Brief, hschr., schwarze Tinte, sechs Seiten auf drei Blättern desselben Papiers wie Brief 21; kein Umschlag. Zwei Photos als Beilage (s. Briefende mit Anm.).
Corire (Majes)1 via Arequipa
Peru.
den 22. Juli 1930.
Meine liebe Käthe!
Jetzt da ich diesen Brief schreiben [sic], solltest Du ihn ja eigentlich schon haben.
7 Als Dein so lieber langer Brief vom 9. Mai ankam, lag ich leider zu Bett und 8 hatte wieder mal etwas Malaria. Verschiedene Jahre hatte ich Ruhe damit,2 aber ganz plötzlich ist dann wieder mal so ein Anfall, wenn man so sagen will, gekommen. Denn oft3 bei aller Vorsicht kann man es nicht vermeiden daß man von diesen giftigen Mücken (Anophles [sic]) gestochen wird, welche die Überträger des Malariafiebers sind. Vierzehn4 Tage hatte ich │ 12 hohes Fieber, das dann mit starken Schüttelfrösten abwechselt [sic]; und nach weiteren vierzehn Tagen, wo ich wieder aufstand, fuhr ich dann für einen Monat nach Arequipa um mich dort etwas zu erholen.
15 5Arequipa liegt 2300 m hoch und hat ein wunderbares Klima, alle Tage blauer Himmel, ohne Ausnahme, tagsüber ist’s erträglich warm, ohne zu heiß zu werden und nachts wird es kühl bis recht 17 frisch.6
18 Es wohnen dort sehr viele Deutsche dann auch Schweizer, Engländer und Amerikaner. 19 Viele deutsche Geschäftshäuser. Ich weiß nicht ob ich Dir früher schon Ansichten von Arequipa sandte.7 20 Auf alle Fälle, im Oktober, wenn ║II║ ich wieder für ca. vierzehn Tage hinfahre, werd ich’s nicht unterlaßen. 21
22 Das unangenehmste bei diesem Fieber ist, daß man während der Zeit in der man sich nicht wohl fühlt, aber auch keine Lust für nichts hat. Es ist auch erklärlich, da dieses Fieber einen Blutverlust jedesmal darstellt8, da sich die Erreger in den roten Blutkörperchen verkapseln, diese also gewißermaßen auffressen.9
26 Dieses zeitweise auftretende Fieber ist der Grund, daß ich darnach trachten [sic], mich früher oder später verändern zu können. Selbstverständlich, wenn ich etwas gefunden habe, wo ich in jeder Hinsicht besser gestellt bin und das10 kann immer noch │ eine Zeitlang dauern. Da kann noch ein Jahr und länger vorbeigehen.
30 Sonst wäre ja das Klima hier ideal, alles gedeiht hier, der Boden ist sehr fruchtbar, die einzige Schattenseite ist das Fieber und schließlich auf längere Zeit ein nicht zu unterschätzender Faktor der doch immer nachteilig auf die Gesundheit einwirkt.
Am 12. Juli, ich war noch in Arequipa11 wurde mir auch Deine Karte vom 7. Juni nachgesandt auf der Du schreibst daß Du zu Hans und Rose fährst.12
Erst vor einigen Tagen kam ich von Arequipa wieder zurück.
36 Dort in der Nähe sind auch sehr gute Mineralbäder;13 jeden Morgen ║III║ fuhren wir 37 dort mit dem Auto hin und waren dann jeweils zum Mittagessen wieder zurück.14
38 In Arequipa wohnte15 ich in einer dort befindlichen deutschen Pension, wo man am besten aufgehoben war. Mit der Besitzerin, einer Witwe, die auch schon die ganze Welt kennt, 40 sind wir gut bekannt, sodaß deßhalb dort das Leben noch um so angenehmer war. Auch befanden sich zu der Zeit nette Gäste dort. 41 Verschiedenen deutsche Weltreisende, ein deutsches Ehepaar, d.h. „sie“ war Norwegerin, aus Bolivien wo sie Minen besitzen16 und andere mehr.
Ich habe in Arequipa ziemlich viel [sic] Bekannte17 │ sodaß ich die meiste Zeit des Tages eigentlich auswärts war und auch den Abend meistens bei Freunden und guten Bekannten verbrachte. So sind die Tage dort schnell und angenehm herumgegangen.
Ich hab mir dort auch einige Bilder machen lassen und lege Dir von jeder Aufnahme eines bei. Sind einigermaßen natürlich ausgefallen. Ob sie Dir gefallen.18
Vielmals und herzlich grüß ich Dich Käthe, ich schäme mich ordentlich, so gut bist Du zu Deinem oft recht undankbaren
Friedel.
2 Bilder.19
1 Corire ist für Friedels Hacienda Maran Grande (s. Brief 21, Z. 14ff. mit Anm. 7) der nächste Ort; das Städtchen, Hauptort des Distrito de Uraca, welcher zusammen mit dreizehn anderen Distrikten die Provincia de Castilla bildet (ihrerseits eine der acht Provinzen der Región Arequipa, s. ebda./Anm. 7), liegt am relativ flachen (429 m ü.M.) und breiten Eingang des Majes-Tales nahe der Hacienda San Vicente (ebda., Z. 17-23; Brief 23/Anm. 23 mit Friedels Handzeichnung). Die Flußoase gehört wie Camaná (Brief 17, Z. 1 mit Anm.; Z. 42ff.) zu den ertragreichsten Reisanbaugebieten der Welt und ist überhaupt enorm fruchtbar; heute auch Weinanbau und vieles andere. Nur ca. 3 km von Corire entfernt liegt das etwa 5.000 m² große Gebiet Toro Muerto mit rund 6.000 Petroglyphen, d.h. Felszeichnungen auf vulkanischen Gesteinsblöcken, angefertigt zwischen 750 und 1150 n.Chr. von den Wari, der Chuquibamba-Kultur und zum kleineren Teil den Inkas. Die Zeichnungen bzw. Ritzungen stellen sowohl geometrische als auch menschliche, tierische und pflanzliche Figuren dar.
2 Infiziert hatte Friedel sich wahrscheinlich im ersten Halbjahr 1924 nach seiner Ankunft in Peru auf einer seiner Erkundigungstouren durchs Amazonastal (Briefe 11, Z. 31-39 mit Anm.; 15/Anm. 6). Malaria ist eine chronische Krankheit mit abwechselnden Schüttelfrost‑, Fieber- und Schweißanfällen (s.u. Z. 12. 22ff.), die in unregelmäßigen und teils sehr großen, wie bei Friedel manchmal jahrelangen Abständen rezidiviert. Der erste effektive Gegenwirkstoff wurde erst 1934 (in Friedels Heimat Elberfeld!) entdeckt.
3 Dem Wort scheint ein Schrägstrich zu folgen, doch ragt nur das überlange Komma nach «sagen will», welches in der Hschr. genau eine Zeile darüber steht, hier hinein.
4 Das erste ‘e’ ein Tintenfleck.
5 Ab hier nur etwa halb so großer Einzug wie bisher.
7 Das ist tatsächlich der Fall, lag zu diesem Zeitpunkt aber schon viereinhalb Jahre zurück: Brief 18/Anm. 6, Nr. 1-3.
8 End-‘t’ sehr verdickt.
9 Die ausgeprägte Lustlosigkeit ist ein charakteristisches Krankheitssymptom, das gewiß, wie Friedel sagt, in der Anämie begründet ist, die dieses hämorrhagische Fieber verursacht.
10 Ursprünglich «dann», vermutlich in Vorwegnahme des folgenden «kann»; erstes ‘n’ durch großes ‘s’ überschrieben, das zweite doppelt durchgestrichen.
11 Fehlendes einschließendes Komma sic.
12 Zu Hans, Käthes nächstjüngerem Bruder, und seiner Frau Rose, die zu diesem Zeitpunkt im anhaltinischen, zwischen Köthen und Halle gelegenen Glauzig lebten, s. Briefe 8, Z. 46f. mit Anm.; 12, Z. 39 mit Anm.
13 Es ist unklar, ob Friedel hier die im Februar des Folgejahres (Brief 24, Z. 48-52) explizit genannten Thermalquellen von Yura oder andere Bäder meint. Während er hier (Z. 37) von Autofahrten spricht, scheint er sieben Monate später nach Yura die Bahn genommen zu haben (Brief 24, Z. 48). – Zur Bedeutung von Heilbädern für die Schweizer Utermöhlens s. Brief 3/Anm. 19 mit weiteren Verweisen.
14 In diesem Satz taucht zum ersten Male innerhalb eines sonst weitgehend in der 1. Pers. Sing. gehaltenen Berichts ein «wir» auf, das dem Leser die Frage nahelegt, ob Friedel sich irgendwann zwischen November 1927, als er sich enttäuscht über seine Frauenbekanntschaften äußerte (Brief 19, Z. 34-37), und dem Zeitpunkt des vorliegenden Briefes liiert oder verheiratet haben könnte; vgl. a. in Z. 40 sowie Brief 23, Z. 59. Doch läßt der Wechsel zwischen «ich» und «wir» die Verhältnisse vorderhand im unklaren, bis Brief 24, Z. 25-27, soviel jedenfalls deutlich macht, daß Friedel zu dieser Zeit noch unverheiratet war.
15 Auch als «wohnten» lesbar.
16 Zu diesem Ehepaar s. Brief 23, Z. 32ff. mit Anm., sowie die Brief 25 beigelegten Photographien.
17 Auch als «Bekannten» lesbar.
18 Punkt statt Fragezeichen sic.
19 Es handelt sich um zwei photographisch leicht retouchierte Bilder:
1) Brustbild im Halbprofil in Ovalkartusche auf peruanischer Postkarte, vorne unten mittig eingeprägt: «Vargas Hnos. Arequipa – Peru» («Hnos.» = Abkürzung für ‹Hermanos›, i.e. ‹Gebrüder›); rückseitig engl. Aufschrift «Post Card» sowie links «Correspondence», rechts «Address» und innerhalb umlaufender Endlosschrift «ArturArturArtur»: «Place stamp here». Auf den Kopf gedreht, quer rechts von Friedels Hand: «Kennst Deinen Peru-Friedel noch. Arequipa, 12. Juli 1930».
2) Brustbild im Dreiviertelprofil auf identischer Karte mit identischer Prägeschrift wie auf 1); rückseitig ebenfalls auf den Kopf gedreht und quer rechts: «Käthe zur freundl. Erinnerung. Friedel. Arequipa, 12. Juli 1930». – Das Atelier der Vargas-Brüder Carlos (27.1.1885-21.6.1979) und Miguel (29.10.1886-7.1.1976) war seiner Porträtphotos ebenso wie seiner nächtlichen Aufnahmen der Stadt Arequipa wegen nicht nur überregional, sondern sogar international berühmt. Die künstlerisch interessierten Brüder, die schon als Jugendliche photographisch experimentierten und eine eigene Kamera entwickelten, nahmen an zahlreichen Ausstellungen und Wettbewerben im In- und Ausland teil und gewannen viele Preise. Ihr Atelier in Arequipa, 1912 eröffnet, wurde bald zum Treffpunkt der südamerikanischen Bohème, von Künstlern, Intellektuellen, Revolutionären und politisch Verfolgten, denen es als Galerie, Bühne und sonstiger Veranstaltungsraum diente. Nicht zuletzt dank dieser beiden sehr unterschiedlich talentierten Männer (der ältere ein stiller Alchemist, Techniker und Geschäftsmann, der jüngere, dandyhafte, der eigentliche Bild-Kompositeur), die aber stets wie siamesische Zwillinge auftraten und ihr Leben lang unverheiratet bleiben sollten – nicht zuletzt dank ihrer also waren die zwanziger Jahre auch in Arequipa kulturell ‘goldene’, steht namentlich die ohnehin ambitionierte peruanische Photographie jener Zeit in hohem Ansehen. Die Weltwirtschaftskrise (zu welcher s. Brief 23) versetzte dann auch diesem höchst erfolgreichen kleinen Unternehmen mit seinen zwölf Angestellten einen schweren Schlag, von dem es sich nie mehr ganz erholte. Zwar konnte es sich immerhin erhalten – erst 1958 schloß es seine Pforten –, doch mußten die Gebrüder Vargas von nun an sich um eine ärmere bzw. ärmer gewordene, weniger anspruchsvolle Klientel bemühen, die statt repräsentativer Porträts und stimmungsvoller Außenaufnahmen nurmehr Paß- u.ä. Ausweisphotos verlangte; und an die Stelle der großen alten Apparate mit Glasplatten als Bildträgern traten kleinformatige Kameras mit Azetat-Negativen. Friedels Bilder dürften nach bereits vollzogenen Einschnitten entstanden sein, verraten aber noch den ästhetischen Anspruch der Produzenten. Der Hoch-Zeit der Gebrüder Vargas widmet sich das Buch von Adelma Benavente und Peter Yenne: Arequipa en blanco y negro: el estudio de arte Vargas Hnos., 1912-1930. Vorwort von Mario Vargas Llosa. Madrid: Turner 2008. – Von ihrem wichtigsten Mitarbeiter, der sich später in Cuzco selbständig machte, dem ersten indigenen Photographen Lateinamerikas Martín Chambi (1891-1973), gibt es einen Ausstellungsband mit Bildern aus Friedels Zeit: Martín Chambi: Fotografías del Perú 1920-1950. [Bogotá:] Banco de la República, Biblioteca Luis-Ángel Arango, Ausst.-Kat. Oktober-November 1988.