner geheißen, im textilverarbeitenden Gewerbe als Musterzeichner tätig gewesen war; seine Frau Alwine war eine geborene Ernst.16 Laut Johanna Carolina Bernhard (1886-1971), einer aus Heilbronn gebürtigen seinerzeitigen Mit-Heimgartenerin, kamen die Kürschners mit ihren drei Kindern – Friedrich und seinen Schwestern Maria und Helene – erst «[s]päter» nach Heimgarten, wo ihnen «das weisse Haus am Wald» gehörte.17 Worauf die Angabe «später» sich bezieht, ob auf das Gründungsjahr der Genossenschaft 1893 oder auf Bernhards eigenen Zuzug zwei Jahre danach, bleibt unklar; doch kann sie ohnehin nicht stimmen, wenn man den o.a. Eintrag in der Stammliste berücksichtigt, dem zufolge Maria Kürschner bereits 1882 in Heimgarten eine Tochter zur Welt brachte. Ebenfalls auf Johanna Carolina Bernhard geht die Information zurück, daß Friedels Vater «eine Zeitlang in Brasilien und dann auch im Heimgarten» gelebt habe18 – wann und wie lange, muß vorderhand ungeklärt bleiben.

 Friedrich Kürschner war, wie sein Schwager Karl Utermöhlen und dessen Vater Georg vor ihrer Auswanderung, Lehrer von Beruf 19 und blieb das auch zeit seines Lebens; er ging also nicht in die Landwirtschaft. Dieser ebenso polyglotte wie reisefreudige Mann unterrichtete Stenographie, Sprachen (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch) und Handelskorrespondenz, wovon diverse Publikationen aus seiner Feder zeugen, deren Reihenfolge uns zudem einige der wenigen, mageren Anhaltspunkte für seine weitgehend im Dunkeln liegende Biographie an die Hand gibt. 1889 erschien im Elberfelder Selbstverlag seine ‹Deutsche Kurzschrift: ein Beitrag zur Verallgemeinerung dieser Kunst und zur Schaffung einer einheitlichen deutschen Kurzschrift›; 1893 in Elberfeld und Zürich, gleichfalls Selbstverlag, seine ‹Deutsche Schnellkurzschrift›. Die Publikationsorte irritieren, legen sie doch nahe, Friedels Vater hätte 1889 noch in Deutschland am Ursprungsort der Kürschners gelebt und wäre erst 1893, bei Gründung der Genossenschaft, in die Schweiz übergesiedelt. Das wird einesteils durch Johanna Caronlina Bernhards Aussage gestützt, die Kürschners seien erst «später» nach Heimgarten gezogen, andernteils durch die Verheiratung seiner Schwester Maria vor oder um 1882 sowie die für dieses Jahr aktenkundige Geburt seiner Nichte in Heimgarten in Frage gestellt. Möglich wäre, daß Friedels Vater, der 1889 Anfang oder Mitte zwanzig gewesen sein dürfte, nach der Matura zunächst wieder nach Elberfeld ging und eventuell anschließend nach Brasilien, bevor er in die Schweiz zurückkehrte. Doch müssen die Verlags- nicht unbedingt seine jeweiligen Wohnorte widerspiegeln, obgleich die Angabe «Selbstverlag» das suggeriert.

 Jedenfalls war Friedrich Kürschner «als unerreichter Praktikus des Schrifttums» (ein Lob vermutlich seiner stenographischen Leistungen) schon 1893 Ehrenmitglied des ‹Akademischen Friedens-Vereines Zürich›.20 Laut ‹Schweizerischer Lehrerzeitung› wirkte er seit Anfang 1896 als Lehrer im Aargau, und zwar an der Handelsschule Aarau, einer Abteilung der Kantonsschule. Dorthin war er von Genf gewechselt, wo er – seit wann, wissen wir nicht – «Handelsfächer» unterrichtet hatte.21 Unter Umständen steht dieser Wechsel in einem Zusammenhang mit der Geburt seines Sohnes Friedel, die nach den von diesem selbst gegebenen Hinweisen in die Jahre 1895-97 fallen muß (s.u.). Falls Friedel in Heimgarten zur Welt kam, wofür einiges spricht, mag sein Vater eine größere Nähe zur Familie gesucht haben. Aus dem Jahre 1898 liegt eine italienische Sprachlehre von ihm vor, auf deren Titelblatt er als «Federico Kürschner, professore di lingue moderne e delle scienze commerciali, autore della tachistenografia universale» figuriert und deren Einleitung er mit «Federico Kürschner, Aarau (Svizzera)» unterzeichnet hat.22 1899 erschienen von ihm ein Lehrwerk der englischen und eines der französischen Handelskorrespondenz, darin er als Lehrer bzw. Professor an der Aargauer Kantonsschule vorgestellt wird.23 Von Aarau aus griff er außerdem mit einem offenen Brief in die Debatte um die Verstaatlichung der großen, privaten Schweizer Regionalbahnen ein.24 1899 erschienen, kam die Schrift für den Ausgang der schon im Februar 1898 abgehaltenen (und wie der Verfasser die Verstaatlichung gutheißenden) Volksabstimmung zu spät, zeigt aber jedenfalls Friedrich Kürschners wirtschaftliches und lokalpolitisches Interesse. Schließlich gibt ein 1900 von ihm publizierter Prospekt über ‹Die Gemeinsprache der Kulturvölker, lingua komun auf Grund der in allen Kultursprachen verbreiteten internationalen Wörter: Keine Kunstsprache, sondern internationale Natursprache! …› ebenfalls noch Aarau als Verlagsort an.25

 Für das Jahr 1901 vermeldet die «Erziehungsdirektion des Kantons Aargau» den Rücktritt Friedrich Kürschners aus der Handelsabteilung der kantonalen Schule in Aarau,26 und 1902 stellt ihn seine ‹Einführung in die englische Umgangs- und Geschäftssprache› als Professor in Orselina-Locarno vor:27 Offenbar unterrichtete er inzwischen im Tessin – ja, mindestens von Frühjahr bis Dezember 1902 muß er sich mehrmals oder durchgehend auf dem Monte Verità aufgehalten haben, jener im Herbst 1900 gegründeten, nahezu schon sagenumwobenen Siedlung von Aussteigern, Lebensreformern, Theosophen, Vegetariern, Künstlern, Pazifisten, Anarchisten, Kommunisten, Spiritisten u.a.m.28 Ida Hofmann (1864-1926), Mitbegründerin und Chronistin dieser seinerzeit aufsehenerregenden sozialutopischen Kolonie, nennt Kürschner «eine theoretisch hochgebildete echte Schulmeisternatur»,29 der indes den Vorstand der theosophischen Loge in Lugano, Günther Wagner, bei Gelegenheit eines von diesem am 3. Dezember 1902 gehaltenen Vortrags «in gehässigster Weise angegriffen» habe.30 Von noch größerem Interesse ist ihr Bericht über die im Sommer 1902 auf dem Monte Verità wogende Debatte der «Europamüden» über eine Ansiedlung in den Tropen, bei welcher Friedrich Kürschner «bald für Chile, bald für Mexico oder Brasilien» geworben habe.31 Ob die brasilianische Erfahrung zu diesem Zeitpunkt schon hinter ihm lag, geht aus der Schilderung nicht hervor, ist aber in Anbetracht seines Schwankens zwischen besagten drei Ländern nicht sehr wahrscheinlich und wäre einschlagenden Falles von Ida Hofmann in diesem Zusammenhang wohl auch erwähnt worden.32 Ausgeschlossen werden kann es aber nicht, daß Kürschner Brasilien, ja alle drei Länder bereits besucht hatte und gerade aufgrund dieses Erlebnisses für sie warb. Über allfällige Portugiesisch-Kenntnisse Kürschners ist den Quellen zwar nichts zu entnehmen, doch daß er Spanisch gelernt und gelehrt hat – die Sprache, die ihm bei seiner durch Friedels Korrespondenz dokumentierten Auswanderung nach Peru dereinst dienlich sein würde –, teilt uns eine Notiz im ‹Amtlichen Schulblatt des Kantons Zürich› von 1906 mit, der zufolge er im Sommerhalbjahr 1906 «Hülfslehrer» an der kantonalen Handelsschule für «Handelsfächer und Spanisch» war.33

 Bis 1913 fehlen dann weitere Nachrichten von Friedrich Kürschner. 1910 könnte von ihm das französische Gegenstück zu seiner oben genannten ‹Englischen Umgangs- und Geschäftssprache› herausgekommen sein, jedoch bleibt das ungewiß, da die Angaben zum Erscheinungsjahr dieses Titels erstaunlich divergieren.34 Womöglich fällt in diese Spanne sein Brasilien-Aufenthalt – sofern ein solcher jemals stattgefunden hat. Außer den Zeugnissen der Johanna Carolina Bernhard und der Ida Hofmann verfügen wir nur über einen einzigen Hinweis, der Friedrich Kürschner mit jenem Land in eine Verbindung bringt, und das ist Friedels Mitteilung vom August 1925, seine Mutter, also die erste Frau seines Vaters, lebe seit mehr als zehn Jahren – seit mindestens 1915 demnach – von der Familie getrennt, und zwar in Brasilien.35 Wie es dazu kam, gehört zu den ungelösten Rätseln um Friedel und seinen Vater.

 Letzterer scheint sich spätestens ab 1913 dem Heimgarten wieder angenähert zu haben, wo seine wohl bekannteste Schrift, die ‹Deutsche Schnellkurzschrift – Tachystenographie›, erschien,36 die von einem ähnlich reformerischen Vereinfachungs- und Einigungsstreben zeugt wie seine oberwähnten Bemühungen um eine Gemeinsprache oder «lingua komun». Auch im Frühjahr 1915 hielt er sich wohl noch in Heimgarten auf.37 Irgendwann in dieser Zeit muß, pace Friedel, die Trennung von seiner ersten Frau und anschließend, mutmaßlich nach Kriegsende, der Umzug nach Ulm erfolgt sein, der in Friedels Brief 3 vom 13. Februar 1923 ein Fait accompli ist (und dem, wie anzunehmen, die zweite Eheschließung vorausging). Von Ulm aus, wo er wieder als Lehrer arbeitete,38 emigrierte Friedrich Kürschner mit seiner neuen Familie39 sowie mit seinem Sohn aus erster Ehe Ende 1923 nach Peru.40 Ein gutes Jahr später, am 25. Februar 1925, verstarb er in der nordwestperuanischen Küstenstadt Chiclayo,41 wo er eine Schule hatte eröffnen wollen, an einer Krankheit. Seine zweite Frau kehrte mit ihren Kindern nach Deutschland zurück, Friedel aber blieb in Peru und schrieb von dort aus weiter getreulich, wenn auch in mitunter sehr großen Zeitabständen, seine Briefe an Cousine Käthe.

 Ja, er schrieb Briefe, aber anders als sein Vater keine Bücher. Deshalb beschränkt sich unser Wissen über Friedel zum einen auf den geographischen und geistigen Hintergrund, den die (aus ebendiesem Grunde so detailfreudig ausgebreiteten) Anhaltspunkte zur Vita seines Vaters liefern, zum anderen auf seine brieflichen Selbstmitteilungen: die, wie es in der Natur der Sache liegt, da er an eine Verwandte, mit seiner Welt Vertraute schrieb, dem Außenstehenden oft ungenügend sind – allzu sparsam in der Anbringung, allzu schmal im Umfang, vielfach nur kurz anreißend, undeutlich und ungenau (denn überdies war das väterliche Sprach- und Schreibtalent dem Sohne nicht zuteil geworden – im Gegensatz zum zeichnerischen seines Großvaters, des Textil-Dessinateurs). So bleiben trotz der großen Briefanzahl erkleckliche Leerstellen und offene Fragen.

 Klar wird immerhin, daß Friedel einen Schweizer Paß hatte, denn im Ersten Weltkrieg trug er die Uniform der Schweizerischen Armee,42 und in den Jahren danach wurde er ungeachtet seines Umzugs nach Deutschland zu Wehrübungen in die Schweiz einberufen.43 Seine Diktion zeigt zudem unverkennbar alemannisch-helvetischen Einschlag.

 Die Einziehung in den Krieg Anfang 1917 spricht zunächst dafür, Friedels Geburtsjahr tentativ um 1895 anzusetzen, da zwischen 1907 und 1949 das Konskriptionsalter in der Schweiz bei 22 Jahren lag. Im Winter 1916/17 sah das Land sich jedoch unvermittelt mit einem großen Bedarf an Soldaten konfrontiert44 und zog deshalb möglicherweise auch Jüngere ein – oder Friedel hat sich aufgrund einer wohl vorhandenen Sympathie für das Militär45 freiwillig früher gemeldet. Gesicherter scheint allemal die Annahme eines Geburtsjahrs 1896, da er in Brief 13 vom 22. November 1924 schreibt, in fünfzehn Jahren – ergo im November 1939 – wäre er 43 Jahre alt, in sieben Jahren – also 1931 – 35.46 Im Februar 1931 selbst allerdings erklärt er überraschend im Vorausblick auf den Mai, er werde dann 34 Jahre alt,47 was für eine Geburt im Mai 1897 spräche (sowie bedeuten würde, daß er mit neunzehn in den Krieg zog). Wie wir später erfahren, war der Geburtstag der 11. Mai.48

 Über seine Kindheit wissen wir so gut wie nichts. Er muß sie wenigstens zum Teil in Heimgarten verbracht haben, spricht er doch einmal davon, mit diesem Flecken «verwachsen» zu sein,49 und geht es doch auch gelegentlich darum, von Peru aus dorthin «zurück zu kehren», «zurück [zu] kommen» [beides sic].50 Andererseits heißt es bei ihm einmal: « Unsere Familie ist so sehr zerißen [sic], aber das brachten all die Reisen und Verhältniße [sic] mit sich».51 Denkbar ist mithin, daß Friedel seine Eltern auf einigen ihrer Reisen begleitete, vielleicht sogar nach Südamerika. Das würde die relative Selbstverständlichkeit erklären, mit welcher er die Auswanderung betrieb, das geringe Erstaunen über die Reiseeindrücke auf der Überfahrt und das Ausbleiben jeglicher Erwähnung der Notwendigkeit oder gar Mühe des Spanischlernens. Letzteres könnte sich allerdings auch dem Wirken seines Vaters verdanken, der, wie aus all seinen Schriften hervorgeht, unablässig auf Methoden der Vereinfachung des Spracherwerbs sann. Vielleicht hatte daher Friedel schon als Kind von ihm das Spanische erlernt, ob unterwegs oder in der Schweiz.

 Was Friedels Schicksal ab seiner ersten uns überlieferten Wortmeldung aus dem Februar 1917 angeht, so sei es ihm selbst überlassen, uns sein Leben in Briefen zu erzählen; wir wollen ihm hier nicht vorgreifen. Im weiteren seien lediglich noch die beiden wichtigsten nach wie vor ungeklärten Fragen zu seiner Familie und Biographie genannt.

 Friedel erwähnt Geschwister, die in Heimgarten zurückblieben,52 und explizit eine Schwester53 – um wen es sich dabei handelte, wieviele sie zu Hause waren, wieviele davon Schwestern, wieviel Brüder, sagt er nicht. Etliche der bei ihm auftauchenden Namen kämen in Frage, der Punkt bleibt aber letztlich der Spekulation überlassen.

 Die größte Unbekannte seines Lebens ist paradoxerweise seine Mutter. Wir kennen weder ihren Namen noch ihre Lebensdaten. Immerhin soviel läßt sich trocken festhalten, daß Friedels Vater sie mindestens neun Monate vor des gemeinsamen Sohnes Geburt gekannt haben muß; aber das ist arg wenig und umso weniger, als nicht einmal dessen Geburtsjahr bis dato ganz gesichert ist. Weil wir außerdem keine Gewißheit, sondern nur Indizien über Friedrich Kürschners Aufenthalt vor 1896 haben, ergeben sich allerlei Möglichkeiten: Friedels Mutter könnte die Tochter anderer deutscher Kolonisten in Heimgarten gewesen, ihrem Mann also dort bereits als Halbwüchsige begegnet sein. Sie könnte einer einheimischen Familie aus der Umgebung entstammen.54 Friedrich Kürschner könnte sie (vor oder nach der Auswanderung in die Schweiz, als Kind oder als junger Mann um 1889) in Elberfeld, anfangs der 1890er Jahre im Zürcher Akademischen Friedensverein, als junger Lehrer in Genf oder in Aarau und nicht zuletzt auf einer seiner Reisen, zum Beispiel nach Brasilien, kennengelernt haben. Gerade ihr im August 1925 uns gemeldeter Wohnort Brasilien (wobei aus Friedels Worten leider nicht eindeutig hervorgeht, wie lange die Mutter sich dort bereits aufhielt: ob seit der «schon über 10 Jahre» zurückliegenden Trennung von ihrem Mann oder erst seit kürzerer Zeit?55) könnte darauf hindeuten, daß sie Brasilianerin war – gebürtige oder werweiß Tochter von deutschen oder Schweizer Emigranten –, für die nach dem Zerbrechen ihrer Ehe die Rückkehr in die Heimat naheliegend war. Auch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs könnte diesfalls eine Rolle gespielt haben. Zwar übte nicht das bis Oktober 1917 neutrale Brasilien, wohl aber die neutrale Schweiz mit Kriegsausbruch eine strenge Kontrolle über Einreise und Aufenthalt von Ausländern aus – eine geschiedene, jedenfalls neuerdings alleinstehende Brasilianerin wäre womöglich nicht mehr geduldet worden (und dasselbe hätte natürlich für eine Deutsche aus der Elberfelder Gegend gegolten). Gegen eine brasilianische Herkunft der Mutter spricht, daß weder bei Johanna Carolina Bernhard noch bei Ida Hofmann in jeweils eigentlich einschlägigem Zusammenhang davon eine Rede ist. Und da in Friedrich Kürschners für uns so beklagenswert lückenhaftem Lebensweg die immer noch größte Lücke zwischen 1906 und 1913 klafft, scheint es vorderhand plausibel, eine etwaige Südamerika-Tour der Familie in diese Zeit zu legen. Vorstellbar wäre dann, daß Friedels Eltern sich entweder schon auf ihr entzweit und getrennt hätten, die Mutter somit gar nicht mehr nach Heimgarten zurückgekehrt wäre, oder daß Frau Kürschner nach dem Ende ihrer Ehe durch irgendeine Anregung persönlicher oder ideeller Art – auch in Brasilien gab es lebensreformerische Siedlungsgründungen verschiedenster Couleur, z.B. das von Ida Hofmann dort in den frühen zwanziger Jahren noch mitgegründete Projekt Monte Sol56 – zur Übersiedelung in die Neue Welt bewegt worden wäre. Im letztern Falle würde man freilich eine Begleitung durch Gleichgesinnte, Verwandte oder einen neuen Lebensgefährten erwarten.

Käthe Utermöhlen (4.1.1896-5.9.1983) wiederum, Friedels Korrespondentin, war die älteste Tochter Hermann Utermöhlens (14.2.1868-8.11.1920), eines Bruders von Ida, Minna, Karl und Wilhelm (s.o.), der im Gegensatz zu diesen der familiären Braunschweiger Herkunftsgegend treu geblieben war. Seit 1894/5 wirkte er als Lehrer im niedersächsischen Weferlingen, einem (1974 nach Dettum eingemeindeten) Dorf im Landkreis Wolfenbüttel, wo er mit seiner Frau Marie, geb. Ziese (22.9.1871-8.3.1942), und den gemeinsamen vier Kindern Käthe, Hans (28.8.1898-17.10.1960), Wilhelm (2.1.1901-6.4.1967) und Lisa (19.1.1903-9.4.2003) im großen Schulhaus des Ortes auch lebte.57

 Nach dem Besuch (bis Januar 1913) der angesehenen Wolfenbütteler ‹Schloßanstalt›, einem im ehemaligen herzoglichen Residenzschloß untergebrachten Lyzeum,58 wechselte Käthe auf die ‹Höhere Handelslehranstalt für Damen zu Braunschweig›,59 die sie Ostern 1914 mit hervorragendem Abschlußzeugnis verließ. In den Pflichtfächern «Buchführung und Betriebslehre», «Deutsch und Korrespondenz», «Rechnen mit besonderer Berücksichtigung der kaufmännischen Praxis», «Wirtschaftsgeographie», «Warenkunde», «Volkswirtschaftslehre», «Schreiben» und «Maschinenschreiben» erhielt sie die Höchstnote «Sehr gut», in den übrigen Pflichtfächern «Allgemeine Rechtskunde», «Stenographie (120 Silben)» und «Rundschrift» sowie in den wahlfreien Fächern Englisch und Französisch jeweils «Gut». Ihr «Verhalten im allgemeinen» wird hoch gelobt: Sie «erwarb sich durch ihren großen Fleiß, ihr ernstes Streben u. ihr mustergültiges Verhalten die besondere Anerkennung aller ihrer Lehrer». Das nüchterne Gesamturteil, beurkundet am 26. März 1914 durch die ‹Handelskammer für das Herzogtum Braunschweig, Abteilung für das kaufmännische Unterrichtswesen›, lautet: «Frl. U. eignet sich zur Stenotypistin u. für fremdsprachliche Korrespondenz».

 Auf diesen und den damit verbundenen kaufmännischen Gebieten – auf den nämlichen Gebieten wie Friedrich Kürschner mithin! – arbeitete Käthe dann ein ganzes Berufsleben lang. Im unmittelbaren Anschluß an die Schule, am 2. März 1914, übernahm sie eine Stellung als Kontoristin, Stenotypistin und Buchhalterin in der Verlagsbuchhandlung Georg Westermann zu Braunschweig. Laut Arbeitszeugnis vom 14. Juli 1917, als sie die Firma auf eigenen Wunsch verließ, hat sie ihre Tätigkeit zur «vollsten Zufriedenheit und mit grosser Gewissenhaftigkeit» ausgeübt und war ihrem Brotgeber «stets bei immer freundlichem und artigem Wesen ein angenehmer Mitarbeiter».

 Am 1. Januar 1918 wechselte sie zum Kauscher Werk Knobbe, einem in Neu-Petershain in der Niederlausitz und damit im Ost-Cottbusser Bergrevier ansässigen Braunkohlenbergwerk mit Brikettfabrik, wo sie als «kaufmännische Beamtin» buchhalterischen und statistischen Aufgaben oblag, bis sie im September 1921 aus laut Arbeitszeugnis «familiären Gründen» ausschied, wohl um nach dem Tod ihres Vaters im November 1920 wieder näher bei der Mutter in Weferlingen zu sein. Das Zeugnis attestiert ihr «einen regen Fleiss und intensives Geschäftsinteresse», womit sie ihre Vorgesetzten «jederzeit aufs äusserste zufrieden gestellt» habe; mit ausdrücklichem Bedauern sieht man sie ziehen.

 Bereits am 5. September 1921 hatte sie ein Bewerbungsgespräch mit der Gewerkschaft Beienrode, einem Kaliwerk bei Königslutter,60 geführt, aufgrund dessen sie auf den 1. Oktober desselben Jahres, wiederum als «kaufmännische Beamtin», im dortigen Hauptbüro eingestellt wurde – eine Position, die sie im Zuge der krisenbedingten allgemeinen Entlassungen Ende Juni 1926 wieder verlor.61 Das Arbeitszeugnis vom 17. Mai 1926 beschreibt ihre anspruchsvollen Aufgaben im Unternehmen und bescheinigt ihr «gern, dass wir mit ihren Leistungen stets sehr zufrieden gewesen sind, sie arbeitet fleissig und sicher und hat die Bücher sauber und korrekt geführt».

 Im Januar 1927 fand sie Anstellung als Stenotypistin und Buchhalterin bei der 1848 gegründeten Konservenfabrik Julius Roever in Braunschweig, einer Firma, die ähnlich jener der Heimgartener Onkels von Käthe als «Gemüse- und Früchtekonserven-Fabrik, Fabrik konservierter tafelfertiger Speisen, Frischobst-Marmeladen, Konfituren [sic] und Frucht-Sirupe» firmierte.62 Ihr Monatsgehalt sollte laut Einstellungsschreiben 160 Reichsmark betragen. Auf Ende September 1931 trennte Roever sich «wegen der trostlosen Wirtschaftslage» (Kündigungsschreiben vom 14. August 1931) von ihr, nur um sie sogleich wieder, bei wesentlich schlechteren Konditionen (u.a. nurmehr 140 RM Bruttogehalt, Vertragsverlängerung von Monat zu Monat) und Verzicht auf jegliche tarifrechtlichen Ansprüche, neu einzustellen – was immerhin die große Wertschätzung ihres Wirkens bespricht, wie sie noch in jedem ihrer Arbeitszeugnisse ausdrücklich festgehalten wird.

 ■¿Fortsetzung? Oktober 1932 sucht sie Arbeit … lernt Fahrrad- und Skifahren (Briefe 12 und 25) …

 ■Käthe Utermöhlen blieb bis an ihr Lebensende unverheiratet und lebte zumeist ?? bei der Familie ihrer Schwester. Sie reiste viel und korrespondierte (in ihrer schmalen, feinen, gestochenen Sütterlin-Schrift) weitläufig.

Anmerkungen

1 Eine Stammliste umfaßt nur diejenigen Nachkommen eines Stammelternpaares, die denselben Nachnamen tragen. Die Nachkommen der Töchter, die in der Regel einen angeheirateten Nachnamen tragen, fallen aus ihr heraus.

2 Beilage zu Addendum 1/Anm. 7, Nr. 2 und Schluß der Anm.

3 Zu Ida Utermöhlen ausführlich Addendum 2/Anm. 7.

4 Neben dem bereits erwähnten Hermann, Käthes Vater, der 1875 erst sieben Jahre zählte, waren das Albert (12.9.1863-?) mit zwölf und Dina (3.1.1866-13.4.1924) mit zu diesem Zeitpunkt neun Jahren.

5 Daß es schon zuvor bei den ausgewanderten Utermöhlens zu Familiengründungen in Heimgarten oder anderswo in der Schweiz gekommen sein könnte, nämlich von Töchtern der Familie, läßt sich in Anbetracht der Konzeption einer Stammliste (s. Anm. 1) nicht ausschließen. Zu den Kürschners fehlt uns ohnehin jedes eigenständige genealogische Material.

6 Sponheimers Lebensdaten sind lt. Wikipedia unbekannt. Der Bodenreformer und Theosoph war Mitbegründer nicht nur der Heimgartener Genossenschaft, sondern auch der ‹Vegetarischen Obstbau-Kolonie Eden› in Oranienburg bei Berlin (28.5.1893), die sich heute ‹Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung› nennt. Er publizierte zur sozialen Frage, zur Wohungsfrage und zum Vegetarismus. Zur Theosophie s.u. Anm. 30).

7 Speziell zur Steinmehl-Düngung s. Brief 2/Anm. 4.

8 Heimgarten: Eine Monatsschrift. Graz: Leykam 1/1 (1876/77)-35/1 (1910/11); Fortsetzung u.d.T.: Roseggers Heimgarten. Monatsschrift für Unterhaltung und Aufklärung. Graz: Leykam 35/2 (1910/11)-59/1 (1934/35); damit Ersch. eingestellt. Die Nummern 54 (1930)-58/19 (1934) kehrten zu dem Namen der ersten 35 Jahrgänge zurück, die letzte Nummer 59 nannte sich zeitgemäß ‹Roseggers Heimgarten: Zeitschrift für das deutsche Haus›.

9 Zur Geschichte der Genossenschaft vgl.: Heimgarten bei Bülach. Neujahrsblatt 1993 der Lesegesellschaft Bülach, o.O. o.J., nebst Beilage ‹Besitzesverhältnisse›. Diese interessante Schrift ist freilich mit einer gewissen Vorsicht zu nehmen, da sie nicht wenig Unstimmiges und Inkongruentes, Lücken und Ungenauigkeiten aufweist und zudem eine ganz leichte, doch unüberhörbare Tendenz ins Anti-Utermöhlensche, um nicht zu sagen Antideutsche zeigt. Es ist ein Dokument des Lokalstolzes und der Stärkung des Gemeinschaftssinnes, nicht archivarischen Fleißes und wissenschaftlichen Genauigkeitsstrebens.

10 s.o. Anm. 3.

11 Lisette Utermöhlen, geb. Hettenhausen, war in Ludolfshausen (heute Gemeinde Friedland) geboren, ihr Mann Georg in Bonaforth. Die Kinder der beiden kamen alle in Heißum (heute Landkreis Goslar) zur Welt, mit Ausnahme Wilhelms, des achten und jüngsten, der in Ohrum (Kreis Wolfenbüttel) das Licht der Welt erblickte.

12 Zu ihr s. Albert Moßdorf: Die Industrie in Bülach. Ihre Entwicklung, ihre Bedeutung. Neujahrsblatt für Bülach und das Zürcher Unterland 1942, S. 73f., wo Karl allerdings irrtümlich als «Paul» geführt wird. Auch die Vorgeschichte der Konfitürenfabrik ist nicht ganz richtig, mindestens in irreführender Verkürzung dargestellt.

13 Bülacher Neujahrsbl. 1993, a.O. (Anm. 9), S. 20f.

14 s. Brief 6, Z. 15f.

15 Vgl. Briefe 3, Z. 63 mit Anm.; 8 und 9.

16 Das Bülacher Neujahrsbl. 1993, a.O. (Anm. 9) S. 48a, hingegen beschreibt ihn als «Sprachprofessor von Heissum [sic], Hannover, reicher Schwiegervater von Wilhelm Utermöhlen» – vermutlich eine Verwechslung mit dem Vater Wilhelms, Georg Utermöhlen, der vor seiner Auswanderung tatsächlich einmal Lehrer in Heißum gewesen war, welcher Weiler indes, heute Teil der Gemeinde Liebenburg im Landkreis Goslar, niemals zu Hannover gehört hat. – Elberfeld war, wie das gesamte Wupper-Tal, jahrhundertelang geprägt durch Textilindustrie (Garnbleicherei, Bandwirkerei, Leinenweberei), deren Entstehung auf die herzogliche Verleihung der sog. Garnnahrung an Elberfeld und Barmen im Jahre 1527 zurückging, d.h. auf das Monopol der Garnherstellung und ‑verarbeitung. Das Privileg wurde unter napoleonischer Herrschaft (1806-1813) abgeschafft, die Textilindustrie blieb.

17 Persönliche Erinnerungen, in: Bülacher Neujahrsbl. 1993, a.O. (Anm. 9) S. 18a. Bernhard, die von 1895 bis 1907, also bis zum Konkurs der Genossenschaft, in Heimgarten lebte (s. a. Brief 13/Anm. 31), hat ihre Erinnerungen an diese Zeit im Juli 1951 niedergeschrieben (ebd., S. 16b; S. 19c).

18 a.O.

20 Der Friede. Monatsschrift für Friedens- und Schiedsgerichtsbewegung. Organ des akademischen Friedens-Vereines Zürich, des Schweizerischen Friedens- und Erziehungs-Vereines, sowie der Friedensfreunde in der Schweiz und im Ausland 1/20 (4.11.1893), Rubrik ‹Verschiedenes›, hierunter Abschn. ‹„Rasten macht Rosten!“›: «Während Professor Kürschner als unerreichter Praktikus des Schrifttums infolge der praktischen Bestrebungen unseres Vereins die Ehrenmitgliedschaft in seltenem Maasse verdient, ist Baronin Suttner ist höchstem Grade geeignet […]» (o.S.).

21 Schweizerische Lehrerzeitung. Organ des schweizerischen Lehrervereins und des Pestalozzianums in Zürich 41/9 (29.2.1896) 78b-79a.

22 Federico Kürschner: L’italiano parlato. Frasi usuali giornaliere con trascrizione fonetica. Leipzig: O. R. Reisland 1898. Die Einleitung ebd., S. iiif. – Eine anerkennende Kurzbesprechung in der Literarischen Beilage Nr. 7 (Juli 1898) zur Schweizerischen Lehrerzeitung, a.O. (Anm. 21) 43/27 (2.7.1898) 26a.

23 200 französische Geschäftsbriefe und Formulare aus der Praxis in methodisch-systematischer Anordnung zur gründlichen Erlernung der französischen Handelskorrespondenz: nebst Erläuterungen im allgemeinen und zu jedem einzelnen Briefe für Schule, Kontor und zum Selbstunterricht [so 1. Aufl.; spätere Aufl.: zur Selbstbelehrung; manche Ausg.a.: … in systematisch-methodischer Anordnung … Briefe für Handelsschulen und zum Selbstunterricht], gesammelt und bearbeitet von Friedrich Kürschner, Professor an der … Aargauer Kantonsschule, hg. von der Handels-Akademie Leipzig. Leipzig o.Vlg. 1899; Leipzig: Dr. iur. Ludwig Huberti 21903; Leipzig: Haberland 3. durchges. verm. Aufl. 1915; Leipzig: Haberland 41930; Leipzig: Möhring 51945. – Eine lobende Besprechung in: Für die Schreibstube 17/14 (16.4.1901) 111a-b. – 200 englische Geschäftsbriefe und Formulare aus der Praxis in methodisch-systematischer Anordnung zur gründlichen Erlernung der englischen Handelskorrespondenz: nebst Erläuterungen im allgemeinen und zu jedem einzelnen Briefe für Schule, Kontor und zur Selbstbelehrung, ges. und bearb. von Friedrich Kürschner, Professor … in Aarau. Leipzig: Verlag der Handelsakademie 1899; Leipzig: Dr. jur. Ludwig Huberti 21901; Leipzig: Haberland 3., durchges. verm. Aufl. 1930; Leipzig: Möhring 41945. – Eine sehr positive Besprechung in: Für die Schreibstube 15/19 (4.7.1899) 151b.

24 Friedrich Kürschner: Eine wichtige Frage unserer Volkswirtschaft: Wie kann der Bund das zum Ankauf der Schweizerbahnen nötige Geld umsonst erhalten, wie kann er die jetzigen Besitzer reichlich entschädigen und zugleich den Wohlstand der Schweiz in ungeahnter Weise heben? Ein offener Brief an den hohen Bundesrat und das Schweizervolk. Aarau: E. Wirz 1899.

25 Ohne Verlagsangabe.

26 Schweizerische Lehrerzeitung, a.O. (Anm. 21) 48/6 (7.2.1903) 45a.

27 Einführung in die englische Umgangs- und Geschäftssprache. Kurzgefaßte praktische Anleitung, die englische Sprache in kurzer Zeit verstehen, lesen, schreiben und sprechen zu lernen. Lehr- und Lesebuch zum Gebrauch in kaufmännischen, technischen und gewerblichen Schulen … unter besonderer Berücksichtigung … des Handels- und Gewerbestands. mit genauer Bezeichnung der Aussprache und Betonung. Von Friedrich Kürschner, Professor (Orselina-Locarno). Leipzig: Dr. iur. Ludwig Huberti’s Moderne kaufmännische Bibliothek 1902, ²1928. – Eine sehr empfehlende Kurzbesprechung in: Literarische Beilage Nr. 2 (Februar 1903) zur Schweizerischen Lehrerzeitung, a.O. (Anm. 21) 48/6 (7.2.1903) 6b; eine abratende dagegen im Jahr darauf in: Literarische Beilage Nr. 1 (Januar 1904) zur Schweizerischen Lehrerzeitung, ebd., 49/1 (2.1.1904) 4b.

28 https://monteverita.net/personen/friedrich-kuerschner/#identifier_3_922. – Die bibliographischen Angaben zu Kürschners Büchern in diesem ansonsten äußerst wertvollen Eintrag sind weder vollständig noch immer korrekt.

29 Monte Verità. Wahrheit ohne Dichtung. Aus dem Leben erzählt von Ida Hofmann-Oedenkoven. Lorch (Württemberg): Karl Rohm 1906, S. 39.

30 Hofmann: Monte Verità, a.O., S. 49. – Die Theosophie, eine ursprünglich neuplatonische Lehre über die Voraussetzungen des Wissens von den göttlichen Dingen, in Judentum (Chassidismus, Kabbala) wie Christentum (u.a. der Mystik Jakob Böhmes) fortgesponnen, wurde im 19. Jh. von der Okkultistin Helena Blavatsky (1831-1891) und der von ihr und Henry S. Olcott (1832-1907) 1875 gegründeten ‹Theosophischen Gesellschaft› besetzt und zu einem nurmehr aus östlichen, v.a. indischen Traditionen schöpfenden Spiritismus und Reinkarnationssysstem umdefiniert mit dem Anspruch, die wahre Religion und Philosophie zu repräsentieren.

31 Hofmann: Monte Verità, a.O. (Anm. 29), S. 41.

32 Laut Netzseite, a.O. (Anm. 28), ist es beim Monte Verità auch nicht bekannt, ob Friedrich Kürschner schlußendlich auswanderte oder nicht. – Interessanterweise emigrierte Ida Hofmann selbst (deren Mutter aus Braunschweig stammte und mit dem Staatslehrer und Historiker Justus Möser verwandt war – auch das in unserem braunschweigischen Kontext eine bemerkenswerte Koinzidenz) zusammen mit einigen Angehörigen um 1920 nach Brasilien, wo sie nach schwerer Krankheit 1926 in São Paulo starb. S.u. Anm. 55.

33 Amtliches Schulblatt des Kantons Zürich 21/5 (1.5.1906) 123.

34 Einführung in die französische Umgangs- und Geschäftssprache. Kurzgefaßte praktische Anleitung, die französische Sprache in kurzer Zeit verstehen, lesen, schreiben und sprechen zu lernen. Lehr- und Lesebuch zum Gebrauch in kaufmännischen, technischen und gewerblichen Schulen … unter besonderer Berücksichtigung … des Handels- und Gewerbestands. mit genauer Bezeichnung der Aussprache und Betonung. Von Friedrich Kürschner. Leipzig: Dr. iur. Ludwig Huberti’s Moderne kaufmännische Bibliothek «ca. 1910» – «um 1920» – «1928» – «um 1930»: dies die bibliographischen Angebote der wissenschaftlichen Bibliotheken, ohne daß dabei etwa zwischen verschiedenen Auflagen differenziert würde. Nun kommen die letzten beiden Jahre als Ersterscheinungsdatum aus biographischen Gründen nicht in Frage, aber eine Entscheidung zwischen den ersten beiden wäre in unserem Kontext eine große Hilfe.

36 Deutsche Schnellkurzschrift – Tachystenographie: Auf lautwissenschaftlicher Grundlage aufgebaut und ohne Veränderung auf alle Sprachen anwendbar! Nationales und internationales Einigungssystem von Friedrich Kürschner. Heimgarten-Bülach (Schweiz) und Lottstetten (Großherzogtum Baden, Deutsches Reich): Selbstverlag 1913. Den Vertrieb des Buches übernahm die Luzerner Verlagsbuchhandlung E. Haag.

37 Ausweislich seines Vorworts zur zweiten und dritten Auflage seiner ‹200 französischen Geschäftsbriefe›, a.O. (Anm. 23) S. XIV, das er mit der gleichen Orts- und Zeitangabe wie seine ‹Tachystenographie› (Anm. 36) versieht: «Heimgarten-Bülach (Schweiz) und Lottstetten (Gr. Baden, D. R.) im Frühjahr 1915». Lottstetten, im äußersten Süden Badens im weitgehend von der Schweiz umschlossenen sog. Jestetter Zipfel gelegen, war (und ist bis heute) durch die 1897 eröffnete Eisenbahnstrecke Zürich-Schaffhausen direkt mit Bülach verbunden.

38 Brief 9, Z. 10 mit Anm., in welcher a. Hinweis auf ein weiteres von Kürschner herausgegebenes Sprachlehrwerk.

39 Zur zweiten Ehe gehörten auch Kinder (s. Briefe 11, Z. 7f.; 15, Z. 5f.). Wieviele es waren und ob es sich um Sprößlinge dieser oder einer möglichen ersten Ehe der zweiten Frau handelte, bleibt ungesagt.

40 s. Briefe 8ff.

41 s. Brief 15.

42 s. Brief 1.

43 s. Brief 3, Z. 20ff. mit Anm.; indirekte Hinweise a. in den Briefen 8, Z. 22f.; 17, Z. 24-27.

44 s. Brief 1/Anm. 2.

45 s. Brief 24, Z. 19-23.

46 Brief 13, Z. 94-99.

48 Brief ■■, Z. ■■.

49 Brief 13, Z. 56.

52 Brief 18, Z. 22f.

53 Brief 16, Z. 14.

54 In Brief 13, Z. 55f., erklärt Friedel seine Bindung an die Heimgartener Scholle damit, daß seine Großeltern einmal dort gelebt hätten – was sich auf die Elberfelder, aber natürlich auch auf die Großeltern mütterlicherseits beziehen könnte.

55 s. Brief 17, Z. 100f.

56 Im von Deutschen und Schweizern 1851 gegründeten Joinville, Bundesstaat Santa Catarina; s. Art. ‹Ida Hofmann gestorben.›, in: Die Südschweiz, Nr. 73 (15.9.1926), der sich seinerseits auf eine Meldung der ‹Deutschen Tageszeitung für Südbrasilien› stützt. Hofmanns Todestag war der 12.7.1926. Zu ihr s.o. Anm.en 29. 32.

57 Zu Weferlingen und seiner Geschichte vgl. das schöne Büchlein von Fritz Barnstorf: Weferlingen. Aus der tausendjährigen Geschichte eines kleinen Dorfes. Braunschweig: Hans Oeding 1965; zu Hermann Utermöhlen ebd., S. 30.

58 1866 von den beiden Frauenrechtlerinnen und Pädagoginnen Anna Vorwerk (1839-1900) und Henriette Schrader-Breymann (1827-1899; Großnichte Friedrich Fröbels) gegründet, entwickelte sich die Schule, ausgehend von einem Kindergarten und Elementarklassen für Mädchen, immer weiter und umfaßte bald auch eine Gewerbeschule, eine Haushaltungsschule, ein Internat für die in großer Zahl ihr zuströmenden auswärtigen Schülerinnen, ein Lehrerinnenseminar und schließlich ein ‹Feierabendhaus› für pensionierte Lehrerinnen. 1913, wahrscheinlich zu spät für Käthe Utermöhlen, wurde neben dem Lyzeum noch ein (ebenfalls privates) Oberlyzeum eingerichtet. Die Schule konnte im Wolfenbütteler Schloß residieren, weil der Hofstaat bereits im 18. Jh. nach Braunschweig verlegt worden war. Nach dem Zerwürfnis der beiden Gründerinnen führte Anna Vorwerk die Schloßanstalt alleine weiter, während Henriette Schrader-Breymann nach Berlin ging, wo sie u.a. 1874 das noch heute bestehende ‹Pestalozzi-Fröbel-Haus› gründete, eine noch umfassendere Erziehungs‑, Bildungs- und Berufsanstalt im Geiste der beiden namensgebenden Pädagogen. Auch die Wolfenbütteler ‹Schloßanstalt› existiert noch heute und heißt seit 1970, als auch die Koedukation eingeführt wurde, ‹Gymnasium im Schloß›.

59 Auf der letzten Seite von Käthes Abgangszeugnis lesen wir über die Schule: «Die Höhere Handelslehranstalt für Damen steht unter der Verwaltung der Handelskammer für das Herzogtum Braunschweig, Abteilung für das kaufmännische Unterrichtswesen. Sie hat den Zweck, Damen Gelegenheit zu geben, sich für die praktischen Anforderungen des Lebens vorzubereiten; insbesonders will sie solchen Damen, die später im Geschäft ihrer Eltern oder ihres Mannes tätig sein, sich ein eigenes Geschäft gründen oder in die höheren Stellungen des Handels eintreten wollen, eine hierzu geeignete fachliche Vorbildung verschaffen. Als Schülerinnen werden Damen aufgenommen, die eine Höhere Mädchenschule mindestens mit der Reife für die 2. Klasse, die hiesige Städtische Mädchenschule oder eine auswärtige mittlere Mädchenschule, die dieser gleichzustellen ist, mit gutem Erfolge besucht haben. Auch können Schülerinnen einer mittleren Bürgerschule,[sic] auf Grund eines sehr guten Abgangszeugnisses nach vollendetem fünfzehnten Lebensjahre zugelassen werden. Die Schülerinnen erhalten beim Verlassen der Anstalt ein Abgangszeugnis. Die Reihenfolge der Urteile für die Leistungen ist: sehr gut, gut, befriedigend, noch nicht voll befriedigend.».

60 Im Bergbau war (bis 1994) eine ‹Gewerkschaft› praktisch das Gegenteil dessen, was man in der heutigen Alltagssprache damit verbindet: keine Interessenvertretung abhängig Beschäftigter, sondern eine Kapitalgesellschaft. Ihre Mitglieder, auch ‹Gewerken› genannt, hielten Anteile (sog. Kuxe) an einem Bergwerk oder einer Eisenhütte, die sie im Bedarfsfalle zum Nachschießen von Kapital (sog. Zubuße) verpflichtete, im Ertragsfalle aber zur Abschöpfung des Gewinns (sog. Ausbeute) berechtigte. Alleineigentümer einer Zeche wurden ‹Alleingewerken› genannt, nicht am Werk wohnende Anteilseigner hießen in der prägnanten Sprache der Bergleute ‹Blinde Gewerken›.

61 Hierzu wie zum Kaliwerk Beienrode allgemein ausführlich Brief 2/Anm. 4.

62 Bis 1931 hatte man dies verkürzt und leicht abgeändert auf «Gemüse- und Früchte-Konserven-Fabrik, Frischobst-Marmeladen, Konfitüren u. Fruchtsirupe» (Kündigungsschreiben vom 14. August 1931).