Ansichtskarte, hschr., adressiert an: «Fräulein Käthe Utermöhlen, Weferlingen b/Dettum (Braun­schweig)», fran­kiert mit einer 10-Rappen-Briefmarke ‹Helvetia› und abgestempelt am 20.2.1917 in Schaff­hausen-Unter­stadt. Die Bildseite zeigt ein Chamois-Ganzporträt von Friedel Kürschner in schwei­ze­rischer Uniform (feld­graue Ordonnanz von 1914 mit einreihigem Waffenrock) mit Tschako (der cha­rak­teristischen Schak­kel­haube mit Kinnriemen, Schweizer-Kreuz-Kokarde und Pompon sowie über dem Augen­schirm mittig ein­ge­präg­ter Ziffer – hier «12» – für das Regiment und seitlich eingeprägtem Waf­fen­abzeichen, vermutlich Stern mit Kreuz und Eichenkranz, das Abzeichen für Kavalleristen; dieses je­doch un­deut­lich) und eingestecktem Säbel. (Zur Bekleidung und Ausrüstung der Schwei­zer Soldaten s. a. Literaturangabe in Brief 2/Anm. 2.) Die linke Hand auf dem Rücken, die rechte, behandschuhte, ge­rade her­abhängend und auch den linken Handschuh haltend. Repräsentierpose, Stand­bein-Spielbein, künst­­li­ches Seitenlicht und ein an­ge­deuteter Hintergrundprospekt (dorischer Säulenfuß an Gar­tenlaube) wei­sen das Porträt als zeittypische Atelier-Photographie aus.

Schaffhausen, den 20.II.1917.1

Liebe Käthe,

Von der Grenzbesetzung, die ich als Soldat jetzt mitmache,2 einen kleinen Kartengruß.

 Herzlich grüßend

Friedr. Kürschner

Train,3

Guiden-Schwadron 124

Feldpost

Anmerkungen

1 Bei diesem Kartengruß handelt es sich um die erste uns überlieferte Wortmeldung Friedel Kürschners aus seiner jahrzehntelang, bis zu seinem Tode, mit seiner angeheirateten Cousine Käthe Utermöhlen geführten Korrespondenz, von der wir leider nur die aus seiner Feder stammenden Briefschaften besitzen. Zu Käthe, Friedel und beider familiärem Hintergrund s. Einleitung.

2 Die bewaffnete Neutralität ist seit dem Wiener Kongreß 1814/15 eines der Grundprinzipien schweizerischer Außenpolitik. Bei militärischen Konflikten in angrenzenden Staaten – und also auch im Ersten Weltkrieg – erfolgte seine praktische Umsetzung in Form der sog. Grenzbesetzung, d.h. indem die schweizerischen Truppen die Landesgrenzen von innen besetzten und befestigten; denn das völkerrechtlich anerkannte, seit 1907 im Haager Neutralitätsabkommen niedergelegte Neutralitätsrecht verpflichtet die Schweiz dazu, den Ein- und Durchmarsch fremder Truppen zu verhindern. Nach der am 1. August 1914 verkündeten Generalmobilmachung begann somit für die Schweizer Männer eine lange Zeit des Grenzdienstes mit dem Bau von Militärstraßen, Schützengräben, Tunnels, Festungen und Kasematten, Kommando- und Beobachtungsposten, Batteriestellungen, Munitionslagern, Telephon- und Wasserleitungen, Unterkünften, Stallungen u.v.a.m. Die Arbeiten dauerten fast den ganzen Krieg lang an, wobei die Zahl der aufgebotenen Soldaten wegen eines steten Wechsels zwischen Mobilisierung und Demobilisierung stark schwankte: Wurden im August 1914 220.000 Mann einberufen, so entließ man wegen der wirtschaftlichen Folgeprobleme (Arbeitskräftemangel, rasche Verarmung großer Bevölkerungsteile und Hunger) bereits im Dezember desselben Jahres wieder knapp die Hälfte davon. Mit nurmehr 38.000 dienstleistenden Soldaten war im November 1916 ein Tiefstand erreicht, bevor Gerüchte über einen bevorstehenden französischen Stoß durch die Schweiz im Winter 1916/17 die Bestände wieder auf über 100.000 ansteigen ließen (vgl. Hans Rudolf Fuhrer: Erster Weltkrieg, Kap. 1.1.2: Aktivdienst 1914-1918, in: HLS, Version vom 11.1.2015, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8926.php; Die Geschichte der Schweiz, hg. Georg Kreis. Basel 2014, S. 495-498). Daß in diesem letzteren Zusammenhang 1917 auch Friedel Kürschner einberufen wurde, spricht zum einen dafür, daß er die Schweizer Staatsangehörigkeit besaß, zum anderen glaubt man sich vorderhand berechtigt, sein Geburtsjahr tentativ um 1895 anzusetzen, da zwischen 1907 und 1949 das Einziehungsalter in der Schweiz bei 22 Jahren lag. Doch gerade der militärische Notfall, der zum Zeitpunkt seiner Einberufung herrschte, könnte die Behörden dazu veranlaßt haben, auch Jüngere zu rekrutieren. Gesicherter scheint auch aus anderen Gründen die Annahme eines Geburtsjahrs 1896 (s. Einleitung sowie Brief 13, Z. 94-99) oder 1897 (Einl. sowie Brief 24, Z. 27). Friedel wäre dann je nachdem hier neunzehn oder zwanzig Jahre alt.

3 In der schweizerischen Armee Einheit für den Transportdienst mit Tragtieren – Pferden oder Maultieren –, die vor allem in unwegsamem Gelände und im Hochgebirge Material aller Art (Munition, Proviant, Sanitätsmaterial, Belagerungsgerät u.ä., aber auch Feldpost) für die Truppen bewegt. Zu den Pferden s. a. die folgende Anm. sowie Brief 3/Anm. 8.

4 Die Guiden waren eine Teil-Waffengattung innerhalb der schweizerischen Kavallerie, 1850 geschaffen für Aufklärungs‑, Melde‑, Stafetten- und Bewachungsdienste sowie als berittene Heerespolizei. Sie galten als Elitetruppen, der Dienst bei ihnen als besondere Ehre. Viele Bauernsöhne, die den Umgang mit Pferden von Haus aus gewöhnt waren oder ihn erlernen bzw. vervollkommnen wollten, waren hier anzutreffen. Die Reit- (nicht aber die Arbeits‑)Pferde der Schweizer Kavallerie wurden «Eidgenoss» genannt und durften nicht von Zivilisten geritten werden, was das Selbstverständnis der Truppe unterstreicht. Jede Division – in der schweizerischen Armee im Ersten Weltkrieg ca. 6.000 Mann umfassend – verfügte über eine Guidenabteilung und ein Kavallerieregiment. Insgesamt gab es im Ersten Krieg sechs Guidenabteilungen à zwei Guiden-Schwadronen (Schwadron = kleinste taktische Einheit der Kavallerie). Friedel Kürschners Guiden-Schwadron 12 gehörte der 5. Division an (welche verwirrenderweise sowohl vor als auch wieder nach dem Krieg die 6. hieß, im Krieg jedoch die 5.), die sich aus Zürcher und Schaffhausener Truppen zusammensetzte. Weshalb Friedel seine Karte in Schaffhausen aufgab, ist dennoch nicht ganz klar, da seine Division im Jura und Tessin eingesetzt wurde, also fernab Schaffhausens; doch vielleicht war das ein Gestellungsort. 1925 wurden die Guidenkompanien aufgehoben und den Dragonerschwadronen (Dragoner = berittene Infanteristen mit Transportaufgaben) zugeteilt, die ihrerseits 1972 – als letzte echte Kavallerie Europas – aufgelöst wurden.