Widmung

Diese kleine Dorfgeschichte, die der Verfasser zu den Festtagen des 10. bis 12. September 1965 vorlegen kann, soll vor allem den früheren und den heutigen Einwohnern Weferlingens gewidmet werden. Sie entstand aus lebenslanger Liebe zu dem kleinen Ort, in dem er seit 1901 seine Jugend verlebte. Die Schrift soll aber zugleich zwei Männern zugeeignet werden, denen ihr Autor ganz besonders dafür zu danken hat, daß sie Anregung und Ermunterung dieser Liebe spendeten.

 Den Keim zu Familien- und Dorfgeschichtsforschung legte sein Großonkel, der Ackermann Fritz Barnstorf (1826 - 1883) vom Hof Nr. 3 in ihn, der nach seinem frühen Tode viele Aufzeichnungen hinterließ, wie sie vor 80 Jahren in rein bäuerlichen Häusern selten waren. Dem früheren Studienrat Prof. Otto Hahne (geb. 1878), dem Nestor der Braunschweigischen Flurnamen- und Dorfgeschichtsforschung, verdankt der Verfasser seit 40 Jahren Erkenntnisse, Hinweise und Ratschläge, die ihn als Laienforscher immer wieder ermutigten. Prof. Hahne ist während der Drucklegung dieser Schrift, die ihn erfreuen sollte, heimgerufen worden.

Beider Männer Namen, die in der Sippentafel des Autors verzeichnet stehen, müssen hier genannt werden zur Ehrung ihres Andenkens.  Was laienhaft oder irrtümlich in der kleinen Arbeit ist, die im wesentlichen eine erweiterte Neuauflage der 1957 zur Neuweihe der Dorfkirche als Roto-Druck hergestellten Schrift ist, — darüber mögen die Augen der historischen Sachkenner nachsichtig hinwegsehen. Die Liebe zum Thema verbirgt sich dann wohl zwischen den Zeilen. 

Königslutter, im Juli 1965

Dr. Fritz Barnstorf .

I. Aus der Ur- und Vorgeschichte unserer Heimat

 

Es ist ein begründeter Brauch, daß man das Alter eines Dorfes oder einer Stadt, wenn man ihren Geburtstag feiern will, nach dem Jahr bemißt, in dem die Menschensiedlung erstmals in einer Urkunde oder in einer anderen schriftlichen Überlieferung genannt wird. Weil alle anderen, etwa durch den Ortsnamen, durch vorgeschichtliche oder frühgeschichtliche Funde, durch siedlungsgeographische Überlegungen gestützten Datierungen der ersten Begründung menschlicher Wohnstätten fast immer nur Vermutungen bleiben müssen, bestehen die Historiker auf diesem schriftlichen Beweis, etwa bei der 1000-Jahr-Feier eines Dorfes, obwohl sie selbstverständlich wissen, daß fast alle Dorfsiedlungen unserer braunschweigischen Hei- mat weit, weit älter sind. Viele davon können sich mit dem 2000jährigen Rom durchaus messen.

Die Urkunde aus dem Jahre 965, in der der Bischof von Halberstadt den Zehnten von mehreren Hufen in „Weiverlingi”, in Dengdi (Großdenkte) und Witmari (Wittmar) an das kurz vorher begründete Stift Gandersheim abtritt, wird, wie unten näher ausgeführt, heute in ihrer Echtheit bestritten und soll erst im 12. Jahrhundert entstanden sein. Bodenfunde aus der jüngeren Steinzeit, der Bronzezeit und den ersten nachchristlichen Jahrhunderten beweisen aber, daß die Lage dieses Dorfes wohl wechselte, daß aber eine Siedlung zuerst am Butterberg, dann in der Nähe der „Zingel“ und zuletzt auf der kleinen Anhöhe vor der Meesche-Niederung, dem Sumpfgelände der Altenau, lange, lange vorher bestand.

Darum dürfen wir ihren 1000. Geburtstag bei allem Respekt vor der gelehrten Urkundenforschung mit gutem Gewissen feiern, wie ich meine. Aber auch wenn wir annehmen, daß schon vor 1500 oder mehr Jahren Menschen, die vielleicht sogar unsere Vorfahren waren, den Boden der heutigen Feldmark nutzten, auch dann bleibt die Zeitspanne, seitdem menschliche Hände die Erde umwählten, in der großen Sanduhr der Erdenzeit, die mit Millionen von Sonnenumläufen rechnet, ein Stäubchen und das Leben einer Menschengeneration ein Atom dieses Stäubchens.

Blicken wir kurz zurück in jene äonenweit zurückliegenden Zeiten, in denen sich unsere Heimat, die Mulde zwischen Elm und Asse, die sog. Schöppenstedter Mulde, bildete.

Vor etwa 300 Millionen Jahren rauschte unendlich hier das Meer. Es war das Erdmittelalter und die erdgeschichtliche Epoche, die aus drei unterschiedlichen Unterepochen bestand, nennt der Geologe darum Trias. Zu ihr gehören tropisch warme Meere und Wüsten der Buntsandsteinzeit, deren Reste in der Asse zu Tage treten, und der Muschelkalk, aus dem der Elm besteht. Der Staub der von Hitze und Kälte zermahlenen Gebirge ward von riesi- gen Flüssen ins Meer getragen, wie heute noch, und die Leichname der zahllosen Meeres- “tiere (Ammoniten oder Tintenfische, Seelilien, Muscheln) betteten sich darin ein. Zuweilen verebbte.das Meer, gab Land frei, auf dem dann die riesigen Saurierechsen und andere höhere Tierarten für Jahrmillionen Nahrung fanden, bis auch ihre Reste im Schlammgrund neuer Meere versanken. Das währte 100 bis 200 Millionen von Sommern und Wintern und es entstanden kilometerdicke Schichten von Schlick, der durch den Druck über ihm sich zu Gestein verhärtete. Als dann der sehr viel ältere Harz als Granitmassiv mit unvorstellbarer Gewalt im Lauf-langer, langer Zeiträume aus der Tiefe emporstieg, da schob er die Boden- schichten der Triasmeere vor sich her und faltete sie zu den Hügelzügen des sogenannten subherzynischen Vorlandes, die man heute Huy, Fallstein, Heeseberg, Asse, Elm und Dorm nennt, weil ein anderes Urgebirge aus älterer Zeit, der Flechtinger Höhenzug, ihnen nicht auswich. Die Meeresböden wurden, wie in der Asse, verkantet, ja, umgekippt, und das Unten ward zum Oben. Im Muschelkalk des Elms, aus dem man um 1100 den Stein zu dem Bau der alten Weferlinger Dorfkirche, aber auch der prächtigen Kirchen der Stadt Braun- schweig holte, finden sich in seltener Schönheit die zierlichen Muscheln, die blumenartigen Haarsterne versteinert, die man heute als Seelilien aus Erkerode in den Museen der ganzen Welt’schätzt. Aus Muschelkalk baute man den Dom in Königslutter und Braunschweig, aber auch zahllose feste Schlösser und stolze Bürgerhäuser. Was aus weichem, schutzlosem Leben harter, fühlloser Stein geworden war, ward in den Händen des Menschen wieder Zuflucht für der Seele und des Leibes warmes Leben.

Doch die ruhelose Erde formte und wandelte auch in den folgenden etwa 100 Millionen Jahren ihr Antlitz. Ebenen wurden zu Gebirgen, die wieder zu Schutt zermahlen wurden, es gab Wüsten und grünwuchernde Landschaften, aber es gab noch lange, lange nicht bei uns den Menschen. Zunächst kam noch das Eis der mehrfachen Eiszeiten von Norden und Süden über alles. Dazwischen ward es Jahrtausendelang wieder wärmer. Nachdem sich dann das Eis vor etwa 100 000 Jahren zum letzten Mal zurückgezogen hatte, ließ es ausgehobelte und ausgekratzte Täler in Harz, Elm und Asse zurück. Es hatte die kantigen Berge rund geschliffen, das Gestein zu Lehm zermahlen, der nun nach manchen chemischen Veränderungen als fruchtbarer Löß die Schöppenstedter Mulde füllt. Die schmelzenden Gletscher ließen riesige Wassermassen durch das Tal brausen, in dem heute das winzige Flüßchen Altenau dahinkriecht.

 Ähnlich wie heute noch in Sibirien folgten zunächst unendliche Grassteppen dem weichenden Eise und bildeten mit dem allmählich zunehmenden Strauch- und Baumwuchs eine Tundra, in die im Laufe von Jahrtausenden zuerst Weiden, dann Haseln und Birken, später Eichen, Eschen und Ulmen vordrangen, die lichte und dann immer dichter werdende Gehölze und Wälder bildeten. Darin lebten noch das Mammut und der Elch, die Antilope und der Wolf, aber immer noch kein Mensch. Dessen Ahnen hatten sich viel weiter südlich in längst eisfreien Landschaften Asiens, Afrikas und Südeuropas zu Jägervölkern entwickelt, die nun um 100 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung auch suchend und spähend in unsere Heimat vorstießen. Sie jagten mit Steinwaffen, mit mühsam, aber kunstreich gefertigten Speer- und Pfeilspitzen aus Feuerstein ihre Beute, sie hinterließen an ihren Lagerstätten (so bei Lebenstedt, 1954 gefunden) steinerne Schaber und die Knochenreste ihrer Mahlzeiten. (Vgl. Tode, Mammutjäger vor 100 000 Jahren, Braunschweig 1954)

 Als es dann in der Buchen- und Haselzeit wärmer in den Tälern des Vorharzlandes wurde, da kamen wiederum von Süden Bauernvölker, die nun schon seßhaft wurden und sich an den fruchtbaren Lößhängen des „Ulmenwaldes“ = Elm und des „Eschenwaldes” = Asse in der Nähe von Quellen ansiedelten. Diese über lange, lange Zeiten in unser Heimatgebiet einwandernden und dort ansässig werdenden Völker, deren steinerne oder tönerne Hinterlassenschaft man auch in der Nähe Weferlingens (am Butterberg) fand, nennt man nach ihrer Herkunft die „Donauländische Kultur“, nach den mit bandartigen Verzierungen versehenen Urnen und Töpfen aber auch die „Bandkeramiker”. Ihre Siedlungen aus tief im Boden eingebetteten Holzhütten mit Lehmbewurf lassen sich bei Grabungen noch heute feststellen und sie sind wahrscheinlich die Keimzellen der späteren Dörfer auch in der Altenauniederung. Im Wandel von Jahrzehntausenden, im Wechsel von Klimaschwankungen und langdauernden Notzeiten wurden in der Jungsteinzeit sicher schon viele Siedlungen aufgegeben, (sie wurden „wüst”), konnten aber nach Jahrhunderten bei besser werdenden Lebensbedingungen wieder besiedelt werden.

Eine solche erste seßhafte Bandkeramikersiedlung könnte nach den Funden, die dort schon vom Lehrer Utermöhlen, später von dem Sammler Erich Adler (heute in Rüningen wohnhaft) gemacht wurden (um 1910 bzw. 1930) am Butterberg gelegen haben. Dort sprudelte jene Quelle, die ein Bächlein speiste, das auf der Karte des 18. Jahrhunderts noch als Weferlinger Beeke, später geringschätzig als „Gosse” bezeichnet wurde. Der Flurname: „Vor und hinter der Gosse” südlich des „Reuterwegs” von Dettum nach Schöppenstedt hält diese Bezeichnung fest.

 Was die Menschen von damals mit ihren steinernen Messern und Beilen, mit ihren band- verzierten Töpfen lebensnotwendig gebrauchten, das heilige Wasser aus der kleinen Quelle, das fließt den Weferlingern heute unter elektrischer Beleuchtung in die Kühlschränke und in die Aluminiumgeräte des Elektroherdes.! Und uns ist es genauso lebenswichtig, nur achten wir es nicht so wie die Vorfahren, die jede Quelle als heilig und verehrungswürdig empfanden und in den Naturgeistern der „Vylgien“ (daher der Name des Filgensees bei Dettum, aus dem die kleinen Kinder vom Storch geholt werden) und in Nymphen und Nixen die Allmacht des Wasser symbolisierten (O. Hahne).

 Die bandkeramischen Siedlungen der späten Steinzeit, nach Tode, (Brschwg. Heimat 1950) an „Hängen über einer Quelle gelegen“, wurden etwa 2500 Jahre vor unserer Zeitrechnung durch die Großsteingräber-Kultur von Norden her überlagert. Die sogenannten „Hünen- gräber“, riesige Steinbauten um Gräber von vornehmen Familien, wie z. B. Auf dem Annenberg bei Helmstedt (Lübbensteine), drangen aber nicht bis in die ausgesprochenen Löß- bodensiedlungen vor. Sie sind nur nördlich des Elms zu finden (Gr. Steinum, Marienborn und Beienrode). Es bildete sich dann eine Mischkultur von vorwiegend viehzüchtenden und hauptsächlich Getreide (Hirse, Dinkel und Gerste) anbauenden Bauern.

Als statt des Werkstoffes Stein etwa um 2000 vor Chr. Die Verwendung von Bronze als Metallschmelzprodukt in unsere Heimat vordrang, da scheint eine von Südosten kom- mende Bevölkerungsgruppe, die vielleicht mit dem Kupferhandel zu tun hatte, die soge- nannten Glockenbecherleute, bis in unsere engere Heimat gekommen zu sein. Man fand ihre Grabbeigaben schon 1908 in dem noch heute mit seiner Linde das ganze Altenauland überschauenden „Galgenberg“ bei Klein-Vahlberg. Mit dem Beginn der Bronzezeit um 2000 v. Chr. Entstand in unserer Heimat, wie Dr. Tode (a. a. O.) meint, aus der Glocken- becherkultur und den übrigen mittelelbischen Mischkulturen die nach ihren Fundorten in Böhmen benannte „Aunjetitzer“-Kultur, die um 1800 v. Chr. Auch im Altenautal anzutreffen ist.