Brief, hschr., schwarze Tinte, vier Seiten, verteilt auf zwei Blätter derselben Größe, aber nicht derselben (son­dern einer nur schwach linierten, nicht gerippten) Papierart wie Brief 19; kein Umschlag.

Hda. Pucchum, Camaná, Perú

den 17. Februar 1928.

 Meine liebe Käthe, gestern als ich nach Camaná ritt, fand ich auf der Post Deinen so lieben Brief vor, den ich wie Du ganz richtig sagst, am Anfange, nicht verdient habe. Aber Du weißt ja nun durch meinen letzten Brief, daß nicht Du es bist der ich solange nicht geschrieben1 hatte,2 sondern alles das was in der letzten Zeit einen beschäftigte, nicht die Sammlung aufkommen ließ, die nötig ist. Aber ich hatte die Rechnung eben doch falsch gemacht; ich mußte fühlen, daß die Briefe die ich erhielt von Dir mir unendlich gut taten und dann Dir solange nichts mehr zu hören geben, war eben das gleiche als auch nichts mehr zu erhalten.3

Als ich dann auf dem │ Heimwege die letzten Häuser von Camana [sic] im Rücken hatte, zog ich Deinen Brief hervor4 ließ meinem Pferde lange Zügel und konnte so lesen wie es mir Freude machte.5 Und je mehr ich las, desto besser mußte ich sehen, wie Du mir in Deinem Denken nahe stehst, und solange [sic] Zeit hab ich nichts von mir hören lassen, Dir, die Du mir soviel gibst.

6Käthe, ich darf garnicht daran denken, wie gut Du zu mir bist, Du bist zu gut zu mir und doch freut es mich so unendlich daß Du so bist.

Anfang März fahre ich nach Arequipa, wo Karli ist,7 zurzeit, und dort kann ich mir Bilder machen lassen und werde Dir dann eines schicken.

19 Unsere Angelegenheit hier ║II║ ist noch nicht in Ordnung, d.h. wir warten blos auf den Besuch von Don Roberto Leguia [sic], des neuen Besitzers, Bruder des Präsidenten von Peru.8 Nächsten Monat soll er kommen. Ich hoffe daß es nicht mehr sehr lange dauern wird um endlich einmal zu wissen in welcher Weise weitergearbeitet 22 wird.9

Aus dem Heimgarten erhielt <ich> vor kürzerer Zeit einen ausführlichen Brief,10 Tante und Onkel sind gesund und haben mit ihrer Viehzucht Glück, was ihnen ja sehr zu wünschen ist; blos die Jahre machen sich bei ihnen nun auch bemerkbar,11 was ja nicht zu verwundern ist, und muß man sich12 über die Frische mit denen [sic] beide den Arbeiten nachgehen können, wundern.

28 Bei uns,13 ist jetzt Sommerzeit │ Dezember bis März sind die wärmsten Monate und wenn bei Euch Hochsommer ist14 Juli und August, haben wir hier unsere kühlere Zeit in denen [sic] die Nächte etwas frischer sind. 30 Alle Tage baden wir im Meer, das in seiner ganzen Herrlichkeit vor uns liegt.

32 Ich hatte letzthin in den Heimgarten verschiedene Aufnahmen geschickt von Pucchum, ich hatte leider nur wenige, aber schreib Tante Helene, sie kann sie Dir schicken zum Ansehen.15 Von Arequipa aus sende ich Dir ein Bild. Von den andern Aufnahmen werde ich trachten noch einige zu erhalten.

Leb wohl für heute, Käthe und sei vielmals und herzlich gegrüßt von Deinem stets dankbaren

Friedel.

Anmerkungen

1 Folgt mit zwei waagrechten Strichlein getilgtes Komma.

2 Gemeint ist offenbar: «daß es nichts mit Dir zu tun hatte, daß ich so lange nicht schrieb». Friedel bezieht sich auf seine Aussage in Brief 19, Z. 6ff..

3 Möglicherweise hatte Käthe in ihrem Brief vom 23. September 1927, in dem sie sich über Friedels langes Schweigen beklagte (s. Brief 19, Z. 4ff.), damit gedroht, auch ihrerseits das Schreiben einzustellen. Getan hatte sie dies aber noch nicht, d.h. durch die Erfahrung, «nichts mehr zu erhalten», hatte Friedel noch gar nicht gehen müssen. Im Gegenteil war seine Cousine in ihrer Zuwendung unverrückbar treu und beständig geblieben; vgl. allein Brief 17, Z. 6f., wo Friedel den Empfang vierer (von ihm bis anhin unbeantworteter) Briefe von ihr vermerkt. Ohnehin vermitteln die regelmäßigen, meist gleich eingangs formulierten Empfangsbestätigungen Friedels den Eindruck, seine Briefe seien vor allem Antworten, Reaktionen auf die von Käthe ausgehenden Impulse gewesen und nicht so sehr aus eigenem Antrieb oder Anlaß entstanden.

4 Fehlendes Komma sic.

5 Vgl. Brief 3, Z. 6-8, wo Friedel ebenfalls beschreibt, wie er sich bewußt zurückzieht, um sich ganz auf die Lektüre von Käthes Zeilen zu konzentrieren, und Brief 12, Z. 18-21, wo er sein Bedürfnis nach ebensolcher Konzentration und Exklusivität für sein eigenes schriftliches Zwiegespräch mit ihr zum Ausdruck bringt.

6 Fehlender Absatzeinzug hier und bei den folgenden drei Absätzen sic.

7 Zu Karlis Peru-Aufenthalt s. Brief 19, Z. 38-40.

8 s. Brief 19, Z. 12-20 mit Anm.

9 Allem Anschein nach hat Roberto Leguía sich gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Friedel entschieden – oder es kam nach anfänglicher Weiterbeschäftigung irgendwann im Laufe des Jahres zu einem Schnitt –, denn der nächste uns erhaltene, auf den 6. März 1930 datierte Brief vermeldet, daß Friedel «[s]eit etwas über einem Jahre» auf der weiter landeinwärts ca. 100 km nordöstlich von Camaná im Vorgebirge der Kordilleren gelegenen Hacienda Maran Grande als Verwalter arbeite (Brief 21, Z. 14f. mit Anm.). Ob es zwischen Pucchum und Maran Grande noch eine weitere Station auf Friedels Weg gab, können wir wegen des großen zeitlichen Abstands zwischen diesem und dem nachfolgenden Brief nicht wissen: Unterm Strich bleibt zwischen dem vorliegenden Brief und Friedels Neuanfang in Maran Grande eine Leerstelle von mehr oder weniger einem Jahr

10 Komma nahezu unsichtbar. – Die Funkstille zwischen Friedel und den Heimgartenern, von der Brief 18, Z. 18-20, berichtet, scheint also nicht von Dauer gewesen zu sein. S. a. Z. 32.

11 Friedels Onkel Wilhelm Utermöhlen war im Februar 1928 siebenundfünfzig Jahre alt, seine Frau Helene ein Jahr jünger. Der andere Heimgartener Onkel, Wilhelms Bruder Karl, stand im siebenundsechzigsten Lebensjahr. Daß die Heimgartener Bedarf an jungen Arbeitskräften hatten, klang bereits in den Briefen 13, Z. 63, und 14, Z. 10-12, an.

12 Diesen hier erst‑, aber beileibe nicht letztmalig verwendeten (s. bereits den folgenden Brief 21, Z. 37. 39. 41. 47; Briefe 23, Z. 40. 54. 56. 61; 25, Z. 16. 23) sog. Satzdreh nach ‹und› – einen von der Sprach- und Stillehre vielgescholtenen, dem «Raubmord oder Einbruch» praktisch gleichgestellten grammatikalischen Fehler (Eduard Engel: Deutsche Stilkunst, nach der 31. Aufl. 1931 neu hg. Stefan Stirnemann. Berlin 2016, Bd. 1, S. 109) – hat Friedel sich erst in der sprachlichen Diaspora, in Peru, angewöhnt: was vorderhand eine unerklärliche Kuriosität darstellt, da das Spanische zwar wie das Deutsche Inversionen kennt, aber nicht an dieser syntaktischen Stelle.

13 Komma sic.

14 Fehlendes Komma sic.

15 Erste Bilder aus Pucchum hatte Käthe zweieinviertel Jahre zuvor von Friedel erhalten; vgl. Brief 18, Z. 17 mit Anm. 7.