Brief, hschr., schwarze Tinte auf dreieinhalb Seiten, die zwei Blatt linierten Papiers desselben Formats wie Brief 17, doch von etwas dünnerer Qualität einnehmen. Rand freigelassen, kleine Einrisse links und rechts in der Mittelfalz des ersten sowie in der unteren Hälfte des zweiten Blattes; kein Umschlag. Einige Ansichtskarten und vier Photographien als Beilage (s. Z. 17 mit Anm.en).

Hda. Pucchum

 Camaná (via Arequipa)

Perú, den 3. Dez. 25.

Meine liebe Käthe!

Mit der Post von gestern kam Dein Brief vom 22. Oktber [sic]. Ich schicke Dir heute einen 6 kurzen Gruß, es wird aber Ende Jahr1 werden bis Du meine Zeilen hast. Schiffe fahren viele nach Europa, alle Wochen ein bis zwei Dampfer von Mollendo2 und vom nächsten Jahr an werden Europa-Dampfer, wenigstens von einigen Linien auch in Quilca, dem Hafen von Camaná und Pucchum,3 halten. Man hat einen Autoweg hingebaut und kommt jetzt leichter hin, als früher zu Pferde.

11 Ich hatte viel zu tun in letzter Zeit und habe es noch bis Ende Jahr. Da wir seit einiger Zeit unseren geschäftlichen Teil nun direkt mit Arequipa und mit dem Mutterhause │ der Etablissements Braillard in Paris4 erledigen, so gibts für uns in Pucchum mehr Arbeit und da ich auch die offizielle Korrespondenz und sämtliche5 Dokumente die allmonatlich weggeschickt werden zu erledigen habe, ist genügend zu tun. Wenigstens jetzt in der ersten Zeit bis die Sache mal gut im Gange ist.

17 Ich lege Dir heute einige Ansichten bei,6 auch von Pucchum einige kleine Aufnahmen,7 die 18 nächsten werden dann besser und größer. – Daß Erika verlobt ist,8 wußte ich nicht; ich schreibe 19 sehr wenig in den Heimgarten und seit ich dorthin schrieb, daß ich nun nicht in den 20 Heimgarten komme, sondern hierbleibe, ist die Korrespondenz etwas eingeschlafen. 20 Bald wird meine Mutter nach Arequipa komme<n>, ich freue9 mich sehr darauf.10

22 ║ 2) ║ Und wenn meine Mutter einmal hier ist, werde ich sehen, wie ich meinen Geschwistern helfen kann, die im Heimgarten keine Heimat haben.11

Wenn es mir weiterhin gut geht und ich in den nächsten Jahren das erreiche was ich möchte, dann werde ich,12 in 4-5 Jahren meine erste Europareise machen. Aber alles das,13 ist der Zukunft zu überlassen, vorerst möchte ich arbeiten, viel arbeiten und nachher wollen wir sehen.

Ein Blatt von wildem Wein kann ich Dir nicht[?] beilegen, d.h. Wein wächst auch in unserem Garten, aber einige Orangenblätter.

Wenig erhälst [sic] Du heute Käthe von Deinem Friedel der Dir so sehr dankbar ist, daß Du so gut zu ihm bist.

Einen Tag, einen[?] Abend und │ die ganze Nacht aufbleiben und bei Dir sein – Wünsche – vorläufig nichts als Wünsche.14

Dein

Friedel.15

Was soll ich Dir wünschen Käthe fürs neue Jahr, nichts als daß Du für mich bleibst, was Du mir bis jetzt gewesen bist. Ein guter Kamerad. Aber –16 man ist soweit auseinander.

Anmerkungen

1 Zu dieser (Z. 11 wiederholten) Wendung s. Brief 9/Anm. 3.

2 s. Brief 16/Anm. 3 sowie im vorliegenden Brief Anm. 6 (Nr. 4-7).

3 Quilca war der erste Hafen, den die Spanier um 1600/1601 an der peruanischen Westküste erbauten, um die in der Inka-Hauptstadt Cuzco geraubten Schätze nach Spanien zu verschiffen sowie die übrigen Teile des Vizekönigreichs Peru mit Waren zu versorgen. Es war auch – Ironie des Schicksals – der letzte von den Spaniern in den südamerikanischen Unabhängigkeitskriegen gehaltene Hafen, von dem aus dem letzten Vizekönig, José de la Serna (1770-1832), nach seiner endgültigen Niederlage gegen die Independentisten im Dezember 1824 die Ausreise nach Spanien gelang, gut einhundert Jahre vor Friedels Brief.

4 Zu Braillard s. Brief 17, Z. 22ff. mit Anm.

5 Ursprünglich «sämtlichen», dann letzten Buchstaben gestrichen.

6 Aus dem Konvolut der überlieferten Postkarten und Photographien kommen hier drei Ansichtskarten von Arequipa und vier von Mollendo in Betracht:

B18 11. kolorierte Ansichtskarte mit roter Aufschrift rechts oben im Bild «Catedral y Plaza de Armas, Arequipa, Perú.» («Kathedrale mit Exerzierplatz, Arequipa, Peru.»), Rückseite mittig: «Union Postale Universelle. Tarjeta Postal – Carte Postale», unbeschrieben, undatiert.

 

 

 B18 22. dieselbe Ansicht, unkoloriert mit weißem Rahmen, in den unten die nämliche Aufschrift eingeprägt, oben aber von Friedels Hand der Name der beiden schneebedeckten Gipfel im Hintergrund eingetragen ist: «Cha{n}chani» und «Misti». Es sind dies zwei nördlich von Arequipa gelegene Vulkane, 6.057 m und 5.820 m ü.M. hoch, die bis heute das Stadtbild prägen, v.a. der kegelförmige (und nach wie vor aktive) Misti, auch wenn sie im Zeitalter des Klimawandels nurmehr selten eine Schneekappe tragen. Rückseite identisch mit vorheriger.

 

B18 33. Postkarte von derselben Art und identischer Rückseite wie 1. und 2., vorne schwarzweiße Aufnahme mit weißem Rand, darauf unten eingeprägt: «Vista general de Arequipa y el Misti, Arequipa, Perú.» («Blick auf Arequipa und den Misti …»), links im Mittelgrund eine gewaltige Flußbrücke und davor steil abfallende Staustufe zur Versorgung eines unterirdischen Kanalsystems; oben mittig von Friedels Hand: «Misti, über 5000 m.», oben rechts, mit Pfeil ins Bild auf einen weiteren verschneiten Berg am rechten Bildrand weisend: «Pichu-Pichu». Letzterer (a. ‹Picchu-Picchu› > quechua ‹picchu› ‘Berg, Gipfel, Spitze’) ist der östlichste und mit 5.665 m niedrigste in der Vulkankette nördlich Arequipas. Auf seinen (im Bild nicht sichtbaren) insgesamt sieben scharf gezackten Erhebungen fanden Archäologen im 20. Jh. nebst Resten inkaïscher Opferstellen drei wohlerhaltene Inka-Mumien von Jugendlichen, die im Alter von fünfzehn Jahren starben.

Die vier Ansichten von Mollendo sind nicht wie die vorausgehenden von Arequipa auf festen, stumpfen, sondern auf dünneren, mit mattglänzendem Photopapier überzogenen Karton gebannt. Rückseitig überall die identische engl. Aufschrift: «Post Card», links «Correspondence», rechts «Address» und «Place Stamp Here»; ansonst unbeschrieben, unfrankiert, undatiert. Vorne Aufschriften von Friedels Hand auf dem unteren weißen Bildrand:

B18 44. «Hafen von Mollendo» (Blick vom Wasser auf das Kai mit Löschkränen, langgestrecktem Lagerhaus und dahinter ansteigenden zwei- bis mehrstöckigen Gebäuden, deren eines von der Firma ‹Dauelsberg. Ewel & Co.› kündet, 1857 gegründeter Bremer Schiffsmakelei, die seit 1865 in Peru als Linienagentur und Klarierungsagentin für verschiedenen Reedereien auftrat, bald aber auch eigene Schiffe, v.a. im Auswanderergeschäft, betrieb. Weniger gut lesbar links davon ein zweites Firmenschild ‹Méndez & Ramírez Agentes›, wohl ebenfalls Linienagenten).

 

 B18 55. «Hafen von Mollendo» (Blick vom Hafen-Bahnhof über die Einfahrtrinne des Hafens zum gegenüberliegenden Kai und aufs Meer: Auf beiden Seiten des Wassers wird soeben ein Pferd oder Rind per Kran an Land gehoben. Das Ausbooten war in Mollendo wegen der starken Strömung und konstant anbrandenden Südwest-Dünung, gegen die der buchtlose Hafen nur notleidig durch ein Riff geschützt ist, je nach Seegang legendär gefährlich bis unmöglich und wurde daher per Kran bewerkstelligt, auch bei menschlichen Passagieren*).

 

B18 66. «Straße in Mollendo, Hafen von Arequipa»: Sträßchen mit zwei- bis dreistöckigen Gebäuden im Kolonialstil, Palmen und linksseitig einer breiten Freitreppe, die sowohl den Eingang zu einem großen Eckgebäude, ausweislich der über dem Türsturz eingemeißelten Inschrift einer Filiale des ‹Banco Italiano›, als auch die Verbindung zu einem kaum mehr sichtbaren niedriger gelegenen Straßenteil herstellt. Auf der rechten Straßenseite ein Haus mit großer Wandaufschrift «Botica Kosmos», mglw. ein Büro der ‹Deutschen Dampfschiffahrtsgesellschaft Kosmos›, welche, 1872 gegründet und Ende 1926 von der Hapag Lloyd übernommen, die südamerikanische Westküste befuhr; ihre Agentur war justament die obgenannte ‹Dauelsberg. Ewel & Co.›. Da ‹botica› regional aber auch ‹Apotheke›, ‹Kurzwarengeschäft› oder ‹Krämerladen› bedeuten kann, könnte es sich ebensogut um ein derartiges Etablissement handeln, geführt vielleicht – darauf würde die dt. Schreibweise «Kosmos» hinweisen – von deutschen Auswanderern.

 

B18 77. «Hafen von Mollendo»; am oberen Bildrand, mit Pfeil ins Bild hinein auf sanft ansteigende Hügelkette zeigend: «Hinter diesen Bergen liegt Pucchum. 3 Stunden mit Schiff von Mollendo.» (Blick vom Kai über die Einfahrtrinne des Hafens zur gegenüberliegenden Hafenbahn, dahinter sich die Bergkette erhebt).

 

 

 

 *Von dem chilenischen Autor, Journalisten und Politiker Vicente Grez (1847-1909), der sich 1891 auf zwei Jahre ins peruanische Exil verfügen mußte, ist uns folgende plastische Beschreibung seiner Anlandung und ersten Eindrücke in Mollendo überliefert:

«Zur Mittagsstunde finden wir uns, ohne daß irgendeine Bucht den Dampfer aufgenommen hätte, vor Anker liegend Aug in Auge mit Mollendo, dem seltsamsten, ausgefallensten, dem exzentrischsten unter allen Küstenorten. Die auf einem Abhang errichtete Stadt scheint abgerutscht und knapp über dem Meere hängengeblieben zu sein; und der Reisende erwartet jederzeit ein übernatürlich in der Luft schwebendes altes Haus oder Stück Vorstadt ins Wasser fallen zu sehen. Wenn der Schiefe Turm von Pisa schon ein Wunder ist, dann ist das über dem Ozean hangende Mollendo ein Mirakel. Wohl trifft es zu, daß der Kunst kein Leids geschähe, würde Mollendo im Wellengrab versinken –– bedauerlich aber wäre solches seiner Einwohner wegen allemal, die für ihr Städtchen eine sonderbare Zuneigung empfinden müssen, eine Anhänglichkeit, wie wir sie all jenem gegenüber hegen, das uns beständige Mühen abverlangt, und seien es nur die des Gleichgewichts.

 In Mollendo gibt es keine Mole. Das wäre auch ein unnützes Bauwerk für eine Stadt, die vielmehr einen Aufzug braucht. Die Passagiere schiffen hier auf höchst originelle Weise aus: Sie steigen in ein Faß, eine Tonne oder einen Korb und werden mit Hilfe von Seilen in die Höhe gezogen, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen spüren. Und welche Abenteuer und Gefahren haben sie bei dieser Operation nicht zu bestehen! Sei es, daß ihr Lift recht lange in den Lüften kreiselt, sei es, daß er sich aufs Wasser senkt inmitten des Gelächters der Neugierigen an Land wie derjenigen, die das Schauspiel vom Schiffsdeck aus verfolgen.

 Nach Antofagasta schien das Meer nichts weiter Interessantes uns bereitzuhalten; doch Mollendo übertrifft nicht nur alles Bestehende, sondern auch alles, was selbst die versponnenste Phantasie sich hätte einfallen lassen können. Mollendo ist ein Phänomen. Einzig der Erfindungsgeist peruanischer Behörden, so reich an absurden Hervorbringungen, konnte auf diesem Flecken eine Stadt gründen und ihr dann Leben einhauchen, indem er sie mittels kostspieliger Bahnverbindung an Arequipa schloß. Wir sehen einen dieser Züge, langsam sich hügelabwärts windend, näherkommen, und die Verschwendung von Geldern auf eine derart sinnlose Einrichtung will uns wie ein Hohn erscheinen. Mollendo wird nie etwas anderes sein als eine künstliche Stadt, erbaut in einem unwahrscheinlichen, grotesken Winkel der Welt, in dem noch die brausende Flut, die sich an den Felsen bricht, dies mit geradezu aufreizender Trägheit zu tun scheint.» (Übers. Katrin Grünepütt)

7 Es handelt sich um vier Aufnahmen der Größe 6×10,5 cm, die auf der Rückseite Orts- und (mit dem Brief übereinstimmende) Datumsangabe von Friedels Hand tragen:

Zwei Ansichten einer weiten, primitiv eingezäunten, mglw. teils morastigen, in die Präkordilleren eingebetteten Ebene, an der eine Sandpiste vorbeiführt; ein Bild durch zwei Tintenhaken, das andere durch einen Lichtschatten verunziert; beide rückseitig identisch beschriftet: «Hda. Pucchum Camaná (Perú) 3/12/25.»:

 B18 9B18 11

 

 

 

 

B18 8Ein drittes Bild zeigt dieselbe weite Fläche aus entgegengesetzter und erhöhter Blickrichtung von einem Hügel aus, wobei am rechten Bildrand ein Gebäude in den Blick kommt (vgl. Friedels anschauliche Beschreibung in Brief 17 Z. 37-39) Rückseite: «Hda. Pucchum Camaná via Arequipa Perú 3.12.25».

 

 

B18 10Das vierte, senkrecht aufgenommene Bild zeigt uns Friedel – die charakteristische Mundpartie ist trotz des Schattens, den der Sombrero über die Gesichtszüge wirft, gut erkennbar – zu Pferde auf einer an ein Zuckerrohrfeld grenzenden Weide; Rückseite wieder: «Hda. Pucchum Camaná (Perú) 3.12.25.».

 

 

 

 

8 Zu Erika s. Brief 3, Z. 65ff. mit Anm.en. Erika Utermöhlen, die 1903 zweiundzwanzigjährig den Ehebund mit dem Lehrer Franz Albrecht geschlossen hatte, aus dem eine Tochter hervorgegangen war, verheiratete sich ein zweites Mal mit Oskar Staege nach Hamburg. Vgl. a. Addendum 1/Anm. 7, Nr. 5; Addendum 2, Z. 22ff. sowie dortige Anm. 14 zu Gerda Utermöhlen.

9 Dicker Punkt auf dem ‘e’, so daß das Wort sich wie «friue» oder «friene» liest.

10 s. Brief 17, Z. 100-103 mit Anm. und dortigen weiteren Briefstellen.

11 Hier spricht Friedel zum ersten Male von «Geschwistern» im Plural. Die Gesamtheit der Textbefunde legt nahe, Leneli und Karli hierfür in die engere Wahl zu ziehen: Briefe 3, Z. 38ff. 99 mit Anm.en; 12, Z. 24f. mit Anm.; 13, Z. 52. 121; 16, Z. 14 mit Anm.; 19, Z. 38-40 mit Anm.; ■■Brief o.D./Frg.

12 Es folgt die nachträglich (wohl weil als Wiederholung erkannte) gestrichene Sequenz «wenn es gut».

13 Komma sic.

14 Vgl. die sehr ähnliche Formulierung in Brief 17, Z. 17-19: Unberührt von den seither verwichenen dreieinhalb Monaten scheint die Wunschvorstellung in Friedel lebendig geblieben.

15 Unterschrift und Unterstreichung mit dickem, energischem, kräftigem Strich.

16 Gedankenstrich nur schwach lesbar.