Kunstpostkarte, hschr., adressiert an: «Frl. Käthe Utermöhlen, z.Zt. Weferlingen bei Dettum Braun­schweig.». Kei­ne Brief­marke, kein Poststempel, also vermutlich in einem Umschlag versandt. Auf der Bild­seite ‹Die Fo­­rel­le – La truite› von Karl Zewy1. Zeitlich lassen sich außerdem drei auf Herbst 1922 da­tier­te Auf­nah­men Friedels hier einordnen, die zusammen mit der Karte im Umschlag gesteckt, die Emp­fän­gerin aber natürlich auch erst mit einer späteren Sendung erreicht haben könnten.2

Heimgarten, 24. Dez. 1922.

Liebe Käthe!

Zu einem etwas ausführlichen [sic] Bericht von mir bist Du ja allerding’s [sic] noch 4 nicht gekommen3. Ich war in Gedanken oft in Weferlingen und auch in Beienrode.4 Es war doch schön bei Euch. Nimm für heute beste Wünsche für frohe Festtage und einen frohen Jahresanfang.

Dein Friedel.

Anmerkungen

1 Karl (auch Carl) Zewy, geb. 21.4.1855 in Wien, gest. 20.6.1929 daselbst. Dieser recht unbekannte Maler schuf historisierende Genrebilder und – wie im vorliegenden Falle – idyllisch-romantische ‘Heimatmalerei’: eine barfüßige junge Frau in kurzärmeligem weißem Hemd, rotem Rock und blauer Schürze, die, an einer Böschung zwischen Baumwurzeln und Felsen sitzend, sinnend auf einen Fluß blickt, an dessen gegenüberliegendem Ufer hinter Büschen und Bäumen ein Haus zu erahnen ist. Denkbar wäre ein Schubert-Bezug, zumal die titelgebende Forelle auf dem Bild nicht zu sehen ist.

2 Es handelt sich um: 1. eine vermutlich einem Atelier entstammende Ansichtskarte mit einem Porträtphoto des jungen Friedel, der in Anzug und (offenbar gestrickter) Krawatte mit rechtem übergeschlagenen Bein, darauf er seinen rechten Arm locker stützt, auf einem Platz sitzt, dessen Kante von einer Metallschiene eingefaßt scheint, also etwa einer Treppenstufe oder Bank; rückseitig ist quer über die obere linke Seite geschrieben: «September 1922. F. Kürschner.»; das Adreßfeld leer; 2. ein Ganzporträt Friedels in feldgrauer schweizerischer Kavallerieuniform (Ordonnanz 1914/17) mit Kragenspiegel und Ärmelpatten in der Farbe der Waffengattung, die bei der Kavallerie seit 1915 zitronengelb (so die offizielle Farbbezeichnung!) war, wobei die Tatsache, daß auf jeder Seite der Kragenpatte ein Stern aufgenäht ist, Friedel als Leutnant und damit nach der Terminologie als Subalternoffizier ausweist; kreuzweise über der Brust die Lederriemen der (auf dem Rücken getragenen und daher für den Betrachter unsichtbaren) Ausrüstung, sei es Säbelkoppel, Patronentasche, Feldstecher o.ä. Auf dem Kopf eine Offiziersmütze aus Tuch mit halbmatt lackiertem Lederschirm, dessen Verbindungsschiene mit dem Kopfteil vorne mittig eine Schnalle zeigt. Die Reitstiefel beschmutzt, beide Hände behandschuht, wobei die Linke den Säbel mit Portepee hält (als welches in der Schweiz ‹Schlagband› geheißen wird). Rückseitig waagerecht über beide Kartenhälften: «Anbei eine kl. Aufnahme aus einer der letzten Übungen. Herbst 1922. Friedel.». Die 3. Karte zeigt dieselbe Aufnahme wie Nr. 2., auf der Rückseite steht jedoch nur quer links oben: «1922. F. Kürschner.»; das Adreßfeld rechts leer. – Sachlich würden die drei Photos auch zu Brief 3, Z. 19ff., passen, wo just von einem im Herbst 1922 abgehaltenen Manöver berichtet wird. Allerdings erweckt jener Brief nicht den Eindruck, als wären ihm Photos beigelegt worden, denn er stellt explizit nur ein Photo, und das auch nur für die Zukunft, in Aussicht (3, Z. 97f.). – Zur Bekleidung und Ausrüstung der Schweizer Soldaten vgl.: Handbuch über die persönliche Ausrüstung in der schweizerischen Armee. Zusammenstellung aller bezüglicher Erlasse, von der zuständigen Amtsstelle durchgesehen und ergänzt. Bern, April 1901, Teil II, S. 39ff. mit dazugehörigen Tabellen, S. 101ff.

3 Zuerst fälschlich «bekommen», dann das ‘b’ in ein ‘g’ korrigiert.

4 Käthe lebte mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in Weferlingen, wo ihr Vater schon 1920 gestorben war (vgl. Einleitung). Sie besaß jedoch auch eine Wohnung im nordöstlich davon gelegenen Beienrode (s. a. Brief 3, Z. 45.102 mit Anm.en 14.28), wo sie als sog. kaufmännische Beamtin, d.h. Kontoristin im weitesten Sinne, Anstellung im Salzbergwerk gefunden hatte (s. Einl.). Beienrode am Dorm, heute ein Stadtteil von Königslutter am Elm, bis zur Gemeindegebietsreform von 1974 eigenständige Gemeinde, erlebte seine größte wirtschaftliche Blüte zwischen 1900 und 1926, also just zu der Zeit, der diese Karte entstammt, dank des in den letzten Jahren des 19. Jh. dort entdeckten Kalisalzvorkommens. Als wichtiger Rohstoff für die Herstellung von Kunstdünger (dessen Entdeckung sich Justus von Liebigs Einsicht in die wachstumsfördernde Wirkung von Stickstoff, Kalium und Phosphaten sowie dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Fritz Haber und Carl Bosch entwickelten sog. Haber-Bosch-Verfahren zur Massenproduktion von Ammoniak verdankt) erfuhr das Kalisalz, von dem bis zum Ende des Ersten Weltkriegs weltweit ausschließlich Lagerstätten im Deutschen Reich bekannt waren, seit ca. 1900 eine enorme Nachfrage. Im Kalibergwerk Beienrode, das um 1900 die Förderung aufnahm, fanden bis zu 845 Menschen (Höchstbelegschaft im Jahre 1923) Arbeit, nach 1914 auch Kriegsgefangene. Um die vielen dadurch zuwandernden Neueinwohner unterzubringen – lt. Wikipedia, s.v. ‹Beienrode (Königslutter)›, wuchs die bisherige Einwohnerschaft in dieser Zeit um mehr als das Doppelte –, erweiterte man den alten Dorfteil, das im Schuntertal gelegene sog. Unterdorf, schon Ende des 19. Jh. um das sog. Oberdorf. Nach 1918 sank aufgrund weltweiter Kalisalz-Entdeckungen allmählich der Nachfragedruck, und kleinere deutsche Bergwerke mit geringerer Kalisalzqualität wie das in Beienrode mußten schließen. Im Zuge der Entlassungen, die 1925 begannen, verlor auch Käthe Utermöhlen zum 30. Juni 1926 ihre Arbeit, laut Kündigungsschreiben vom 14. Mai 1926 «[i]nfolge der aussergewöhnlichen Absatzstockung», die es «unmöglich» mache, «die enormen vorhandenen Lagerbestände zwecks Abdeckung der Schulden flüssig zu machen», bevor der Betrieb im Oktober 1926 endgültig eingestellt wurde. Zu Beienrode vgl.: Das Moosholzmännchen. Heimatkundliches Beiblatt des lutterschen Stadtbüttels Nr. 111/1975; zum Salzbergbau daselbst noch besonders die Broschüre ‹Erlebnislandschaft Dorm. Unterwegs im Höhenzug zwischen Elm und Lappwald›, hg. FEMO Freilicht- und Erlebnismuseum Ostfalen e.V. Königslutter 2010, S. 18f., mit weiterführender Literatur. – Ironischerweise lehnten Käthes Heimgartener Onkels Karl und Wilhelm (s. Einl.) den Einsatz des ihre Nichte in Lohn und Brot setzenden Kunstdüngers entschieden ab und begründeten diese Ablehnung auch beredt in mehreren Schriften; z.B. Karl Utermöhlen: Die Hensel’sche Mineraldüngung, der sicherste Weg, um unsern Aeckern wieder die höchsten Erträge abzugewinnen. Langnau 1894; ders.: Über die Quellen der Fruchtbarkeit. Eine Anleitung zur dauernden Verbesserung unseres Acker- und Garten-Bodens nach den grundlegenden Forschungen Justus von Liebig’s und Julius Hensel’s zusammengestellt. Liebau/Schlesien, 2., verm. Aufl. 1895; ders.: Das Urgesteinsmehl als Quelle der Fruchtbarkeit, dem Fundament zum Aufbau des deutschen Volkes. Lorch/Württemberg, 3., stark erw. und umgearb. Aufl. 1934; Wilhelm Utermöhlen: Die Basalt-Steinmehl-Düngung, 1892-1937, ihre Anwendung und deren praktische Auswirkung [Umschlagtitel: Biologischer Land- und Gartenbau als Grundlage einer natürlichen Bodenverbesserung]. Heimgarten-Bülach: Selbstverlag 1937; Julius Hensel: Brot aus Steinen durch mineralische Düngung der Felder, neu bearb. von Wilhelm Utermöhlen. Leipzig 31939. Laut Bülacher Neujahrsblatt 1993 (s. Einl./Anm. 9), S. 15c, führten Karl und Wilhelm Utermöhlen sogar «auf eigene Rechnung eine Vertretung der deutschen Schmittschen Steinmehlfabrik in Harseheim». – Friedel hatte, wie aus Brief 3 vom 13. Februar 1923, Z. 48ff., hervorgeht, Käthe zuletzt im Sommer 1922 in Weferlingen und Beienrode besucht, ein Besuch, der stark in ihm nachwirkte und auch in späteren Briefen immer wieder evoziert wird. Die Formulierung in vorliegender Karte legt nahe, daß es sich um sein erstes Lebenszeichen nach jenem Besuch handelt.