Zahlreiche Texte und Bilder sind aus der Kinder- und Jugendzeit Fritz Barnstorfs erhalten. Sie befinden sich im Original, zusammen mit weiterem Material, in der "Schenkung Fritz Barnstorf" im Archiv des "Arbeitskreises Andere Geschichte e.V Braunschweig". Hier soll nur einiges aus der Zeit von ca. 1911 bis 1921 gezeigt werden.
Fritz lebte bis 1920 auf dem Hof Nr. ass 5, den sein Vater als Landwirt gepachtet hatte. Erst 1920 wurde dann auf den Hof Nr. ass 3 , der von seiner Grosstante Auguste Barnstorf seinem Vater vererbt worden war , umgezogen.
Bild vom Hof Nr. ass. 3, ca. 1910, Sitz der Familie Barnstorf bis 1920. Lnks Fritz, rechts Bruder Heinrich Barnstorf
Aus dem Kurzlebenslauf von Fritz geht hervor, daß er in den wiederkehrenden, längeren Krankheitspausen von der Schule Zeit für seine Bücher hatten, dessen Lektüre ihn zu eigenen Schreibversuchen angeregt haben müssen. (Der Bücherschrank seiner Großtante bot reichlich Lesestoff) Im Nachlass befindet sich eine Flut von Texten, die oft in der Welt Südostasiens (heutiges Indonesien) oder in der Zeit kriegerischen Römer Herrschaft spielen.
Als Beispiel hier das Bild des Umschlags einer Kladde mit der Erzählung „Saalburg Stürme – Römertücke“. (Geschrieben vermutlich 1915)
Früh übte sich Fritz aber mit Vorliebe im Schreiben von Gedichten, die 1918 von Lokalzeitungen in Braunschweig und Wolfenbüttel veröffentlicht wurden. Er schreibt darüber in einem kleinen Notizbuch, das von ihm für Tagebuchähnliche Eintragungen von 1911 bis ca. 1918 benutzt wurde.
Kopie einer typischen Seite aus dem Jahr 1915, der große Krieg spielte im Hintergrund immer eine Rolle.
Einträge im Notizbuch von 1918
Hier werden dann seine Erfolge beim Dichten erwähnt, er will später als Schriftsteller und Literaturkritiker arbeiten.
… Wieder einmal große Ferien vom 13. Juli bis 12 August. Sind aber gleich wieder hin (alle). Mit Eilzugstempo hingegangen. Wieder sind wir d. h. ich außer einmal nach Dettum und Asse gekommen. Eine Harzfahrt wie voriges Jahr (ebenfalls nicht in den Ferien) scheint durch Teilnahmslosigkeit der Damen nicht anzugehen. W. U(termöhlen) ist auch nicht mehr hier, ergo Langeweile. Ich lese und brüte. Neulich 5. August hat ein von mir verfaßtes Gedicht in der Zeitung gestanden, ebenso vorher ein Aufsatz über Theater. Ja, ja, der harmlose Bengel von S. 1, der noch kein Wort richtig schreiben konnte, hat sich nun zum angehenden Dichterling entwickelt. Die „Jahre fliehen pfeilgeschwind“, wie der Dichter Schiller schreibt. Schiller, Gö., unter meiner Würde. Meine literarischen Ideale sind noch unter den Lebenden. Hauptmann der Einzige, Rilke der große Träumer und alle die lieben Anderen. Ja, der junge Knabe aus der seligen Zeit von damals (anno 8) hat Ideale und Pläne. Er wächst ins Leben hinein, steht schon halb drin. Wie wird ihm die Luft bekommen. Die Zeiten werden es sehen … Ich verliere mich da in Gedanken und dabei ist die Wirklichkeit doch noch schön u. Sorglos. Wenigstens ziemlich. Krieg ist immer noch. Er hört nie wieder auf. Naja, ich bin in U II, 17 Jahr, bereite mich noch auf Militärmusterung vor. Jawoll! Theater lockt immer noch stark. Eben ist es ja zu, aber noch 3 Wochen dann ---. In 4 Tagen geht es wieder nach Br. Mit seinen Vorzügen u. Nachteilen. „Kann es nicht sein…“ Ja was schreibe ich da alles. Ich wollte mal wieder was eintragen in dies Büchlein, das soviel Erinnerungen an schöne Zeiten birgt. Meine ganze Kindheit steht liegt darin, sollte ich einmal etwas wie eine Autobiografie schreiben, so finde ich hie Material genug. Ein Wort fällt mir da ein, das ich neulich las: Man kann über seine Kindheit beseeligt sein oder weinen, belächeln kann man sie nicht. In diesen Blättern sind viel Torheiten aber ebensoviele herrliche Erinnerungen.
So, nun wieder, „auf Wiedersehen“ für ungewisse Zeit.
Geschr. Am 8. August 1918 abends 2 min vor 7 Uhr am alten Schreibtisch.
Doch: Ich schreibe gleich noch was hinterher. Ich lese eben „Buddenbrooks“, das wundervolle Buch Th. Manns. Soviel gute u. feine Ironie liegt darin, soviel sprachlicher Klangreiz, bezaubernde Kleinmalerei, ein mächtiger, fortreißender Wurf u. soviel Herzlichkeit u. Erschütternder Wirkung, daß ich wieder ( zu 3. Mal) begeistert von dem Werk bin. Ich will nun zur besseren Übersicht einen Stammbaum der großen Senatorenfamilie hier aufzeichnen:
Seitdem ich diese Eintragung machte, hat sich schon in meinem dichterischen Werdegang allerhand bedeutendes vollzogen. Ich war auf eine Einladung hin bei dem Wolfenbütteler Redakteur u. Dichter Meyer-Rotermund1, der solche Gnade für mich zeigte, daß er noch ein Gedicht von mir druckte, mir Karten aus Weimar sandte, mih zu Vorträgen einlud u.s.w. Ja,und was das bedeutendste ist: am 17.Oktober 1918 abends 8 Uhr fand im „Deutschen Hause“ Brschwg. Ein Braunschweiger Dichterabend statt, auf dem Frau Traute Meerwarth-Sebold zwei Gedichte von mir ausdrucksvoll vorgetragen wurden. Meine Achtung vor mir steigt 5 cm. Die Kritik nachher in der Landeszeitung und im Kreisblatt sehr gut, auch speziell über mich. Hab ick mir jefreut! Na, nun gehts weiter auf der Bahn des Poeten. Die „Landeszeitung“ will was von mir drucken. Ich habe sogar die Kühnheit gehabt, nach einem Verlage zwecks Buchausgabe meiner Gedichte zu schreiben. Antwort zweifelhaft. Ja, ja, berühmter oder bekannter wird man schon, aber man rückt auch immer mehr von der sorglosen Zeit der Jugend ab –, immer dieser verfl. Gedanke; Leider muß man sorgenschwer in die Zukunft Deutschlands blicken, der Krieg ist verloren, alles war umsonst. Es ist alles neu geworden. Wir stehen zitternd vor der riesigen Sphinx der Zukunft, wird sie beim Sonnenaufgang jubeln „Neuland der Kultur!“ oder wird sie schweigen weil graue Nebel die Sonne ersticken ???
Dir aber, Du Poeta, ruf ich zu:
1919
Diverse Bezüge auf Krankheiten: Grippe, Lungenentzündung. Liegekuren, die zur Schriftstellerei genutzt wurden:
… Hoffentlich nahen bald Kohleferien. Ich werde mich solange noch schriftstellerisch betätigen, was mir als Mitarbeiter des „Sonnigen Weges“2 nicht schwer fällt. Augenblicklich lauern ein halbfertiger Roman, drei Novellen, 2 Feuilletons auf Anfertigung („Heimat“,Zukunftsroman, „Die goldene Hochzeit“, „Der Arzt“, „Die Ballade in moderner Dichtung“) … Sonntag 12. Oktober
Zum oben erwähnten „Dichterabend“ am 17. Oktober 1918 im Spiegelsaal des Braunschweiger Hotels „Deutsches Haus“ sind einige Zeitungsausschnitte erhalten, die aus dem
stammen.
Einige vorgetragene Gedichte von F.B. :
Die Besprechung des Abends im Wolfenbütteler Kreisblatt:
Im großen Konvolut an überlieferten Gedichten der Jahre 1915 – 1922 zeigen sich immer wieder Bezüge zum Geschehen des Weltkriegs. Die Sicht auf den Krieg veränderte sich mit zunehmendem Alter, von patriotischem Pathos bis dann im Jahr 1922 pazifistisch, kritische Gedanken aufkamen. (Fritz war 1921/22 Mitglied im „Deutschen Pazifistischen Studentenbund“3 der 1921 in Braunschweig gegründet wurde.) Aber zunächst ein jugendlich, patriotisches Gedicht (vermutlich von 1916
Später als Kritik in Bleistift vermerkt: „Darum zeichnet Kriegsanleihen !“
Fritz begegnete dem in Braunschweig lebenden Felix Riemkasten 1919, einem Beamten in der Braunschweigischen Verwaltung und aktivem Schriftsteller, und überließ ihm zur Kritik seine Gedichtsammlung mit dem Titel „Aus Nacht und Tag“. (Gewidmet wurde sie seiner Lisa zum Geburtstag im Januar 1920.) Getroffen hat Fritz ihn vermutlich auf einer Sitzung des „Lessing Bundes“, dem literarischen Treffpunkt der Braunschweiger Literaten.
Die Dokumentation dieser kritischen Auseinandersetzung mit der Sammlung wurde dankenswerter Weise transkribiert und kommentiert von Katrin Grünepütt und Wolfgang Schlüter, Berlin, 2017:
Fritz Barnstorf und Felix Riemkasten
Eine prägende Person in Fritz‘s Interesse an der Literatur war Ina Seidel4, die er auf einem Leseabend in Braunschweig im April 1917 erlebte. 1918 schrieb er ein Essay über Seidel, aus dem die grenzenlose Verehrung für diese Dichterin zum Ausdruck kam.
Hier eine Abschrift seines Textes:
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Ina Seidel
Es war im großen Kriege, im Jahre 1915, da erschien im Verlag von E. Fleischel, Berlin ein schmales, schlichtes Büchlein Gedichte unter dem Titel „Neben der Trommel her“ . Damals war die Zeit, in der der literarische Markt überschwemmt wurde von einer Woge, einem Meer von Kriegsgedichten, in denen die Dichter das riesige Erlebnis des Krieges, des entsetzlichen Mordens in ihren Versen wiederzugeben versuchten. Aber das Erlebnis war entweder zu groß oder der Dichter zu klein, um voll und ganz zu geläuterten Kunstwerken ineinander verschmelzen zu können (?) Den Kritikern, die diese Büchermengen zu sichten, zu ordnen und ihren Inhalt zu lesen und zu begutachten hatten, wurde es immer schwerer, aus dem Lärm und dem Getöse der Reklametrompeten und aus dem Waffengerassel und Kanonendonner der Gedichte den goldklaren Ton einer echten Dichterharfe herauszuhören.
In das Meer der damaligen Kriegslyrik warf sich nun das Büchlein „Neben der Trommel her“ , das als Autorin Ina Seidel angab. In der reißenden Strömung mitgerissen, wurde es bald , bald dort auf den Schreibtisch eines Rezensenten geworfen, der grimmig den Titel erblickte aus dem er das konventionelle Phrasieren (?) mit Krieg und Sieg, Not und Tod, Hurra und Viktoria herauszuhören glaubte. Er begann zu lesen und bereits aus den ersten Gedichten klang ihm ein so klarer Ton entgegen, daß sein Blick sich milderte. Er las und las … und ward überwältigt von so viel warmer Menschlichkeit und dichterische Schönheit. In dem starken und eigenwilligen Rhythmus dieser Verse sprach soviel heißes Mitleid mit dem Nächsten und soviel frauliche Güte auch mit dem Feinde, daß aus den schon gewählten Worten des Hohns und Spottes ein Loblied wurde, das begeistert die Dichterin pries.
Wie eine neue Sonne ist Ina Seidel am Dichterhimmel erschienen, nicht blendend jedoch und in kaltem, funkelnden Lichte, sondern mit sanftem, lieblichem Leuchten und Strahlen, gleich dem Stern von Bethlehem. Wärme spendend leuchtet sie hinein in die Herzen der Menschheit, die auch unter dem starren, blutrünstigen Eisenpanzer noch schlagen, zitternd in heimlicher Sehnsucht und beben in erstickter Liebe. Ist es da ein Wunder, daß jeder, dem die Verse der jungen jungen Dichterin das Eis in der Brust schmolzen, selig ihren Namen preist und ihr neuer Freund wird? So wurde Ina Seidel einem kleinen, aber festen Kreis von innigen Verehrern ihrer Kunst bekannt.
- Die Gedichte „Neben der Trommel her“ waren nicht ihr erstes Werk. Bereits in den ersten Kriegsmonaten war, ebenfalls bei E. Fleischel, ein von Buch von ihr erschienen, das den schlichten Titel „Gedichte“ trug. Diesem Werk, das bereits in einigen Stücken das Ereignis des Weltkriegs in dichterisches Gold umprägte, verstand (?) ein begeisterter Herold in Börries Freiherr von Münchhausen5, dem Sänger des Adels. Er war sorgsam bemüht, der ersten Ausfahrt dieses Buches die Klippen
aus dem Wege zu räumen und legte dem deutschen Volke mit warmherzigen und dringenden Worten ans Herz, diese geniale Dichterin nicht zu vergessen und im Gewühl des Alltags versinken zu lassen.Was Münchhausen als das herausragendste empfand am Erstlingswerk I. Seidels, das Echt-weibliche und Gütige , das wird jeder, der ihr erstes und die folgenden Werke genießt, ebenso erfüllen und auf sich wirken lassen. Wie auch Münchhausen meint, wäre es daher unnötig, in kritischen Aufsätzen Ina Seidel mit dem Volke bekannt zu machen, denn ein derart echtes (?) und volles Lebenswerk wird sich ohne besondere Lobpreisungen durchsetzen. Aber es würde immerhin Zeit dazu nötig haben, und aus diesem Grunde ist es mir ein dringender, inniges Bedürfnis, wenigstens einem kleinen Teil unseres Volkes auf diesen köstlichen Schatz hinzuweisen, der in den Werken I. Seidels in unserer modernen Literatur ruht. Gerade jetzt in dieser unerhört harten Zeit der Not, braucht das deutsche Volk (wenigstens der Teil, der noch im Herzen trotz aller aller Schmach deutsch geblieben ist und das ist der am meisten leidende) einen süßen Vergessenstrank, der es einschlummern läßt zu Füßen eines Dichters sein Herz erleichtert von Sorgen und umhüllt mit Träumen von Liebe und Güte.
Um einen Dichter zu begreifen, pflegt man seine innere Entwicklung aus seinen Werken heraszulesen. So wird immer der Werdegang einer jeden Künstlerpersönlichkeit zum Maßstab seiner Einzelwerke. Ina Seidel hat fast keine Entwicklung. Reif und sprachlich abgeklärt, tritt sie uns bereits in den „Gedichten“ entgegen. Man findet bereits hier dieselbe strenge dichterische Zucht, dieselbe mächtige Einfachheit, die ihre späteren Werke wie aus mattem Silber gegossen erscheinen lassen. Freilich deuten einige stürmisch auflodernden Gedichte an, daß auch allerhand aus der dichterischen Frühperiode Aufnahme gefunden hat, aber überwiegend ist die voll ausgereifte Künstlerschaft. Alle die Besonderheiten aus dem I. Seidels bisheriges Werk sich aufbaut finden sich bereits vor und durchleuchten das Buch wie wunderbare Edelsteine mit ihrem sanften Eigenlicht.
Vorwiegend ist die gedankliche Lyrik, wie in allen Gedichtbüchern der Seidel. Zwischen den Zeugnissen einer wundervoll starken Persönlichkeit eingestreut liegen dann die rein lyrischen, beschreibenden Stücke. Das Gedankliche des Buches mündet in drei ?? Eigenschaften der Dichterin: Die fast mystische Liebe zur Natur, zur Heimaterde, die schmerzliche Sehnsucht nach Wahrheit und Erkenntnis und das echte Gefühl der Frau: Das Weib- und Mutterglück. Aus diesen Quellen strömt in ?? … Gestalten der klare Trank der Seidelschen Dichtung wie er in allen ihren Dichtungen zu Tage tritt. Aus dem Gefühl der Liebe zur Mutter Erde entsteht ihre inbrünstige Hingabe an die Natur, wie sie in ihrem letzten Buch „Weltinnigkeit“ ihren herrlichen, ergreifenden Höhepunkt findet.
Seit ich an einem warmen, dufterfüllten Aprilabend des Jahres 1917 Ina Seidel in ihrer Heimatstadt Braunschweig aus ihren Werken vortragen hörte,die sie schlicht und doch so unendlich innig einem großen Publikum vorlas, seitdem bin ich ein fortgerissener Verehrer dieser Kunst, die so wohltut nach dem hohlen Pathos und der überhitzten Raserei des Expressionismus.(sic!) Auch in den ungeheuren Nöten dieser Zeit bilden Ina Seidels Werke einen Jungbrunnen von märchenhafter Klarheit für alle, die noch deutsch und stark empfinden, und das sind trotz aller Schmach der letzten Monate noch viele. …….
(Angemerkt durch ? und ...sind einige schwer lesbare Stellen im handschriftlichen Text)
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Der Text zählt zu einer Reihe von „Rezensionen“ aus dieser Zeit, die Fritz wohl möglich als Übungen für einen späteren Literaturkritiker ansah. Dazu zählen auch die Besprechungen seiner zahllosen Besuche des Braunschweigischen Hoftheaters, die er für die Spielzeit niederschrieb:
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Herzogliches Hoftheater 1918
Der durch die Vorstellungen des Hoftheaters in mir erweckten Eindrücke.
Es soll in folgenden Zeilen keine Kritik im landläufigen Sinn geübt werden, es genügt mir, die Eindrücke, die ich von der Kunst empfing festzuhalten.
21. April 1918 „Ring des Polykrates“
Ich kam mit den Gedanken hin, daß nach den vorherigen Zeitungsnotizen, das Werkchen eine komplizierte Musik habe. Die ersten Takte verrieten mir ein Talent, das umso wunderbarer ist, als es einem siebzehnjährigen zu Tage tritt. Erstaunlich und unbegreiflich wurde für mich die technische Fertigkeit, in überraschender Instrumentierung kecke Figuren von perlender Melodie hinzuwerfen.Wunder bar klingt die Stelle, beim Lesen des Tagebuchs: Zuerst eine flirrende Bewegung (ähnlich Waldweben) in den Geigen, dann die überraschende glockenähnliche Stelle, die sich abstuft und in ein sanftes Brausen der Celli mündet. Im Ganzen: Ein Wunderwerk technischer Feinkunst, melodiös und klangschön, mit ansprechender Handlung, geschaffen von einem Wunderknaben.
„Rahab“
Die Musik ist nur stellenweise von der erwarteten Schönheit,schöne Melodien finden sich aber auch, z.B. die summende Weise der Dienerinnen und die Schilderung Hirans von dem Zuge Israels. Im ganzen klingt sie nicht eigen genug, ist zu angelehnt an Wagner und Strauß. Anfänglich befremdend wirkte die grelle, farbenbunte Ausstattung, sie wirkte jedoch stark. Die Figuren der Juden waren sehr echt in Tracht und Spiel. Man wurde fortwährend an B. v. Münchhausens Ballade: Rahab, die Jerichonitin erinnert.
Im Ganzen: Der Abend war sehr gut angebracht und der ungewöhnlich starke Beifall zeugte von der Wirkung der beiden Stücke.
22. April „Die fünf Frankfurter“
Gemütlich heitere Stimmung. Vorzüglich gelungen in der Charakterisierung der fünf Brüder. Die Mutter ist ebenfalls eine gut gezeichnete Type. In der Darstellung des sehr befriedigenden Stückes stechen hervor Mesmer als humoristischer guter Alter mit Proletenbeimischung. Ferner R. v. Born als Mutter sehr gelungen, Schläger als kühl berechnender Geschäftsmann und Burgin als Charlotte. Kurz: eine unterhaltsame Episode aus dem Judentum Frankfurts von Anno dazumal.
2. Mai „Das Glück im Winkel“
Sudermann ist bei weitem kraftloser als Hauptmann, und eine voreilig Kritik hat ihm nur Theatermache zugesprochen. Nun ja, er ist manchmal zu sehr Routinier, so auch bei diesem Stück. Wirkungen erzielt er aber wie kein anderer. In der Aufführung fesselten besonders des Lehrers von Gaedeke, der wundervoll echte Töne fand. G. Neuhoff war nicht so ganz in ihrem Elemente, doch war ihre Darstellung ausgezeichnet. E. Burgin als blinde Helen war sehr gut. Den stärksten Eindruck machte die wilde Szene des 2. und die Nachtszene des 3. Aktes auf mich. Marlow war in seiner Rolle als „Schuft“ auch nicht recht am Platze, aber dennoch wirkte seine Leidenschaft echt. Ich verließ das Theater mit dem Bewußtsein eine sehr gute Aufführung hinter mir zu haben.
9. Mai „Sommenachtstraum“
Leider bin ich heute am 10. erst zur Niederschrift meiner Eindrücke gekommen. Manches Detail ist infolgedessen schon verblaßt. Aber gestern Abend! Ich war ganz überwältigt von der Schönheit des 2. Aktes. Der nächtliche Wald mit Elfenspuk und Koboldlaunen, Irrlichter, Glühwürmchen, Wipfelbrausen, verschlafene Vogelstimmen, Uhugekrächz, Mondschein, dahinter der tief dunkelblau samtene Nachthimmel. Von melodiöser Musik begleitet in dieser Märchenwelt spielen sich die Traumvorgänge ab. Titania (E. Burgin) kommt in ihrer Elfenschar zart und duftig anzusehen. Die Elfen irren umher, von dem überaus gewandtem und übermütigen Puck geneckt (T. Schütz‘s prachtvoll dargestellte Rolle) , dazwischen die groben Späße der Rüpel. Hinreißend schön! Auch der 3. Akt war in der Wirkung (der malerische Toreingang mit den durchleuchtenden Sternen, bunt beleuchtet, vorn die Athener in blitzenden Rüstungen und farbigem Durcheinander) ausgezeichnet. Leider übertrieben die Rüpel, trotz mancher Feinheiten, manchmal zu sehr (namentlich der Zettel des Herrn Kunath, der überhaupt nicht am Platze war) Sie wirkten zu aus dem Rahmen fallend. Tüchtig zum Lachen waren sie jedoch. Cserwinka, dessen Spezialität Shakespeare zu sein scheint, hat mit dem „Sommernachtstraum“ ein Meisterwerk an Inszenierungskunst geschaffen, dessen Eindrücke ich so leicht nicht vergessen werde. Von den Spielern wirkten am besten Puck(Toni Schütz) in seiner übersprudelnden Laune, Titania (E. Burgin), als graziöse Elfenkönigin und in den komischen Rollen neben Kunath „die“ Thisbe Herrmann Mesmer‘s. Sehr drollig.
24. Mai „Elektra“
Endlich einmal einmal ein bedeutendes Opernwerk im Spielplan. Ich bin voller Erwartung auf dieses grausige Nachtstück, bei dessen Lektüre ich übermächtig das Genie Hoffmannsthals mit hervorragend sicheren Worten irgend eine Stimmung zu machen, bewunderte. Ein ahnungsschwerer Hauch geht durch jedes Wort dieser Tragödie, ein Hinweisen auf die furchtbaren Schlußszenen. Alles drängt so unerbittlich auf den Mord zu, die blitzschwangere Unheilsluft ist beklemmend und lähmend. Was schert mich die Urform der Elektra, - diese Umformung durch einen modernen Dichter ist durchaus modern und wirklich nervenzwitschernd genial, der Eindruck ist sehr stark. Die Sprache ist eigenartig und sehr packend, ihr Stil ist ein grausames Erkennen aller Seelenvorgängen in den kühnsten Bildern. Die Titelrolle ist sehr schwer darzustellen. Wird Albine Nagel sie echt verkörpern? Und wird die Musik (wie bei Salome) demText stilähnlich und kongenial sein? Ich bin auf schwerste Strauß‘sche Klangwirkungen, ja auf Mißtöne gefaßt. Albine Nagel hat es gekonnt! Sie hat die überaus schwere Rolle der Elektra überzeugend und grell dargestellt. Ihr Gesang war wie immer. Einige Ausnahmen abgerechnet, blechern und quäkig. A. Bahr-Mildenburg als Klytämnestra leistete ganz Vorzügliches. Ihre Maske schon wirkte stark, dazu kam das krasse und außerordentlich lebendige Spiel, der gute Gesang. Sie schuf eine abstoßende Gestalt in ihrer feigen Tyrannennatur, ihren grausamen Listen. Durch Mark und Bein ging das Hohngelächter und dann der Todesschrei. Furchtbar realistisch. Hunold als Orest war sehr schön. Schade, daß er nur so selten vorkam. St. Schwarz sang und spielte wie immer. Stieber war ein mittelmäßiger Aegisth, den man besser wünschen konnte. Das wären die Darsteller. Nun das Werk selbst. Noch einmal hat mich der wilde Text und der grausige Stoff mächtig erregt. Aber das Abstoßende wirkt in seiner großartigen Zeichnung überwältigend. Dann die Musik. Strauß-, noch krasser und „straußiger“ wie „Salome“. Sie ist durchweg laut und übertönt den meist den Gesang. Grelle und rauhe Akkorde überall, doch schmeicheln sich Klänge ins Ohr, wie z.B. die Erkennenszene, dann da Motiv des Mordes oder wie es sonst heißt. Auch der erste große Gesang Elektras ist sehr schön. Im ganzen übertrifft aber nach meiner Meinung der Text die Musik, obwohl dieselbe einen passenden Hintergrund dafür bietet. Der Gesamteindruck dieses modernen Werkes ist ein bleibender. Soviel Grauen und Verbrechenslust vergesse ich nicht leicht. Wild und wirr aus Urwelttagen klingt der Stoff an unser Ohr vom Muttermörder Orest und seiner dämonischen Schwester Elektra.
1. Juni „Faust“
Man wird sich über mich wundern, wie ich als krasser Moderner, in eine Klassikervorstellung gehen konnte. Aber das Interesse an Goethes Dichtung besteht ganz außer Frage bei mir. Ich hätte den „Faust“ nicht angerührt, unter anderen Umständen. Aber zweierlei lockte mich, 1. die Erwartung einer großartigen Aufführung und Darstellung, die Julius Czerwinka mit seinem Genie Leben und Kraft der Phantasie einfangen würde, und 2. der Umstand, daß die Aufführung aus Anlaß des 100 jährigen Jubiläums unseres Theaters stattfand. Ich ging hin um zu sehen und zu hören. Nicht um zu erleben, denn ich kann diese Dichtung nun einmal nicht mehr erleben. Wie mächtig bin ich durch diese geniale Darstellung und Aufführungskunst hingerissen. Es ging mir wie bei dem, aber auch durch die herrliche Dichtung erhabenen „Peer Gynt“, nur daß hierbei der Charakter des Symbolischen mehr herrschte, während beim „Faust“ wie beim „Sommernachtstraum“ die blühende Phantastik fesselte. „Peer Gynth“ wirkte wie ein nordisch-kühles Märchen voll tiefer Tragik, „Faust“ wie eine tolle und doch feierlich-stille deutsche Gespenstersage. Welche wunderbaren Bühnenbilder hatte Czerwinka geschaffen. Man wurde von Andacht überwältigt bei dem Prolog im Himmel, wo aus der unbestimmten Tiefe des Raums, der endlos schien, die drei riesigen (so erscheinend) weißen Engelsgestalten im blendenden Licht hervortraten. Dazu der feierliche Ton der Sphären, das rauschende leise Donnern der Pauke, und die langgehaltenen Akkorde bei den Reden des Herrn. Erschreckend wirkte im Gegenzug dazu die rotbeleuchtete Teufelsfratze Mephistos. Und dann die Fausstube. Der hohe hohe gotische Bogen, der alle Szenen überwölbte, hob die mystische Öde des Alchemistenzimmers. Dann hub Kunath an zu sprechen. Wie er spielte, war hinreißend. Die Zerrissenheit, diese Verzweiflung. Dann setzten die mächtigen Osterglocken ein, im Klang herrlich. Die Bühnenbilder wechselten oft, und eines übertraf das andere an Schönheit. Das helle frohe Treiben vor dem Tor, das Spiel des Dudelsacks, der Bettler, die Tänze und Gesänge wurden prächtig naturgetreu. Dann die lustige Szene in Auerbachs Keller. Das Zusammenspiel der 4 Zecher war kösttlich. Darauf die groteske Hexenküche mit der wilden Hexe darin, so phantastisch-realistisch und derb. Das schöne malerische Straßenbild, der herrlich getroffene Dom mit dem brausenden Orgelspiel und fernem Gesang, später aber als kühnstes Bild die wilde Walpurgisnacht mit ihren steilen rotglühenden Felsen, dem Windesheulen, dem Gekreisch und Gewimmel der Hexen und Zauberer, den blitzenden Irrlichtern. Czerwinka hatte wirklich alles aufgeboten. Mag Max Reinhard in seinen Einstudierungen realistischer und pretiöser sein, Czerwinka hat den breiten Schwung und die hinreißende Phantasie. Und dann seine Mithelfer, die Schauspieler. Kunath war groß und einzig wie immer. Sein warmes Organ braust und wurde zart und innig. Seine vollendete Künstlerschaft wird mir immer wieder bewußt. Schläger war wirklich teuflisch. Dieser beißende Spott, diese höllische Gewandheit unterstützt von der teuflischen Maske erregten Furcht. Seine beste Szene hatte er in der sogenannten Schülerszene. Eigentümlich wirkte zuerst E. Burgin als Margarete. Sie schien sich als Novizin nicht für diese Rolle zu eignen, spielte aber am Ende mit bei ihr fremd berührender Tragik. Man erkannte sie garnicht wieder. Sehr gut waren außerdem R. Van Born als Martha, komisch und lächerlich, J. Scarla als Hexe. Leider beeinträchtigte die Länge der (bis ¾ 12) die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer. Ich blieb frisch und folgte mit gepannter Aufmerksamkeit der Inszenierung Czerwinkas. Am Schlusse mäßiger Beifall, dem, sehr abgespannt Schläger und Burgin (Kunath nur 1 mal!) Folge leisteten.
N.B.: Der Faust-Vortrag abends zuvor von Dr. Grußendorf war ganz interessant und mit sehr deutlichen Lichtbildern begleitet.
3. Juni „Herr und Frau Doktor“
Harmlos-unterhaltsamer Schwank! Etwas veraltet aber doch ganz interessant, weil aus der Feder unseres Schauspielers Heinrich Heinemann stammend, der in diesen Tagen sein 40 jähriges Jubiläum feierte. Der heiteren Handlung verlieh namentlich der prachtvolle H. Mesmer Leben, der eine seiner unbezwinglichen Rollen auf die Bühne stellte. Er ist der Girardi Braunschweigs; ebenso lustig und ebenso beliebt. Wenn er auf die Bühne kommt lacht alles, Sein trockener Humor ist ohne gleichen. Dann E. Burgin. Wieder eine ihrer gewöhnlichen Rollen, in der sie gegen die in der Erinnerung stark nachwirkenden Darstellung im „Faust“ mächtig abstach. Sie spielte mit munterer Frische und köstlicher Naivität, was aber (wie auch einige andere) nicht ganz rollensicher. Prachtvoll war die schüchterne Unbeholfenheit Kökerts. Zwerchfell erschütternd! Paris war völlig heiser und spielte unwillig und matt. Kaufmann, oh Gott, sentimentaler Pastorenton, sogar in Lustspielrollen! Alle andern waren glatt und gut, ohne größere Wirkung.
5. Juni „Rheingold“
Wagners Kunst und ich, das ist wie ein Tempel in dem ein Mensch die Seele erhebt und erquickt. Wie sehr ich ihn verehre, zeigt die Tatsache, daß ich 5 mal die „Walküre“, und 3 mal „Rheingold“ gehört habe. Ich gehe nur mit erhobensten Gedanken hin und immer, immer wieder liege ich im Bann des Großen- „Rheingold“ wie „Walhall“ leuchten in ewiger Klarheit, steht dieses Vorspiel vor dem Riesendom des „Ringes“. In den Tempel trete ich, reinste Harmonie, süßeste Weihe umwölkt die schimmernden Höhen. Brausend und tief umfängt mich edelster Wohlklang. Ich erwarte das Große. Es dunkelt. Dann kommt das Mysterium. In gelassener, majestätischer Weite schwingt und tönt das schwarze Nichts. „Es war finster und leer“ die Ahnung des Unendlichen fällt über mich. Dann rauscht es auf, es formt sich in ungewissen Umrissen, in schattenhafter Riesigkeit, in feierlicher Ruhe die Welt. Nacht hängt über allem. Wie ein Empfinden eines mächtigen Stromes kommt es dann, klarer und klarer enthüllen sich die gleitenden Gewässer, rollend und und breit schickt der Rhein seine Fluten in die Ferne. Dann ein Jauchzen, klingendes Leben erwacht im Strom und nun beginnt die unvergleichlich liebliche Szene des Rheintöchterspiels. In ungetrübter Reinheit tauchen sie in den glitzernden Tonwellen auf und unter. An Einfachheit und Wunderbarkeit ist dieses Bild nur mit dem leuchtenden Naturbilde im Siegfried, dem „Waldweben“ vergleichbar. Dort die sonnenflimmernde Ruhe des Mittags im Walde, das tönende Leben im Walde, hier das kosende Spiel im Schoße der flutenden Wasser. Wie unvergleichlich ist das Erglühen des Goldes und der jauchzende Gesang dabei. Nun nimmt die Handlung in unaufhaltsamem Gang ihren Fortschritt. Die Tragik der Götter beginnt. Feierliche Klänge umgeben uns in ihrem hellen Reich. Das Walhallmotiv erbraust. Dann die atembeklemmende Fahrt zur Tiefe, die düstere Szene dort und dann die Auffahrt. Noch einmal erhebt sich die Musik zu einer Klarheit und zu einem Wohlklang, den man erlebt, in der Gewitterszene und dem Einzug der Götter. Das Regenbogenmotiv flammt durch die Wolken und im klagenden Gesange der Rheintöchter endet „Rheingold“. Wie Wagner seine Motive andeutet, welche Gigantenwirkungen es dabei ergibt, das sieht man nirgendwo so wie hier …
Die Aufführung war, obwohl nicht musterhaft, gut. Wotan (Hunold) war vornehm und göttlich in Gesang und Spiel. Er ist ein Wotan von prächtiger Größe. C. Becker (Mime) als Gast war wieder sehr gut in Spiel und Gesang. Herrlich war seine Erzählung. Die beiden Riesen waren urkräftig und wuchtig. Alberich (Voigt) mißtönend und unheimlich. Alles andere gut. Leider sehe ich nie Walhall und Regenbogen.
6. Juni „Was ihr wollt“
Heinrich Heinemann, dem Nestor zur Feier, gab es diesen Shakespeare. Ich ging hin, obwohl es ein Klassiker ist. Aber Sh. Wirkt doch anders Schiller u.s.w. auf mich. Ich empfinde eine derbe und oft starke Eigenart in seinen Werken, welcher Eindruck jedesmal durch ausgezeichnete Aufführungen bekräftigt wird. Anfangs schien es ein langweiliges Stück zu werden, doch löste sich bald die Stimmung in Heiterkeit, als das lustige Kleeblatt seine tollen Streiche mit dem eitlen Malvolio spielte. Schließlich brüllte man vor Lachen über den philosophischen Narren (Mesmer) mit seinen geistreichen Einfällen, den groben Junker (Gaedeke, köstliche Figur) und den zimperlichen Junkern mit der überwältigenden Maske (Kökert). Die Trinkszene, sowie die Foppszene war herrlich. In sprudelnder Heiterkeit ging das Stück zu Ende. Malvolio, der Jubilar, spielte mit erstaunlicher Frische und großer Komik. Weniger gut die leiernde Martha Kaufmann und die matte Olivia (H. Neuhoff). Alle übrigen verdienen warme Anerkennung. Aber das Kleeblatt – ! Als der Narr am Ende den Vorhang zusammenzog und sein Liedchen sang, ging man befriedigt und Heiter. Die Ausstattung war wieder sehr gut, obgleich sie nicht an „Sommernachtstraum“ heranreichte.
16. Juni „Götterdämmerung“
Das ist der Schlußstein im Tempel, das ist auch der Grundstein: Gewaltige Tragik, unabwendbares Schicksal, das mit furchtbarer Logik unaufhaltsam seinen Weg über die Trümmer einer Welt schreitet. Diese feierlich düstere Resignation, diese Verzweiflung an der Rettung der Welt geht durch diese Riesenwerk „Der Ring des Nibelungen“. In „Götterdämmerung“ ist nur düsterer Ernst, wuchtend (?) ist dieses Zusammentürmen von Schicksalen. Es ist zuende mit allem Bestehendem , verloren Mensch und Gott. Wie eine teuflische Fratze grinst durch ganze Werk das bleiche Mörderantlitz Hagens. Wenn ich „Götterdämmerung ansehe, weiß ich, daß Wagner ein großer Dramatiker war. Unabwendlich reißt er den Hörer und Schauer mit, dem Abgrunde zu. In den Flammen der Götterburg verschwindet vor unseren Augen die Welt mit ihrem Siegfried und ihrer Brünhilde. Die Musik! Wagner, Meister, das sagt alles. Ist das noch Musik? Das ist Tragik, durchschimmert von einzelnen lichten Naturstellen. Wie feierlich ist die wundervolle Nornenszene, dann die unvergleichliche Rheinfahrt Siegfrieds mit der plastischen Anschaulichkeit. Dann wieder schütteln Schauer des Entsetzens über Die Teufelslist Hagens den Hörer. Im dritten Akte dann die liebliche, den Ernst verscheuchende und doch melancholische Rheintöchterszene, für die allein ich die ganzen „Hoffmanns Erzählungen“ und noch „Rigoletto“ dazu hingebe. Darauf die so tief erschütternde Erinnerung Siegfrieds an seine Jugend, mit all dem Wunderzaubern aus „Siegfried“ und dann der Tod! Das ist furchtbar! Der Trauermarsch bohrt sich tief in die Seele. Am Ende dann das züngelnde Lohen des tückischen Feuers. Wenn sich der Vorhang schließt, ist man unfähig zu sprechen. -
Die Darstellung war ganz ausgezeichnet. Allen voran Tänzler als Siegfried (zum letzten Mal) großartig in der Erinnerung. Rasender Beifall (15 mal), am Ende für den Scheidenden. Dann Corvinis (Hagen). Das ist Hagen in Gestalt und Charakter. Der dröhnende Baß verwundert immer wieder. Hunold, Schwarz und die Nornen gaben ihr bestes. Ebenso die Rheintöchter. Alles übrige war gut. Noeldechen‘s Ausstattung ist bekannt.
17. Juni „Robert und Bertram“
Ein krasserer Gegensatz als der dieser Posse gegen den Vorabend ist undenkbar.Dort feierlicher Ernst, hier tollste Ausgelassenheit aller Blaumontagsnarretei. Das Stück selbst ist ein albernes, unsinniges, aber höchst geschicktes Machwerk, das nur bei ganz übermütiger Aufführung wirkt. Und die war über übermütig. Was Mesmer da an tollster Komik hatte, verbrauchte er. Seine zahllosen Einfügungen, Abänderungen und Extempores waren zum Quieken. Alles gestaltete er um in ausgelassener Laune. Über Bemerkungen über „Bronschwaijerer“ Eigentümlichkeiten bis zur „Elektra“ und zum „Rosenkavalier“ blieb nicht verschont. Und dazu diese Geschwindigkeit, diese Sprünge, diese Gesichter. Ullrich, sein Partner, war ebenso. Von den Mitwirkenden an diesem Narrenspiel sind Fritz Voigt, E. Leube (die beide sehr gut sangen), Schläger und van Born zu erwähnen. Auch Kökert als Buchhalter mit prachtvoller Judenmaske ist zu nennen. Ausstattung hergebracht und angemessen. Musik bedeutungslos und zirkusmäßig. Im Ganzen eine unterhaltsame, wenn auch alberne, ganz verrückt – tolle Narretei, wie sie sich das anwesende johlende Kinderpublikum zum Montag wünscht.
21. Juni „Orpheus in der Unterwelt“
Burleske Oper? Nein burleske Musikposse! Soviel, ebensoviel Narrheit wie bei „Robert und Bertram“, nur daß hier durch die Travestierung und Parodierung der alten griechischen Sage noch größeres Interesse gewckt wurde. Gleich bei den ersten Szenen hatte man den Eindruck eines seltsamen Karrikaturstücks.Die Szenen im Olymp hatten etwas überwältigend komisches. Die Ausstattung war sehr dem Charakter des „Burlesken“ angepaßt, von den „Zeitungskritiken“ an bis zur Unterwelt. Die Musik ist Offenbach, aber sie wirkt natürlicher, weil sie sich nicht so aufspielt wie in „Hoffmanns Erzählungen“. Es finden sich stellenweise niedliche Melodien. Da Spiel war förmlich tol Forath in einer Komikerrolle, war etwas befangen, aber bald ausgelassen sang und spielt entzückend. Pickert als Gast sang schön und deutlich. Herz (Gast) als Jupiter war höchst drollig, Grahl als Orpheus wirkte in seiner Maske brüllend lachhaft. Dann Mesmer, der in seiner Coupletszene den Vogel abschoß. Sieben eigene Verse aus Arkadien und dann die Gestalt! Rasender Beifall! Alle Übrigen spielten ungemein heiter. Ich lachte noch als ich nach Haus ging und werde gern an die fidelen Stunden in der Unterwelt zurück denken.
23. Juni „Meistersinger“
Die Schlußvorstellung! Wie sie als Portal das Jahr 1918 eröffneten, so beschlossen die Meistersinger die Spielzeit. Voll leuchtender Schönheit und ruhiger Heiterkeit ist dies Werk. Da gibt es keinen tragischen Zwiespalt, keine schmerzhafte Zerrissenheit. Der Zauber der Johannisnacht weht um die alten Häuser Nürnbergs und umweht die gemütvollen Szenen, die sich in ihrem Dunkel abspielen. In überlegenem und alles überstrahlenden Humor hebt sich die Gstalt Hans Sachs‘ aus den Personen hervor. Die Musik ist so melodiös wie im „Lohengrin“, so klar wie in „Rheingold“, so neu wie in „Götterdämmerung“, nur heiter und warm wie nie. Ich hatte leider einen ungünstigen Platz, wo alles zu laut klang und ich nicht die ganze Schönheit übersehen konnte. Aber auch so erkannte ich, daß in der Nachtszene, dem Vorspiel zum 3. Akt und dem Anfang der Festwiese das höchste liegt, was Wagner nur bringen konnte. Alle Klangwirkungen vereinen sich und tönen mächtig erhaben zusammen in der herrlichen „Wach auf“ Weise. Hunold (Sachs) war weitaus am besten und zeigte in seiner großen Künstlerschaft den ganzen Sachs. Tänzler und Voigt, die beiden Abschiednehmenden, waren ausgezeichnet. Die Ausstattung war namentlich im 1. und 2. Akt sehr charakteristisch. Nach ungeheuren Beifallsbezeugungen, die den beiden Scheidenden galten (prunkvolle Blumengebinde) verließ ich für 2 Monate die Hallen der Kunst, etwas verstimmt über so lange Einschränkung aller Kunstfreuden. Von Tänzler konnte ich mich durch Händedruck verabschieden. Die Spielzeit ist vorüber, was mir das Theater in den letzten Jahren geworden ist, mag man aus meinen Äußerungen und dem regen Besuch ersehen. Die Künstler rein in die Ferien, es wird einsam und langweilig in Braunschweigs Kunstleben. Was die vergangene Spielzeit leider nicht an bedeutenden Ereignissen brachte (ich schrieb darüber in einem „Eingesandt“ in der Landeszeitung) erhoffen wir uns für die nächste. Anregendes, manchmal Erhebendes bot unser Theater und mit innigstem Dank begleite ich die Künstler, die mir auch als Persönlichkeiten lieb geworden sind, in die Ferien, zugleich mit einem frohen „Auf Wiedersehen!“.
Nachbetrachtung:
Diesen Restabschluß habe ich erst zwei Monate später geschrieben.Ich stehe freudig dicht an der Schwelle einer neuen Spielzeit. All meine Liebe zum Theater ist wieder mächtig wach geworden und diktiert mir herzliche Worte. - In einem Jahr hat sich das Band zwischen mir und dem Braunschweiger Theater so eng geknüpft. Rasch ist das Feuer der Begeisterung und warmen Liebe zu den vertrauten Stätten im Musentempel am Steinweg aufgeflammt, daß es kein Strohfeuer ist, sagt mir das Gefühl. In zwei Verhältnissen steht mir das Theater gegenüber: dem reinen künstlerischen und dem persönlichen. Das erstere, mir ist das Theater zu einer Weihestätte geworden,meine weltliche Kirche. Im Ringen (?) des (ach so elenden) Lebens (nicht persönlich zu fassen) habe ich dort den Ort, von allen Wissensqualm entladen, mich gesund zu baden. Diese ideale Welt da auf den Brettern enthebt mich eine Zeit der mangelhaften anderen. Dort habe ich Gelegenheit mit den Dichtern persönlich (d.h. mit ihren eigenen gesprochenen Worten) zu unterhalten, dort kann ich so herzhaft in gesundem Lachen allen Pessimismus verdunsten lassen, von dort gehe ich heim voll süßer Melodien mit einem so herrlich wohligen Gefühl, als habe ich eine bessere Welt betreten. Das führt nun gerade zum zweiten Standpunkt: Ich bin den Künstlern für die Erhebung (?) so dankbar, daß sie, obwohl mir unbekannt, eine leise Liebe auf sich lenken. Ich sehe sie so oft, daß sie mir bald so bekannt sind, als hätte ich in ihrem Haus geweilt. Ihre kleine Angewohnheiten, ihre Eigenarten (bisweilen kleine Unarten), alles wird allmählich liebevoll übersehen. Wenn sie vor einem auf der Bühne stehen, dann mit ihnen die Seelensprache, man bewundert und verzeiht ihnen ihre Leistungen. So verschmilzt allmählich der Begriff Kunst mit dem der Freundschaft. Ein warmes, anheimelndes Bild schönen Vertrautseins entsteht. So geht es mir, hoffentlich auch anderen.Und von dem Menschlichen, das uns verbindet, uns Zuschauer und die da, die im Besitz anderer Fähigkeiten uns Welten vorspiegeln können, geht ein Schimmer über über auf das schöne Hoftheater mit seinen behaglichen Räumen, in denen ich all jene Eindrücke empfing, auf das Stück, auf das ganze Theaterwesen mit seinem Zauber. So ist mein Verhältnis zum Theater, zum Braunschweiger Theater ein Danken für Erbauung und Zerstreuung, eine geistige Freundschaft mit jedem Einzelnen, der sie uns gab, und in der Folge eine große Hochachtung vor dem Beruf des ach so oft verkannten, ach so menschlichen Bühnenvolkes . -
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Der Übergang vom Herzogtum zum Lande Braunschweig hatte natürlich Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, so auch auf das in „Landestheater“ umbenannte „Hoftheater“ Fritz schrieb dazu einen Leserbrief, der im Juni 1919 in der Landeszeitung veröffentlicht wurde und sich mit der Spielzeit 1918/19 beschäftigt:
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Braunschweigische Landeszeitung , 1. Juni 1919
Rubrik Öffentliche Meinung
„Musendämmerung“
Gedanken beim Schluß des Landestheaters
„Götterdämmerung“. Wagners erhaben-düsteres Werk, endet heute die Spielzeit. Wie im Vorjahre wird es viele geben, die nach dem Fallen des „Eisernen“, das neun Monate geleistete Arbeit abschließt, sinnend einen Augenblick rückwärts denken, diese Arbeit noch einmal überschauen. Und jeder wird, am Ende des Gedankens angekommen, still nach Haus gehen, in der Brust zu den vielen Enttäuschungen der letzten Monate noch eine, bittere dazu ….
„Götterdämmerung“ steht am Ende der Spielzeit, gleichsam der Schlußbogen über dem Bau, mit der Inschrift: „Niedergang, Verfall, und Ende von Größe und Wahrheit“ Denn das ist nicht nur die Überschrift über den Kapiteln deutscher Geschichte 1918-19 sondern auch das über dem Kapitel braunschweigischer Kulturgeschichte, das den Namen trägt: Theaterkunst.
Das letzte Spieljahr bildete den vierten Akt im Schauspiel: „Vom Hof- und Landestheater“ oder „Musendämmerung“, in dem sich der dramatische Abfall vollzog. Heute stehen wir am toten Punkt des „Stückes“ und erwarten entweder Aufstieg oder Wandlung zum Trauerspiel.
Einem Kranken gleicht unsere Bühne. Die Silbe „Hof“ im Namen des Musentempels, auf die man die Schuld aller Sünden und Verirrungen häufte, schwand, und von dieser Amputation erhoffte man Heilung des Patienten. Heute hat er mehr kranke Glieder denn je (vergl. Künstlerrat), ist in Lethargie verfallen und gleicht (um bei der Bühne zu bleiben) dem „Lebenden Leichnam“. So vegetiert er dahin in erbärmlichen Scheindasein und wird eines Tages an Kräftelosigkeit entschlafen. Dann steht sein Haus für rührige Kinounternehmer offen. Der Spielplan der ganzen letzten Spielzeit war ein sattes Dahindämmern in den Tiefen, besser Schichten ödester Sommerbühnen“kunst“, in das nur ganz vereinzelt dünne Lichtblicke fielen. Solche Lichtblicke waren im Schauspiel Büchners „Danton“ (sogar ein heller Lichtblitz), Wedekinds „Erdgeist“, Dehmels „Menschenfreunde“, Franks „Schwestern“ und im Anfang Götts „Schwarzkünstler“. Die Oper gab noch weniger Hoffnungslicht: Der künstlerische Ertrag bestand in der Neuaufführung von zwei (!!) modernen Werken, von denen eins nach einmaliger Wiedergabe versank.
Was uns neben diesen Neuheiten vorgesetzt wurde,war entweder aus dem Staub des Archivs bequem Hervorgeholtes oder – sofern es neu war – Lustspiel- und Possenkitsch, mit dem uns moderne Literatur vorgegaukelt werden sollte. Und drumherum reihten sich in lieblichem Einerlei all die altbekannten Nichtig- und Wichtigkeiten, ohne die man am Steinweg verloren wäre. (Sowohl pekuniär wie geistig)
Das ist der künstlerische Gewinn von neun Monaten: beim Ziehen der Endsumme bleibt ein so gewaltiges Defizit, wie es Deutschland beim Bezahlen aller Kriegsschäden nicht hätte. Wenn bei der Frage nach dem Grunde dieses Fiaskos jemand die widrigen Zeitumstände anführen wollte, so sei darauf hingewiesen, daß das Theater nur ganz wenige Tage schließen mußte, und daß die Auswahl neuer Dramen höchstens bei politischen Tendenzstücken von außen beeinflußt wäre, da Zensur fortfiel, und im übrigen völlige Unabhängigkeit herrschte.
Wohl aber hätte man in Zeiten seelischer Massendepression die Pflicht gehabt, zum Volke die Dichter reden zu lassen, die der Zeit unmittelbar ins Herz schauen: Die modernen. Man begrüßte im vorigen Jahr die Bestrebungen des Lessingbundes, Namen wie Unruh, Hasenclever, Goering usw. durch Aufführungen in den (ach so engen) Gesichtskreis der Braunschweiger zu rücken, man freute sich ihrer, bis man sie langsam einschlafen sah. Man freute sich der Ankündigungen des Landestheaters wegen Aufführung Pfitzner‘scher Opern und moderner Dramen wie „Postamt“, „Sohn“ u.a., bis man die Pläne durch die Woge der Schwankliteratur erstickt sah.
Heute, nachdem uns Darsteller wie Kunath verließen (drängt sich nicht der Vergleich mit den Ratten und dem sinkenden Schiff auf?) ist fast jede Hoffnung auf geistige Wiedergeburt unseres Theaterspielplans geschwunden. Tief resigniert sehen die Feinfühligen das Publikum in der lockeren Auffassung der Kunst von Theaterleitern unterstützt, die man als geniale Inszeneure echter Kunstwerke kannte.
So bleibt dem Schreiber dieser Zeilen, die die Empfindungen jener Feinfühligen spiegeln sollen, nach Feststellung des Verfalles nur übrig, seiner und der allgemeinen Enttäuschung über das Geleistete Ausdruck zu geben und still das Fünklein Hoffnung zu nähren, daß man im Landestheater sich seiner heiligen Pflicht erinnert, dem Volke kräftigende Erbauung und Unterhaltung zugleich geben zu müssen. Daß man die geistige Wiedergeburt unseres Volkes mit herbeizuführen berufen ist, wird man sich dessen erinnern?
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In den Jahren 1921/22 scheint bei Fritz eine kurze Hinwendung zu der Literatur des Expressionismus stattgefunden zu haben. (Im Aufsatz über Ina Seidel wurde noch von „der überhitzten Raserei“ des Expressionismus gesprochen). Davon zeugt ein Aufsatz über diese Stilrichtung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts:
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Über den Expressionismus
Zum Verständnis der großen Literaturströmung, die sich Expressionismus nennt, ist ein Überblick über die Literaturgeschichte der Letzten 40 Jahre unbedingt notwendig. 1880 bis 1920 lassen sich drei große Bewegungen in der deutschen Literatur und darüber hinaus auch in der europäischen unterscheiden, die man mit den Schlagworten Naturalismus oder Impressionismus, Symbolismus und Expressionismus bezeichnet. Der Naturalismus mußte notwendigerweise als Reaktion gegen eine erschreckende Verflachung und Verwässerung der Dichtung kommen, die 1870 eingetreten war. Die Dichter dieser Zeit, Paul Heyse, Julius Wolff, Felix Dahn und andere hatten einen falsch verstandenen Idealismus proklamiert, der darin bestand, lebensfremde Stoffe in süßlicher Romantik zu schildern.
Auch in der Malerei herrschte diese kraft- und farblose Art und zeigte sich in den großen Historienbildern eines Piloty, Makart, A. v. Werner. Die sorgsam im Atelier zusammengebaut und gemalt wurden und nichts Frisches und Lebendiges mehr in sich bargen. Dagegen mußte sich eine junge Generation auflehnen, die durch die mächtig aufstrebenden Naturwissenschaften in enge Beziehung zu dem wirklichen Leben gebracht wurde. Die Forderung dieser Jungen lautete nun: Stellt das farbige Leben dar wie es ist. Was schert uns die altgermanische Welt oder das Mittelalter, unsere Zeit wollen wir verstehen lernen, damit wir ihre Schäden (?) heilen können. Das war der Naturalismus, der sich mitten hinein ins moderne Leben der Großstadt stürzte, und sich der Armen und Elenden annahm, wo er sie fand. Die sozialistischen Theorien und Forderungen fanden sich in den Romanen und Gedichten eines Arno Holz, O.J.Bierbaum, M.J. Conrad, alle die Ergebnisse der modernen Forschung wurden verwertet in den Romanen eines Zola. Vererbung, Einfluß der Umgebung, Psychologie, Medizin, alles spielte in diesen Bildern aus der poesielosen, und doch so reizvollen Wirklichkeit eine wichtige Rolle. Als sich die revolutionäre Bewegung dieses Naturalismus ein wenig gelegt hatte und man begann, das geleistete zu überblicken, da sah man, daß man zwar viel zu einer Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeiten beigetragen hatte. Man fand in den naturalistischen Kunstwerken Wunderbares, unübertreffliche Schilderungen der Natur und des Menschen, aber allmählich war man erstarrt zu einer gewissen Leblosigkeit. Es war kein Schwung mehr das mangelnde innerer Lebensfreude war ersetzt durch eine ungemein scharfe Beobachtungsgabe. Statt menschliche Leidenschaften und Gefühle stark und frei vorzuführen, zergliederte und zerlegte man diese Leidenschaften, man erforschte die menschliche Seele wie ein Anatom einen Leichnam. Die Psychologie feierte Triumphe in den Werken eines Thomas Mann und Arthur Schnitzler. Wohl entstanden auch so wunderbar Werke, aber das Letzte was zum Kunstwerk (?) unzertrennlich gehört, der heiße (?) Lebensodem war allmählich erloschen.Der Dichter photographierte und erklärte (?) seine Figuren und stand teilnamslos über dem Ganzen. In der Malerei war nicht mehr der innere Gehalt des Dargestellten ausschlaggebend, sonder man suchte irgendwelche Lichtprobleme oder Farbwirkungen zu lösen, wie man eine Rechenaufgabe löst. Das war das Ende des Naturalismus. Schon als er noch in voller Blüte stand, also ums Jahr 1900, hatte ein Teil der schaffenden Künstler sich abgestoßen gefühlt von der krassen Wirklichkeitsschilderung. Die auch das …?? in den Bereich der Dichtkunst zog. Man protestierte gegen eine solche Entwicklung der Kunst,die man als eine Art Gottesdienst betrachtete. Der Symbolismus, wie man diese Kunstrichtung bezeichnete, wendete sich ab von der Wirklichkeit, vom alltäglichen (schwer lesbares...) Leben, und wurde eine Kunst zu Selbstzweck: Die Kunst ist dazu da, dem Künstler selbst ein höheres Glück zu verschaffen, ähnlich wie das Gebet seinem Beter Ruhe und Trost schenkt, so schenkt das Gedicht, das künstlerische Werk seinem Schöpfer Ruhe und Glück. Diesen Standpunkt, den man l‘ art pour l´ art nannte, vertrat Stefan George mit seiner Schar von Anhängern: Hoffmannsthal, Rilke u.v.a. Die Wortkunst, die Ausdruckskunst ist hier so verfeinert, daß man Musik zu hören glaubt. Die Stoffe sind stets märchenhaft, unwirklich und stilisiert. Der Symbolismus stellt die Welt nicht dar wie sie ist, auch nicht wie sie sein sollte, sondern er wittert in allem einen mystischen, geheimnisvollen Sinn, eine rätselhafte Absicht. So stellt z.B. B. Maeterlinck in seinen „Alltagsdramen“ wie er sie nennt, nur eine Familie vor, die abends im Dunklen beieinander sitzt, die Großmutter ist krank und man glaubt, daß sie sterben wird. Alle Geräusche, wie das Wetzen einer Sense, das Schlagen einer Uhr, ein Vogelruf erfährt unheimliche Bedeutung. Man fühlt wie der Tod unsichtbar hereintritt. Am Schluß dieses sogenannten Dramas ist die Großmutter dann tot. Diese Kunst des Symbolismus hat etwas durchaus Positives an sich. Die Sinne des Künstlers, Auge und Ohr, sind fast krankhaft verfeinert und nehmen alles auf, um es zu wundervoll mystischen Stimmungen zu verarbeiten, aber zu einer Tat sind diese Künstler zu schwach. Auch ihnen fehlt wie den Spätnaturalisten mit ihrer wissenschaftlich-kritischen Stellungnahme das heiße, stürmische Leben, das sich Bahn bricht durch alle Widerstände, Sie sind Pessimisten und müde, resignierende Naturen. Gegen diese Passivität stürmt nun zuerst um 1912 eine neue Kunstauffassung an, die wir als Expressionismus bezeichnen. Eigentlich wollte man mit dieser Bezeichnung den Gegensatz feststellen in dem die neue Kunstrichtung zu Naturalismus oder Impressionismus stand. Der Impressionismus nahm auf was seine Augeen ihm erblicken ließen und gab seine Eindrücke, seine Impressionen wieder so von sich, wie er wie er sie empfangen hatte, ohne sie seinem Wesen nach umzuformen und sie dann auszusprechen. Der Symbolismus nahm auch auf, aber er wühlte sich gewissermaßen in die Dinge hinein, um ihren geheimen Sinn zu erforschen, er versenkt sich in die Erscheinungen und in seine eigene Innenwelt. Der Expressionist aber nimmt die Eindrücke wie sie ihm die umgebende Natur bietet: Farben, Worte, Ereignisse in sich auf und formt sie nun erst nach seiner eigenen Seele um, er gibt ihnen sein Herz mit und dann spricht er aus sich heraus, in ungeheuerlich zusammengeballten, hinausgeschleuderten Ausdrücken wie es ihm ums Herz ist. Die Expressionisten interessierte es daher nicht, ob ein Mensch Herr Müller oder Herr Meyer heißt und irgendwelche Schicksale hat, die man im Drama darstellen könnte. Was dieser Herr Meyer in irgendeiner Situation tut ist ihm einerlei, er prüft und behandelt die Idee(?) die dieser Herr Meyer in sich verkörpert, etwa die Idee des Geizes(?) oder der Friedfertigkeit. Die Figuren des expressionistischen Dramas läßt nicht Menschen gegen Menschen sondern Gedanken gegen Gedanken kämpfen. Vor allem aber steht ein expressionistisches Drama dadurch im Gegensatz zum naturalistischen , daß es die dargestellten Figuren nicht lähmenden und übermächtigen Naturgesetzen unterordnet, sie zum Spielball von Naturkräften macht, wie z.B. der Vererbung oder von Krankheiten, der Expressionismus behauptet: Das menschliche Herz, das Gefühl ist frei oder wenigstens freigemacht werden von dererlei Schicksalen, die über einem hängen wie eine drohende Gewitterwolke, der man nicht entrinnen kann. Freiheit des Herzens und Freiheit des künstlerischen Schaffens ist die Losung des expressionistischen Künstlers. Große, erhabene Gefühle, Eigenschaften(?) und Empfindungen sollen an Stelle der nüchternen Beobachtungskunst stehen. Ein Dichter soll nicht nur künden was er sieht, sondern er soll ein Prophet, ein Prediger seiner Lehren sein, er soll kämpfen gegen das was unser Herz abhängig macht: gegen Engherzigkeit, Egoismus, Unverstand. Der Naturalismus hat die Welt wie eine photographische Linse das Bild der Außenwelt aufnimmt: klar, deutlich und scharf. Aber ebenso wie ein photographischer Apparat abhängig ist vom Tageslicht und vielen anderen Bedingungen, so war auch der Naturalismus abhängig vom Gegenstand seiner Darstellung. Der Expressionist dagegen ist frei, denn er formt aus seinen Gefühlen heraus eine neue, freie Welt.
Wenn ein Impressionist eine Landschaft schildert oder malt, so wird er alles angeben was er sieht, Bäume, Berge usw.. Ein Expressionist aber sagt: Dies oder das Gefühl habe ich beim Anblick dieser Landschaft, ich werde traurig dadurch oder mutig. Ich spreche den Gedanken aus, den ich in der Landschaft fühle.
Für einen Expressionisten hat alles sozusagen eine Seele: die Steine so gut wie die Bäume. Die ganze Natur ist durchgeistigt. Es ist gleichgültig wie ein Ding aussieht und ob ich es auf meinem Bild oder in meiner Schilderung genau so wiedergebe wie es ist: die Hauptsache ist, daß ich ein Gefühl durch die Darstellung anrege. Vor allem aber gilt es wieder Mut zu einem leidenschaftlichen Pathos zu haben, statt zu beobachten und zu schildern wie der Naturalist, statt wehmütig nachdenklich zu betrachten wie der Symbolist, muß man handeln!
Die Zeit verlangt es. Die Menschen müßten wieder fühlen lernen statt zu rechnen, was verdiene ich dabei. Der Expressionismus will sie aufrütteln zu großen, schönen Gefühlen wie Naturanbetung, Liebe, Tatfreudigkeit. Ein neuer Zeitgeist steckt in diesen expressionistischen Dichtern, die flammende Anklagen gegen die heutige verrohte Menschheit schleudern. Gedichte, Romane, Dramen alle schreien sie laut: kehrt um auf dem Weg, der ins Verderben führte. Erkennt wie schön und reich die Erde ist … ???.
Der Krieg hat vielen die Augen geöffnet, daß wir in einer kranken Zeit leben. Der Expressionismus zeigt es immer wieder: Es geht jetzt nicht so weiter mit Kapitalismus und einseitiger Technik, Gefühl, Empfindung ist alles.
Liebe oder Haß sprechen sich im Expressionismus mit ungeheurer gesteigerter Wucht aus. Alles wird intensiver gefärbt um eben Ausdruck dafür zu geben! Daß aber sich viele Dichter, namentlich die Mitläufer, die den Expressionismus als Mode sehen, sich überlegen (?) geben, ist natürlich auch erklärlich.
Ich gebe nun noch einen Überblick über die expressionistische Literatur, wie sie sich in ihren bedeutendsten Vertretern spiegelt.
Der bedeutendste Lyriker ist Franz Werfel, dessen verschiedenen Gedichtbände wunderbare Zeugnisse echten Menschentums bergen. Er hat die unendliche Liebe zu allen Dingen und Menschen. Neben ihm sind viele andere Lyriker zu nennen wie z.B. der Elsäßer R. Schickele, der Österreicher G. Trakl und W. Klemm. Neben diesen sind natürlich unzählich viel andere Namen zur Vollkommenheit gelangt, aber ihre Nennung würde zu weit führen.
In der Prosa leisteten Vorzügliches Alfred Döblin, Wilhelm Lehmann, Kasimir Edschmid mit seinen funkelnd exotischen Novellen und Heinrich Mann, um auch nur wenige zu nennen.
(geschrieben ca. 1921)
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Die Buchbesprechung über eins der noch heute wichtigsten Werke über den literarischen Expressionismus, zeigt weiterhin Fritz‘s Interesse an dieser Stilrichtung:
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Menscheitsdämmerung.
Symphonie jüngster Dichtung.
Herausg. Kurt Pinthus 1920 ( Neuaflage :137. Auflage Januar 2016, Berlin)
Dunkeldonnernd klagende Posaunen entwachsen steigt der Schrei der Zeit in flammengelben Trompetentönen empor und gebiert im Finale die hellblaue Flötenmelodie vom „Bruder Mensch“. Was wir Kinder des Kriegs, wir Herolde der Erneuerung, wir aus… ?? erflehen und erkämpfen, das spiegelt sich in einer gegliederten Lese (?).
Alle Namen die in sich die einseitige Fülle heutiger Dichtung bergen, spielen in dem Orchester wildzackiger, stromruhige (?), gewitternächtliche oder morgenblaue Weisen: J.R. Becher - A. Stramm – E.W. Lotz und E. Stadtler – G. Trakl – R. Schickele, G. Benn - S. Heym – Hasenklever - Werfel … Wer hier zu mir spricht, der hat das Morgenrot über dem Blutmeer gesehen, alle reißen Brücken zur Vorzeit ab, alle sind revolutionär, alle neuerschaffend, alle sind Mensch!
Die gedrängt volle Buch ist phrasenlos das Bekenntnis unserer Zeit, keine Anthologie, sondern das Linsenbild alles heutigen Geistesgeschehens. Kurt Pinthus fahnenschwingende Vorrede beleuchtet es kraftvoll. Die Selbstbiographien aller Dichter einen sich mit den Portraits von Kokoschka, Meidner, Lehmbruck zu geschlossenem Ganzen.
Ich möchte euch allen, meine liebsten Menschen, diesen Fruchtkorb schenken – und eure Gesichter sehen, ihr Bürger..(?) , wenn ihr in eine Frucht beißt!
(Text ist sehr schwer zu entziffern !)
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Und als letztes Beispiel, ein Vortrag über ein Stück des Expressionisten Reinhard Goering,2 wahrscheinlich im Lessingbund 1922 vorgetragen wurde, der Autor schien anwesend gewesen zu sein:
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Vortrag über die „Seeschlacht“ von Reinhard Goering
Das Drama, das ich heute Abend euch näherbringen möchte heißt „Seeschlacht“ und stammt von dem jungen Dichter Reinhard Goering. Der Expressionismus, in dessen Stilgattung man es einordnen kann, findet sich darin auf eine ganz besonders eigenartige und glückliche Weise ausgeprägt, die dem Werk den Wert der Originalität sichert. „Seeschlacht“ ist der Versuch, die Menschenseele zu zeigen, wie sie sich in den Augenblicken höchster Gefahr und Todesnot verhält. Die großen Ideen von Pflichttreue und Vaterlandsliebe kämpfen in den Seelen von 7 Matrosen, die in einem Panzerturm eingeschlossen sind und der Skagerakschlacht entgegen fahren. Keiner der Matrosen hat einen Namen und der Dichter bezeichnet sie einfach als erster, zweiter, usw. Die wenigen Begebenheiten, die sich im Drama abspielen sind von einer eigenartigen Stimmung überh..(?), die sie aus der realen Wirklichkeit zu einer symbolischen Bedeutung herausheben. Das Panzergehäuse ist gewissermaßen die menschliche Brust, in der die verschiedenen Regungen, die von den Nummern verkörpert werden sich abspielen.
Binnen einer Stunde spielt sich die ganze, erschütternde Seelentragödie vor uns ab, in einem atemlosen Tempo, wie eben Gedanken kommen und gehen, und die kurzen, knappen Sätze, deren Sinn manchmal in einem einzigen Wort zusammengefaßt ist, prallen in Rede und Gegenrede aufeinander uns erhöhen den Eindruck einer unheimlichen Stimmung der Todesahnung.
Der 1. Matrose, ein ängstlicher Träumer, fühlt das Unheil kommen, der 2. ist der skeptische Spötter und hat sich mit den unvermeidbaren Tatsachen abgefunden.Er glaubt an nichts, er verachtet alles Grübeln und ist durch und durch Tatsachenmensch, leicht aufbrausend und immer zum Widerspruch geneigt. Der 4. ist der pflichttreue Soldat, der alles was wider die Dienstvorschriften ist, verwirft, auch die leicht verständlichen Regungen der Furcht vor dem Tod.
Sie unterhalten sich über Zweck und Ziel ihrer Ausfahrt. Der 1. Matrose wird mit seinen Ahnungen verlacht. Der 6. , ein phlegmatischer Materialist, mahnt sie zu schlafen. Der 3. tritt ein. Er ist der ungeduldige Tatenmensch. Er möchte endlich den Ernst des Krieges sehen. Abenteuerlust treibt sein Blut schneller durch di Adern. Dann springen ihnen allen selige Erinnerungen an die schöne Friedenszeit auf. Wehmut beschleicht sie, daß sie das alles lassen mußten. Schon regt sich leise ein Gefühl der Empörung dagegen, so nutzlos gemordet (?) zu werden von den oberen Mächten. Der 5. Matrose redet dann im Halbschlaf Worte, die die Natur ihm auf die Lippen zwingt: Todesfurcht, Lebenshunger, all die menschlichen Triebe, die nur zu verständlich sind, machen sich Luft in gequältem Aufschrei. Im Schlaf fallen alle anerzogenen Eigenschaften wie Pflichterfüllung und Selbstbeherrschung ab und einer zeigt wie es ihm eigentlich ums Herz ist.
Während nun die anderen Matrosen schlafen, reden der 1. und 5. über den Sinn des Krieges. Der 5. ist der Mensch, dem all das was da vor sich geht als ein ungeheures Verbrechen an der Menschenseele erscheint. Junge Männer, die ein Recht auf das Leben haben, zwingt man zum Sterben, Aber er fühlt die Pflicht in sich, alle seine Kameraden aufzuklären über das ungeheure Unrecht, das man ihnen antut. In heftigen, drohenden Worten bricht sein glühender Lebenswillen hervor. Der 1. Matrose ist erschreckt über sein Vorhaben , Meuterei auszurufen.Seinem träumerischen, tatenlosen Wesen widerstrebt die Gewalt. Er ahnt,daß sie nichts vermag gegen das unabänderliche Schicksal. Aber der mächtigen Persönlichkeit des 5. Matrosen muß er sich beugen. Die anderen erwachen, hören was vor sich geht und ergreifen für oder wider den Aufrührer Partei. Da gellt der Ruf „Feindliche Schiffe“. Und m selben Augenblick bricht all das Zweifeln und Zaudern von ihnen, sie werden wieder zu mechanischen Werkzeugen, zu denen man sie durch den Drill gemacht hat, sie schießen und tun ihre Pflicht. Eine blinde Geschäftigkeit beginnt. Das ist die Tragik in dem Drama, daß man den Menschen soweit die Fähigkeit, menschlich zu fühlen aberzogen hat, daß sie willenlos in den Tod gehen, ohne zu meutern, nur mit einem letzten Aufflackern ihres Lebenswillens in einem verzweifelten, grinsenden Galgenhumor. Auch der 5. Matrose wird fortgerissen vom Wirbel der Ereignisse. Seine Ideale werden zertrümmert von der schrecklichen, grauenhaften Wirklichkeit. Ein Schuß trifft den Panzerturm. Sterbende krümmen sich. Der Wahnsinn befällt einen der Eingeschlossenen. Da kommt den Matrosen die Sinnlosigkeit des Mordens noch einmal zu Bewußtsein. Stimmen ertönen und schwellen zu einem ergreifenden Klagegesang an auf die hingemetzelte Jugend, auf das das ganze blühende Geschlecht, das so dahin sinken muß, ohne eigentlich gelebt zu haben. Verzweiflung und Jammer erheben ratlose ...(?). Und in das Grausen dieser fürchterlichen Stunde, in deren Schilderung der Dichters das ganze Entsetzen preßt, mit der er, als Freiwilliger die Skagerakschlacht mitmachte, den Ereignissen gegenüber stand. Alle Regungen des menschlichen Herzens mußten verstummen vor dem Hauch des Todes. Zum furchtbaren, anklagenden Schrei wir die Dichtung zu Schluß. Aber: Die Schlacht geht weiter und in den ruhigen Schlußworten faßt der 5. Matrose, der seine vielen(?) Gedanken auf lange erstickt weiß, die Erkenntnis des Dichter zusammen, daß das Mensch-Sein, das natürliche, angeborene Denken und Fühlen der Menschheit unterdrückt sei und daß Schießen uns wohl näher gelegen hat, als da Meutern, daß morden wohl wichtiger sein müßte als glücklich zu leben. Der Grundcharakter der ergreifenden Tragödie vom Menschen und vom Kriege, der in einer schonungslosen Offenheit die Seele der Kämpfenden enthüllte, ließ das Werk in den Kriegsjahren, als es entstand, der hohen Zensur als staatsgefährlich erscheinen. Nur in wenigen, geschlossenen Vorstellungen ist es auf die Bühnen gelangt.
Damit gebe ich dem Dichter, der übrigens hier in Braunschweig lebt, selbst das Wort!
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In den folgenden Jahren erlosch wohl das Interesse am Expressionismus, F.B. wendete sich mehr der „nationalkonservativen“ Literatur zu, die näher an den Sichtweisen der weiterhin verehrten Ina Seidel lag. In den zwanziger Jahren war ein Teil des Verlagsprogramms von Eugen Diederichs3 die Literatur von Schriftstellerinnen wie Agnes Miegel4, Lulu von Strauß und Thorney und anderen. Ein Mitschüler von Fritz war Peter Diederichs, ein Sohn des Verlegers, der mit seiner Mutter Helene Voigt-Diederichs, die von Eugen Diederichs geschieden war, in Braunschweig lebte. Durch ihn bekam Fritz einen Kontakt zur Familie Diederichs in Jena, die er 1926 einmal dort besuchte.
Weitere Autoren von großem Interesse lebenslang waren Albrecht Schaeffer und Werner Bergengruen, mit denen nach 1945 persönliche und briefliche Kontakte bestanden.
2Reinhard Goering (* 23. Juni 1887 auf Schloss Bieberstein, Hessen; † Mitte Oktober (?) 1936 in Bucha bei Jena) war ein deutscher Schriftsteller des Expressionismus.
3Eugen Diederichs (* 22. Juni 1867 in Löbitz; † 10. September 1930 in Jena) war ein bedeutender deutscher Verleger. 1896 gründete er seinen Verlag in Florenz, dessen breit gefächertes Programm sich auf Werke der deutschen Romantik und Klassik sowie Schriften der Antike und Friedrich Nietzsches erstreckte.
4Agnes Miegel (* 9. März 1879 in Königsberg i. Pr.; † 26. Sie war eine „völkisch-national“ ausgerichtete Schriftstellerin, die den NS-Staat kritiklos unterstützte. Erst ab der 1990‘er Jahre fand die kritische Auseinandersetzung mit der Person A. Miegel statt.
1 Kurt Meyer-Rotermund (* 6. 1März 1884 in Wolfenbüttel; † 9. Mai 1977 in Bad Salzuflen) war ein deutscher Schriftsteller, Lyriker und Essayist.
2„Der sonnige Weg“ war eine kleine Monatsschrift für die Schriftsteller des Braunschweiger Landes herausgegeben von Ernst Bergfeld. Fritz B. schrieb u. a. zwei Texte für diese „Monatsschrift für schöne Literatur, Dez. 1919 und Januar 1920.
3Der Deutsche Pazifistische Studentenbund (D.P.St.) war eine parteiübergreifende politische Studentenorganisation der Zwischenkriegszeit. Er wurde im Oktober 1920 auf dem Deutschen Pazifistenkongress in Braunschweig gegründet und setzte sich für die Versöhnung mit den einstigen Kriegsgegnern und für internationale Zusammenarbeit ein. (Zitat: Wikipedia)
4Ina Seidel (* 15. September 1885 in Halle; † 2. Oktober 1974 in Ebenhausen bei München) war eine deutsche Lyrikerin und Romanautorin. 1930 erschien ihr als Hauptwerk eingeschätzter Roman Das Wunschkind, zwei Jahre später wurde sie als zweite Frau in die Preußische Akademie der Künste berufen. 1933 gehörte sie zu den 88 Schriftstellern, die Adolf Hitler das Gelöbnis treuester Gefolgschaft schworen und wurde von ihm persönlich 1944 in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen. Auch nach 1945 erhielt Seidel noch zahlreiche Ehrungen. (Zitat: Wikipedia)
5Börries Albrecht Conon August Heinrich Freiherr von Münchhausen (* 20. März 1874 in Hildesheim; † 16. März 1945 in Windischleuba) war ein deutscher Schriftsteller und Lyriker der Neuromantik. Er war Antisemit und stand der völkischen Bewegung nahe. In der späten Weimarer Republik gründete er die elitäre Deutsche Dichterakademie. In der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 beteiligte er sich aktiv an der rassistischen Kulturpolitik des NS-Staates. Während die zeitgenössische Literaturkritik seinen literarischen Rang hoch einschätzte und die Germanistik ihn bis in die 1960er Jahre als Balladendichter rühmte, ist der Autor heute weitgehend vergessen.