VI. Die Schule

Seit den Zeiten der Reformation versuchten die Braunschweigischen Landesfürsten, unterstützt von der Kirche und ihren Pfarrern die religiöse und allgemeine Bildung ihrer Untertanen durch regelmäßigen Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen und Unterweisung in der” Katechismuslehre und im Choralsingen zu heben. Hierfür wurden in den Dörfern die Opfermänner eingesetzt, die den Geistlichen von jeher als Küster (Kirchenvogt), als Kantor (Vorsänger beim Gottesdienst) und als Organist — in Weferlingen nicht an einer Orgel, sondern nur mit der Fidel – zur Hand gingen. Man nahm nicht etwa ausgebildete Lehrer dazu, denn die gab es erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts, sondern einfache, ehrliche und kirchentreue Leineweber, Handwerker oder blessierte Kriegsveteranen. Sie alle wußten ihren „Katechissen”, sie sangen schlecht und recht, sie lasen und schrieben ihre Übungssätze ganz brav und sie kannten sich im großen und kleinen Einmaleins aus.

 Bei ihrem Gehalt brauchten sie nicht viel zu rechnen. Das betrug in Weferlingen aus den Erträgnissen des Schullandes bare 40 Thaler (etwa 120 DM) im Jahr. Sie mußten darum ihren erlernten Beruf beibehalten, auch wenn sie durch die sogenannten „Umgänge“ ähnlich wie die Pastoren von den. Höfen einmal im Jahr Bröte, Würste..und Eier, sowie alle Quartal vom Zingelwirt 1 Stübchen Bier erhielten. Das Schulland (5 Morgen Acker und 1 Morgen Wiese) erlaubte ihnen jedoch Viehhaltung in dem Stall, der dann gegenüber vom Haus Nr. ass. 10 am Ende des 19. Jahrhunderts zum Schulgebäude (jetzt Gemeindebüro) umgebaut wurde. 2 Kühe, 3 Schweine, 1 Rind und 3 Schafe durften die Opfermänner ohne Gebühren auf der Allmende weiden lassen, wenn sie sie hatten. 10 Groschen und 4 Pfennig, aus dem Klingelbeutel und 10 Scheffel Roggen bekamen sie von der Kirche. (Dorfbeschreibung 1754).

Das Opfermannhaus (heute Bormann) ist mit der Kirche 1944 durch Bomben zerstört. Es stammte wie viele alte Dorfhäuser aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts und war bis zu dessen Ende mit Stroh gedeckt. Es hatte ein kleines Schulzimmer, das vom danebenliegenden Wohnzimmer nur mit einem Ofenrohr beheizt wurde. Wer das alte kleine Haus noch kennt (es ist auf Abb. 13 um 1920 mit dem Turmdach der alten Kirche hinter dem später gebauten Lehrerwohnhaus von 1853 hervorlugend zu sehen), der ahnt, wie klein der Raum für den Unterricht gewesen sein muß.

Aber es waren auch nur wenige Kinder, die hier beim Kantor mit ihren Schiefertafeln erscheinen mußten. Die Jahrgänge blieben wegen der hohen Kindersterblichkeit, die die der Erwachsenen weit übertraf, stets sehr klein. So raffte 1788 die Blatternkrankheit (Schwarze Pocken) in Weferlingen 7 Kinder im Alter von 3 bis 15 Jahren dahin, darunter 2 Geschwisterpaare aus Tagelöhnerfamilien. Aber auch Adelsoder Fürstenfamilien verschonte der Seuchentod und die „Lungensucht“ (Tuberkulose) nicht, so daß manchmal von 8 – 10 Kindern nur 2 – 3 am Leben blieben. Die Kriegsplünderungen, die Mißernten und Hagelwetter, die Feuersbrünste und die jählings einbrechenden Seuchen von der Pest, dem Typhus, den Blattern, der Cholera bis zur „Halsbräune“, der Diphterie, müssen wir uns ja überhaupt als die Schicksalsplagen der Dörfer in früheren Zeiten vorstellen, die noch lange als Schrecknisse im Gedächtnis der Überlebenden blieben und mit ihrer Unvermeidbarkeit eine ähnliche dumpfe Angst erzeugten, wie sie das Zeitalter des Bombenkriegs und der Atomwaffen ebenso empfinden muß. Ach, die gute, alte Zeit hatte auch ihre Sorgen!

In der Schule neben der Kirche war das Inventar denkbar dürftig. Noch um 1890, als schon in einem Zimmer des neuen Lehrerwohnhauses unterrichtet wurde, bestand es nach Akten des Landeskirchenamts Wolfenbüttel, das die Inspektion hatte, nur aus 2 Bänken und einer Wandtafel. Erst als bald darauf das bis vor einigen Jahren .zum Unterricht benutzte Gebäude aus dem Opfermannsstall entstand, gab es Verbesserungen. Nun stand darin sogar ein Tafelklavier für den Gesangsunterricht, es gab Landkarten und Zeichenvorlagen, und der Rest einer alten Gemeindebücherei mit Jugendschriften von Nieritz und anderen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts wurde darin aufbewahrt. In den Jahren nach 1944 bis zur Weihe der neuen Kirche 1957 wurden in dem kleinen Raum die Gottesdienste abgehalten. Jetzt wirkt darin die Gemeindeverwaltung unter dem Gemeindedirektor Voges, die seit kurzem nun der Samtgemeinde Dettum zugeordnet ist.

Der erste namentlich bekannte Opfermann und Lehrer ist 1653 Dierich Pethe. Wir finden dann ab 1708 bis 1746 Joh. Heinr. Moordorf. Sein Nachfolger war Joh. Heinr. Phil.

Koldeweh (1747 — 1792). Aus seiner Amtszeit findet sich die hübsche Beschwerde, daß der Zingelwirt für seinen Sohn vierteljährlich ein Stübchen Bier zu liefern hatte, daß aber nach dessen Konfirmation das Bier untrinkbar geworden oder überhaupt ausgeblieben sei. Der Beklagte wandte ein, er habe von einem solchen Fixum nichts gewußt, auch habe der Oppermann ihn nach dem Abendmahl vor der Kirche, also an einem ungebührlichen Ort gemahnet und Zänkerei angefangen.

Es folgte dann der Schneider Joh. Christ. Somburg (1792 — 1828), der viermal verheiratet war und dessen Nachfolger sein ältester Sohn wurde. Dieser war Veteran aus der Schlacht bei Waterloo und Quatrebras, seit der er eine Kriegsverletzung in Form einer Steckkugel hatte. Sie wurde ihm 1832 herausgeschnitten, wozu er eine Unterstützung von 12 Thaler vom Staatsministerium erhielt. Auch zur Anlage einer Bienenzucht ward ihm ein Zuschuß von 15 Thaler bewilligt. Danach war der unverheiratete L. Siemann Lehrer und Opfermann, der aber schon 1837 schwer erkrankte und wie der Vorsteher Andreas Barnstorf schriftlich bezeugte, wegen einer eitrigen Brusthöhlenentzündung oft Eiter erbrach. Er war der erste, schon als Lehrer auf der „Präparande“, dem späteren Seminar in Wolfenbüttel entsprechend, ausgebildete Jugenderzieher in unserem Dorf. Ihm folgte von 1846 — 1862 der Sohn’ eines Lehrers aus Sunstedt R. Stöter. Während dessen Dienstzeit wurde das 1853/54 neu erbaute Lehrerwohnhaus bezogen, in dem bis heute die Lehrer des Ortes wohnen.

Die gering dotierte Stelle wurde dann ab 1862 ausschließlich durch noch nicht geprüfte Seminaristen oder Lehramtskandidaten („Hilfslehrer“) versehen, so von 1862 — 1865 vom Präparanden Heise, damals 20jährig. Er wurde 1864 regelrecht angestellt und vom Superintendenten aus Schöppenstedt eingeführt, jedoch schon 1865 nach Dettum versetzt.

Er scheint ein energischer Herr gewesen zu sein, denn in Dettum ging noch in der Schulzeit meiner Mutter (geb. 1877) das Verslein um: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Herr Heise zieht die Hose prall!“ Sein Nachfolger Eikenberg, der als Präparande abgeordnet wurde, machte auf den Schulvorstand keinen guten Eindruck, weil er schon etwa 40 Jahre alt(!) war und sich nur kurze Zeit auf der Präparandenanstalt aufgehalten habe. Der Vorsitzende Friedr. Barnstorf bittet ihn abzuberufen, was auch geschah. Es folgten der Präparand Scharenberg (1866 — 1868), dann Julius Müller, der von 1871 bis 1880 endgültig angestellt war, dann aber auf eigenen Wunsch nach Hessen versetzt wurde. Darauf war ein Jahr lang der Hilfslehrer Karl Kolle in Weferlingen beschäftigt, der hier seine spätere Frau, eine Schwester des Ackermanns Otto Moshake kennenlernte und dann viele Jahrzehnte in Braunschweig an der Bürgerschule Leonhardstr. Unterrichtete. Er starb um 1940. Es kamen dann die Seminaristen Pabst und Vogel (dieser später Kantor in.Schöppenstedt) und von 1882 bis 1890 Hermann Höltge, der auch nach Schöppenstedt ging. Nun war vom April bis September 1890 der Seminarist Hermann Utermöhlen (geb. 14. 2. 1868 in Ohrum, gest. 9. 11. 1920 in Weferlingen) abkommandiert. Nachdem dann noch bis 1894 Julius Wolf, bis dahin 4. Lehrer in Langelsheim auf eigene Bewerbung fest angestellt im Schulhaus gewohnt hatte, der sich aber wohl auch wieder fortbewarb, und der Seminarist Hermann Ziese (später Lehrer in Beddingen und dann Lehrer an der Strafanstalt Wolfenbüttel) aushilfsweise eingesprungen war, kehrte Hermann Utermöhlen mit seiner jungen Frau Marie.geb. Ziese nach Weferlingen zurück, wo er bis zu seinem allzu frühen Tode im Jahre 1920 langjährig wie seit Jahrzehnten keiner seiner Vorgänger in treuer Pflichterfüllung den Dorfkindern das Beispiel eines guten Lehrers war. Er lebt bei alten Weferlingern noch als „de Kantor Untermühl”“ in der Erinnerung und ist der einzige Lehrer, der mit seiner Frau auf dem Friedhof neben der Kirche den ewigen Schlaf gefunden hat.

Er war der letzte Lehrer, der nach den alten Bestimmungen der Schulgesetze als Opfermann eingeführt werden mußte, weil sich nach der Staatsumwälzung von 1918 das Verhältnis der Schule zur Kirche völlig änderte, die nun kein Aufsichtsrecht mehr als Schulbehörde besaß. Dem Verfasser ist der letzte Opfermann des Dorfes deswegen ein Stück seines Lebens geworden, weil er von ihm die erste Unterweisung im Lesen, Schreiben und Rechnen bekam, und weil er, allerdings erst lange Jahre nach dem Tode seines lieben Lehrers, dessen jüngste Tochter geheiratet hat.

Die auf ihn folgenden Lehrer Weferlingens waren Hermann Nette (1920 — 1921), Wilhelm Angerstein (1921 — 1928), Willi Köther (1928 — 1929) und Robert Rahl (1929 — 1945). Eines seiner Kinder kam bei dem furchtbaren Bombenabwurf am Mittag des 15. März 1944 ums Leben und ruht auf unserm Gottesacker, dessen Kirche damals gleichfalls dahinging.

Danach war Herr Adolf Cauers, aus Blankenburg gebürtig, bis zu seiner Pensionierung in unserer Dorfschule tätig, der jetzt in Wolfenbüttel lebt. Zuletzt bezog das Lehrerhaus das junge Lehrerehepaar Unger, das dann die Auflösung der örtlichen Schule und den Anschluß an die Mittelpunktschule Dettum mit ihren ungleich komfortableren und neuzeitlichen Schulräumen und -einrichtungen erlebt hat.