Gedanken zum 2. Weltkrieg
Ein Tagebuch wurde von F.B. nie geschrieben. Erst mit der Geburt des ersten Kindes 1936, Regine, wurde ein Familientagebuch begonnen, das bis 1948 geführt wurde, und die Entwicklung der Kinder Regine, Heilwig und Henning detailliert beschrieb. Eingestreut im Tagebuch sind aber auch Bemerkungen zu den Verhältnissen im Verlauf der Kriegsjahre zu finden. Besonders interessant zwei Betrachtungen vom Anfang des Krieges 1940 und 1948 ein resignatives , depressives Stimmungsbild nach dem Ende des Krieges.
1940:
„Was im vorigen Jahr nur dunkel geahnt durch meine Gedanken ging, was uns damals wieder ferner gerückt schien nach der Erleichterung jenes Herbstes 1938, das ist nun hereingebrochen über eine Menschheit, die noch immer nicht gelernt hat, den Weg am Abgrund vorbei zu gehen und die sich ziehen läßt von der unbarmherzigen Tiefe. Wie weit wird sie nun wieder sinken müssen? Welchen Sinn hat das alles, was an Leid und Jammer auf unschuldige Schultern gebürdet wird? Was sollen wir fragen, wo uns nur der eigene Glaube Antwort geben kann. Und doch hören wir tief aus uns die Stimme der Zuversicht, daß nichts sinnlos und ungerecht ist, was für die geschieht, in denen unsere Liebe und unsere Zukunft aufersteht und auferstanden ist. Wenn dieser Krieg, wie wir glauben und hoffen müssen Euch, ihr lieben Kinder, eine lichte und helle Gegenwart schafft, wenn er aufräumt mit mit den Bedrohungen Eures Lebens und Eures Glückes, dann wollen wir seine Nöte gern auf uns nehmen, solange wir Euch vor seinem Zugriff schützen können. Was uns trifft, das soll für Euch willig hingenommen werden, wer Euch aber anrührt, das soll denen, die es versuchen, unnachsichtig heimgezahlt werden. Und so macht uns gleichzeitig hart, was sonst unsere Kampfbereitschaft schwächen möchte, der Gedanke an Euer liebes, wohltuendes, glückbringendes Dasein, in dem unser Leben wie in seinem eigentlichen Sinn ruht. Wie habt Ihr uns die schlimmen Stunden dieses Herbstes und Winters leicht und tröstlich gemacht durch Eure hellen Stimmen, Euer frohes lachen, Euer lebendiges, anschmiegsames Hinstreben zu allem, was wir Euch geben konnten. Wie dankbar sind wir Gott, daß er uns Eure Gesundheit wieder geschenkt oder erhalten hat, daß er Euch gedeihen ließ zu dem, was auf den Seiten dieses Buches verzeichnet steht. Wie könnte das neue Jahr, auch diese dunkelheitsträchtige, leidverheißende Jahr 1940 anders begonnen werden als in dankbarer Freude und getrostem Mute, weil Ihr da seid und weil wir für Euch dasein müssen, ihr lieben kleinen Mädchen da oben in Eurem reinen, stillen Kinderschlaf. Wir wollen ihn Euch hüten!“
21. März 1948:
„Vier Jahre sind vergangen, seit dies Buch, das die Kindheit unserer Drei begleiten sollte, die letzten Eintragungen aufnahm. Fast scheint es so, als sei mit all dem, was seither um uns und in uns versunken ist, auch jener Wunsch vergangen , von der Gegenwart, in der die wachsenden Seelen so fest und sicher und lebenshungrig leben, soviel wie möglich festzuhalten, dem diese Aufzeichnungen dienen sollen. Wir Großen sehen nur noch die Trümmer der Vergangenheit und den grauen Nebel der Zukunft, in dem wir unsere lieben, schuldlosen Kinder wandern lassen müssen, wenn einmal unsere Hand sie loslassen muß. Wir finden uns kaum noch in dieser völlig verworrenen, trostlosen und wahnsinnig gewordenen Zeit zurecht und fragen uns wehmütig, was es von uns zu bewahren lohnt. Es ist nichts mehr von dem da, was unserer Kindheit und Jugend und dem späteren bewußten Erleben Hintergrund und Fülle gab. Da ist kein Vaterland mehr, kein Mutterland, das der zerschmetternde Sturz der Niederlage vor 3 Jahren zu Fetzen zerriẞ, da ist keine deutsche Stadt mit ihren jahrtausendalten Wachstumsringen und Spuren der Ahnen mehr, kein Braunschweig, in dem Euer Vater zuhause war wie in einem geräumigen Vaterhaus, es liegt zerstampft und zerglüht mit seinen unendlichen Ruinenfeldern da und wie dieser geliebten Stadt ging es Hildesheim, Halberstadt, Lübeck, Hamburg, Bremen, jeder dieser uralten Siedlungen, in denen Eure Eltern Erinnerungen an glückliche Tage hatten. Da ist die liebe kleine Kirche in Weferlingen nur noch ein wüster Steinhaufen seit jenem 14. März 1944, wo am hellen Mittag aus den amerikanischen Bombern die Vernichtung herniederfuhr.
Und was noch schlimmer ist, da ist alles inzwischen zerfallen und verweht , was im deutschen Volkscharakter Ehrlichkeit, Treue, Stolz, Anstand und Sitte hieß und wurde durch die grausame Not des Hungers, der Heimatlosigkeit in Betrug , Mißgunst, Käuflichkeit und Schamlosigkeit verwandelt. Vom Mord bis zu Diebstahl an den für die verhungernden deutschen Kindern gespendeten Lebensmitteln, von der fortlaufenden Ausweisung von Millionen von deutschen Familien aus ihrer Heimat ins Elend bis zur politischen Denunziation aus schmierigsten Motiven, - alles haben wir in nächster Umgebung tausendfach beobachten können. Das Schlimmste aber dabei ist, daß wir uns mit unbarmherzigster Ehrlichkeit in stillen Stunden an die Brust schlagen müssen und erkennen, wie die Entartung der Menschheit bei uns nach jenem vorangegangenen russischem Beispiel sich am deutlichsten gezeigt hat und wie im Namen hochtönender , nationaler Phrasen von einer verblendeten und unmenschlich gewordenen Schicht von politischen Hasardeuren grauenhafte Verbrechen begangen wurden, indes die große Masse der deutschen Eltern gläubig und aufopferungsbereit alles auf sich nahmen, um ihren Kindern eine vermeintlich bessere Zukunft zu sichern, die nun mit der Schändung und Befleckung des deutschen Namens dahin ist.
Wenn Ihr erwachsen und reif genug seid, diese Worte zu verstehen, dann werdet Ihr vielleicht einen ganz anderen Abstand haben als wir, denn soviel versunken ist, was Ihr niemals kennen werdet (oder nur so, wie man von Märchenländern hört). Ihr werdet dann wohl auch besser unterscheiden können, wo Schuld und schuldlose Verstrickung zu finden ist und Ihr werdet vielleicht Mitleid mit uns haben, mit unserer Generation, obwohl wir uns schuldig fühlen an Eurer Armut, vielleicht gerade weil wir uns mit diesem Gefühl so quälen mußten, denn Ihr werdet es klarer sehen als wir es können: Daß der Reichtum an materiellen und geistigen Schätzen, mit dem wir die europäische Kultur so untrennbar verbunden wähnten, nur zum kleinen Teil wirklich war und daß man in der Armut glücklicher sein kann als im Überfluß,- wenn man von innen nach außen lebt und da innen etwas hat, das unzerstörbar ist, den Herzensfrieden dessen, der entbehren gelernt hat. Ihr habt jene Dinge, die wir entbehren, die uns des Lebens Reichtum und Überfluß bedeuteten: alte Städte, Theater, Bücher, gute Kleidung, ausreichende Nahrung, Reisen und den ganzen prunkenden Rahmen der reibungslos funktionierenden Zivilisation nicht gekannt, - ihr werdet sie bei weitem nicht so wichtig nehmen, wie sie uns waren. Seid ihr darum ärmer? Wir möchten es bejahen,weil wir nur an uns denken können, weil wir von der Vergangenheit nur noch das haben, was als Erinnerung uns schmerzlich mahnt und von der Gegenwart nur die quälende Ernüchterung, - aber ist eure Gegenwart auch so? Nein, tausendmal nein, liebe Kinder! Was ich hier geschrieben habe soll euch ja nur sagen, wie in diesen 4 Jahren des immer rasender sich vollziehenden Absturzes in den Abgrund die Zeitereignisse sich in unserem, erwachsenen Herzen spiegelten, wie die Sorgen, die auf den früheren Seiten des Tagebuchs schon oft angeklungen waren, sich bestätigt fanden und wie wir trotzdem nach allem was uns persönlich geschehen ist, uns in dem Ozean der Zerstörung und Armut unser Dasein wie eine Insel weiter erhalten konnten. Denn wir sind ja nicht arm geworden, wie jene Millionen von Flüchtlingen aus den polnisch gewordenen Gebieten, wir haben nicht unsere Habe in den Flammen verloren, wie die Unzähligen in der nächsten Nachbarschaft, unsere und eure Heimatstadt Königslutter steht noch unversehrt und wenn ihr Not leidet an Schuhwerk und knapp seid an Kleidung und mager wurdet, weil die Nahrung kümmerlich gering wurde,- ihr seid wie in den Jahren des Krieges weit, weit besser daran,als die gleichaltrigen in den Städten zwischen Ruinen und Verwahrlosung, nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa, das der blutige Wahnsinn zerstört hat. Und eure Gegenwart ist geblieben: die freie, grüne und blühende Welt des Anstaltsgebiets...“