Brief, hschr., schwarze Tinte, neun Seiten auf fünf Blättern dünnen, festen Leinenpapiers im Format 21,7×28 cm. Kleiner Einriß rechts in der Mittelfalz des ersten Blattes; kein Umschlag. Zwölf Photos als Beilage (s. P.S. mit Anm.).
Hacienda Maran Grande,
den 6. März 1930.
Meine liebe Käthe,
Oft1 dachte ich in letzter Zeit, ich dürfte überhaupt nicht mehr schreiben. Solange Zeit ist vergangen, daß ich überhaupt nichts habe von mir hören lassen. Wie das manchmal kommt, weiß ich nicht; ist es das Klima, das einem dagegen spielt, oder was es sein mag, Tatsache ist nur das [sic] diese allzu traurige Erscheinung sich oft sehr in die Länge zieht.
Deinen letzten Brief vom 13. August erhielt ich am 17. September2 und am 1. Febr. eine Weihnachtskarte von Dir. In Deinem Brief waren vier Bildchen, sehr natürliche und gute Aufnahmen aus denen man Dich nicht besser erkennen könnte.3
│ Ich bin seit genau einem Jahre nicht mehr in Arequipa, d.h. in der Stadt gewesen, nächsten Monat fahre ich für einige Wochen hin4 und werde dann bestimmt von mir Bilder machen lassen auf denen Du mich etwas besser erkennen wirst.5
14 6Seit etwas über einem Jahre bin ich auf der Hacienda Maran Grande als Administrator.7 Wir pflanzen hauptsächlich Baumwolle die hier alle versandtfertig [sic] hergestellt <wird> und meist alle nach Liverpool kommt.
17 Etwas weiter unten im Tal liegt ebenfalls eine große Baumwoll-Hacienda mit Namen 18 „San Vicente“. Beide, „San Vicente“ und „Maran Grande“ gehören einer deutschen Firma. Ich war damals<, als> ich hierher kam, angenehm überrascht als ich auf „San Vicente“ einen ║II.║ 20 Deutschen, ebenfalls als Administrator traf. Es sind Württemberger, Herr Gnamm und seine Frau, beide vierzig Jahre.8{u.} ohne Kinder.9 Wirklich liebe Leute mit denen ich gut befreundet bin. 23
10 San Vicente“ liegt ca. 20 km weiter talabwärts von „Maran Grande“ aus. Jeden Sonntag morgen reite ich hinunter und bleibe bis nach dem Abendessen. Oft wenn ich abkommen kann, gehts auch schon Samstag abends hin. Hier auf der Hacienda „Maran Grande“ wohne ich ganz allein in einem netten geräumigen Landhaus mit großer Veranda davor11 ein Eßzimmer, ein Wohnzimmer12 zwei Schlafzimmer, Büro und verschiedene Zimmer für die Hausangestellten. Platz genug habe ich also.
Nah beim Wohnhaus herum │ gruppieren sich die Wohnungen der Feldangestellten „mayordomos“ wie man diese hier nennt, und die Maschinenanlagen, und Hütten der Arbeiter.
Hier gedeiht so ziemlich alles, sämtliche Tropengewächse, alle unsere Gemüsearten, Äpfel und Birnen auch aber werden hier nicht sehr schön und auch nicht schmackhaft weil es zu warm ist, aber sie gedeihen. In unserem Garten ist alles vertreten. Orangen, Zitronen, Bananen, Melonen und all die vielen tropischen einheimischen Gewächse die man hier überall findet. Pfirsiche alle Arten und Aprikosen werden wie größere Äpfel. Was besonders gut gedeiht hier im Tal sind die Trauben und so hat fast jede Hacienda stets ansehnliche Traubenkulturen. ║III.║ 37 Ich habe hier in Maran Grande auch einen ganz netten Weinberg und sind Fässer genug vorhanden um ca. 2000 Zentner Wein zu faßen. Letztes Jahr habe ich hier zum ersten 39 Mal den Wein selbst gemacht und ist er sehr zur Zufriedenheit aller ausgefallen. Ich war sehr froh darüber, denn schließlich verlangt jede Gegend bei Trauben eine andere Behandlungsweise und 41 ist es so ziemlich der beste Wein im Tal.
Seit einem Jahre ist nun auch ein Weg von San Vicente über Maran Grde [sic], bis etwas weiter oben in’s Tal fertig der nun auch von Autos befahren wird, sodaß man nun auch zu Pferde besser vorwärts kommt13 Früher war der Weg an manchen Stellen gefährlich, sodaß öfters Tiere mit Reiter oder Traglast │ in den Fluß stürzten.
Tagsüber reite ich den Weg von hier bis San Vicente in 1½ Stunden, nur Nachts ohne 47 Mondschein gehts länger und braucht man oft 2½ Stunden. Wenn man viel im Sattel ist und daran gewöhnt dann kommt einem der Weg von ca. 20 km bis nach San Vicente recht kurz vor.
49 In San Vicente sind außer Herrn Gnamm als Administrator noch weitere Deutsche als Angestellte dort, für Büro, Magazine, Fabrik und Feld. Zurzeit sind vier weitere dort. Oft Sonntags machen wir Ritte auf Nachbarhacienden, die nächste liegt ca. 50 km weiter unten im Tal, da geht’s dann gewöhnlich in flottem Tempo und wo es der Weg gestattet da gibt’s dann oft eine wilde Jagd ║IV.║ im Galopp geht’s dann über alles was eben gangbar ist; dann kommt man zum Mittagessen an, bleibt bis zur Nacht und dann und wann, wenn die Stimmung dazu angetan ist wird <es> wohl auch später werden. Nachts gehts dann heim, viermal gehts durch den Fluß an seichten Stellen und doch reicht das Wasser oft bis an die Brust der Tiere. Und dann wird’s gegen Morgen bis man heim kommt. Solch längere Ritte macht man ja auch nicht sehr häufig, oft sind wir auch[?] schon ordentlich naß heimgekommen, wenn es allzu dunkel war und da bei diesen Ausflügen Wege überhaupt keine vorhanden sind muß man sich an 60 Felsen, Bäumen und andern [sic] │ Sachen orientieren. Dieses Jahr war das Hochwasser sehr mächtig und hat viel Schaden angerichtet.14 Zwei Hacienden sind vom Fluß buchstäblich weggespült worden so gewaltig waren die Wassermengen, auch uns hatte er Schaden angerichtet, allerdings nur einige Morgen Land weggefressen, aber es waren ca. 40 Morgen mit der besten Baumwolle darauf, aber das ist immerhin <im Vergleich> zu[?] anderen Schäden wenig.
Oft in San Vicente,15 verleben wir auch und das meistens ruhigere Sonntage, lesen, erzählen16 gehen etwas spazieren, manchmal gibts Einladungen und dann läßt man wohl auch etwas das Tanzbein zum Rechte kommen.
Die chefs[?] von der Firma in Arequipa kommen ║V17║ auch öfters auf Besuch, dann gibts oft ganz gemütliche deutsche Abende.
71 Seit Dezember haben wir Hochwasser, alle Brücken sind weggeschwemmt und bis Anfang April sinkt der Fluß wieder, Brücken werden wieder aufgestellt und dann kommen auch wieder viele Autos von Arequipa in’s Tal und man kann dann bequem in einem Tag im Auto von hier nach Arequipa kommen.
Allerlei hab ich Dir erzählt von hier und doch meine ich es wäre fast nichts gewesen. Was machst Du in Braunschweig.18 Wie geht’s Deiner Mutter, Hans und den Geschwisteren [sic].19
Bis ein andermal, bis dahin grüßt Dich vielmals und herzlich Dein
Friedel.
P.S.
verschiedene kleine Fotos20
lege ich bei.21
1 Großschreibung nach Komma sic.
2 Hier folgt evtl. Komma.
3 Satzpunkt sehr hoch über das End-‘e’ gesetzt.
4 Offenbar dann, wenn die saisonal überschwemmten Straßen voraussichtlich wieder passierbar sein würden: s. Z. 71ff.
5 Überliefert sind uns zwei Porträtphotos, die ausweislich der rückseitigen Beschriftung im Juli 1930 in Arequipa angefertigt wurden; s. Brief 22, Anlage mit Anm. Möglicherweise hat Friedel sie im April aufnehmen lassen und im Juli abgeholt.
6 Ab hier nurmehr halb so lange Einzüge wie in den ersten beiden Absätzen.
7 Wie es dazu kam, warum Friedel die Hacienda Pucchum verließ und ob es danach noch eine Zwischenstation auf seinem Weg nach Maran Grande gab, erfahren wir wegen der großen zeitlichen Lücke zwischen diesem Brief und seinem Vorgänger – mehr als zwei Jahre – leider nicht; s. Briefe 19, Z. 12ff., und 20, Z. 19ff., jeweils mit Anm.en. Die Hacienda Maran (a.: Marán) Grande liegt in der Provinz Castilla (einer von acht Provinzen der Región Arequipa; Hauptort der Provinz ist Aplao), knapp 670 km südöstlich von Lima und schätzungsweise 100 km nordöstlich von Friedels bisheriger Station Camaná entfernt, am Río (d.h.: Fluß) Camaná, der in seinem Oberlauf auch Río Colca und in seinem Mittellauf, also bei Maran Grande, auch Río Majes heißt. Vgl. a. Brief 23/Anm. 23 mit Friedels schöner Handzeichnung. – Heute leben auf der Hacienda ca. 230 Menschen.
8 Punkt sic.
9 Fritz Gnamm wurde am 10.5.1890 in Hohenacker, heute Ortsteil von Waiblingen im Rems-Murr-Kreis, Baden-Württemberg, geboren. Im Netz taucht er in wenig ruhmreicher Weise auf verschiedenen amerikanischen Listen unerwünschter Ausländer auf: Als Mitglied (seit 1.3.1934) der 1932 gegründeten NSDAP-Auslandsorganisation (NSDAP/AO) ‹Landesgruppe Peru› war er seit 1942 von den USA mit einem Einreiseverbot belegt (11.12.1941 Kriegserklärung Deutschlands an die USA). Als sein Beruf wird auf einer Liste der peruanischen NSDAP-Mitglieder «granjero» angegeben, also Landwirt, als seine Adresse Hacienda San Vicente, Valle de Majes.
10 Fehlendes öffnendes Anführungszeichen sic.
11 Zuerst «dafor», dann dick überschrieben.
12 Fehlendes Komma sic.
13 Fehlender Satzpunkt sic.
14 Der Río Camaná führt in der sommerlichen, von November bis März währenden Regenzeit ein Vielfaches seiner normalen Wassermenge. S. a. Z. 71ff.
15 Komma sic.
16 Fehlendes Komma sic.
17 Der bei den anderen Seitenzahlen gesetzte Ordinalpunkt fehlt hier.
18 Punkt statt Fragezeichen sic. – Käthe arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Buchhalterin und Stenotypistin bei der Konservenfabrik Julius Roever in Braunschweig, wo sie auch zusammen mit ihrer Mutter lebte (s. Einleitung).
19 Zu Käthes Mutter und Geschwistern s. Einleitung sowie insbes. Briefe 8, Z. 46f. mit Anm.; 10/Anm. 24.
20 Interessant, daß Friedel, der das Wort bisher mit ‘Ph’ schrieb, möglicherweise unter dem Einfluß des Spanischen ab hier zu der moderneren Schreibung mit ‘F’ übergeht.
21 Es handelt sich um zwölf sämtlich auf 1929 datierte Schwarzweiß-Aufnahmen, zehn von ihnen im Format 8×5,5 cm, zwei im Format 11×8 cm. Da sie im Sommer aufgenommen sind und Friedel in Z. 14 sagt, er lebe seit etwas mehr als einem Jahr in Maran Grande, müssen die Bilder aus seiner Anfangszeit dort stammen. – Die beiden größerformatigen zeigen eine weitgehend vegetationslos-felsige Gebirgslandschaft mit jeweils zwei Reitern:
1) Das schärfere zeigt die beiden – deren rechter der Korpulentere und deren linker mit einem unter seinem Pferd angebrachten Bleistiftkreuz als Friedel gekennzeichnet ist – unter mächtig überkragendem Gefels auf breiter Schotterpiste; drei große Hunde stehen halb verdeckt hinter den beiden Pferden; auf der Rückseite in Bleistift von Friedels Hand: «Valle de Majes, auf dem Wege zwischen „Maran Grande“ und „San Vicente“. [Absatz] Früher führte am Felsen entlang ein ganz schmaler Pfad seit einem Jahr ist ein Autoweg hergestellt wie Bild zeigt. Peru 1929.»;
2) auf dem weniger scharfen, bräunlicheren und von einigen kreisrunden dunklen Fehlflecken (wahrscheinlich durch Perforation des Negativs) gesprenkelten anderen sind mutmaßlich dieselben beiden Reiter (deren linker wieder mit Bleistiftkreuz als Friedel identifiziert ist) auf derselben Schotterpiste, doch weiter unten im Majes-Tal abgelichtet – das Flußbett ist zu sehen, und zwischen dem baumbestandenen Ufer und dem Vorgebirge im Bildhintergrund hat Friedel mit Bleistift einen Pfeil mit der Erläuterung «Häuser von „Maran Grande“» gesetzt; rückseitig mit Bleistift von seiner Hand: «Valle de Majes auf dem Wege zwischen „Maran Grande“ und „San Vicente“. Das Land unten im Tal gehört zur Hacienda. Unter dem Pfeil, etwas weiß schimmerndes [sic] ist das Wohnhaus dort liegen auch die übrigen Gebäude. Peru 1929.».
Die kleinformatigen Photos:
3) vor unscharfem Kordilleren-Hintergrund ein großes, sehr trocken wirkendes Feld mit einer Kette tief gebückt arbeitender Menschen, davor im Mittelgrund drei Männer mit Ochsenpflug; rückseitig mit Bleistift von Friedels Hand: «Kartoffelernte Majestal Peru 1929»;
4) drei verstreut im Bild stehende Figuren, links eine Frau in typischer Zwanziger-Jahre-Kleidung (kurzärmeliges Sackkleid, Topfhut und Sandalen) – sehr wahrscheinlich die auch auf Nr. 6-8, 10-12 abgelichtete Frau Gnamm –, die mittlere mit Bleistiftkreuz als Friedel markiert, rechts ein Indio, dahinter Pferdekoppeln, Schilfhütten, Traktor und zerzauste Bäume;
5) peruanischer Arbeiter vor schmaler Pferdekoppel, dahinter Bäume; 4) und 5) tragen rückseitig dieselbe Erläuterung mit Bleistift von Friedels Hand: «Bei den Pferdeboxen. Peru 1929.».
6) Laut rückseitiger Schrift (Bleistift) von Friedels Hand: «Auf der Viehweide. Herr u. Frau Gnamm u. ein weiterer deutscher Angestellter. Peru 1929.». Links neben den Gnamms steht ausweislich des ihm zu Füßen angebrachten Tintenkreuzes Friedel selbst, der hier zum ersten Male auf einem der uns vorliegenden Photos freundlich lacht; links neben ihm ein Esel.
7) Zwei Männer (der linke per Kreuz als Friedel ausgewiesen) und eine Frau, alle drei in Badesachen, am Rande eines Schwimmbeckens, Friedel sitzend, die anderen beiden – höchstwahrscheinlich das Ehepaar Gnamm – im Wasser stehend, dicht hinter ihnen zwei Hunde; das Areal von einer hohen Wellblechwand eingefaßt, an der links eine Holzleiter lehnt und jenseits deren zwei Dachgiebel aufragen; Rückseite mit Bleistift von Friedels Hand: «Im Badebassin der Hacienda. Majes-Peru 1929.»;
8) drei Reiter durchqueren einen Fluß, der erste eine Frau, wohl Frau Gnamm, mit Sombreround weißem Reitermantel; im Hintergrund unscharf die Kordilleren; rückseitig mit Bleistift: «Gute deutsche Bekannte aus „San Vicente“ kommen auf Besuch. An verschiedenen Stellen muß man durch den Fluß. Peru 1929.»;
9) Mehrköpfige Gesellschaft (ca. acht Personen) auf mit langem Ruder gesteuertem Floß, auf einem deutlich angeschwollenen Fluß, Horizontlinie schief, daher vielleicht von anderem Floß aus aufgenommen; rückseitig mit Bleistift: «Wie man bei Hochwasser über den Fluß kommt.[Punkt fast unsichtbar] Floß bestehend aus vier aufgeblasenen Ochsenhäuten. Peru 1929.»;
10) und 11)
Zwei Reiter – das Ehepaar Gnamm, die Frau vorneweg mit Reitgerte in der Rechten, der Mann mit Krawatte auf dem hellen Hemd dahinter – auf Sandweg zwischen Sträuchern und Bäumen; im Hintergrund des einen Bildes sehr schwach die Bergkette; identische Beschriftung rückseitig (Bleistift, Friedels Hand): «Deutsche Bekannte kommen auf Besuch. Unterwegs. Peru 1929.»;
12) Überbelichtete Aufnahme eines zwischen Baumreihen entlangführenden Sandweges, im Vordergrund (aber von hinten aufgenommen) ein Hund, mittig und halb zum Photographen umgewendet Frau Gnamm und der mit Kreuz kenntlich gemachte Friedel, weiter im Hintergrund sieht man den Rücken eines Mannes – die Gesellschaft bewegt sich also offenbar vom Bildbetrachter fort; Rückseite mit Bleistift von Friedels Hand: «Sonntagsmorgenspaziergang [sic] mit Frau Gnamm (einer Württembergerin) Peru 1929.».