Friedel Kürschner an Käthe Utermöhlen: Briefe 1917 bis 1969,

nebst Bildern und einigem Zusatzmaterial.

 

Im folgenden legen wir im Sinne eines Beitrags zur Alltagsgeschichte der geneigten Öffentlichkeit die Transkription und erläuternde Kommentierung eines Konvoluts von Briefen, Photos und Ansichtskarten vor, die der Schweizer Friedrich Kürschner, in der Familie Friedel genannt, zwischen 1917 und 1969 – fast ein halbes Jahrhundert lang – seiner in der Braunschweiger Gegend lebenden angeheirateten Cousine Käthe Utermöhlen zudachte und die sich im Privatarchiv der Familie Dr. Henning Barnstorf zu Braunschweig erhalten haben: Henning Barnstorfs Mutter Lisa war eine geborene Utermöhlen, genauer gesagt die jüngere Schwester Käthes. Käthe Utermöhlens Anteil an der Korrespondenz – der Löwenanteil nach allem, was wir wissen – liegt uns bedauerlicherweise nicht vor; auch ist ungewiß bzw. angesichts der großen Lücken höchst fraglich, ob die Briefe ihres Cousins vollzählig überliefert sind. Über die auf uns gekommenen hinaus bieten wir ergänzend drei Briefe aus anderer Feder dar, die im Familienarchiv bei Friedel Kürschners Briefschaften lagen und geeignet sind, zusätzliches Licht in die komplizierten, auch nach abgeschlossener Edition keineswegs restlos aufgeklärten Verhältnisse zu bringen.

 Einleitend sei zusammengetragen, was wir über die beiden Briefpartner und ihre Herkunft sagen können. Es ist dies der Grundstock an Tatsachen und Vermutungen, der – wir bewegen uns in dem üblichen hermeneutischen Zirkel – einerseits der Brieferschließung vorausliegt und diese überhaupt erst ermöglicht hat, in den andererseits die Auskünfte aus den Briefen wie auch die Ergebnisse der durch sie wiederum motivierten, weiterführenden Recherchen eingeflossen sind, mit dem folglich in den kommentierenden Anmerkungen zu den Briefen beständig gearbeitet, auf den immer wieder verwiesen wird. Neben den persönlichen Erinnerungen der Angehörigen war unsere wertvollste Quelle außerhalb des Briefmaterials selbst die im Familienarchiv bewahrte, von Dr. Fritz Barnstorf, dem Familienchronisten und Vater Henning Barnstorfs, erstellte ‹Stammliste Utermöhlen – Zweig Bonafort, Heimgarten, Weferlingen, Peine u.s.w.›.1 Ihr letzter getippter Eintrag stammt aus dem Jahre 1937. Nachträglich sind von Hand noch zahlreiche Ergänzungen und Korrekturen angebracht worden, deren keine jedoch über das Jahr 1937 hinausreicht.

Friedrich alias Friedel Kürschner war der Sohn eines gleichfalls Friedrich geheißenen Bruders der Maria (*15.3.1869,2 †[2. Hälfte Juli–Anf. Okt.]19233) und der Helene (*12.1.1872,4 †?[vor 13.5.]19445) Kürschner, die sich in der Schweiz mit den beiden Utermöhlen-Brüdern Karl (*11.5.1861, †?[nach Aug. 1940]6) und Wilhelm (*20.1.1871, †?.?.19427) verheiratet hatten. Ein weiterer Bruder aus der achtköpfigen Geschwisterschar der Utermöhlens wiederum, Hermann (*14.2.1868, †8.11.19208), war der Vater Käthes.

 Mitglieder beider Familien, der Utermöhlens wie der Kürschners, waren im späten 19. Jahrhundert in die Schweiz ausgewandert. Möglicherweise bestand ein Zusammenhang mit der deutschen Impf- und Seuchengesetzgebung,9 speziell dem Reichsimpfgesetz von 1874/75, mit dem erstmals landesweit zwei verpflichtende, strafbewehrte Pockenschutzimpfungen für die Jugend eingeführt worden waren, und dem Reichsseuchengesetz von 1900, das nach mehreren zwischenzeitlich ausgebrochenen Seuchen (Cholera, Lepra, Milzbrand, Typhus, Pestgefahren) in jahrelanger kontroverser Debatte erarbeitet wurde und für sechs ausgewählte Krankheiten pandemischen Charakters (Lepra, Cholera asiatica, Flecktyphus, Gelbfieber, Pest und Pocken) neben der Anzeigepflicht, Schutz- und Isolationsmaßregeln, Sanktionen und Entschädigungen auch eine amtliche Leichenschau vorsah.10 Beide Gesetze stießen bereits während der Entstehung auf heftige, teils polemische Gegenwehr – das eruptive Pro und Contra erinnert auch inhaltlich in vielem an die über die Corona-Maßnahmen 2020ff. ausgebrochenen gesellschaftspolitischen Differenzen – und zeitigten nach ihrer parlamentarischen Verabschiedung nicht nur über Jahrzehnte fortgesetzten, erbitterten Widerstand, sondern auch Wellen von Auswanderungen, nicht zuletzt in die Schweiz.11 Dort nämlich wurde 1882/83 die bis dahin in einigen Kantonen bestehende Pflicht zur Pockenschutzimpfung sowie auch das in einem Entwurf zu einem landesweiten Epidemiegesetz vorgesehene allgemeine Impfobligatorium per Volksabstimmung aufgehoben. Insbesondere in den katholischen und in den Deutschweizer Kantonen bestand eine starke Impfgegnerschaft.12

 Ob die Impfthematik tatsächlich ausschlaggebend war für den Beschluß einiger Utermöhlens, ihre Heimatgegend im Südosten des heutigen Bundeslandes Niedersachsen zu verlassen, ist uns freilich ebenso unbekannt wie das genaue Datum seiner Realisierung. Von der Familie existiert ein Gruppenphoto, das justament 1875, bei Inkrafttreten des Reichsimpfgesetzes, aufgenommen wurde, vielleicht eben aus Anlaß ihrer Trennung in einen auswandernden und einen zurückbleibenden Teil.13 Andererseits feierte die älteste Tochter der Familie, Ida (*22.8.1856, †20.11.1935), noch am 9. Juni 1881 Hochzeit in Ohrum, bevor sie mit ihrem Mann Karl Ehrt in die Schweiz zog:14 was sowohl bedeuten könnte, daß der gesamte Auswanderer-Zweig der Utermöhlens erst danach aufbrach, als auch, daß Ida und ihr Mann den Mitte der siebziger Jahre Vorausgegangenen nachzügelten. Im letztern Falle wäre davon auszugehen, daß Ida, 1875 neunzehn Jahre alt, die Mutterstelle an jenen drei Geschwistern vertrat, die nicht mit nach Süden zogen, zu dieser Zeit aber noch zu jung waren, um ganz für sich selbst zu sorgen.15

 Spricht schon dieser Umstand, daß im Jahre 1875 unmündige Kinder, wenn auch in der Obhut ihrer älteren Schwester, hätten zurückgelassen werden müssen, für einen späteren Auswanderungszeitpunkt, so vollends die Tatsache, daß unsere Émigrés erst achtzehn Jahre später auf Schweizer Boden erstmals für uns nachweisbar werden: Am 23. Mai 1893 gründeten sie zusammen mit anderen deutschen Siedlern auf Initiative eines gewissen Julius Sponheimer16 hin die bodenreformerische Genossenschaftssiedlung ‹Obstbaugenossenschaft Heimgarten bei Bülach› im Kanton Zürich.17 Tatsächlich gab es unter den zahlreichen deutschen Impfgegnern besonders viele Vertreter der Genossenschafts- und Gemeineigentumsidee, Lebensreformer, Vegetarier, Abstinenzler (Guttempler), Anhänger der Homöopathie, der Naturheilkunde, der Makrobiotik, der Steinmehl-Düngung18 usw. usf. An Berufen fanden sich unter ihnen v.a. Lehrer (wie etwa Karl und sein Vater Georg Utermöhlen, aber auch Friedels Vater es waren) und Kaufleute, Beamte aller Art, Ärzte, Anwälte, Pfarrer, Fabrikarbeiter, Handwerker, Photo- und Stenographen,19 dagegen kaum Bauern. Der Name ‹Heimgarten›, den sich seinerzeit auch einige Schrebergartenkolonien etwa in Wien und Berlin gaben, geht wohl auf des österreichischen Schriftstellers Peter Rosegger (1843-1918) ab 1876/77 in Graz herausgebrachte Monatszeitschrift ‹Heimgarten› zurück, worin der Autor Beiträge mit lebensreformerischer und zivilisationskritischer Stoßrichtung publizierte.20

 Die Obstbaugenossenschaft ging am 22. September 1906 in Konkurs21 – Geldmangel machte sich bereits ab 1901 bemerklich22 –, doch etliche Auswanderer hatten sich in der Schweiz gut eingelebt und blieben, allen voran die Gründerdynastie Utermöhlen selbst, zu der außer den Brüdern Wilhelm und Karl noch beider ältere Schwestern Ida23 und Minna (*3.5.1858, †?) mit ihren jeweiligen Familien sowie die Eltern Georg (*18.8.1831, †30.5.1920) und Lisette (*1.7.1832, †21.8.1900) Utermöhlen zählten.24 Wilhelm und Karl, die seit dem 1. Oktober 1893 neben der genossenschaftlichen Obstplantage eine Fabrik für Obstkonserven, Sirupe, Gelees und Konfitüren führten (‹Konservenfabrik Gebr. Utermöhlen Heimgarten-Bülach›),25 deren Geschätszweck sie vier Jahre später um «Ganswindt’sche Erfindungen und Obst- und Gemüseanbau» erweiterten,26 kauften zahlreiche Liegenschaften aus der Konkursmasse der Genossenschaft auf und expandierten.27 Von Anfang an setzten sie sich stark für Hensels Mineraldünger ein28 und betrieben zudem «auf eigene Rechnung eine Vertretung der deutschen Schmittschen Steinmehlfabrik in Harseheim».29 Bereits am 25. Oktober 1894, ein gutes Jahr nach Gründung ihrer Fabrik in Heimgarten, wandten sie sich an den Zürcher Kanton mit dem Anerbieten, die in dem Weinanbaugebiet am Zürichsee grassierende Reblauskrankheit mit dem Henselschen Steinmehl zu bekämpfen. Diese am 8. Dezember 1895 sowie am 17. September 1896 wiederholte Eingabe wurde jedoch jedesmal, zuletzt durchaus schroff und unter Infragestellung der Utermöhlenschen Kompetenz, zurückgewiesen.30

 1910 ließen die Gebrüder im ‹Handelsamtsblatt› ihr Wirkungsfeld um «Edelobst- und Beerenkulturen» sowie um die Fabrikation von «Büchsen-Spargeln» ergänzen.31 1910/11 hatten sie sich in einem markenrechtlichen Prozeß gegen eine Konkurrentin zu behaupten, die Konservenfabrik Lenzburg, vorm. Henckell & Roth, die die Utermöhlens wegen unzulässiger Nachahmung ihrer Glasformen und Etiketten verklagte.32 1913 wird aktenkundig, daß sie sommers Insassinnen des Heimgartener Mädchenasyls in ihren Kulturen beschäftigten.33 1920 verkauften Wilhelm und Karl, möglicherweise aus Geldnot, ca. viertausend Quadratmeter Ackerbodens an die Stadt Zürich, wofür sie 2.500 Franken erhielten.34 Am 9. Dezember 1931 erlosch die Firma aus ungenannten Gründen.35 – Ein Kuriosum aus späterer Zeit ist, daß Wilhelm Utermöhlen in einer Polizeiakte aus dem Jahre 1940 unter dem Rubrum ‹Spionage› auftaucht.36 Ob er als deutscher Reichsbürger (wofern er das überhaupt noch war und sich nicht längst schon naturalisiert hatte) im Kriege prinzipiell suspekt war oder ob es einen konkreteren Grund für das polizeiliche Interesse gab, läßt sich übers Internet leider nicht aufklären.

 Sofern und solange uns nicht noch Nachrichten von einer früheren Anwesenheit der Utermöhlens in der Schweiz in die Hände fallen, spricht die Gründung sowohl der Obstbaugenossenschaft als auch der brüderlichen Konservenfabrik im Jahre 1893 dafür, den Auswanderungszeitpunkt innerhalb der Zeitspanne 1890-93 anzusetzen.

 Noch später machte Familie Kürschner sich aus ihrer bergischen Heimat auf den Weg in die Schweiz. Sie bestand aus dem Musterzeichner Friedrich Kürschner (sen.),37 seiner Frau Alwine Evert38 und ihren drei Kindern Friedrich (*7.2.1866,39 †25.2.192540) – dem Vater unseres briefeschreibenden Friedels –, Maria und Helene (s.o.). Das Elberfelder Adreßbuch, in dem die Familie jahrzehntelang als Eigentümerin, Bewohnerin und Vermieterin zweier nebeneinanderliegender Häuser im sog. Westende verzeichnet war,41 registriert in seiner Ausgabe von 1898/99 den Verkauf beider Häuser, nennt aber den Haushaltsvorstand Friedrich Kürschner sen., und zwar bemerkenswerterweise zusammen mit seinen beiden Töchtern Maria (die demzufolge Handarbeitslehrerin war) und Helene (ohne Berufsangabe), noch als Bewohner.42 In der Adreßbuch-Ausgabe von 1900 taucht die Familie nicht mehr auf; zurück blieb lediglich, an anderer Adresse, die Witwe eines Bruders von Friedrich Kürschner sen.

 Mithin steht im Falle der Kürschners in aller wünschenswerten Eindeutigkeit fest, daß die Familie kurz vor der Jahrhundertwende ihre Zelte in Deutschland abgebrochen hat.

 Daß Friedels Vater Friedrich im Gegensatz zu seinen jüngeren Schwestern in der letzten Elberfelder Adreßbuch-Ausgabe nicht erscheint (so wenig wie in allen vorherigen), verwundert auf den ersten Blick, hatte er doch als Mann allemal größere Chancen auf Aufnahme43 und war mit zu diesem Zeitpunkt etwa dreiunddreißig Jahren gewiß auch längst berufstätig. Zwei mögliche Erklärungen gibt es: entweder wohnte er nach wie vor bei seinen Eltern, stand also noch keinem eigenen Haushalte vor und kam deshalb gemäß den Adreßbuchkriterien für einen Eintrag nicht in Betracht – was freilich die Verzeichnung seiner in dieser Hinsicht ja nicht anders gestellten Schwestern noch umso denkwürdiger macht –, oder er lebte zu dieser Zeit gar nicht mehr in Elberfeld, war eventuell der Familie in die Schweiz vorausgegangen, ja stiftete sie womöglich durch begeisterte Berichte aus dem – zunächst vielleicht nur als Ziel seiner Lehr- und Wanderjahre gedachten – Land zu ihrer Auswanderung überhaupt erst an. Die im weiteren hier ausgebreiteten Funde zu seiner Person legen nahe, ihn im Sinne der zweiten Möglichkeit als ‘Vorhut’ anzusehen.

  Laut Johanna Carolina Bernhard (1886-1971), einer aus Heilbronn gebürtigen seinerzeitigen Mit-Heimgartenerin, kamen jedenfalls die Kürschners mit ihren drei Kindern Friedrich, Maria und Helene erst «[s]päter» nach Heimgarten, wo ihnen «das weisse Haus am Wald» gehörte.44 Worauf die Angabe «später» sich bezieht, ob auf das Gründungsjahr der Genossenschaft – also ‘später als 1893’ meint – oder auf Bernhards eigenen Zuzug zwei Jahre danach, bleibt im Kontext völlig unklar, muß uns aber dank der erlangten eindeutigen Adreßbuch-Auskunft kein weiteres Kopfzerbrechen bereiten. Es ist auch unwahrscheinlich, daß Kürschners sich nach ihrem Fortzug aus Elberfeld um 1899 noch länger anderswo verweilt hätten, bevor sie in Heimgarten neue Wurzeln schlugen, entnehmen wir doch einem in der Stammliste Utermöhlen angebrachten handschriftlichen Nachtrag Fritz Barnstorfs, daß Helene Kürschner und Wilhelm Utermöhlen am 15.3.1900 in Heimgarten Hochzeit feierten (und ein wenig Zeit für Umzug, Reise, Niederlassung und fürs Kennenlernen muß man davorsetzen). Am 6.5.1901 wurde ihnen dortselbst ein Sohn geboren, Wilhelm, der schon am 4.1.1902 verstarb.45 – Einiges spricht dafür, auch die zweite eheliche Verbindung zwischen den beiden Familien, jene von Helenes Schwester Maria mit Wilhelms Bruder Karl – die in der Stammliste nicht datiert ist – in das Jahr 1900 zu legen (vielleicht sogar Doppelhochzeit? – der 15. März war Marias Geburtstag) und die ebensowenig datierte Geburt dieser beider ersten Kindes, der Tochter Erika, im darauffolgenden Jahr, dem nämlichen der Geburt des frühverstorbenen Wilhelm, anzusetzen. Für Maria, vier Jahre älter als ihre Schwester und am 15.3.1900 genau einunddreißig Jahre alt, und Karl, seinem Bruder sogar um fast zehn Jahre voraus, kann sich die Frage der Familiengründung jedenfalls kaum weniger dringlich gestellt haben als für das jüngere Paar. Von ihrer Tochter Erika wiederum gewinnt man aus Friedels Briefen, worin sie gelegentlich auftaucht, den Eindruck, daß sie etwa gleichalt war wie ihre Braunschweiger Cousine Käthe und Vetter Friedel selbst – beide noch in den letzten Jahren des alten Jahrhunderts geboren – und daher nicht sehr viel später zur Welt gekommen sein kann.46

 Ebenfalls auf Johanna Carolina Bernhard geht die Information zurück, daß Friedels Vater Friedrich «eine Zeitlang in Brasilien und dann auch im Heimgarten» gelebt habe47 – wann, in welcher Reihenfolge und wie lange, muß vorderhand offenbleiben.

 Was wissen wir von Friedrich Kürschner jun.? Er war, wie sein Schwager Karl Utermöhlen und dessen Vater Georg vor ihrer Auswanderung, Lehrer von Beruf48 und blieb das auch zeit seines Lebens; er ging also nicht in die Landwirtschaft. Dieser ebenso polyglotte wie reisefreudige, den geistigen Strömungen seiner Zeit gegenüber aufgeschlossene Mann unterrichtete Stenographie, Sprachen (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch) und Handelskorrespondenz, wovon diverse Publikationen aus seiner Feder zeugen, deren Reihenfolge uns zudem einige Anhaltspunkte für seine Biographie an die Hand gibt.

 1889 erschien im Elberfelder Selbstverlag seine ‹Deutsche Kurzschrift: ein Beitrag zur Verallgemeinerung dieser Kunst und zur Schaffung einer einheitlichen deutschen Kurzschrift›; 1893 in Elberfeld und Zürich, gleichfalls Selbstverlag, seine ‹Deutsche Schnellkurzschrift›.49 Diese Angaben sprechen dafür, daß Friedrich Kürschner jun. im Jahre 1893, seiner Familie vorausgehend, den Wechsel von Elberfeld in die Schweiz vollzog, zunächst wohl nach Zürich. Im November desselben Jahres wurde er zusammen mit der prominenten Pazifistin und Feministin Bertha von Suttner (1843-1914) zum Ehrenmitglied der ‹Internationalen Correspondenz-Association› ernannt, welche Ehre man ihm zubilligte, «in seltenem Maasse verdient» zu haben, wie die Monatszeitschrift des ‹Akademischen Friedens-Vereins Zürich› einverständig berichtete.50 Die Internationale Correspondenz-Association (ICA) mit Sitz in Wien verfolgte den Zweck, Menschen, die aus «idealen» oder praktischen Gründen, zu denen auch der Fremdsprachenerwerb gerechnet wurde, mit anderen, ähnlich Interessierten in briefliche Verbindung zu treten wünschten, zusammenzubringen «und so auch Demjenigen, der nur über mässige Mittel und einen engen Bekanntenkreis verfügt, die Annehmlichkeiten internationaler Beziehungen […] zu bieten»:51 ein Verein, wie geschaffen für Friedrich Kürschner.

 Im Februar 1896 meldete die ‹Neue Zürcher Zeitung› seine regierungsamtliche Ernennung zum «Hauptlehrer an der neu errichteten Handelsabteilung der Kantonsschule» Aarau, wohin er, bis zu jenem Zeitpunkt «Institutslehrer in Genf», aus der französischen Schweiz wechselte.52 Hier war er im Vorjahr – am 7. Oktober 1895, sofern unsere archivalisch leider nicht absicherbaren Erkenntnisse zutreffen – in der kleinen, am Nordufer des Genfer Sees gelegenen Gemeinde Le Petit-Saconnex die Ehe mit der Waadterin Hélène Pasche eingegangen —: Friedels Mutter.

 Auf die Spur ihres Namens nebst einiger umrißhafter Daten zur Person brachte uns ein wundersamer Zufallsfund in der ‹Neuen Zürcher Zeitung› vom Februar 1904. Dort steht auf einer Anzeigenseite unter der unauffälligen Überschrift «Bekanntmachung» zu lesen: «Unterm 20. Januar 1904 haben die Eheleute Gottlob August Friedrich Kürschner, Handelslehrer von Elberfeld, und Helene Kürschner geb. Pasche, geschiedene Gilliard, beide wohnhaft Schmelzbergstraße 55 in Zürich V, einen Gütertrennungsvertrag abgeschlossen, wonach der Ehemann auf die Nutznießung und Verwaltung des Frauenvermögens verzichtet. Mit Beschluß vom 27. Januar 1904 hat das Bezirksgericht Zürich III. Abt. diesem Vertrage die Genehmigung erteilt, was hiemit öffentlich bekannt gemacht wird. Zürich, den 13. Februar 1904 […]».53

  Die Kombination der uns hierdurch so unverhofft zugefallenen drei Namen ‹Helene›, ‹Pasche› und ‹Gilliard› erbrachte in Verbindung mit ‹Kürschner› bei der Internet-Suche zwar nur einen einzigen, dafür aber erfreulich einschlägigen Treffer: Auf der französischen Genealogie-Seite ‹Geneanet› hat ein Privatmann den riesigen Stammbaum seines weitverzweigten französisch-schweizerisch-deutschen Geschlechts angelegt, wovon die westschweizer Familie Pasche einen beachtlichen Teil bildet. Neben Geburtsdatum und ‑ort der Hélène (*24.7.1867 in Denezy VD [Vaud/Waadt], †?) erhält man auch ein paar Angaben zu ihren Eltern,54 die demnach 1863 im russischen St. Petersburg geheiratet hatten – was auf eine diplomatische oder kaufmännische Tätigkeit des Mannes weisen könnte – und deren einziges Kind Hélène gewesen zu sein scheint. Ferner ist Hélènes erste Ehe mit dem Murtener Arthur David Gilliard (*1861, †?), geschlossen am 27.7.1888 und geschieden am 7.9.1893, sowie schließlich ihre zweite, 1895 mit Friedrich Kürschner eingegangene, verzeichnet. – Auch wenn die gesamte Darstellung bei Geneanet einen höchst peniblen und insofern belastbaren Eindruck macht, versteht es sich von selbst, daß wir in Anbetracht der digitalen Unzugänglichkeit der einschlägigen Zivilstandsakten, welche einzig beweiskräftig wären, und nicht zuletzt mit Blick auf unsere Erfahrungen mit anderen Familienforschungsseiten stets der Möglichkeit von Fehlern eingedenk sein müssen.55

 Warum das Ehepaar Kürschner Anfang 1904 und damit fast achteinhalb Jahre nach seiner Vermählung, Jahre auch nach der Geburt Friedels (die aufgrund der von ihm selbst gegebenen Hinweise in die Zeit um 1896/97 fiel; s.u.) und mutmaßlich seiner Geschwister, die Gütertrennung vereinbarte – ein Akt, den man konventionellerweise um den Zeitpunkt der Heirat herum ansetzen würde –, bleibt unklar. Möglicherweise ist ein weiter unten noch zu erörterndes Dokument, in dem die Gütertrennung ebenfalls Erwähnung findet, geeignet, ein Licht auf diese Frage zu werfen. In jedem Falle scheint die Regelung auf einen gewissen Wohlstand, zumindest aber die Abwesenheit von Armut bei der Ehefrau hinzuweisen.

 Leben und Entwicklung der neugegründeten Familie Kürschner liegen für uns weitgehend im Dunkeln: wieviele Kinder welchen Geschlechts ihr wann und wo geboren wurden, ob Friedel der Älteste war, ob Hélène, sei’s mit Kindern, sei’s ohne, ihrem Mann bei seinen Umzügen und Reisen jeweils folgte, z.B. bereits bei seiner oberwähnten, berufsbedingten Übersiedelung von Genf (einer Stadt, der er über die Jahre eine gewisse Anhänglichkeit bewahrt zu haben scheint)56 nach Aarau – das alles wissen wir nicht. Falls Friedel in Heimgarten zur Welt kam, wofür manches, aber nicht alles spricht (s.u.), hätte sein Vater diesen Ort noch vor seinen Elberfelder Angehörigen – und damit gewissermaßen für sie, die dann um die Jahrhundertwende dort ansässig wurden – entdeckt. Er selbst aber kann dort nicht dauerhaft gelebt haben.

 Den nächsten Hinweis auf Friedrich Kürschners Laufbahn gibt seine italienische Sprachlehre aus dem Jahre 1898 – sie reflektiert u.U. seine Vorbereitung bereits einer weiteren räumlichen Veränderung –, auf deren Titelblatt er als «Federico Kürschner, professore di lingue moderne e delle scienze commerciali, autore della tachistenografia universale» figuriert und deren Einleitung er mit «Federico Kürschner, Aarau (Svizzera)» unterzeichnet hat.57 Ebenfalls 1898 wurde er aktenkundig mit einer Anfrage an die Aargauische Schulbehörde betreffs seiner Weiterbeschäftigung als Lehrer der Handelsabteilung,58 mit einer Eingabe wegen «mangelhafter Vorbildung» der Schüler für seinen Schreibunterricht59 sowie mit einem Gesuch um Erhöhung seines Kredits für die Anschaffung einer Remington-Schreibmaschine60. Außerdem wurde ihm am 4. November 1898 die Bewilligung zum nebenberuflichen Unterricht im Kaufmännischen Verein erteilt.61 Daß er um sie eingekommen war, könnte, wie das Kreditgesuch, auf eine angespannte Finanzlage hinweisen – obgleich die Aargauischen Lehrer verhältnismäßig gut bezahlt waren, wie gelegentlichen Gehaltsvergleichen und ‑debatten in der ‹Schweizerischen Lehrerzeitung› jener Jahre zu entnehmen ist.

 1899 erschienen von Friedrich Kürschner ein Lehrwerk der englischen und eines der französischen Handelskorrespondenz, darin er als Professor, d.h. Lehrer, an der Aargauer Kantonsschule vorgestellt wird.62 Von Aarau aus griff er außerdem mit einem offenen Brief in die Debatte um die Verstaatlichung der großen privaten Schweizer Regionalbahnen ein.63 1899 erschienen, kam die Schrift für den Ausgang der schon im Februar 1898 abgehaltenen (und wie der Verfasser die Verstaatlichung gutheißenden) Volksabstimmung zu spät, zeigt aber jedenfalls Friedrich Kürschners wirtschaftliches und lokalpolitisches Engagement. Schließlich gibt ein 1900 von ihm publizierter Prospekt über ‹Die Gemeinsprache der Kulturvölker, lingua komun [sic] auf Grund der in allen Kultursprachen verbreiteten internationalen Wörter: Keine Kunstsprache, sondern internationale Natursprache! …› ebenfalls noch Aarau als Verlagsort an. Es handelt sich hierbei um ein durchaus im Zeitgeist liegendes Plädoyer (samt Grundriß, Probetexten und Wortliste) für eine möglichst unkünstliche, vielmehr aus dem vorhandenen Material der Hauptkultursprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch schöpfende Welt- als allgemeine Verkehrssprache – in der heutigen Terminologie um eine naturalistische Plansprache.64 Wegen ihrer Mehrsprachigkeit, außenpolitischen Neutralität und Offenheit für Minoritäten war die Schweiz schon lange ein «Eldorado für Plansprachen»,65 in dem Kürschner viel Anregung und Verständnis für seine Ideen erwarten durfte.

 Für das Jahr 1901 vermeldet die Erziehungsdirektion des Kantons Aargau seinen Rücktritt aus der Handelsabteilung der kantonalen Schule in Aarau66 – schon im Vorjahr war bei ihr eine «Klage von Prof. Kürschner gegen die Unterrichtsverteilung» eingegangen,67 worin ein Grund für den Rücktritt anklingen könnte –, und 1902 stellt ihn seine ‹Einführung in die englische Umgangs- und Geschäftssprache› als Professor (i.e. Lehrer) in Orselina-Locarno vor:68 Offenbar unterrichtete er inzwischen im Tessin – ja, mindestens von Frühjahr bis Dezember 1902 muß er sich mehrmals oder durchgehend auf dem (damals noch Monte Monescia geheißenen) Monte Verità aufgehalten haben,69 jener im Herbst 1900 gegründeten, nahezu schon sagenumwobenen Siedlung von Aussteigern, Lebensreformern, Sonnenanbetern, Theosophen, Vegetariern, Künstlern verschiedenster Profession und Konfession, Naturisten, Nudisten, Pazifisten, Anarchisten, Kommunisten, Spiritisten u.a.m., die so unterschiedliche Geister wie Else Lasker-Schüler, Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp, Hugo Ball, Alexej Jawlensky, André Gide, Marianne Werefkin, Paul Klee, Lou Albert-Lasard, Erich Mühsam, Gustav Landauer, Oskar Maria Graf, Karl Kautsky, Ernst Bloch, Erich Maria Remarque, Emmy Hennings, Franziska Gräfin zu Reventlow, Ernst Toller, Ellen Key, D. H. Lawrence, Martin Buber, Paul Tillich, Max Weber, Käthe und Max Kruse, Klabund, Otto Braun, Walter Gropius, James Joyce, den deutsch-argentinischen Volkswirtschaftler Silvio Gesell, Leo Trotzki, C. G. Jung, den Wiener Psychoanalytiker Otto Groß, den Tanzreformer Rudolf von Laban und die Ausdruckstänzerinnen Isadora Duncan und Mary Wigman anzog, um nur ein paar der bekanntesten zu nennen. Ida Hofmann (1864-1926), Mitbegründerin und Chronistin dieser seinerzeit aufsehenerregenden sozialutopischen, auf Gemeineigentum und egalitärer Selbstverwaltung beruhenden «vegetabilen Cooperative», nennt Kürschner «eine theoretisch hochgebildete echte Schulmeisternatur»,70 der indes den Vorstand der theosophischen Loge in Lugano, Günther Wagner, bei Gelegenheit eines von diesem am 3. Dezember 1902 gehaltenen Vortrags «in gehässigster Weise angegriffen» habe.71 Von noch größerem Interesse ist ihr Bericht über die im Sommer 1902 auf dem Monte Verità wogende Debatte der «Europamüden» über eine Ansiedlung in den Tropen, bei welcher Friedrich Kürschner «bald für Chile, bald für Mexico oder Brasilien» geworben habe.72 Ob die bei Johanna Carolina Bernhard erwähnte brasilianische Erfahrung zu diesem Zeitpunkt schon hinter ihm lag, geht aus der Schilderung nicht hervor, ist aber in Anbetracht seiner bis zu diesem Zeitpunkt relativ lückenlos nachweisbaren Schweizer Wohnorte, in Anbetracht auch seines Schwankens in der Debatte zwischen besagten drei Ländern nicht sehr wahrscheinlich und wäre einschlagenden Falles von Ida Hofmann in diesem Zusammenhang wohl auch erwähnt worden.73 Ganz ausgeschlossen werden kann es aber nicht, daß Kürschner Brasilien, ja alle drei Länder bereits besucht hatte und gerade aufgrund dieses Erlebnisses für sie warb. Über allfällige Portugiesisch-Kenntnisse seinerseits ist den Quellen zwar nichts zu entnehmen, doch daß er Spanisch gelernt und gelehrt hat – die Sprache, die ihm bei seiner durch Friedels Korrespondenz dokumentierten Auswanderung nach Peru dereinst dienlich sein würde –, teilt uns eine Notiz im ‹Amtlichen Schulblatt des Kantons Zürich› von 1906 mit, der zufolge er im Sommerhalbjahr 1906 «Hülfslehrer» an der kantonalen Handelsschule für «Handelsfächer und Spanisch» war.74 (Seine Bewerbung auf eine volle Stelle an der Handelsschule war Anfang des Jahres gescheitert.75) Die Aneignung einer weiteren romanischen Sprache zumindest in konversationellen Grundzügen dürfte für den sprachbegabten Mann kein Hindernis dargestellt haben.

 Bis 1910 oder 1913 fehlen uns dann weitere Publikations‑Nachrichten von Friedrich Kürschner. 1910 könnte von ihm das französische Gegenstück zu seiner obgenannten ‹Englischen Umgangs- und Geschäftssprache› herausgekommen sein, doch bleibt das ungewiß, da die Angaben zum Erscheinungsjahr dieses Titels erstaunlich divergieren.76 Womöglich fällt in diese publikationslose Spanne sein Brasilien-Aufenthalt – sofern ein solcher denn stattgefunden hat. Außer den erwähnten vagen Zeugnissen der Johanna Carolina Bernhard und der Ida Hofmann verfügen wir nur über einen einzigen Hinweis, welcher Friedrich Kürschner mit jenem Land in eine Verbindung bringt, und das ist Friedels Mitteilung vom August 1925, seine Mutter (also Hélène Pasche) lebe seit mehr als zehn Jahren – seit mindestens 1915 demnach – von der Familie getrennt, und zwar in Brasilien.77 Wie es dazu kam, gehört zu den ungelösten Rätseln um Friedel und seine Familie.

 Daß indes Friedels Vater sogar schon vor 1910 Südamerika – in- oder exklusive Brasiliens – bereist haben könnte, deutet ein Rechtsstreit an, in den er 1906-1907 mit dem Gemeinderat von Zollikon geriet und der auch noch ein, zwei weitere interessante Details aus dem Leben der Kürschners ans Tageslicht befördert.78 Demnach bezog «der Handels- und Sprachlehrer Friedrich Kürschner als deutscher Reichsangehöriger79» am 1. April 1904 «mit seiner Familie eine Wohnung in Zollikon», einer zu diesem Zeitpunkt noch vorwiegend vom Wein- und Obstanbau geprägten Gemeinde im Kanton Zürich am nordöstlichen Ufer des Zürichsees, unweit der Wohnung Schmelzbergstraße, die in der Bekanntmachung der Gütertrennung vom Februar 1904 noch als Adresse genannt wird. Am 25. August 1904 erhielt Kürschner «die verlangte Entlassung aus dem deutschen Staatsverbande, wodurch er mit den Seinen heimatlos wurde». Dank einer «Realkaution», d.h. einer Sachsicherheit, wurde der Familie vorerst der weitere Aufenthalt in Zollikon bewilligt, doch entstanden offenbar Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Bewilligung sich auch auf Friedrich Kürschner selbst oder nur auf seine Familie erstrecke. Genau zwei Jahre nach seiner Aufgabe der deutschen Staatsbürgerschaft verlangte der Zollikoner Gemeinderat von Kürschner, «bis Ende 1906 vollgültige Ausweispapiere zu deponieren oder die Gemeinde zu verlassen. Dem Begehren, ihm ein Zeugnis über ununterbrochenen zweijährigen Aufenthalt in Zollikon auszustellen, entsprach der Gemeinderat nicht». Friedrich Kürschners daraufhin beim Bezirksrat Zürich80 eingelegte Beschwerde wurde abgewiesen, die Wohnung in Zollikon auf Ende März 1907 gekündigt. Kürschner zog nach Zürich um (wo er bereits im Sommersemester 1906 als Hülfslehrer tätig war, s.o.) und ging vor den dortigen «untern Instanzen» in Berufung («Rekurs»). In seiner «weitläufigen Rekursschrift» trug er folgendes vor: Der Zollikoner Gemeinderat selbst habe ihm die Niederlassung auf Kaution angeboten; durch ihre Gestellung sei zwischen den beiden Parteien ein «politischer Vertrag»81 zustande gekommen, der nicht einseitig ohne Grund aufgekündigt werden könne. Zwar sei er, Friedrich Kürschner, «wiederholt längere Zeit auf Reisen» gewesen, doch habe er mehrfach der Behörde gegenüber «seinen Willen kund gegeben, das Domizil in Zollikon beizubehalten, weil er beabsichtigt habe, sich in der Schweiz einzubürgern. Er sei auch regelmäßig zu den Steuern herbeigezogen worden», weshalb man ihm das Aufenthaltszeugnis nicht verweigern dürfe. – Die Gegenseite wies die Annahme eines Vertrages zurück. Sie wollte die Kaution nicht als rechtsanspruchsbegründend, sondern als «quasi-prekaristisch[]» verstanden wissen – d.h.: im Sinne des Prekariums, der sog. Bittleihe, wobei eine leihweise überlassene Sache oder ein eingeräumtes Recht jederzeit zurückgefordert bzw. widerrufen werden kann – und merkte an, «daß andauerndes Fernbleiben vom Wohnorte, z.B. anläßlich einer Reise um die Erde, eine Unterbrechung des Aufenthaltes bedeute». Außerdem seien «die in Gütertrennung lebenden Eheleute Kürschner» je für sich nur für die Zeiten ihrer jeweiligen Anwesenheit in Zollikon besteuert worden, «das Vermögen der Ehefrau ebenfalls für so lange, als sie in der Gemeinde gewesen». Der ursprünglichen Frage, ob Kaution und Niederlassungsbewilligung auch für Friedrich Kürschner oder nur für seine Familie gegolten hätten, brauche deshalb nicht weiter nachgegangen zu werden. Deduktion und Resümee der Gegenpartei lauteten: Nach geltendem Recht habe «sich der ausländische Bürgerrechtsbewerber, welcher nicht in der Schweiz geboren ist, über mindestens zweijährigen Aufenthalt im Kanton Zürich auszuweisen. Nun kann unstreitig der Aufenthalt des Rekurrenten in überseeischen Gegenden nicht als Aufenthalt im Kanton Zürich angesehen werden. Der Gemeinderat mußte demnach das verlangte Zeugnis verweigern». Dem schloß sich der für Justiz und Polizei und somit in dieser Auseinandersetzung zuständige Regierungsrat an. Friedrich Kürschners Beschwerde wurde endgültig abgewiesen, die Kosten des Verfahrens hatte er zu tragen.

 Die Darstellung wirft mehrere Fragen auf, nicht zuletzt für die juristische Laiin, die sich bereits darüber wundert, daß in einer solchen Rechtsakte der Beschwerdeführer nicht wenigstens mit Geburtsdatum und ‑ort und/oder aktueller Wohnadresse identifiziert wird. Auch sonst ist das Dokument kein Muster an Sprach- und Sachklarheit. Was bedeutet «heimatlos»: ‹staatenlos›, wie der Zusammenhang mit der Ablegung der deutschen Staatsbürgerschaft suggeriert, oder meint es im engeren Sinne des komplexen Schweizer Bürgerrechtes den Verlust des sog. Heimat- oder Bürgerortes, d.h. der politischen Gemeinde, über die man das (Staats‑)Bürgerrecht erwirbt?82 Wie hinge ggf. letzteres mit der Aufgabe der deutschen Staatsangehörigkeit zusammen? Warum erstreckt sich der Zustand der ‘Heimatlosigkeit’ auf Kürschners Angehörige, wenn anscheinend nur er selbst die deutsche Nationalität abgelegt hatte? – Letzterer Frage läßt sich glücklicherweise mit einem Blick in das zu diesem Zeitpunkt in Deutschland geltende ‹Gesetz über den Erwerb und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit› vom 1. Juni 1870 beikommen, das am 1. Januar 1871 in Kraft trat:83 Ihm zufolge erstreckte sich die Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit, sofern keine entsprechende Ausnahme beantragt wurde, tatsächlich regulär «zugleich auf die Ehefrau und die noch unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder» (§ 19). Warum aber wurde im Zollikoner Rechtsstreit andererseits beim Aufenthaltsrecht zwischen Kürschner und «den Seinen» differenziert, eben in der Weise, daß nur bei ihm dieses Recht in Frage stand?

 Deutlich wird immerhin, daß Friedels Vater in den zwei Jahren seines Zollikoner Wohnortes mehrfach («wiederholt» und «für längere Zeit») nach Übersee gereist war und damit gegen die – offenbar sehr eng ausgelegte – zweijährige Residenzpflicht, ihrerseits Voraussetzung für den Erwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft, verstoßen hatte. (Auch wenn in den deshalb gegen ihn erhobenen Vorwürfen von «einer Reise um die Erde» die Rede ist, dürfen wir aufgrund des uns vorliegenden Materials bis auf weiteres getrost davon ausgehen, daß Kürschners Ziele sich auf Südamerika beschränkten und die Erdumrundung einer leicht polemisch gestimmten Phantasie entsprang.) Auch seine Frau kann nicht ununterbrochen in Zollikon gelebt haben, wie sich umstandslos aus dem Argument der Gemeinde ergibt, auch sie sei nur für die Zeiten ihrer dortigen Anwesenheit zur Steuer herangezogen worden. Doch warum wird sie dann mit den Kindern aus der Bestreitung des Rechts zum Aufenthalt in Zollikon ausgenommen? Warum ist die Ansiedlung in Zollikon ein Problem, die in der im selben Kanton liegenden Stadt Zürich hingegen, wohin die Familie dann umzog, offenbar nicht? Gern wüßte man auch, ob die Zeiten der Abwesenheit Kürschners mit denen seiner Frau sich deckten, ob er also überwiegend allein oder in Begleitung seiner Frau und eventuell sogar der Kinder reiste: zum einen, um die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Aufenthaltsstatus zu durchdringen, zum anderen, weil es für die Familiengeschichte in verschiedener Hinsicht von Belang wäre zu wissen, ob Hélène Kürschner in denselben «überseeischen Gegenden» wie ihr Mann unterwegs war – namentlich Brasilien wäre von Interesse – oder vielleicht nur gelegentlich nach Heimgarten, nach Hause in die Waadt, nach Frankreich oder Deutschland fuhr. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob es Friedrich Kürschner im Laufe der folgenden Jahre doch noch vergönnt war, sich in der Schweiz einzubürgern, und ob, oder besser: wann er die deutsche Nationalität wieder annahm; denn Friedels Bericht über die bürokratischen Hürden der Auswanderung liest sich so, als wäre er selbst der einzige Schweizer in der kleinen Gruppe der Perufahrer.84 Das o.a. Bundeszugehörigkeitsgesetz von 1870 sah die Unwirksamkeit der Entlassung aus der Staatsangehörigkeit vor, wenn nicht binnen sechs Monaten eine andere Staatsangehörigkeit erworben wurde (§ 18). Als Angehöriger des Norddeutschen Bundes (wozu Elberfeld zählte) verlor man zwar nach zehnjährigem ununterbrochenem Aufenthalt im Ausland – eine Kondition, die ab 1903/04 auf Friedrich Kürschner zugetroffen haben dürfte – grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 21), doch konnte man sie auf Antrag wiedererlangen: entweder von seinem «Heimathsstaate» und auch ohne sich dort neuerlich niederzulassen, oder, bei Rückkehr auf das Gebiet des Norddeutschen Bundes, von jenem Bundesstaat, in dem man Wohnung nahm (§ 21 Abs. 4f.). Analoges sah das ‹Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz› von 1913 vor (§§ 13. 31), welches das 1870er Gesetz ablöste, am 1. Januar 1914 rechtskräftig wurde und bis 1934 galt.85 Zumindest in den ersten zwei Jahren nach seiner Entlassung aus dem Deutschen Staatenbund kann Kürschner einen solchen Antrag nicht, oder zumindest nicht mit Erfolg, gestellt haben, wie man aus der Nicht-Erfüllung der Zollikoner Forderung nach Vorlage «vollgültige[r] Ausweispapiere» bis Ende 1906 schließen muß.

 Im Kontext der zum Zeitpunkt des Rechtsstreits um 1906/07 offenbar hinter ihm liegenden großen Reisen Friedrich Kürschners läßt sich die weiter oben aufgeworfene Frage, warum der Stand der Gütertrennung erst gute acht Jahre nach Eheschließung vereinbart wurde, versuchsweise dahingehend beantworten, daß 1904 diese Reisen womöglich unmittelbar bevorstanden und angesichts der mit ihnen verbundenen Unwägbarkeiten und Gefahren Kürschners Frau und Kinder von seinem Schicksal unabhängig gestellt werden sollten. Vielleicht ging es auch pragmatischer nur darum, die vorhersehbaren Schwierigkeiten einer Kommunikation über den Atlantik hinweg zu vermeiden, wie sie für – bei Gütergemeinschaft dem Manne ja obliegenden – Dispositionen über das Vermögen der Frau jederzeit notwendig werden konnte. Freilich scheint diese Überlegung zu implizieren, daß Friedrich Kürschner allein reiste: womit die Frage virulent bliebe, wie seine Frau je mit ihrem späteren Wohnort Brasilien in Berührung gekommen sein könnte? Vielleicht liegt die Antwort in einer Erwägung beschlossen, die anzustellen wir weiter oben Anlaß fanden, nämlich daß Monsieur Pasche einen diplomatischen oder kaufmännischen Beruf ausgeübt haben könnte: dieser könnte ihn u.a. in brasilianische Gefilde geführt haben, so daß Hélène das Land bereits als Kind kennen- und lieben gelernt – ja, spinnt man diesen Gedanken einmal fort, vermittelst lebhafter Schilderungen davon überhaupt den Grund zu ihres Mannes Faszination gelegt hätte. – Allemal kann man nicht umhin, in der Vereinbarung dieses Güterstandes, ebenso wie ggf. in der Neigung Friedrich Kürschners zu ausschweifenden Expeditionen fernab der Familie, den Ausdruck einer gewissen, womöglich von vornherein bestehenden Distanz oder, vorsichtiger bis zur Grenze des Nichtssagenden ausgedrückt, den Vorschein der späteren räumlichen Separierung der Eheleute zu sehen.

 Andererseit kann man mit Blick auf die weiter oben angeführten Indizien für eine eher unkomfortable wirtschaftliche Lage Kürschners – Kreditantrag für eine Schreibmaschine, Zusatzverdienst durch nebenberufliche Arbeit, prekäre Anstellung, Vertragsverlängerung nur jeweils für zwei Jahre – der sich aufdrängenden Frage, wovon der «Hülfslehrer» die Kosten für seine Fernreisen bestritten haben mochte, eigentlich nur durch Rekurs wiederum auf das Vermögen seiner Frau beikommen, die vielleicht doch einen Teil davon noch vor der Gütertrennung den (familiären oder auch nur ehemännlichen) Reiseprojekten zugedacht haben könnte.

 Spätestens ab 1913 scheint Friedrich Kürschner sich dem Heimgarten wieder angenähert zu haben, wo seine wohl bekannteste Schrift, die ‹Deutsche Schnellkurzschrift – Tachystenographie›, erschien,86 die von einem ähnlich reformerischen Vereinfachungs- und Einigungsstreben zeugt wie seine oberwähnten Bemühungen um eine Gemeinsprache oder «lingua komun». Auch im Frühjahr 1915 hielt er sich wohl noch in der Heimgartener Gegend auf.87

  Irgendwann in dieser Zeit muß, pace Friedel (s.o.), die Trennung von Hélène und anschließend, mutmaßlich nach Kriegsende, die Rückkehr nach Deutschland erfolgt sein, vielleicht im Zuge der brieflich erwähnten zweiten Eheschließung,88 und zwar nach Ulm,89 möglicherweise Heimatstadt der zweiten Frau. Von Ulm aus, wo er wieder als Lehrer arbeitete,90 emigrierte Friedrich Kürschner mit seiner neuen Familie91 sowie mit Sohn Friedel aus erster Ehe Ende 1923 nach Peru.92 Ein gutes Jahr später, am 25. Februar 1925, verstarb er in der nordwestperuanischen Küstenstadt Chiclayo,93 wo er eine Schule hatte eröffnen wollen, an einer Krankheit. Seine zweite Frau kehrte mit ihren Kindern nach Deutschland zurück, Friedel aber blieb in Peru und schrieb von dort aus weiter getreulich, wenn auch in mitunter sehr großen Zeitabständen, seine Briefe an Cousine Käthe, der er sich, wie immer wieder deutlich wird, verbunden fühlte, die, in einer seiner wiederkehrenden Formulierungen, «zu gut», unverdient gut zu ihm war,94 die ihm «im Denken nahe» stand,95 deren «Art» er «so gern» hatte,96 deren Zeilen ihm «das Liebste» waren,97 der er dankbar war, «daß Du immer so an mich denkst und mitlebst»98.

 Ja, er schrieb Briefe, aber anders als sein Vater keine Bücher. Deshalb beschränkt sich unser Wissen über Friedel zum einen auf den geographischen und geistigen Hintergrund, den die (aus ebendiesem Grunde so detailfreudig hier ausgebreiteten) Anhaltspunkte zur Vita seines Vaters liefern, zum anderen auf seine brieflichen Selbstmitteilungen: die, wie es in der Natur der Sache liegt, da er an eine Verwandte, mit seiner Welt Vertraute schrieb, dem Außenstehenden oft ungenügend, bisweilen unverständlich sind – allzu sparsam in der Anbringung, allzu begrenzt im Umfang, vielfach nur kurz anreißend, undeutlich und ungenau: denn überdies war das väterliche Sprach- und Schreibtalent dem Sohne nicht zuteil geworden, im Gegensatz zum zeichnerischen seines Großvaters, des Textil-Dessinateurs. So bleiben trotz der großen Briefanzahl erkleckliche Leerstellen und offene Fragen.

 Klar wird immerhin, daß Friedel spätestens mit Anbruch des Ersten Weltkriegs einen Schweizer Paß hatte, denn er trug die Uniform der Schweizerischen Armee,99 und in der Nachkriegszeit wurde er ungeachtet seines Umzugs nach Deutschland zu Wehrübungen in die Schweiz einberufen.100 Seine Diktion zeigt zudem unverkennbar alemannisch-helvetischen Einschlag. Auch andere Punkte weisen auf die Schweizer Nationalität hin, insbesondere, daß Friedel stets das Schweizer Konsulat in Lima als Referenzadresse nennt.101 Wann und wie er sich naturalisiert hatte, nachdem er, der ja zu «den Seinen» seines Vaters gehörte, zusammen mit diesem laut obiger Akte im Jahre 1904 «heimatlos» geworden war, das wissen wir freilich nicht zu beantworten, und zwar unabhängig davon, in welchem Sinne der Begriff dort zu nehmen ist. Auch wenn er nicht sagen wollte, daß die Familie in toto einer Staatszugehörigkeit, sondern lediglich, daß sie eines Schweizer ‘Heimatortes’ entbehrte, konnte Friedel schlechterdings kein Schweizer von Geburt sein. Denn in der Schweiz galt und gilt das Ius sanguinis, wonach Abstammung und nicht Geburtsort über die Nationalität entscheiden, und der in der patriarchalen Rechtsordnung für das ‘sanguis’ maßgebliche Vater war zum Zeitpunkt von Friedels Geburt Deutscher. Die Mutter als gebürtige Schweizerin aber hatte nach damaligem Recht durch ihre Heirat mit einem Ausländer ihr eigenes Bürgerrecht sogar verloren,102 hätte dieses also (anders als nach heutigem Schweizer Bürgerrechtsgesetz) a fortiori auch nicht an ihren Nachwuchs weitergeben können. Höchstwahrscheinlich wurde Friedel daher erst im Laufe seiner Jugend Schweizer, indem er anders als sein Vater durch längere Seßhaftigkeit die Bedingungen dafür erfüllte. Daß Heimgarten sein ‘Heimatort’, also die sein Schweizer Bürgerrecht begründende Gemeinde geworden sein könnte – bzw., um genau zu sein, Bülach als der übergeordnete Bezirk –, darauf könnte ein maschinenschriftlicher Nachtrag von 1936 zum Bülacher ‹Familienregister› für 1863 bis 1901 weisen. Während weder Utermöhlens noch Kürschners mit irgendeinem Heimgartener Familienereignis hier Aufnahme gefunden haben – wohl weil sie in diesem Zeitraum kein ‘Heimatrecht’ in der Gemeinde erwarben –, hält der Nachtrag des Bülacher Zivilstandsamtes für das erste Quartal 1936 unter dem Titel «Trauungen ausserhalb der Gemeinde» Friedels Heirat am 1. Juni 1935 in Arequipa, Peru, fest!103 Daß dieses Ereignis, mit dem Begriff der Außergemeindlichkeit versehen, der Registrierung wert schien, läßt sich eigentlich nur so verstehen, daß man Friedel als Gemeindemitglied betrachtete. Ebenso liest sich eine Zeitungsnotiz über militärische Beförderungen nach dem Ersten Weltkrieg, in der Friedel als «Kürschner Friedrich von und in Bülach» erscheint:104 «von» ist die Schweizerische Herkunftspräposition für in Deutschland übliches «aus».

 Die Einziehung in den Krieg Anfang 1917 sprach zunächst dafür, Friedels Geburtsjahr tentativ um 1895 anzusetzen, da zwischen 1907 und 1949 das Konskriptionsalter in der Schweiz bei 22 Jahren lag. Im Winter 1916/17 sah das Land sich jedoch unvermittelt mit einem großen Bedarf an Soldaten konfrontiert105 und zog deshalb möglicherweise auch Jüngere ein – oder Friedel hat sich aufgrund einer wohl vorhandenen Sympathie für das Militär106 freiwillig früher gemeldet. Jedenfalls weisen seine eigenen Angaben nicht auf 1895, sondern an einer Stelle auf 1896107, an anderer dann überraschend auf 1897108; allein der 11. Mai als Geburtstag ergibt sich aus seinen Angaben eindeutig109. Erst die Trauungsnotiz im Bülacher Familienregister schafft Gewißheit: «Kürschner, Friedrich, geb. 11. Mai 1897».110

 Über seine Kindheit wissen wir so gut wie nichts. Er muß sie wenigstens zum Teil in Heimgarten verbracht haben, spricht er doch einmal davon, mit diesem Flecken «verwachsen» zu sein,111 und geht es doch auch gelegentlich darum, von Peru aus dorthin «zurück zu kehren», «zurück [zu] kommen» [beides sic].112 Da sein Geburtsjahr in seines Vaters Aargauer Zeit fällt, zu der die Elberfelder überdies noch nicht den Heimgarten verwandtschaftlich belebten, ist Aarau als Geburtsort wahrscheinlicher. Und auch wenn wir weiter oben in Betracht zogen, daß Friedels Vater seine transatlantischen Exkursionen als Vagabund allein absolviert haben könnte, bleibt es denkbar und möglich, daß nicht nur das Ehepaar Kürschner, sondern die ganze Familie wenigstens hin und wieder gemeinsam reiste, vielleicht eben auch nach Südamerika.113 Das könnte die – den Leser verwundernde – relative Selbstverständlichkeit erklären helfen, mit welcher Friedel die spätere Auswanderung nach Peru betrieb, sein geringes Erstaunen über die Reiseeindrücke auf der Überfahrt und das Ausbleiben jeglicher Erwähnung der Notwendigkeit oder gar Mühe des Spanischlernens. Letzteres könnte sich natürlich dem Wirken seines Vaters verdanken, der, wie aus fast all seinen Schriften hervorgeht, unablässig auf Methoden der Vereinfachung des Spracherwerbs sann. Vielleicht hatte daher Friedel schon als Kind von ihm das Spanische erlernt, ob unterwegs oder in der Schweiz.

 Was Friedels Schicksal ab seiner ersten uns überlieferten Wortmeldung aus dem Februar 1917 angeht, so sei es ihm selbst überlassen, uns sein Leben in Briefen zu erzählen; wir wollen ihm hier nicht vorgreifen. Im weiteren seien lediglich noch die beiden wichtigsten nach wie vor ungeklärten Fragen zu seiner Familie und Biographie genannt.

 Friedel erwähnt Geschwister, die in Heimgarten zurückblieben,114 und explizit eine Schwester115 – um wen es sich dabei handelte, wieviele sie zu Hause waren, wieviele davon Schwestern, wieviel Brüder, sagt er nicht. Etliche der bei ihm auftauchenden Namen kämen in Frage, der Punkt bleibt aber letztlich der Spekulation überlassen.116

 War lange Zeit seine für uns namen- und herkunftslose Mutter die größte Unbekannte in Friedels Leben, so bleibt auch nach Aufklärung ihrer formalen Identität weiterhin ungewiß, wann, warum und wie sie nach Brasilien kam. Hielt sie sich seit der 1925 «schon über 10 Jahre» zurückliegenden Trennung von ihrem Mann117 oder erst seit kürzerer Zeit dort auf? Könnte der Erste Weltkrieg eine Rolle gespielt haben, indem eine um seinen Beginn herum unternommene Brasilien-Tour für Hélène Kürschner, wie für so viele andere Menschen damals eine arglos angetretene Reise (man denke nur an den unglücklichen Rilke), zur unfreiwilligen Aussperrung aus der Heimat, das fremde Land gewissermaßen zur Falle wurde? Zwar übte nicht das bis Oktober 1917 neutrale Brasilien, wohl aber die neutrale Schweiz mit Kriegsausbruch eine strenge Kontrolle über Einreise und Aufenthalt von Ausländern: Eine Deutsche – die sie war, sofern ihr Mann sich nicht zwischen 1907 und 1914 doch noch helvetisiert hätte –, dazu womöglich bereits geschieden, jedenfalls alleinreisend, wäre wohl nicht mehr eingelassen worden. Gezwungen, sich mit der Situation zu arrangieren, hätte Hélène Kürschner in Brasilien Fuß gefaßt (was ihr im Falle einer teilweise dort zugebrachten Kindheit vielleicht nicht einmal schwergefallen wäre), wäre eventuell sogar eine neue Bindung eingegangen oder von ihrem Mann über eine seinerseitig neue Verbandelung unterrichtet worden und hätte beschlossen zu bleiben, bis über den Krieg hinaus, in dem Bewußtsein, daß ihre Kinder mittlerweile schon mindestens halbwüchsig waren und in Heimgarten von den deutschen Verwandten versorgt wurden. Vorstellbar ist aber auch, daß das Ehepaar Kürschner noch vor dem Krieg, etwa um 1913, Südamerika gemeinsam besucht und bereits hierbei sich entzweit und getrennt hätte, so daß Hélène gar nicht mehr nach Europa zurückgekehrt — oder aber daß sie, u.U. erst Jahre später, durch irgendeine Erinnerung oder Anregung persönlicher oder ideeller Art – auch in Brasilien gab es z.B. lebensreformerische Siedlungsgründungen verschiedenster Couleur, etwa das von Ida Hofmann dort in den frühen zwanziger Jahren noch mitgegründete Projekt Monte Sol118 – zur Übersiedelung in die Neue Welt bewegt worden wäre. Auch hier muß also alles Spekulation bleiben, wobei der Gegenstand derselben hauptsächlich in die Alternative zerfällt: ob Brasilien Ursache oder Folge des Auseinandergehens von Friedels Eltern gewesen sei? – Reizvoll wäre es zudem, Näheres über Wohnort und Leben Hélènes in Brasilien zu erfahren.

Käthe Utermöhlen (*4.1.1896, †5.9.1983) indessen, Friedels Korrespondentin, war die älteste Tochter Hermann Utermöhlens (*14.2.1868, †8.11.1920), eines Bruders von Ida, Minna, Karl und Wilhelm (s.o.), der im Gegensatz zu diesen der familiären Braunschweiger Herkunftsgegend treu geblieben war. Seit 1894/5 wirkte er als Lehrer im niedersächsischen Weferlingen, einem (1974 nach Dettum eingemeindeten) Dorf im Landkreis Wolfenbüttel, wo er mit seiner Frau Marie, geb. Ziese (*22.9.1871, †8.3.1942), und den gemeinsamen vier Kindern Käthe, Hans (*28.8.1898, †17.10.1960), Wilhelm (*2.1.1901, †6.4.1967) und Lisa (*19.1.1903, †9.4.2003) im großen Schulhaus des Ortes auch lebte.119

 Nach dem Besuch der angesehenen Wolfenbütteler ‹Schloßanstalt› (bis Januar 1913), einem im ehemaligen herzoglichen Residenzschloß untergebrachten Lyzeum,120 wechselte Käthe auf die ‹Höhere Handelslehranstalt für Damen zu Braunschweig›,121 die sie Ostern 1914 mit hervorragendem Abschlußzeugnis verließ. In den Pflichtfächern «Buchführung und Betriebslehre», «Deutsch und Korrespondenz», «Rechnen mit besonderer Berücksichtigung der kaufmännischen Praxis», «Wirtschaftsgeographie», «Warenkunde», «Volkswirtschaftslehre», «Schreiben» und «Maschinenschreiben» erhielt sie die Höchstnote «Sehr gut», in den übrigen Pflichtfächern «Allgemeine Rechtskunde», «Stenographie (120 Silben)» und «Rundschrift» sowie in den wahlfreien Fächern Englisch und Französisch jeweils «Gut». Ihr «Verhalten im allgemeinen» wird hoch gelobt: Sie «erwarb sich durch ihren großen Fleiß, ihr ernstes Streben u. ihr mustergültiges Verhalten die besondere Anerkennung aller ihrer Lehrer». Das nüchterne Gesamturteil, beurkundet am 26. März 1914 durch die ‹Handelskammer für das Herzogtum Braunschweig, Abteilung für das kaufmännische Unterrichtswesen›, lautet: «Frl. U. eignet sich zur Stenotypistin u. für fremdsprachliche Korrespondenz».

 Auf diesen und den damit verbundenen kaufmännischen Gebieten – auf den nämlichen Gebieten wie Friedrich Kürschner mithin! – arbeitete Käthe dann ein ganzes Berufsleben lang. Im unmittelbaren Anschluß an die Schule, am 2. März 1914, übernahm sie eine Stellung als Kontoristin, Stenotypistin und Buchhalterin in der Verlagsbuchhandlung Georg Westermann zu Braunschweig. Laut Arbeitszeugnis vom 14. Juli 1917, als sie die Firma auf eigenen Wunsch verließ, hat sie ihre Tätigkeit zur «vollsten Zufriedenheit und mit grosser Gewissenhaftigkeit» ausgeübt und war ihrem Brotgeber «stets bei immer freundlichem und artigem Wesen ein angenehmer Mitarbeiter».

 Am 1. Januar 1918 wechselte sie zum Kauscher Werk Knobbe, einem in Neu-Petershain in der Niederlausitz und damit im Ost-Cottbusser Bergrevier ansässigen Braunkohlebergwerk mit Brikettfabrik, wo sie als «kaufmännische Beamtin» buchhalterischen und statistischen Aufgaben oblag, bis sie im September 1921 aus laut Arbeitszeugnis «familiären Gründen» ausschied, wohl um nach dem Tode ihres Vaters im November 1920 wieder näher bei der Mutter in Weferlingen zu sein. Das Zeugnis attestiert ihr «einen regen Fleiss und intensives Geschäftsinteresse», womit sie ihre Vorgesetzten «jederzeit aufs äusserste zufrieden gestellt» habe; mit ausdrücklichem Bedauern sieht man sie ziehen.

 Bereits am 5. September 1921 hatte sie ein Bewerbungsgespräch mit der Gewerkschaft Beienrode, einem Kaliwerk bei Königslutter,122 geführt, aufgrund dessen sie auf den 1. Oktober desselben Jahres, wiederum als «kaufmännische Beamtin», im dortigen Hauptbüro eingestellt wurde – eine Position, die sie im Zuge der krisenbedingt allgemeinen Entlassungen Ende Juni 1926 wieder verlor.123 Das Arbeitszeugnis vom 17. Mai 1926 beschreibt ihre anspruchsvollen Aufgaben im Unternehmen (sie war «vornehmlich mit der selbständigen Umschreibung der Kuxe124 und der damit zusammenhängenden Korrespondenz, mit der Führung der Versandbücher, der Ausstellung der Rechnungen, der Ausfertigung der Nachweisungen für das Kalisyndikat, sowie mit der Erledigung der Korrespondenz nach Diktat auf der Schreibmaschine» beschäftigt) und bescheinigt ihr «gern, dass wir mit ihren Leistungen stets sehr zufrieden gewesen sind, sie arbeitet fleissig und sicher und hat die Bücher sauber und korrekt geführt».

 Im Januar 1927 fand sie Anstellung als Stenotypistin und Buchhalterin bei der 1848 gegründeten Konservenfabrik Julius Roever in Braunschweig, einer Firma, die ähnlich jener ihrer Heimgartener Onkels als «Gemüse- und Früchtekonserven-Fabrik, Fabrik konservierter tafelfertiger Speisen, Frischobst-Marmeladen, Konfituren [sic] und Frucht-Sirupe» firmierte.125 Eine Postkarte ihrer – auch Friedel Kürschner bekannten – Jugendfreundin Hedwig Schwegelbaur vom 26. April 1927 an sie, die sich im Familienarchiv Barnstorf erhalten hat, belegt außerdem, daß sie spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Weferlingen, sondern in Braunschweig lebte, am Bruchtorwall 12III bei «Fr. Kiel».126 Bald zog auch ihre Mutter dorthin, doch wurde der Familienwohnsitz in Weferlingen beibehalten, an dem sich die Utermöhlens noch bis in die dreißiger Jahre hinein alljährlich zu Weihnachten versammelten.127

 Bei Roever sollte Käthes Monatsgehalt laut Einstellungsschreiben 160 Reichsmark betragen. Bald stellten sich offenbar Schwierigkeiten ein.128 Auf Ende September 1931 trennte Roever sich «wegen der trostlosen Wirtschaftslage» (Kündigungsschreiben vom 14. August 1931) von ihr, nur um sie sogleich wieder, bei wesentlich schlechteren Konditionen (u.a. nurmehr 140 RM Bruttogehalt, Vertragsverlängerung von Monat zu Monat und Verzicht auf jegliche tarifrechtlichen Ansprüche), neu einzustellen – was immerhin die große Wertschätzung ihres Wirkens bespricht, wie sie noch in jedem ihrer Arbeitszeugnisse ausdrücklich festgehalten ward.129

 Dieser Wertschätzung tat es offenbar auch keinen Abbruch, daß Käthe daraufhin anderweitig nach Arbeit suchte und, die nunmehr monatliche Kündbarkeit ihres Vertrages bei Roever sich zunutze machend, Ende 1932 für etwas mehr als ein halbes Jahr nach Köln ging (eine Episode, die in der Familie weitgehend in Vergessenheit geraten war und erst durch Friedels Briefe neuerlich ans Licht trat)130: wurde sie doch nach ihrer Rückkehr nach Braunschweig, die in den Juli 1933 fallen muß,131 gegen Ende 1933/Anfang 1934, möglicherweise dank günstigen Abschlusses des Konkursverfahrens der Firma, von Roever wieder eingestellt;132 vielleicht sogar aufgrund einer von Anfang an bestehenden Absprache in diesem Sinne und mutmaßlich zu besseren Bedingungen als zuletzt. Etliche Karten in Käthes schmaler, gestochen feiner, wohlgesetzter Sütterlin-Schrift erzählen nebst photographischen Aufnahmen von Reisen, die sie ab 1934 unternahm – sei es eine Kurzkreuzfahrt von Hamburg nach London im September 1934 zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Lisa, deren Mann Fritz und dessen ebenfalls jüngerer Schwester Lisbeth Barnstorf, sei es eine Reise in die Schweiz und den Heimgarten 1936 oder ein von der Organisation ‹Kraft durch Freude› (KdF)133 veranstalteter Urlaub im allgäuischen Nesselwang 1938 –, und bezeugen damit, daß es ihr finanziell in diesen Jahren nicht schlecht ging.134

 Die Kölner Episode tritt in Friedels Briefen nur unklar hervor und ist auch im Barnstorfschen Familienarchiv nicht gut dokumentiert – außer durch diese Briefe lediglich noch durch einige Postkarten Hedwig Schwegelbaurs. Zu vermuten ist jedenfalls, daß der Aufenthalt in Köln von vornherein als bloßes Zwischenspiel geplant war. Dafür spricht nicht nur, daß Hedwig in dieser Zeit ihre Karten weiterhin, stets mit Nachsendevermerk versehen, nach Weferlingen sandte, wo die Mutter während Käthes Abwesenheit wieder lebte – als ob sie, Hedwig, die Kölner Adresse deren Kurzlebigkeit wegen gar nicht erst hätte erfahren oder benutzen sollen –, sondern vor allem, daß Käthe, wie erwähnt, bei der Rückkehr nach Braunschweig in die alte Firma, ja sogar, wie eine Karte Hedwigs vom 25. Juli 1933 (sowie alle spätere Korrespondenz) belegt,135 auch in ihr Mietverhältnis bei Frau Kiel am Bruchtorwall wieder eintreten konnte: die Wohnung war also offenbar nicht gekündigt worden. Daß dieses Arrangement möglich war, verdankte sich sicher dem guten, geradezu familiären Verhältnis zu Frau Kiel, an das Käthes Neffe Henning Barnstorf sich erinnert. Das Familienarchiv birgt u.a. ein Photo, auf dem Frau Kiel mit ihrem Sohn bei einem Besuch bei den Utermöhlens in Weferlingen abgelichtet ist, zusammen mit Käthe, ihrer jüngeren Schwester Lisa und deren Mann sowie der Mutter Marie Utermöhlen.

 Wiewohl der Wechsel nach Köln nur für eine kurze Frist gedacht gewesen und zudem selbst sehr kurzfristig zustande gekommen sein mag – in einer Weihnachtskarte vom 28. Dezember 1932 zeigte sich Freundin Hedwig ausgesprochen überrascht über Käthes neuen Wohnort,136 ebenso wie dann Friedel im Januar 1933137 –, spiegeln Friedels Briefe bereits seit dem Frühjahr 1931 wider, daß seine Cousine sich an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr recht wohlfühlte.138 Womöglich begann sie schon zu dieser Zeit, ihre Fühler in andere Richtungen auszustrecken, gewiß aber tat sie das seit der Prekarisierung des Arbeitsverhältnisses im Herbst jenes Jahres. Durch Friedel wissen wir, daß sie sich in Braunschweig umsah und dort auch Aussicht auf eine Stelle gewann,139 die sich aber allem Anschein nach nicht so bald wie erhofft realisierte. Auch nach dem Umzug nach Köln bestand diese Aussicht fort,140 muß sich dann aber irgendwann doch zerschlagen haben oder durch das Rückkehrangebot von Julius Roever für Käthe uninteressant geworden sein.

 Warum nun aber gerade Köln? – Henning Barnstorfs Vermutung geht dahin, daß es die mütterliche Verwandtschaft war, aus deren Kreis Käthe den Rat empfing, sich angesichts der schwierigen Braunschweiger Arbeitsmarktlage nach Köln zu orientieren: daß also entweder ihre Mutter Marie selbst, eine geborene Ziese, oder eines von deren fünf in Wolfenbüttel und Umgebung ansässigen Geschwistern diese Idee aufbrachte: denn in Köln lebte Louise Grünwald, eine Schwester der Mutter der sechs, mithin eine Tante der Ziese-Geschwister und somit Großtante Käthes. Zu ihr hatten stets engere Kontakte bestanden.141 Ob Käthe bei ihr oder anderen Kölner Verwandten wohnte oder sich wie in Braunschweig eine eigene kleine Wohnung mietete, ist ebenso unbekannt wie ihr dortiger Arbeitsplatz; dank Friedels wissen wir nur, daß sie tatsächlich Arbeit hatte.142

 Nach ihrer Rückkehr nach Braunschweig blieb Käthe auch über den Tod ihrer schon länger herzkranken Mutter am 8. März 1942143 hinaus bei Frau Kiel wohnen (der Bruchtorwall war unterdes in «Adolf-Hitler-Wall» umgetauft worden). Anfang 1944 wurde sie, wie viele andere Braunschweiger auch, vor den Bombenangriffen der Alliierten ins Umland evakuiert. Bei der verheerenden Bombardierung Braunschweigs am 15. Oktober 1944 blieb ihre Stadtwohnung im dritten Stock zwar relativ unbeschädigt, doch erhielt sie durch die Vermittlung des Mannes ihrer jüngeren Schwester Lisa, Dr. Fritz Barnstorf (*14.5.1901, †21.3.1982), der seit Ende 1940 als Oberarzt die Frauenabteilung der ‹Heil- und Pflegeanstalt Königslutter› leitete,144 in der Dienstvilla seiner Familie auf dem Herzogberggelände der Anstalt (dem sog. Haus 2) ein Zimmer; ihre Möbel konnten ebenfalls auf dem Anstaltsgelände eingelagert werden. Die Verhältnisse in diesem «Haus 2» waren in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ungeheuer beengt; dazu herrschte ein steter Wechsel der Bewohner: den Ausgebombten und Umquartierten aus Braunschweig und Umgebung gesellten sich später Flüchtlinge aus Schlesien und anderwärts und in den Nachkriesgsjahren noch zusätzlich die Belegschaft eines Behelfskrankenhauses für den Kreis Helmstedt hinzu, das anstelle des aufgelösten Lazaretts einzog. Erst Anfang/Mitte der 1950er Jahre kehrte etwas Ruhe ein. Seit ihrem Einzug hier im Jahre 44 war die unverheiratete Käthe Utermöhlen ein festes Mitglied der Familie ihrer Schwester, blieb bei ihr wohnen und machte auch die späteren Umzüge der Barnstorfs mit bis zu ihrem Tode am 5. September 1983 im Haus Am Rischbleek 9A in Königslutter.

 Von Königslutter aus fuhr Käthe auch in den letzten Kriegsmonaten und den schwierigen Jahren danach – nunmehr mit der Bahn – täglich zur Firma Roever, die von den Bombenangriffen verschont geblieben war. Die Anreise von Königslutter in den Westen der Stadt Braunschweig gestaltete sich oft abenteuerlich und langwierig. Einmal blieb Käthes Pendlerzug entgleist auf der Strecke liegen. Bei der Eigentümerfamilie ihres kleinen Unternehmens genoß sie inzwischen so großes Vertrauen, daß man sie zur Prokuristin machte, was sie bis ans Ende ihrer Berufstätigkeit auch blieb.145

 Engen Kontakt hielt sie zeit ihres Lebens zu ihren Geschwistern: neben dem besonders engen zu Schwester Lisa mit Familie, bei der sie lebte, vor allem zu ihrem Bruder Hans, den sie oft besuchte,146 aber auch zu Wilhelm, von dem sie, wie einige andere Familienmitglieder, das Skifahren erlernte, um danach mit ihm durch den Harz zu kurven147 — und nicht zuletzt, auf daß der Kreis sich schließe, zur Familie ihres Großvaters Georg Utermöhlen in Heimgarten, über den die Freundschaft mit Friedel zustande kam.148

Anmerkungen

 

1 Eine Stammliste umfaßt nur diejenigen Nachkommen eines Stammelternpaares, die denselben Nachnamen tragen. Die Nachkommen der Töchter, die in der Regel einen angeheirateten Nachnamen tragen, fallen aus ihr heraus.

2 Geburtsurkunde Nr. 620 von 1869 der Friederike Helene Maria Kürschner, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland (= LAV NRW R), Zweitschrift des Zivilstandsregisters des Landgerichtsbezirks Elberfeld (= Bestand PA 2104), Sign.: 01341/Bd. 2/0087;  – Der Rufname der oder des beurkundeten Neugeborenen wird hier und im folgenden gesperrt gedruckt. Urkunden aus diesem Archivbestand werden im weiteren abgekürzt mit Siglen zitiert.

4 Geburtsurkunde Nr. 109 von 1872 der Alwine Bertha Helene Kürschner, LAV NRW R PA 2104, Sign. 01350/Bd. 1/0123

5 Vgl. Maria Kern-Hauser: Herrschaftliche Häuser, in: Heimgarten bei Bülach. Neujahrsblatt 1993 der Lesegesellschaft Bülach, o.O. o.J., S. 48a mit Beilage ‹Besitzesverhältnisse›.

6 a.O. (Anm. 5) S. 48a-b mit Beilage ‹Besitzesverhältnisse›. Das Geburtsdatum Karls lt. Stammliste.

7 a.O. (Anm. 5) S. 48a mit Beilage ‹Besitzesverhältnisse›. Das Geburtsdatum Wilhelms lt. Stammliste.

8 Geburts- und Sterbedatum lt. Stammliste; in Fritz Barnstorfs Geschichte Weferlingens ist das Sterbedatum versehentlich um einen Tag, auf den 9.11.1920, verschoben (Fritz Barnstorf: Weferlingen. Aus der tausendjährigen Geschichte eines kleinen Dorfes (Braunschweig: Hans Oeding 1965) S. 30).

9 Vgl. Wikipedia-Artikel ‹Obstbaugenossenschaft Heimgarten›.

10 Zur Einführung der Impfpflicht und zur weitverbreiteten, teils heftigen Opposition dagegen s. z.B. Bärbel-Jutta Hess: Seuchengesetzgebung in den deutschen Staaten und im Kaiserreich im ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Reichsseuchengesetz 1900 (Phil. Diss., Universität Heidelberg: 2009), insbes. Kapp. VIII und X.

11 a.O. (Anm. 10) Kap. IX.

12 Iris Ritzmann: Art. ‹Impfung›, in: Historisches Lexikon der Schweiz – Dictionnaire historique de la Suisse – Dizionario storico della Svizzera (= HLS), hg. Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Chefred.: Marco Jorio 1-13 (Basel: Schwabe 2002-2014), hier: 6 (2007) s.v.; im Netz unter: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/022715/2015-03-18/; Daniel Huber: Die Geschichte der Impfpflicht in der Schweiz (Dezember 2021), https://www.watson.ch/wissen/schweiz/355786982-die-geschichte-der-impfpflicht-in-der-schweiz.

13 Beilage zu Addendum 1/Anm. 7, Nr. 2 und Schluß der Anm.

14 Zu Ida Ehrt, geb. Utermöhlen, ausführlich Addendum 2Addendum 2/Anm. 7. Ihre Lebensdaten lt. Stammliste.

15 Neben dem bereits erwähnten Hermann, Käthes Vater, der 1875 erst sieben Jahre zählte, waren das Albert (*12.9.1863, †?) mit zwölf und Dina (*3.1.1866, †13.4.1924) mit zu diesem Zeitpunkt neun Jahren. Bei Albert und Hermann ergibt sich aus der Stammliste eindeutig, daß sie nie mit in den Süden zogen: Albert heiratete 1891 in Rotehütte i.H.; für vier seiner sechs Kinder ist die Geburt in Bansleben (heute Gem. Kneitlingen, Ldkr. Wolfenbüttel) und ebenfalls für vier eine Eheschließung in Bansleben oder Braunschweig notiert. Hermann wurde Lehrer in Weferlingen (heute Stadt Oebisfelde-Weferlingen, Ldkr. Börde, Sachsen-Anhalt), wo seine vier Kinder zur Welt kamen und wo er selbst 1920 auch starb. Dina heiratete 1888 in Ohrum einen Cousin, von dem ein hschr. Nachtrag zur Stammliste vermerkt, er sei Polizeibeamter in Hannoversch Münden. Kinder, deren Lebensdaten weitere Aufschlüsse geben könnten, scheinen dieser Ehe nicht entsprossen zu sein. – Vgl. a. weiter unten Anm. 46 (Ende).

16 Sponheimers genaue Lebensdaten sind unbekannt. In einem ihm gewidmeten Wikipedia-Eintrag werden sie mit «geb. vor 1892; gest. nach 1901» angegeben, doch ist diese lediglich neun Jahre umfassende ‘Floruit’-Spanne nicht nur vage, sondern auch witz- und haltlos: 1892 liegt ein Jahr vor Sponheimers erster bekannter Publikation, und was das zweite Datum betrifft, so weist der Wikipedia-Artikel selbst noch Tätigkeiten Sponheimers bis 1906/07 nach. Zudem wird Sponheimer hier als Schweizer bezeichnet, während das ‹Schweizerische Handelsamtsblatt› vom 13.6.1893, welches die Gründung der Obstbaugenossenschaft Heimgarten vermeldet (s.u. Anm. 17), seine Herkunft mit «Neunkirchen-Trier (Preussen)» angibt. Heute gehört Neunkirchen zur Stadt Daun im Ldkr. Vulkaneifel, Rheinland-Pfalz. – Sponheimer, Bodenreformer und Theosoph, war Mitbegründer nicht nur der Heimgartener Genossenschaft, sondern auch der ‹Vegetarischen Obstbau-Kolonie Eden› in Oranienburg bei Berlin (28.5.1893), die sich später ‹Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung› nannte, sowie der Europäischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft (sog. Zürich Centre oder Zürich Lodge, 1895). Er äußerte sich zur sozialen Frage, zur Wohnungsfrage und zum Vegetarismus. Die letzte ihm zuschreibbare Publikation datiert entweder von 1906 (Das Wohnungselend der Großstädte und seine Abwendung durch Selbsthilfe. Berlin: Verlag Lebensreform) oder von 1911 (Henry Snowden Ward: Das ABC der Theosophie, übers. von Julius Sponheimer (Leipzig 1894); bei der Ausgabe 1911 handelt es sich allerdings um eine durch die Düsseldorfer Gesellschaft zur Verbreitung der Theosophie initiierte Neuausgabe; der Übersetzer mußte zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr unbedingt am Leben sein) oder gar erst von 1925, sofern auch eine Schrift zu eher fachfremdem Gegenstand aus seiner und nicht eines Namensvetters Feder floß (Das kaufmännische Revisionswesen in Deutschland: Darstellung und Kritik (Berlin: Verlagsbuchhandlung L. Weiss 1925)). Die Kataloge der Deutschen Nationalbibliothek zu Leipzig und Frankfurt am Main sowie anderer großer Bibliotheken jedenfalls ordnen auch diese letztere Schrift dem Bülacher Reformer zu. – Zur Theosophie s.u. Anm. 71.

17 Zu der Genossenschaft s. den einschlägigen Wikipedia-Artikel, a.O. (Anm. 9). Der Eintrag im ‹Schweizerischen Handelsamtsblatt – Feuille officielle suisse du commerce – Foglio ufficiale svizzero di commercio› Nr. 138, 11. Jg., Bern, Dienstag, 13. Juni 1893, S. 557b, lautet vollständig: «9. Juni. Unter der Firma Obstbaugenossenschaft Heimgarten,[sic] hat sich mit Sitz in Bülach am 23. Mai 1893 eine Genossenschaft gebildet, welche die Schaffung von Heimstätten mit Obstbau und den gemeinsamen An- und Verkauf von Lebensbedürfnissen [sic] und der gewonnenen Erzeugnisse zum Zwecke hat. Der Eintritt erfolgt durch Unterzeichnung der Statuten nach Aufnahmebeschluss durch sämtliche Genossenschafter und der Austritt freiwillig durch schriftliche vierteljährliche Kündigung auf Schluss des Geschäftsjahres, Ausschluss und Hinschied des Genossenschafters. Das Eintrittsgeld beträgt 60 Fr., ein Jahresbeitrag ist in den Statuten nicht vorgesehen. Jede persönliche Haftbarkeit der Genossenschafter, für welche ein direkter Gewinn nicht beabsichtigt wird, ist ausgeschlossen. Ein Vorstand von zwei und ein Aufsichtsrat von drei Mitgliedern vertreten die Genossenschaft nach aussen und es führen die beiden Mitglieder des erstern oder je eines derselben mit je einem solchen des letztern zu zweien kollektiv die rechtsverbindliche Unterschrift. Es sind Mitglieder des Vorstandes: Julius Sponheimer von Neunkirchen-Trier (Preussen) und Karl Utermöhlen aus Heissum (Hannover), sowie solche des Aufsichtsrates: Aurel Poensgen aus Köln, Leonhard Kehl von Worms und Friedrich Fellenberg von Opladen (Rheinpreussen), alle in Heimgarten bei Bülach. Geschäftslokal: Frohbühl.» – Der hier erwähnte Mitbegründer der Genossenschaft Friedrich Fellenberg aus Opladen (1867-1952), Lebensreformer und Vertreter der Naturheilkunde, der auch viel zu diesen Themen publizierte, gründete 1892 in Zürich ein vegetarisches Restaurant, 1898 in Erlenbach am Zürichsee eine Naturheilanstalt – in der auch Franz Kafka (1911) und Ferdinand von Zeppelin (1913 und 1914) kurten – und nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als die Anstalt wegen des Ausbleibens deutscher Gäste liquidiert werden mußte, wiederum in Zürich ein Heilbad, das bis in die vierziger Jahre hinein Bestand hatte. Zu Fellenberg, der aufgrund seiner Heirat mit der Schweizerin Louise Egli gelegentlich unter dem Namen Fellenberg-Egli firmiert, s. die Wikipedia-Artikel ‹Friedrich Fellenberg (Lebensreformer)› und ‹Fellenbergs Naturheilanstalt›. Empfehlenswert wegen der ebenso lebendigen wie ausgeglichenen Schilderung und auch des beigegebenen Bild- und Kartenmaterials ist Karl Kuprechts Aufsatz ‹Die Naturheilanstalt Fellenberg›, in: Karl Kuprecht/Walter Imhof: Erlenbach. Geschichte einer Zürichseegemeinde, hg. Gemeinderat Erlenbach (Erlenbach 1981) S. 56-65; online unter: www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch/pdf/1971-1975/Kuesnachter-Jahrheft-1972-Die-Naturheilanstalt-Fellenberg.pdf. – Das ‹Schweizerische Handelsamtsblatt› im weiteren nur noch als SHA zitiert. Sämtliche SHA-Bände im Netz unter: e-periodica.ch/digibib/volumes?UID=sha-001.

18 Speziell zur Steinmehl-Düngung und zu seiner Propagierung durch die Utermöhlens s. weiter unten sowie Brief 2/Anm. 4 (2. Hälfte der Anm.).

19 Hess: Seuchengesetzgebung, a.O. (Anm. 10), S. 267.

20 Heimgarten: Eine Monatsschrift. Graz: Leykam 1/1 (1876/77)-35/1 (1910/11); Fortsetzung u.d.T.: Roseggers Heimgarten. Monatsschrift für Unterhaltung und Aufklärung. Graz: Leykam 35/2 (1910/11)-59/1 (1934/35); damit Ersch. eingestellt. Die Nummern 54 (1930)-58/12 (1934) kehrten zu dem Namen der ersten 35 Jahrgänge zurück, die letzte Nummer 59 nannte sich zeitgemäß ‹Roseggers Heimgarten: Zeitschrift für das deutsche Haus›.

21 SHA, a.O. (Anm. 17), Nr. 392, 24. Jg., Bern, Mittwoch, 26. September 1906, S. 1565a: «22. September. Die Firma Obstbaugenossenschaft Heimgarten in Bülach […]. Vorstandsmitglieder: August Bernhardt, Julius Sponheimer und Johannes Schmid, wird infolge Konkurses über diese Genossenschaft von Amteswegen gelöscht». – Die Schrift ‹Heimgarten bei Bülach. Neujahrsblatt 1993 …›, a.O. (Anm. 5), S. 20a, die sich in diesem Punkt auf den Mitbegründer der Genossenschaft Friedrich Fellenberg (s.o. Anm. 17 [2. Hälfte]) beruft, genauer auf dessen Broschüre ‹Die Kolonie Heimgarten (in Bülach, Kt. Zürich). Entstehungsgeschichte, Werdegang und Gründe für den Verfall› (Berlin: Verlag Lebensreform 1908), datiert den Konkurs abweichend vom SHA erst auf den 2. März 1907. Fellenbergs Broschüre, und damit die Erkenntnis des Grundes für ihre Divergenz, war mir leider nicht zugänglich. – Grundsätzlich ist das schmale Neujahrsblatt über ‹Heimgarten bei Bülach› (s.o. Anm. 5) bei allem ihm zukommenden Wert mit einer gewissen Vorsicht zu nehmen, da es nicht wenig Unstimmiges und Inkongruentes, Lücken und Ungenauigkeiten aufweist und zudem eine unüberhörbare Tendenz ins Anti-Utermöhlensche, um nicht zu sagen Antideutsche zeigt. Es ist ein Dokument des Lokalstolzes und der Stärkung des Gemeinschaftssinnes, nicht archivarischen Fleißes und wissenschaftlichen Genauigkeitsstrebens. So legt eine der Autorinnen nahe, die Heimgartener Gebrüder Utermöhlen hätten in ihrer Obst- und Konfitürenfabrik (s.u. Anm. 25) Subventionsbetrug, Schwarzmarkthandel und Lebensmittelverfälschung betrieben (Kern-Hauser, a.O. (Anm. 5), S. 50c), und zwar «während des zweiten [sic] Weltkrieges», obwohl die Fabrik, wie es unmittelbar darauf heißt, bereits 1930 stillgelegt und verkauft wurde (ebda.; hierzu s. a. unten Anm. 35) und dieselbe Autorin außerdem zu berichten weiß, daß einer der Brüder bei Kriegsbeginn nach Deutschland zurückgekehrt, der andere bald darauf verstorben sei (ebda., S. 48a-b). Eine weitere Beiträgerin suggeriert, die Utermöhlens hätten beim Verkauf eines ihrer Höfe an einen Schweizer den Preis aus «Kaltblütigkeit» spekulativ «überrissen» und den Hof anschließend billiger zurückgekauft (Hanni Guyer-Hauser: Die Geschichte der Frohbühlhöfe, ebda., S. 53a). Allfällige Belege für solche und ähnliche unschöne Insinuationen fehlen; die Gewinne der Schweizer, die im Laufe der Jahre den allmählich verarmenden Utermöhlens ihre Grundstücke und Häuser wieder abkauften, werden, sofern erwähnt, rein sachlich berichtet.

22 Ablesbar an den Statutenänderungen, wie sie das SHA, a.O. (Anm. 17), Nr. 404, 19. Jg., Bern, Dienstag, 3. Dezember 1901, S. 1613a-b dokumentiert. Demnach wurde nun jedes Mitglied über die Erlegung der Aufnahmegebühr hinaus zu einer Einlage von fünfhundert Franken verpflichtet, auf die bei Ratenzahlung zusätzlich ein Zinsaufschlag anfiel, und überdem zur Zahlung von Kaution und regelmäßigem Pachtzins. Imgleichen wurden die finanziellen Bedingungen eines Austrittes verschärft. Auch die dem SHA über die Jahre hinweg zu entnehmenden häufigen Personalwechsel in Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft mögen einen Hinweis nicht allein auf persönliche Querelen, sondern auch auf (jene womöglich begründende) wirtschaftliche Probleme geben.

23 s.o. Anm. 14.

24 Lisette Utermöhlen, geb. Hettenhausen, war in Ludolfshausen (heute Gemeinde Friedland) als Tochter des Landwirts Ludwig Hettenhausen und der Luise Deken geboren, ihr Mann Georg in Bonaforth als Sohn des Lehrers Ludwig Utermöhlen und der Dorette Schmidt; s. Stammliste sowie Addendum 2, Z. 3-8 mit Anm.en 3-6. Die beiden heirateten am 11.10.1855. Ihre Kinder kamen alle in Heißum (heute Ldkr. Goslar) zur Welt, mit Ausnahme Wilhelms, des achten und jüngsten, der in Ohrum (Kreis Wolfenbüttel) geboren wurde; s. a. Brief 24/Anm. 32. Vgl. außerdem unten Anm. 46 (Ende).

25 SHA, a.O. (Anm. 17), Nr. 216, 11. Jg., Bern, Dienstag, 10. Oktober 1893, S. 879a: «5. Oktober. Karl Utermöhlen und Wilhelm Utermöhlen, beide von Heissum [sic] (Hannover), in Bülach, haben unter der Firma Gebr. Utermöhlen in Bülach eine Kollektivgesellschaft eingegangen, welche am 1. Oktober 1893 ihren Anfang nahm. Vertretung und Lager für Henselschen Mineraldünger. Im Heimgarten». – Zu Hensels Mineraldünger und dem langjährigen Einsatz der Utermöhlens für ihn s.u. Anm. 30 mit dazugehörigem Text sowie Brief 2/Anm. 4 (2. Hälfte). – Zur Firma der beiden Utermöhlens s. a. den kurzen Beitrag Albert Moßdorfs in: Die Industrie in Bülach. Ihre Entwicklung, ihre Bedeutung. Neujahrsblatt für Bülach und das Zürcher Unterland 1942, S. 73f. (‹Die Konfitürenfabrik der Gebrüder Utermöhlen, Heimgarten›), wo Karl allerdings irrtümlich «Paul» heißt und Wilhelm, der jüngste der Utermöhlens, als erster, den anderen vorausgehender Besiedler Bülachs dargestellt wird, was die Meldungen im SHA vom 10.10.1893 (ebda.) und vom 13.6.1893 (s.o. Anm. 17) nicht stützen.

26 SHA, a.O. (Anm. 17), Nr. 9, 15. Jg., Bern, Dienstag, 12. Januar 1897, S. 34a. – Hermann Ganswindt (1856-1934) war ein visionärer, wenn auch zu seiner Zeit noch häufig verkannter Erfinder, dem wir von einer Flaschenspülmaschine über Tretmotoren und Drahtachsenfahrzeuge bis hin zu Ideen für Fluggeräte (Helikopter) und namentlich für eine Weltraumrakete, ein von ihm so genanntes Weltenfahrzeug, für das er vor allem in ehrender Erinnerung geblieben ist, vielerlei verdanken.

27 Bülacher Neujahrsbl. 1993, a.O. (Anm.en 5. 21), S. 20f.

28 s.o. Anm. 25 mit dem Eintrag ins SHA sowie Brief Brief 2/Anm. 4 (2. Hälfte).

29 Bülacher Neujahrsbl. 1993 (s.o. Anm.en 5. 21), S. 15c. Ein Ort «Harseheim» scheint nicht zu existieren. Eventuell ist Hartheim am Rhein, bis 1972 Landkreis Freiburg, seither Ldkr. Breisgau-Hochschwarzwald, gemeint, das nicht allzuweit von der Schweizer Grenze entfernt liegt und wo laut Wikipedia mehrere Mühlen standen.

30 Staatsarchiv Zürich (= StAZH) MM 24.44 KRP 1896/0185, 5.10.1896 [p. 56] (https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3603730); StAZH MM 3.10 RRB 1896/1999, 5.11.1896 [p. 608] (https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3608343).

31 SHA, a.O. (Anm. 17), Nr. 2, 28. Jg., Bern, Dienstag, 4. Januar 1910, S. 9a.

32 Die zunächst vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich verhandelte und am 24. Juni 1910 im Sinne der Utermöhlens entschiedene Streitsache gelangte in der Berufung vor das Schweizerische Bundesgericht, welches am 13. April 1911 die Klage hinsichtlich der Gläser endgültig verwarf, bei den Etiketten hingegen den Utermöhlens auftrug, ihre denen der Klägerin als allzu ähnlich erkannten aus dem Verkehr zu ziehen und umzugestalten; die enorme Schadensersatzforderung der Klägerin von zwanzigtausend Franken wurde auf einhundert herabgesetzt. Das Urteil setzte urheberrechtliche Maßstäbe und wird gelegentlich noch heute herangezogen, z.B. in medienrechtlichen Kontexten. Im Netz ist es vollständig nachzulesen, allerdings lediglich in einer von dem in Bern lehrenden Juristen Axel Tschentscher unter dem übergreifenden Titel ‹Das Fallrecht (DFR)› bereitgestellten pdf (https://servat.unibe.ch/dfr/pdf/c2037164.pdf). In der Datenbank des Schweizerischen Bundesgerichtes selbst sind die Entscheide (= BGE) frühestens ab 1954 zugänglich, die Volltextsuche bei bekanntem Aktenzeichen sogar erst ab dem Jahr 2000. Die gerichtseigene Referenz (nicht das Aktenzeichen!) des Urteils lautet: BGE 37 II 164.

33 Geschäftsbericht des Stadtrates von Zürich für das Jahr 1913 (Zürich: Buchdruckerei Berichthaus 1914) S. 333; amsquery.stadt-zuerich.ch/Dateien/30/D151989.pdf. In jenem Jahr lebten in dem Asyl bis zu 23 Zöglinge: Mädchen aus schwierigen Verhältnissen, deren Probleme in der damaligen Formulierung «sexuelle Verwahrlosung», «psychische Abnormität», «schwer zu erziehender Charakter», «Trieb zum Stehlen» hießen (ebda. S. 332).

34 Geschäftsbericht des Stadtrates von Zürich für das Jahr 1920 (Zürich: Buchdruckerei Berichthaus 1921) S. 35; amsquery.stadt-zuerich.ch/Dateien/30/D151996.pdf.

35 SHA, a.O. (Anm. 17), Nr. 292, 49. Jg., Bern, Dienstag, 15. Dezember 1931, S. 2678a: «Konservenfabrik usw. – 9. Dezember. Die Firma Gebr. Utermöhlen, in Bülach […], Konservenfabrik, Fabrikation von Konfitüren, Fruchtsirup, Früchtenkonserven [sic], Büchsenspargeln, Edelobst- und Beerenkulturen, Kollektivgesellschafter: Karl Utermöhlen, Wilhelm Utermöhlen, ist infolge Aufgabe des Geschäftes und daheriger Auflösung dieser Kollektivgesellschaft erloschen. Die Liquidation ist durchgeführt.»

36 Schweizer Bundesarchiv, Bundesanwaltschaft: Polizeidienst (1931-1959), Dossier ‹Utermöhlen, Wilhelm (1871)›, Entstehungszeitraum 1940, Sign.: E4320B#1987/187#629*, AZ: C.12-1505; https://www.recherche.bar.admin.ch/recherche/recherche/link/de/archiv/einheit/3591007.

37 Dieser Großvater Friedels – unser Zusatz «sen.» soll ihn hier und im folgenden von seinem gleichnamigen Sohn, Friedels Vater, unterscheiden helfen – wurde am 13. Dezember 1829 als Sohn des Kattunwebers Johann Friedrich Gottlob Kürschner und der Anna Maria Magdalena Dahl in Barmen geboren: Geburtsurkunde Nr. 1008 von 1829 des Friedrich Kürschner, LAV NRW R PA 2104, Sign. 00027/1033 (https://www.landesarchiv-nrw.de/). Laut Elberfelder Adreßbuch fing er als Commis (Handlungsgehilfe) im Textilgewerbe an und arbeitete sich rasch zu dem anspruchsvollen Beruf des Dessinateurs, auch Muster- oder Textilzeichner genannt, empor. Als solcher hatte er Stoffmusterentwürfe in eine Art technischer Zeichnung zu übersetzen, auf deren Grundlage anschließend die Lochkarten zum Steuern der Webmaschine gefertigt wurden. Im ‹Adreß- und Bürgerhandbuch für die Stadt Elberfeld, nebst einem Stadtplane. Herausgegeben auf Grund eigener Aufzeichnung der Bürgerschaft› für das Jahr 1883 figuriert er sogar als «Werkführer» (S. 194; wiki.genealogy.net/Elberfeld/Adressbuch_1883). Das Bülacher Neujahrsbl. 1993, a.O. (Anm.en 5. 21), S. 48a, hingegen beschreibt ihn als «Sprachprofessor von Heissum [sic], Hannover, reicher Schwiegervater von Wilhelm Utermöhlen» – vermutlich eine Verwechslung mit dem Vater Wilhelms und Karls, Georg Utermöhlen, der vor seiner Auswanderung tatsächlich einmal Lehrer in Heißum gewesen war, welcher Weiler, heute Teil der Gemeinde Liebenburg im Landkreis Goslar, seit 1866 der preußischen Provinz Hannover angehörte (weshalb «Preußen» die formal korrekte Angabe gewesen wäre), bevor er im Juni 1941 kraft des sog. Salzgitter-Gesetzes an das Land Braunschweig überging. – Elberfeld war, wie das gesamte Wupper-Tal, jahrhundertelang geprägt durch Textilindustrie (Garnbleicherei, Bandwirkerei, Leinenweberei), deren Entstehung auf die herzogliche Verleihung der sog. Garnnahrung an Elberfeld und Barmen im Jahre 1527 zurückging, d.h. auf das Monopol der Garnherstellung und ‑verarbeitung. Das Privileg wurde unter napoleonischer Herrschaft (1806-1813) abgeschafft, die Textilindustrie blieb und mechanisierte sich. Hinzu traten chemische Industrie (Bayer AG), Maschinenbau, Elektrotechnik und weltweiter Handel. Mitte des 19. Jh. waren Elberfeld – daher auch «das deutsche Manchester» genannt – und Barmen die beiden höchstindustrialisierten Städte Deutschlands, die in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung selbst das damalige Ruhrgebiet in den Schatten stellten. Zwischen 1830 und 1885 vervierfachte sich die Einwohnerzahl Elberfelds und überstieg 1885 die 100.000 (s. Wikipedia-Art. ‹Elberfeld›). – Zum Dessinateurberuf im 18. und 19. Jh. s. Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung, 242 Bde. (1773-1858), s.v. ‹Musterzeichner›, ‹Muster›, ‹Patrone›, ‹Patronenmahlerey›, ‹Weberei›. Im Netz unter www.kruenitz1.uni-trier.de abrufbar. Anders als die zu Krünitzens Zeiten bereits verarmten, hungernden Weber hatten Musterzeichner, die «Sachverständige[] in der Weberey» und zugleich «Künstler» sein mußten, bei entsprechendem Geschick im allgemeinen «ihr reichliches Brod» (Art. ‹Musterzeichner›, online oder in: Bd. 99 (1805) S. 231) – wofür im Kürschnerschen Falle das zweifache Hauseigentum der Familie spricht, s.u. Anm. 41 und Text dazu.

38 Alwine Evert wurde am 4. Januar 1834 als Tochter der Friederike Beier und des Schreiners August Evert in Elberfeld geboren: Geburtsurkunde Nr. 37 von 1834 der Alwine Evert, LAV NRW R PA 2104, Sign. 01264/Bd. 1/0051 (https://www.landesarchiv-nrw.de/data02/Abt_Rheinland/PA_2104/~012/01264_Bd1/). Ihrer Familie gehörten in Elberfeld die beiden nebeneinanderstehenden Häuser Plateniusstraße 18 und 20. – Alwine Evert heiratete Friedrich Kürschner sen. am 24.5.1865, nur zweieinhalb Monate nach dem Tod ihrer Mutter: Heiratsurkunde Nr. 276 von 1865, LAV NRW R PA 2104, Sign. 01426/Bd. 1/0564 (https://www.landesarchiv-nrw.de).

39 Geburtsurkunde Nr. 297 von 1866 des Gottlob August Friedrich Kürschner, LAV NRW R PA 2104, Sign. 01331-a/Bd. 1/0311  – Keine anderthalb Jahre später wurde der Familie ein zweiter Sohn geboren und irritierend ähnlich benannt: Gottlob Friedrich Wilhelm Kürschner, geboren am 21.6.1867 (Geburtsurkunde Nr. 1169 von 1867, LAV NRW R PA 2104, Sign. 01335/Bd. 2/0192.  Dieses Kind lebte weniger als ein halbes Jahr und starb am 4.12.1867 (Sterbeurkunde Nr. 2428 von 1867, LAV NRW R PA 2104, Sign. 01523-b/Bd. 3/0072.

41 ‹Westende›, ein alter Flurname für das direkt an die Wupper grenzende Gebiet am südlichen Fuße des Nützenbergs, bezeichnete Mitte des 19. Jh. den (industriell geprägten: Bayer AG, Brauerei Gustav Küpper, Pferde‑, später Eisenbahn und Schwebebahn) äußersten westlichen Siedlungsrand Elberfelds. In (Geburts‑, Heirats‑, Sterbe‑)Urkunden fand der Name noch Verwendung, im Adreßbuch selber jedoch nicht. Dort wurden die Kürschners in den fünfziger Jahren dem «Nützenberg» zugeordnet, 1864 änderte sich der Straßenname in «Vogelsaue» und ab 1875 in «Vogelsauerstraße». Auch die Hausnummern – im ungebremst wuchernden Elberfeld des frühen und mittleren 19. Jh. (s.o. Anm. 37) ein originelles Kapitel für sich – änderten sich, von 306, 305 und 3051/4 (sic!) über 6 und 14 bis hin zu 62 und 64, wobei es schließlich blieb.

42 Adreßbuch für die Stadt Elberfeld 1898/99. Nebst neuestem Stadtplan (Elberfeld: Druck und Verlag von Sam. Lucas) S. 190. 396 (wiki.genealogy.net/Elberfeld/Adressbuch_1898-99_(Lucas)); J. H. Born’s Adreß-Buch für Elberfeld 1898/99 nebst neuestem Stadtplan […] (Elberfeld: Druck und Verlag von J. H. Born) S. 253. 446 (wiki.genealogy.net/Elberfeld/Adressbuch_1898-99_(Born)). Laut Lucas’scher Adreßbuch-Ausgabe gehörte die von Kürschners selbst bewohnte Vogelsauerstr. 62 im Gegensatz zur Nr. 64 noch der Familie, wohingegen Born bereits den Eigentumsübergang beider Häuser registriert. Da beide Publikationen ihren Redaktionsschluß mit Mitte Juli 1898 angeben, muß jedenfalls auch die Nr. 62 um diese Zeit verkauft worden sein. Nur Born, S. 253, führt die beiden unverheiratet bei ihren Eltern lebenden Schwestern eigens mit Vornamen auf, was sehr ungewöhnlich für die Adreßbücher jener Zeit ist und hier auch zum ersten und einzigen Male geschieht. Frauen wurden nur aufgenommen, wenn sie allein lebten bzw. einem Haushalt vorstanden – ein Zustand, der sich zumeist auf Witwen beschränkte –, und selbst dann nicht immer. Auch Marias Beruf als Handarbeitslehrerin nur bei Born, ebda. S. 253.

43 s.o. Anm. 42.

44 Johanna Carolina Bernhard: Persönliche Erinnerungen, in: Bülacher Neujahrsbl. 1993, a.O. (Anm.en 5. 21), S. 18a. Bernhard, die von 1895 bis 1907, also bis zum Konkurs der Genossenschaft, in Heimgarten lebte (s. a. Brief 10/Anm. 22), hat ihre Erinnerungen an diese Zeit erst im Juli 1951 niedergeschrieben (ebda., S. 16b. 19c).

45 Stammliste Utermöhlen (s.o. S. 1), S. 2v. – Weitere Kinder scheinen aus dieser Ehe nicht hervorgegangen zu sein, sind in der Stammliste jedenfalls nicht vermerkt.

46 Eine falsche Spur legt die Netzseite familysearch.org. Ihr zufolge wurde im Jahre 1904 «in Heimgarten, Bülach, Zürich, Switzerland» eine Adelgund Albrecht als Tochter von Franz Albrecht und Erika Utermöhlen geboren und starb «before 2010» in Hamburg. Nun wissen wir aus der Utermöhlenschen Stammliste, daß Erika tatsächlich in erster Ehe mit einem Franz Albrecht und in zweiter mit einem Hamburger (namens Oskar Staege) verheiratet war; und da die Stammliste sich nicht allein über Erikas und ihres ersten (wie auch des zweiten) Mannes Geburts‑, sondern auch über das Datum ihrer Eheschließungen samt allfälliger Geburtsdaten und Namen von Nachkommen ausschweigt, ist der Eintrag bei familysearch zunächst einmal hochwillkommen, umso mehr, als er ergänzt wird durch den Hinweis, Adelgund Albrechts Vater Franz sei bei ihrer Geburt 28, Mutter Erika 22 Jahre alt gewesen (https://ancestors.familysearch.org/en/LC8D-Y6T/adelgund-albrecht-1904-2010). Das würde allerdings bedeuten – wie es bei familysearch im übrigen auch ausdrücklich festgehalten wird –, daß Erika Utermöhlen schon 1882 zur Welt gekommen wäre, Franz Albrecht 1877. Doch 1882 war Erikas Mutter Maria Kürschner erst dreizehn Jahre alt (s.o. Anm. 2) und lebte noch lange nicht in Heimgarten, ebensowenig wie aller Wahrscheinlichkeit nach ihr Mann Karl: so daß Erika schlechterdings noch nicht in Existenz getreten sein konnte. Wie es zu diesem wegen der völlig korrekten Verbindung der Personen- und Ortsnamen so spezifisch wirkenden und gerade darum prima vista vertrauenerweckenden Eintrag hat kommen können, auf welchen Quellen er basiert, bleibt rätselhaft. (Die Angabe «Legacy NFS Source» ist, wie sich herausstellt, nichts anderes als ein rekursiver Verweis auf einen identischen Eintrag in einer früheren Version der Website, also kein echter Quellennachweis.) So muß neben dem tatsächlichen Geburtsjahr Erika Utermöhlens und Franz Albrechts auch offenbleiben, ob ihrer Ehe wirklich eine Tochter namens Adelgund entsprossen und lediglich das Geburtsdatum 1904 fehlerhaft ist, oder ob hier z.B. eine Verwechselung mit einer jüngeren Schwester Franz Albrechts vorliegen könnte, die ca. drei Jahre nach ihrer späteren Schwägerin zu leben begonnen hätte. Ja es käme (nebst weiteren denkbaren Irrtümern) sogar in Betracht, daß das ihrer (hypothetischen) Tochter Adelgund zugewiesene Geburtsjahr 1904 in Wahrheit Erikas eigenes war. – Auffällig und frappierend in seinem dem Fall Erika Utermöhlen analogen Nebeneinander von Richtig und Falsch ist der Eintrag zu der Erika vorausgehenden Utermöhlen-Generation, ebenfalls bei familysearch.org: Alle acht Kinder des Ehepaares Georg und Lisette Utermöhlen (s.o. Anm. 24 und Text) erscheinen hier mit korrektem Namen und Geburtsdatum – der einzige kleine Fehler besteht in der Umbenennung Idas in «Ira» –, ihr Geburtsort wird jedoch durchgehends nach «Heimgarten» bzw. «Bülach» verlegt! –: www.familysearch.org/de/tree/person/details/LZZV-Q8J (von dieser, Wilhelm Utermöhlen gewidmeten Seite aus lassen sich die Einträge zu seinen Geschwistern mit den falschen Schweizer Geburtsorten jeweils einzeln öffnen). Demnach hätten die Utermöhlens spätestens seit 1856, dem Geburtsjahr des ältesten Kindes Ida, in der Schweiz gelebt. Die Ortsangaben in der Stammliste widerlegen das ebenso wie alle übrigen Dokumente und Erinnerungen der Angehörigen.

47 a.O. (Anm. 44).

48 Vgl. Briefe 9, Z. 10f. mit Anm.; 10, Z. 55-57 mit Anm.; 11, Z. 6f.

49 Die Stenographie, die in Deutschland ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. starken Aufschwung nahm, erfreute sich in der Herkunftsstadt der Kürschners einer ausdifferenzierten Gemeinde: Laut Elberfelder Adreßbuch für die Zeit von Kürschners erster Schrift wirkten dort der «Gabelsberger Stenographen-Verein (gegr. 1869)», der «Stenographen-Verein nach Stolze (gegr. 1878)», die «Vereinigung Gabelsberger Stenographen (gegr. 1882)» und der «Verein für vereinfachte Stenographie (gegr. 1888)»: Adreßbuch für die Stadt Elberfeld 1888/89. Hg. auf Grund eigener Aufzeichnungen der Bürgerschaft […] (Verlag Sam. Lucas; Ed. Loewenstein’s Verlag) S. 45 (Abschnitt «IV. Institute, Anstalten, Gesellschaften, Vereine»); wiki.genealogy.net/Elberfeld/Adressbuch_1888-89. Das aus dem ersten Kürschnerschen Titel sprechende Interesse an einer Vereinheitlichung der verschiedenen Kurzschrift-Schulen ist ein sehr frühes Beispiel; konzertierte Bemühungen in diesem Sinne begannen laut Wikipedia-Artikel ‹Deutsche Einheitskurzschrift› erst um die Jahrhundertwende.

50 Der Friede. Monatsschrift für Friedens- und Schiedsgerichtsbewegung. Organ des akademischen Friedens-Vereines Zürich, des Schweizerischen Friedens- und Erziehungs-Vereines, sowie der Friedensfreunde in der Schweiz und im Ausland 1/20 (4.11.1893), Rubrik ‹Verschiedenes›: «„Rasten macht Rosten!“: Dieser Wahlspruch scheint Frau Bertha Freiin von Suttner, geb. Gräfin Kinsky[,] zu leiten. Während Professor Kürschner als unerreichter Praktikus des Schrifttums infolge der praktischen Bestrebungen unseres Vereins die Ehrenmitgliedschaft in seltenem Maasse verdient, ist Baronin Suttner in höchstem Grade geeignet, den idealen Zielen der I-C-A voranzuleuchten. […]» (o.S., Sp. b) – dies ein vom ‹Friede› aus dem Organ der Internationalen Correspondenz-Association (die hier, Sp. a auf der folgenden Seite, falsch «Assossiation» geschrieben wird) übernommenes Zitat (sämtliche ‹Friede›-Bände unter: e-periodica.ch/digibib/volumes?UID=fri-001; DOI des zitierten Heftes: http://doi.org/10.5169/seals-803296). Das Lob spricht vermutlich von einem regen (fremdsprachlichen) Briefwechsel Kürschners im Sinne der Assoziation (s. Text zur folgenden Anm.).

51 Satzungen der internationalen Correspondenz-Association (I-C-A) (Wien: Verlag des Vereines/Jasper 1896) S. 1, § 2. Ehrenmitglieder wurden auf der jährlich im November stattfindenden Generalversammlung ernannt und zahlten weder Aufnahme- noch Mitgliedsbeitrag (ebda., S. 5, § 14 c); S. 12, §§ 35. 36 e)). Im Netz fristet die ICA ein seltsam arkanes Leben, indem nicht einmal ihr Gründungs- (und ggf. Auflösungs‑)Datum zu erfahren, geschweige denn ihr Publikationsorgan einzusehen ist – lediglich die Statuten aus dem Jahre 1896 stehen zur Verfügung (books.google.de/books/about/Satzungen_der_Internationalen_Correspond.html).

52 Neue Zürcher Zeitung (= NZZ), Jg. 117, Nr. 53 (22.2.1896, Morgenbl.) S. 3a (https://www.e-newspaperarchives.ch/?a=d&d=NZZ18960222-01.2.8). Dieselbe Nachricht, mit der Zusatzinformation, daß Kürschner in Genf «Handelsfächer» unterrichtet habe, in: Schweizerische Lehrerzeitung. Organ des schweizerischen Lehrervereins und des Pestalozzianums in Zürich, Jg. 41, H. 9 (29.2.1896) S. 78b-79a. Sämtliche Jahrgänge der Schweizerischen Lehrerzeitung (= SLZ) zwischen 1862 und 1991 unter: e-periodica.ch/digibib/volumes?UID-slz-002.

53 NZZ, Jg. 125, Nr. 47 (16.2.1904, Morgenbl.) S. 8a (https://www.e-newspaperarchives.ch/?a=d&d=NZZ19040216-01.2.25.1). Die Schreibung «hiemit» ist zeitgemäß sic. – Die lange, den Zürichberg hinaufführende Schmelzbergstraße verläuft genau auf der Grenze der heutigen Quartiere Fluntern – nach der Eingemeindung 1893 zum Stadtkreis V gehörig – und Oberstrass (zum Stadtkreis IV), wobei die ungeraden Hausnummern auf der linken Straßenseite heute zu Oberstrass gehören. Noch im frühen 20. Jh. wurde hier Wein angebaut.

54 Der Vater war Charles François Pasche (*9.8.1829 in Servion VD, †?), die Mutter Jenny Souky Bardet (ca. 1835-1895). Nur fünf Tage vor der zweiten Eheschließung seiner Tochter Hélène mit Friedrich Kürschner in Le Petit-Saconnex (das 1931 nach Genf eingemeindet wurde) heiratete auch Charles François Pasche – vermutlich aufgrund des Hinschieds seiner ersten Frau – in Genf-Plainpalais zum zweiten Male, mit Fanny Suzanne Thévoz (*1865) eine Frau aus der Generation seiner Tochter: gw.geneanet.org/rodac?lang=de&n=pasche&p=charles+francois+a+denezy; gw.geneanet.org/rodac?lang=de&n=bardet&p=jenny+souky.

55 s.o. Anm. 46. Tatsächlich wird auch hier, auf der Geneanet-Pasche-Seite, eine Unrichtigkeit sogleich augenfällig, wenn man den Verweis zu Friedrich Kürschner als zweitem Ehemann Hélènes aufklappt und mit Verwunderung erfährt, es sei dieser in «Erstfeld, 6472, Uri, Suisse Centrale» geboren (gw.geneanet.org/rodac?lang=de&n=kurschner&p=gottlob+August+Friedrich) —: entweder hat der Urheber der Seite, Roger Daniel Claude, den Ortsnamen «Elberfeld» verlesen, oder er hat ihn, geleitet von der Überzeugung, Friedrich Kürschner müsse gebürtiger Schweizer gewesen sein, für einen Verschreiber gehalten, da es in der Schweiz keinen Zivilstandskreis bzw. Heimatort «Elberfeld» gibt. Erstfeld ist der einzige mit ‘E’ beginnende und auf ‘‑feld’ endende Schweizer Zivilstandskreis (s. Liste der Zivilstandskreise unter www.gl.ch/public/upload/assets/20376/zivilstandskreise.pdf). Man sollte meinen, daß Kürschners deutsche Staatsangehörigkeit unzweifelhaft aus der Heiratsurkunde hervorgehe. Es steht daher zu vermuten, daß die Heiratsurkunde für diesen Eintrag nicht zu Rate gezogen worden ist – was wiederum gewisse Zweifel an den übrigen mitgeteilten Daten, Namen und Orten sät. – Zum Begriff ‹Heimatort› s.u. Anm. 82 und Text dazu.

56 Zum 1914 begangenen Genfer Centenaire, der Jahrhundertfeier zur Wiedervereinigung des Kantons mit der Schweiz nach der gewaltsamen Annexion durch Frankreich 1798, spendete Friedrich Kürschner «père», also unser Friedrich Kürschner jun., der Vater Friedels, einen kleinen Betrag: Courrier de Genève, Jg. 47, Nr. 136 (12.6.1914) S. 2e; https://www.e-newspaperarchives.ch/?a=d&d=COU19140612-01.2.15.2.

57 Federico Kürschner: L’italiano parlato. Frasi usuali giornaliere con trascrizione fonetica. Leipzig: O. R. Reisland 1898. Die Einleitung ebda., S. iiif. – Eine anerkennende Kurzbesprechung in der Literarischen Beilage Nr. 7 (Juli 1898) zur SLZ, a.O. (Anm. 52), Jg. 43, H. 27 (2.7.1898) S. 26a.

58 Staatsarchiv des Kantons Aargau (= StA AG), Dossier ‹Lehrer, Rektorat, Abwart, Wahlen, Urlaubsgesuche, Absenzen›, Entstehungszeitraum: 1898, Sign.: DE02/0201/01 (https://www.ag.ch/staatsarchiv/suche/detail.aspx?ID=179414).

59 StA AG, Dossier ‹Unterricht, Ferien, Stundenplan, Jugendfest, Lehrmittel›, Entstehungszeitraum: 1898, Sign.: DE02/0201/05 (https://www.ag.ch/staatsarchiv/suche/detail.aspx?ID=179418).

60 StA AG, Dossier ‹Rechnungswesen, Schulgelder›, Entstehungszeitraum: 1898, Sign.: DE02/0201/08 (https://www.ag.ch/staatsarchiv/suche/detail.aspx?ID=179421). – Die Remington-Schreibmaschine, lt. einschlägigem Wikipedia-Artikel ab 1874 die erste in Serie hergestellte Schreibmaschine mit Querty-Tastatur, verbreitete sich vor allem nach 1900 rasant, nachdem das sog. Wagnergetriebe mit vorderem Anschlag der Typenhebel übernommen worden war (bei den älteren Modellen schlugen die Hebel von unten oder oben auf die Papierwalze, so daß man erst nach ca. fünf Zeilen zu sehen bekam und ggf. korrigieren konnte, was man geschrieben hatte).

61 StA AG, Dossier ‹Handelsschule, Kürschner, Lehrer, Bewilligung zum Unterricht im kaufmännischen Verein›, Entstehungszeitraum: 4.11.1898, Sign.: R05.49.25.91 (https://www.ag.ch/staatsarchiv/suche/detail.aspx?ID=369990).

62 200 französische Geschäftsbriefe und Formulare aus der Praxis in methodisch-systematischer Anordnung zur gründlichen Erlernung der französischen Handelskorrespondenz: nebst Erläuterungen im allgemeinen und zu jedem einzelnen Briefe für Schule, Kontor und zum Selbstunterricht [so 1. Aufl.; spätere Aufl.: zur Selbstbelehrung; manche Ausg.en a.: … in systematisch-methodischer Anordnung … Briefe für Handelsschulen und zum Selbstunterricht], gesammelt und bearbeitet von Friedrich Kürschner, Professor an der … Aargauer Kantonsschule, hg. von der Handels-Akademie Leipzig (Leipzig: o.Vlg. 1899; Leipzig: Dr. iur. Ludwig Huberti 21903; Leipzig: Haberland 3. durchges. verm. Aufl. 1915; Leipzig: Haberland 41930; Leipzig: Möhring 51945). – Eine lobende Besprechung in: Für die Schreibstube 17/14 (16.4.1901) S. 111a-b. – 200 englische Geschäftsbriefe und Formulare aus der Praxis in methodisch-systematischer Anordnung zur gründlichen Erlernung der englischen Handelskorrespondenz: nebst Erläuterungen im allgemeinen und zu jedem einzelnen Briefe für Schule, Kontor und zur Selbstbelehrung, ges. und bearb. von Friedrich Kürschner, Professor … in Aarau (Leipzig: Verlag der Handelsakademie 1899; Leipzig: Dr. jur. Ludwig Huberti 21901; Leipzig: Haberland 3., durchges. verm. Aufl. 1930; Leipzig: Möhring 41945). – Eine sehr positive Besprechung in: Für die Schreibstube 15/19 (4.7.1899) S. 151b. – Das Organ ‹Für die Schreibstube›, das diese beiden Werke des als «bekannte[r] Verfasser» (ebda. 17/14, S. 111b) titulierten Friedrich Kürschner so wohlwollend besprach, trägt den Untertitel ‹Zeitschrift für den Bureaubeamtenstand zur Belehrung, zur Hebung der Bildung und des kollegialen Lebens der Bureaubeamten sowie zur Förderung der wirtschaftlichen Interessen derselben› und wurde herausgegeben vom ‹Verein der Bureaubeamten der Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher in Berlin und Bureaubeamtenverein in Flensburg›. Von den insgesamt erschienenen einundzwanzig Jahrgängen (Berlin 1.1884/85-21.1904/05) sind die ersten siebzehn (also bis 17.1900/1901, dem die Rezension der französischen Geschäftsbriefe enthaltenden Jahrgang) unter digital.staatsbibliothek-berlin.de/suche?queryString=PPN743983399 im Volltext lesbar.

63 Friedrich Kürschner: Eine wichtige Frage unserer Volkswirtschaft: Wie kann der Bund das zum Ankauf der Schweizerbahnen nötige Geld umsonst erhalten, wie kann er die jetzigen Besitzer reichlich entschädigen und zugleich den Wohlstand der Schweiz in ungeahnter Weise heben? Ein offener Brief an den hohen Bundesrat und das Schweizervolk (Aarau: E. Wirz 1899). Die ‹Zürcherische Freitagszeitung› versah die bereits am 2.12.1898 in ihrer beigelegten «Bücherschau» abgedruckte Annonce mit der vernichtenden Ein-Wort-Kritik: «Konfus!» (Zürcherische Freitagszeitung, Nr. 48, Beilage S. 3e; https://www.e-newspaperarchives.ch/?a=d&d=ZFZ18981202-01.2.8.7).

64 14 S., o.Vlg. Vgl. Wikipedia-Artikel ‹Plansprache›, dem zufolge auch etwa der italienische Mathematiker Giuseppe Peano 1903 mit einer solchen naturalistischen, in diesem Falle auf dem Latein basierenden, ‹Interlingua› genannten Konstruktion hervortrat. Im ‹Dritten Reich› wurden 1936 sämtliche Plansprachenorganisationen aufgelöst – Esperanto galt gar als jüdische Verschwörung –, und auch in anderen, faschistischen wie kommunistischen, Diktaturen sahen sich die Vertreter von Plansprachen nicht selten als Auslandsspione verdächtigt und verfolgt: am schlimmsten in der Sowjektunion, wo ab 1937 namentlich ‘Esperantisten’ – nach jahrelanger staatlicher Indienstnahme des Esperanto für die Auslandspropaganda! – verhaftet und teils jahrelang in Lagern interniert oder sogar hingerichtet wurden (ebda.). – Seinem Weltspracheprojekt widmete Friedrich Kürschner über die kleine Broschüre hinaus noch ein grammatisches Lehrbuch, ein methodisch-systematisches Lehr- und Übungsbuch sowie ein Wörterbuch «mit über 5000 Wörtern und Ausdrücken in lingua komun». Diese offenbar gleichfalls im Selbstverlag erschienenen Titel sind, anders als der einführende und werbende Prospekt selbst, auf dessen Rückseite sie mit kurzer Inhaltsbeschreibung und Preisangabe stehen, bibliographisch in keiner Bibliothek nachweisbar. Kürschners ‹Lingua komun› wird in dem einschlägigen Standardwerk von Louis Couturat und Léopold Leau, der ‹Histoire de la langue universelle› (Paris: Hachette 1903) S. 480-483, in einem eigenen Abschnitt gewürdigt.

65 Andreas Künzli: Plansprachenprojekte ersten, zweiten und dritten Grades in der Schweiz. Aus welchen Projekten Sprachen wurden und was ephemer blieb, in: Interlinguistische Informationen. Mitteilungsbl. der Gesellschaft für Interlinguistik e.V., Beiheft 14: Esperanto heute. Wie aus einem Projekt eine Sprache wurde. Beiträge der 16. Jahrestagung der Gesellschaft für Interlinguistik e.V., 1.-3.12.2006 in Berlin, hg. Detlev Blanke (Berlin Nov. 2007) S. 9-14. Künzli, Berner Slawist, Interlinguist und Betreiber der Seite plansprachen.ch, erwähnt in seinem Aufsatz auch Kürschners ‹Lingua komun›, und zwar als Beispiel für «einige Plansprachenversuche heimischer schweizerischer Herkunft, die jedoch weitgehend unbeachtet und bedeutungslos blieben, weil sie nicht über theoretische Ansätze hinausreichten» (S. 12). – Sämtliche Veröffentlichungen der Gesellschaft für Interlinguistik einschließlich des zitierten Beiheftes im Netz unter web.interlinguistik-gil.de/veroeffentlichungen/; Künzlis Beitrag selbst a. unter media.interlinguistik-gil.de/beihefte/14/heft14-kuenzli1.pdf

66 SLZ, a.O. (Anm. 52), Jg. 48, H. 6 (7.2.1903) S. 45a.

67 StA AG, Dossier ‹Lehrer, Rektorat, Abwart, Wahlen, Urlaubsgesuche, Absenzen›, Entstehungszeitraum: 1900, Sign.: DE02/0203/01 (https://www.ag.ch/staatsarchiv/suche/detail.aspx?ID=179438).

68 Einführung in die englische Umgangs- und Geschäftssprache. Kurzgefaßte praktische Anleitung, die englische Sprache in kurzer Zeit verstehen, lesen, schreiben und sprechen zu lernen. Lehr- und Lesebuch zum Gebrauch in kaufmännischen, technischen und gewerblichen Schulen … unter besonderer Berücksichtigung … des Handels- und Gewerbestands. Mit genauer Bezeichnung der Aussprache und Betonung. Von Friedrich Kürschner, Professor (Orselina-Locarno) (Leipzig: Dr. iur. Ludwig Huberti’s Moderne kaufmännische Bibliothek 1902, ²1928). – Eine sehr empfehlende Kurzbesprechung in: Literarische Beilage Nr. 2 (Februar 1903) zur SLZ, a.O. (Anm. 52), Jg. 48, H. 6 (7.2.1903) S. 6b; eine abratende dagegen im Jahr darauf in: Literarische Beilage Nr. 1 (Januar 1904) zur SLZ, ebda., Jg. 49, H. 1 (2.1.1904) S. 4b.

 http69s:https://monteverita.net/personen/friedrich-kuerschner/#identifier_3_922– Die bibliographischen Angaben zu Kürschners Büchern in diesem ansonsten äußerst wertvollen, nurmehr über Wayback Machine erreichbaren Eintrag sind weder vollständig noch immer korrekt. – Zum Monte Verità, seinen Ideen, Besuchern, seiner Geschichte, Entwicklung und Rezeption s. a. die seinem Mitbegründer Gusto Gräser (1878-1958) gewidmete, materialreiche Netzseite gusto-graeser.info/.

70 Monte Verità. Wahrheit ohne Dichtung. Aus dem Leben erzählt von Ida Hofmann-Oedenkoven (Lorch (Württemberg): Karl Rohm 1906), S. 39. – Zu Ida Hofmann, einer mehrsprachig aufgewachsenen, vielseitig begabten, zur Pianistin und Musikpädagogin ausgebildeten, emanzipatorisch gesinnten Dame, s. a. den ihr gewidmeten Wikipedia-Artikel sowie unten Anm.en 73. 118.

71 Hofmann: Monte Verità, a.O. (Anm. 70), S. 49. – Die Theosophie, eine ursprünglich neuplatonische Lehre über die Voraussetzungen des Wissens von den göttlichen Dingen, in Judentum (Chassidismus, Kabbala) wie Christentum (u.a. der Mystik Jakob Böhmes) fortgesponnen, wurde im 19. Jh. von der Okkultistin Helena Blavatsky (1831-1891) und der von ihr und Henry S. Olcott (1832-1907) 1875 gegründeten ‹Theosophischen Gesellschaft› besetzt und zu einem nurmehr aus östlichen, v.a. indischen Traditionen schöpfenden Spiritismus und Reinkarnationssystem umdefiniert mit dem Anspruch, die wahre Religion und Philosophie zu repräsentieren. Cf. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. Joachim Ritter/Karl Gründer, Bd. 10 (Basel: Schwabe 1998) s.v.

72 Hofmann: Monte Verità, a.O. (Anm. 70), S. 41. – Einen Anstoß zu seinem Interesse an Mittel- und Südamerika mag Friedrich Kürschner bereits in seiner Elberfelder Jugend erhalten haben, und zwar daraus, daß – wie das lokale Adreßbuch seit 1890/91 angibt – einige Länder jener Region konsularisch in der Stadt vertreten waren, namentlich Kolumbien, Mexiko und Brasilien. Besonders der Repräsentant Brasiliens, Eduard Schmidt, seines Zeichens Bandfabrikant, käme als ‘Anstifter’ in Frage, da ihm ein vermietetes Haus in der Vogelsaue gehörte und er somit jahrelang in unmittelbarer Nachbarschaft zu Familie Kürschner zu tun hatte (s.o. Anm. 41).

73 Laut Netzseite, a.O. (Anm. 69), ist es beim Monte Verità auch nicht bekannt, ob Friedrich Kürschner schlußendlich auswanderte oder nicht, eine Wissenslücke, die wir dank Friedels Korrespondenz schließen können. – Interessanterweise emigrierte Ida Hofmann (deren Mutter aus Braunschweig stammte und mit dem Staatslehrer und Historiker Justus Möser verwandt war – auch das in unserem braunschweigischen Kontext eine bemerkenswerte Koinzidenz) zusammen mit einigen Angehörigen um 1920 selbst nach Brasilien, wo sie 1926 nach schwerer Krankheit in São Paulo verstarb. S.u. Anm. 118.

74 Amtliches Schulblatt des Kantons Zürich, Jg. 21, H. 5 (1.5.1906) S. 123. – Alle Jahrgänge 1.1886-83.1968 unter: e-periodica.ch

75 StA ZH, Sign.: MM 3.20 RRB 1906/0215, Titel ‹Handelsschule›, 8.2.1906, pag. 80 (https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3766534).

76 Einführung in die französische Umgangs- und Geschäftssprache. Kurzgefaßte praktische Anleitung, die französische Sprache in kurzer Zeit verstehen, lesen, schreiben und sprechen zu lernen. Lehr- und Lesebuch zum Gebrauch in kaufmännischen, technischen und gewerblichen Schulen … unter besonderer Berücksichtigung … des Handels- und Gewerbestands. Mit genauer Bezeichnung der Aussprache und Betonung. Von Friedrich Kürschner (Leipzig: Dr. iur. Ludwig Huberti’s Moderne kaufmännische Bibliothek) – «ca. 1910» – «um 1920» – «1928» – «um 1930»: dies die bibliographischen Angebote der wissenschaftlichen (!) Bibliotheken, ohne daß dabei etwa zwischen verschiedenen Auflagen differenziert würde. Nun kommen die letzten beiden Jahre als Ersterscheinungsdatum aus biographischen Gründen gar nicht in Frage, aber eine Entscheidung zwischen den ersten beiden wäre in unserem Kontext eine große Hilfe.

78 StA ZH, Sign.: MM 3.21 RRB 1907/1023, Titel ‹Niederlassung›, 8.6.1907, pag. 371. Alle folgenden Zitate in dieser Causa hieraus, via https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/Dateien/149/D749533.pdf.

79 Im Digitalisat, a.O. (Anm. 78), fälschlich «Reichsaugehöriger».

80 Der ersten Beschwerdeinstanz gegen Anordnungen und Erlasse von Gemeindebehörden u.a. in Personal- und politischen Stimmrechtssachen.

81 Gemeint ist möglicherweise: ein öffentlich-rechtlicher Vertrag.

82 Dazu s. z.B. die Wikipedia-Artikel ‹Schweizer Bürgerrecht›, ‹Bürgerort› und ‹Politische Gemeinde› sowie Rainer J. Schweizer/Christina Müller: Art. ‹Bürgerrecht/Burgerrecht›, in: HLS, a.O. (Anm. 12) 3 (2004) s.v.; online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008969/2021-01-11/.

86 Deutsche Schnellkurzschrift – Tachystenographie: Auf lautwissenschaftlicher Grundlage aufgebaut und ohne Veränderung auf alle Sprachen anwendbar! Nationales und internationales Einigungssystem von Friedrich Kürschner (Heimgarten-Bülach (Schweiz) und Lottstetten (Großherzogtum Baden, Deutsches Reich): Selbstverlag 1913). Den Vertrieb des Buches übernahm die Luzerner Verlagsbuchhandlung E. Haag. – Die Tachystenographie oder auch Stenotachygraphie (Schnellkurz- oder Kurzschnell-Schrift) wurde Mitte der 1870er Jahre von Karl Friedrich August Lehmann (1843-1893) entwickelt und war zur Zeit von Kürschners Publikation die drittgrößte Kurzschriftschule im deutschsprachigen Raum nach Gabelsberger und Stolze-Schrey. 1924 wurde nach jahrelangen Verhandlungen aus den zehn größten deutschen Kurzschriftsystemen die sog. Deutsche Einheitskurzschrift geschaffen, deren man sich in revidierter Fassung bis heute in Deutschland und Österreich bedient, während in der deutschsprachigen Schweiz das revidierte System Stolze-Schrey Verwendung findet.

87 Ausweislich seines Vorworts zur zweiten und dritten Auflage seiner ‹200 französischen Geschäftsbriefe›, a.O. (Anm. 62), S. XIV, das er mit der gleichen Ortsangabe wie seine ‹Tachystenographie› (Anm. 86) versieht: «Heimgarten-Bülach (Schweiz) und Lottstetten (Gr. Baden, D. R.) im Frühjahr 1915». Lottstetten, im äußersten Süden Badens im weitgehend von der Schweiz umschlossenen sog. Jestetter Zipfel gelegen, war (und ist bis heute) durch die 1897 eröffnete Eisenbahnstrecke Zürich-Schaffhausen direkt mit Bülach verbunden.

89 Vgl. Briefe 3, Z. 63 mit Anm.; 8 und 9.

90 Brief 9, Z. 10f. mit Anm., in welcher Hinweis auf ein weiteres von Kürschner herausgegebenes Sprachlehrwerk.

91 Zur zweiten Ehe gehörten auch Kinder (s. Briefe 11, Z. 7f.; 15, Z. 5f.). Wieviele es waren und ob es sich um Sprößlinge dieser oder einer möglichen ersten Ehe der zweiten Frau handelte, bleibt ungesagt.

92 s. Briefe 8ff.

95 Brief 20, Z. 12-14.

96 Brief 4, Z. 17.

97 Brief 17, Z. 8f.; vgl. 34, Z. 9f.

98 Brief 28, Z. 13f.

100 s. Brief 3, Z. 20ff. mit Anm.

102 Diese sog. Heiratsregel, reines, nicht-kodifiziertes Gewohnheitsrecht, galt in der Schweiz bis 1952 und führte dazu, daß an die hunderttausend Schweizerinnen ihren roten Paß verloren und ineins damit ihr Berufsausübungs- und Aufenthaltsrecht, ihr Recht auf Sozialfürsorge im Armutsfall und nicht zuletzt ihren diplomatischen Schutz im Ausland. Letzteres wurde besonders für Jüdinnen nach 1933 fatal, zumal die Schweiz während der Zeit der deutschen Diktatur ihre Ausweisungs- und Ausbürgerungspolitik ihnen gegenüber noch verschärfte und selbst humanitär begründete Petitionen ein ums andere Mal rigoros verwarf. Erschütternde Beispiele aus dieser langen Entrechtungsgeschichte lassen sich nachlesen bei Silke Margherita Redolfi: Die verlorenen Töchter. Der Verlust des Schweizer Bürgerrechts bei der Heirat eines Ausländers: rechtliche Situation und Lebensalltag ausgebürgerter Schweizerinnen bis 1952 (Zürich: Chronos 2019); einen ersten Eindruck vermittelt die Autorin in einem Netzbeitrag zum Thema, betitelt: ‹Nach der Heirat ausgebürgert›, unter: blog.nationalmuseum.ch/2021/07/nach-der-heirat-ausgebuergert/, publiziert am 7.7.2021, aktualisiert am 7.10.2025. Cf. a. HLS-Artikel ‹Bürgerrecht› bzw. ‹Burgerrecht›, a.O. (Anm. 82); und Annika Bangerter: Tausende Schweizerinnen verloren bis 1952 ihre Bürgerrechte, weil sie Ausländer heirateten (14.7.2019), unter https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft-politik/579085394-heirat-mit-auslaendern-schweizerinnen-verloren-buergerrechte/. – Nach 1952 konnte eine Schweizerin bei Vermählung mit einem Ausländer ihr Bürgerrecht behalten, vorausgesetzt, sie gab eine entsprechende Erklärung vor dem Zivilstandsbeamten ab – eine Bedingung, die bis 1988 galt: HLS-Art. ‹Bürgerrecht›, ebda.; Wikipedia-Art. ‹Schweizer Bürgerrecht›.

103 StaA ZH, Direktion der Justiz und des Innern, MF 1.10502, Sign.: E III 21.53: Bülach, Familienregister 1863-1901, Bd. 2, Nachtrag des Zivilstandsamtes vom 23.4.1936: ‹Bericht an das Pfarramt Bülach pro I. Quartal 1936›, S. 2 https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3651420herunterzuladen; der erste Band des Registers liegt unter … ID=3651418).

104 NZZ, [o. Jg.] Nr. 1314 (31.8.1919, Sonntagsbl.) S. 1d ( unter «Militärische Beförderungen») (https://www.e-newspaperarchives.ch/?a=d&d=NZZ19190831-02.2.3); s.a. Neue Zürcher Nachrichten, Jg. 15, Nr. 236 (1.9.1919, Abendbl.) S. 2c (https://www.e-newspaperarchives.ch/?a=d&d=NZN19190901-02.2.9).

105 s. Brief 1/Anm. 2.

106 s. Brief 24, Z. 19-23.

107 Brief 13, Z. 94-99.

108 Brief 24, Z. 27.

109 Brief 34, Z. 54.

110 a.O. (Anm. 103).

111 Brief 13, Z. 56.

113 Vgl. Brief 17, Z. 102f.

114 Brief 18, Z. 22f.

115 Brief 16, Z. 14.

116 s. Briefe 12, Z. 24f. mit Anm.; 16, Z. 14 mit Anm.; 18, Z. 22f. mit Anm.; 19, Z. 38-40 mit Anm.

117 s. Brief 17, Z. 100f.

118 Im von Deutschen und Schweizern 1851 gegründeten Joinville, Bundesstaat Santa Catarina; s. Art. ‹Ida Hofmann gestorben.›, in: Die Südschweiz, Nr. 73 (15.9.1926), der sich seinerseits auf eine Meldung der ‹Deutschen Tageszeitung für Südbrasilien› stützt. Demnach war Hofmanns Todestag der 12.7.1926. Einer anderen Quelle zufolge, die auch in weiteren Details von dem einschlägigen Wikipedia-Art. abweicht (s.o. Anm. 70), war es der 4.7.1930: Julia Schiff: „Extremes Denken und Fanatismus“: Ida Hofmann – eine aus Siebenbürgen kommende Vorkämpferin für ein alternatives Lebensmodell, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, Jg. 47, Folge 4 (München 1998) 339-343. Sowohl Schiffs Aufsatz als auch die Todesmeldung in der ‹Südschweiz› sind, mitsamt weiterem Material, bei gusto-graeser.info unter der Rubrik ‹Personen A-Z› → ‹Hofmann, Ida› nachzulesen. Ein spezifischeres Lokalisierungsschema bietet die Seite nicht. Zu Hofmann s.o. Anm.en 70. 73.

119 Zu Weferlingen und seiner Geschichte vgl. das schöne Büchlein von Fritz Barnstorf: Weferlingen, a.O. (Anm. 8); zu Hermann Utermöhlen ebda., S. 30.

120 1866 von den beiden Frauenrechtlerinnen und Pädagoginnen Anna Vorwerk (1839-1900) und Henriette Schrader-Breymann (1827-1899; Nichte Friedrich Fröbels [lt. manchen Quellen Großnichte Fr. Fröbels, was nicht zutrifft – ihre Großtante mütterlicherseits war mit Fröbels Vater Johann Jakob verheiratet, ihre Mutter somit Cousine Friedrich Fröbels; s. ADB und NDB s.v. ‹Schrader-Breymann, Henriette›]) gegründet, entwickelte sich die Schule, ausgehend von einem Kindergarten und Elementarklassen für Mädchen, immer weiter und umfaßte bald auch eine Gewerbe- und eine Haushaltungsschule, ein Internat für die in großer Zahl ihr zuströmenden auswärtigen Schülerinnen, ein Lehrerinnenseminar und schließlich ein ‹Feierabendhaus› für pensionierte Lehrerinnen. 1913, wahrscheinlich zu spät für Käthe Utermöhlen, wurde neben dem Lyzeum noch ein (ebenfalls privates) Oberlyzeum eingerichtet. Die Schule konnte im Wolfenbütteler Schloß residieren, weil der Hofstaat bereits im 18. Jh. nach Braunschweig verlegt worden war. Nach dem Zerwürfnis der beiden Gründerinnen führte Anna Vorwerk die Schloßanstalt alleine weiter, während Henriette Schrader-Breymann zusammen mit ihrem Mann Karl Schrader (1834-1930) nach Berlin ging, wo sie u.a. 1874 das noch heute bestehende ‹Pestalozzi-Fröbel-Haus› gründete, eine noch umfassendere Erziehungs‑, Bildungs- und Berufsanstalt im Geiste der beiden namensgebenden Pädagogen, der das Ehepaar Schrader sein gesamtes Vermögen vermachte. Auch die Wolfenbütteler ‹Schloßanstalt› existiert noch heute und heißt seit 1970, als auch die Koedukation eingeführt wurde, ‹Gymnasium im Schloß›.

121 Auf der letzten Seite von Käthes Abgangszeugnis lesen wir über diese Schule: «Die Höhere Handelslehranstalt für Damen steht unter der Verwaltung der Handelskammer für das Herzogtum Braunschweig, Abteilung für das kaufmännische Unterrichtswesen. Sie hat den Zweck, Damen Gelegenheit zu geben, sich für die praktischen Anforderungen des Lebens vorzubereiten; insbesonders will sie solchen Damen, die später im Geschäft ihrer Eltern oder ihres Mannes tätig sein, sich ein eigenes Geschäft gründen oder in die höheren Stellungen des Handels eintreten wollen, eine hierzu geeignete fachliche Vorbildung verschaffen. Als Schülerinnen werden Damen aufgenommen, die eine Höhere Mädchenschule mindestens mit der Reife für die 2. Klasse, die hiesige Städtische Mädchenschule oder eine auswärtige mittlere Mädchenschule, die dieser gleichzustellen ist, mit gutem Erfolge besucht haben. Auch können Schülerinnen einer mittleren Bürgerschule,[sic] auf Grund eines sehr guten Abgangszeugnisses nach vollendetem fünfzehnten Lebensjahre zugelassen werden. Die Schülerinnen erhalten beim Verlassen der Anstalt ein Abgangszeugnis. Die Reihenfolge der Urteile für die Leistungen ist: sehr gut, gut, befriedigend, noch nicht voll befriedigend.».

122 Im Bergbau war (bis 1994) eine ‹Gewerkschaft› praktisch das Gegenteil dessen, was man in der heutigen Alltagssprache damit verbindet: keine Interessenvertretung abhängig Beschäftigter, sondern eine Kapitalgesellschaft. Ihre Mitglieder, auch ‹Gewerken› (sg.: ‹der Gewerke›) genannt, hielten Anteile (sog. Kuxe) an einem Bergwerk oder einer Eisenhütte, die sie im Bedarfsfalle zum Nachschießen von Kapital (sog. Zubuße) verpflichtete, im Ertragsfalle aber zur Abschöpfung des Gewinns (sog. Ausbeute) berechtigte. Alleineigentümer einer Zeche wurden ‹Alleingewerken› genannt, nicht am Werk wohnende Anteilseigner hießen in der prägnanten Sprache der Bergleute ‹Blinde Gewerken›.

123 Hierzu wie zum Kaliwerk Beienrode allgemein ausführlich Brief 2/Anm. 4.

124 Im mschr. Arbeitszeugnis ist nach dem End-‘e’ ein zuerst irrtümlich angehängtes ‘n’ ausgeixt worden: «Kuxex». – Zur Wortbedeutung s.o. Anm. 122.

125 Bis 1931 hatte man dies verkürzt und leicht abgeändert auf «Gemüse- und Früchte-Konserven-Fabrik, Frischobst-Marmeladen, Konfitüren u. Fruchtsirupe» (Briefkopf des Kündigungsschreibens vom 14. August 1931). – Die Braunschweiger Konservenindustrie war zwischen 1870 und 1945 von solcher Bedeutung, daß Wikipedia ihr einen eigenen ausführlichen Artikel widmet (‹Konservenindustrie in Braunschweig›, mit kurzer Erwähnung auch der Firma Julius Roever). Ihm zufolge wurden hier, nach Anfängen um die Mitte des 19. Jh., als ein Schüler Justus Liebigs (s. a. Brief 2/Anm. 4) die Konservierung von Spargel in Metalldosen anregte, zumindest bis zum Ersten Weltkrieg zwei Drittel aller deutschen Gemüsekonserven produziert; im Krieg belieferten die Fabriken das Heer massenhaft mit sog. Manöverkonserven. Konservenindustrie und Maschinenbau beförderten sich in Braunschweig gegenseitig. 1928, also um die Zeit von Käthes Eintritt in die Branche, existierten lt. Wikipedia 81 Konservenfabriken im Herzogtum, davon mehr als die Hälfte in der Stadt Braunschweig selbst. Die Julius Roever AG (gegründet 1848, ursprünglich Julius Roever KG, Aktiengesellschaft seit 1922; im Gartenkamp 82, später Güldenstraße und nach 1891 Roßstraße [heute Ernst-Amme-Straße], spätestens seit 1931 Frankfurter Straße 3) war eines der ältesten, aber auch eines der kleinsten Unternehmen, wiewohl es mehrere Hundert Arbeiter beschäftigte und eigene Spargel‑, Gemüse- und Obstkulturen unterhielt (1929/30 bildete Braunschweig das größte Spargel-Anbaugebiet innerhalb Preußens). Roever war auch Hoflieferant und bewarb sich 1906 als «[g]rösstes und leistungsfähigstes Delikatessen-Versand-Haus der Residenz» mit «[e]igene[r] Gemüse‑, Frucht- und Fleischkonservenfabrik» und der «Spezialität: Tafelfertige Speisen» (Anon.: Historischer Führer durch die Stadt Braunschweig [1906] (Barsinghausen: Unikum-Verlag 2011) S. 36). Just 1927, im Jahr von Käthes Einstellung, nahm Roever eine vollautomatische Anlage zur Herstellung von Milchdosen in Betrieb, dank welcher in den 1930er Jahren jährlich nahezu 100 Millionen Milchdosen produziert werden konnten. – Als Kuriosität: In der in Daressalam erscheinenden ‹Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung› vom 19. Dezember 1903 warb Roever, inmitten von Annoncen für «Raubtier-Fallen» für «Löwen, Leoparden, Ginsterkatzen, Zibethkatzen [sic], Serwals etc. etc.», «Beste egyptische [sic] Cigaretten» und «Prima Usambara-Kaffee» der «Plantage Ambangulu», in einer großen Anzeige damit, auch in die Kolonien zu liefern: «Export nach allen Zonen mit bestem Erfolge» (5. Jg., Nr. 51, 1. Beilage, pag. 3; im Netz unter: content.staatsbibliothek-berlin.de/zefys/SNP23820457-19031219-0-0-0-0.pdf; weitere Ausgaben der ‹Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung› unter zefys.staatsbibliothek-berlin.de/list/title/zdb/23820457).

126 Zu Hedwig Schwegelbaur s. Briefe 12, Z. 11-16 mit Anm.; 13, Z. 124f.; 34, Z. 68-70 mit Anm. Käthe Utermöhlen blieb bis an ihr Lebensende eng mit Hedwig – die seit ihrer Heirat mit Karl Schaible um 1925/26 Hedwig Schaible hieß – befreundet. Davon zeugen zahlreiche Grußkarten, Familienbilder, Photos von gemeinsamen Unternehmungen und noch die Erinnerung des Sohnes von Fritz Barnstorf, Dr. Henning Barnstorf, an Weihnachtspäckchen der Familie Schaible.

127 Das legt u.a. Addendum 1 vom 23. November 1932, Z. 30f., nahe.

128 Vgl. Brief 25, Z. 39f. mit Anm.

129 Wohl wegen der schlechten Wirtschaftslage durchlief das Unternehmen 1932 ein Konkursverfahren, welches jedoch am 25. Januar 1933 durch das Amtsgericht Braunschweig aufgehoben wurde. Die schlechten Zahlen erhellen, nebst anderen interessanten Details, aus den Einträgen im ‹Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften›, z.B. den Bden. 37/3 (Berlin: Verlag für Rechts- und Wirtschaftsliteratur 1932), S. 4681; 38/4 (1933), S. 5535. Dieses zwischen 1896/97 und 1997/98 jährlich erscheinende große Nachschlagewerk über sämtliche deutschen Aktiengesellschaften, ihre Unternehmensstruktur, Gründungsdaten, Börsenkurse, Bilanzen, Dividendenzahlungen u.a.m. läßt sich für die Jahre 1.1896/97 bis 63.1962/63 Band für Band unter digi.bib.uni-mannheim.de/hoppenstedt/uebersicht einsehen und herunterladen. Eine Besonderheit des Werkes besteht darin, die Jahresbände als «Auflagen» zu zählen, d.h. der 37. Band wird als 37. Auflage bezeichnet usw.

130 Im April 1932 war sie wohl noch bei Roever, wenn man Brief 30, Z. 3 und 7, recht versteht. Am 23. Juni oder 29. August 1932 muß sie Friedel von einer ihr in Aussicht stehenden Stelle berichtet haben (32, Z. 81 mit Z. 4f. und 9); die Rede ist auch von einem Umzug (ebda., Z. 89). Der fand zwischen dem 18. November und dem 8. Dezember 1932 statt (33, Z. 6. 12f.), und zwar nach Köln (34, Z. 55. 60).

131 Dies ergibt sich aus der Adressierung zweier Postkarten Hedwig Schwegelbaurs (s.o. Anm. 126) an Käthe aus diesem Monat: am 8. Juli 1933 schrieb sie nach Weferlingen mit dem Vermerk: «bitte, nachsenden!» – Käthe war also noch in Köln, hatte aber ihrer Freundin die dortige Adresse offenbar nicht mitgeteilt (was dafür spricht, daß der Wechsel an den Rhein von vornherein nur als vorübergehend angelegt war). Dann aber eine weitere Karte vom 25. Juli 1933 per Adresse «Braunschweig. Bruchtorwall 123.[sic] bei Fr. Kiel»: das Kölner Intermezzo war offenbar beendet.

132 Zum Konkursverfahren s.o. Anm. 129. – Es existiert ein Photo von ca. 1934, das Käthe zusammen mit ungefähr gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen sowie einem sehr jovial und gutmütig wirkenden älteren Herrn mit weißem Schnauzbart und Embonpoint, vermutlich dem Firmenchef Julius Roever, vor einem Gebäude der Firma zeigt (Anhang zu einer Mail von Henning Barnstorf vom 22. April 2020, Betreff: Friedels Briefe).

133 ‹Kraft durch Freude›, im November 1933 gegründet, war eine der Freizeitgestaltung gewidmete Unterorganisation der nationalsozialistischen ‹Deutschen Arbeitsfront› (DAF); wer als Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder Beamter in der DAF organisiert war, war zugleich auch KdF-Mitglied und zahlte einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von mindestens fünfzig Pfennig. Geboten wurden ihm dafür – sofern er sich die Teilnahme je leisten konnte – Sport‑, Kultur‑, Unterhaltungs- und Bildungsveranstaltungen sowie vor allem Reisen, die das hierfür zuständige ‹Amt für Reisen, Wandern und Urlaub› organisierte – der größte und bekannteste Geschäftsbereich der KdF. Auf all diesen Feldern war Freizeit für die NS-Ideologie keine Privatangelegenheit des Individuums, sondern stand im Dienste einer Stärkung der sog. Volksgemeinschaft, die durch körperlich-seelisch-geistige Stählung des Einzelnen in der Gruppe erreicht werden sollte; s. Wikipedia-Art. ‹Kraft durch Freude›.

134 Zumal nur schon die Teilnahme an einem KdF-Urlaub nicht billig war und für viele Deutsche unerschwinglich blieb, weshalb die KdF immer stärker bezuschußt werden mußte; 1938 bereits mit 32,5 Mio. Reichsmark laut Wikipedia-Art.

135 s.o. Anm. 131.

136 Der Wortlaut ihrer Karte in Brief 33/Anm. 3 (Ende).

137 Brief 33, Z. 12-19.

138 Briefe 25, Z. 39-41; 30, Z. 7-9; 32, Z. 81-83.

139 Brief 32, Z. 81.

140 Brief 33, Z. 14f.

141 Elektronische Mitteilung von Henning Barnstorf vom 15. Juli 2020, Betreff: Fragen zu Käthe. Henning Barnstorf schreibt korrekt «Grünwald», die Stammliste der Utermöhlens hat irrtümlich «Grünewald».

142 Brief 33, Z. 18.

143 8. März 1942 laut Stammliste Utermöhlen, 10. März 1942 laut Henning Barnstorfs E-Mail vom 22. April 2020, Betreff: Friedels Briefe; 8. März stimmt.

144 Zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt s. die zu ihrem hundertjährigen Bestehen veröffentlichte, 44seitige Broschüre ‹Das Niedersächsische Landeskrankenhaus Königslutter 1865-1965›, hg. Landeskrankenhaus Königslutter (Braunschweig: Hans Oeding 1965), zu der Fritz Barnstorf selbst den historischen Hauptaufsatz beigesteuert hat: ‹Zur Geschichte des Nieders. Landeskrankenhauses Königslutter und der psychiatrischen Krankenpflege im Lande Braunschweig›, ebda. S. 7-21.

145 Mitteilungen von Henning Barnstorf in seinen E-Mails vom 22. April 2020, Betreff: Friedels Briefe.

146 s. z.B. Brief 22, Z. 33f.

147 s. z.B. Brief 25, Z. 22 mit Anm.

148 Auch lange nach Friedels Auswanderung besuchte Käthe die in Heimgarten gebliebenen Verwandten immer wieder gerne; s. z.B. Brief 23, Z. 4. 7-10; s.o. Text zu Anm. 133 mit der Reise in die Schweiz 1936.