Kriegsende 1945/46 (Internierung)
Der Zeitraum von Mai 1945, Kriegsende, bis April 1946 ist durch einen Briefwechsel dokumentiert. F.B. wurde am 30.5.45 von amerikanischen Soldaten verhaftet und in das damals vorhandene Untersuchungsgefängnis in Königslutter gebracht. Er war einer der zahlreichen Personen, die durch die „Automatic Arrest“ Aktion der Westalliierten festgenommen , und in Internierungslagern festgesetzt wurden.
Die Verhaftungen erfolgten wohl alle „stehenden Fußes“ ohne daß die Festgenommenen irgendetwas mitnehmen konnten.
Von der Internierung Mai 1945- April 1946 in Westertimke (bei Bremen) durch die britische Militärregierung gibt es eine große Anzahl von Briefen an Lisa Barnstorf.
Nachrichten aus dem Gefängnis in Königslutter, dem Rathaus und Gefängnis in Helmstedt.
Erster Zettel einer Nachricht aus dem Untersuchungsgefängnis in Königslutter (Burg)
31.5 – 2.6. 1945:
Liebste Mama, ihr lieben Kinder!
Ich danke Euch für alles was Mama mir gebracht hat . Ich will versuchen, mit den Büchern mich zur Ruhe zu zwingen. Wie es in mir aussieht kannst du dir wohl denken. Aber wir wollen versuchen, auch durch dieses hindurch zu kommen. Solange ihr mir noch helfen könnt, geht es noch. Sorg du mir für die Kinder, so gut du kannst, es wird eine ernste Zeit kommen, das fühle ich. Aber ich will stark bleiben, ich bin es euch schuldig. Gott möge mir helfen dabei und euch auch. In eurer Liebe bin jetzt und immer geborgen.
Ich bin ganz allein, vor dem Fenster steht eine große Kastanie, durch das Gitter kaum sichtbar, aber den Himmel sehe ich. Und ich höre die Löwchenkirche die Stunden schlagen, sie sind sehr, sehr lang. -
Bring mir nur soviel zu essen, wie ich zuhause aß, hier bekomme ich sonst nichts. Und einen Löffel bring mir mit. Auch ein bißchen Salz. Und einen Waschlappen. Eben höre ich deine liebe Stimme.
Ich küsse euch alle, euer Papa
Liebste Mama, ihr lieben Kinder, - Es gibt nichts Neues. Ich bin in eine andere Zelle mit 1 Bett umgezogen, eine Tür weiter nach vorn. Nachts habe ich besser geschlafen, dank dem Kissen. Daß die lieben Kinder so für mich beten ist ein tröstlicher Gedanke. Sag ihnen, der liebe Gott hört es bestimmt. Und sie sollen auch mal wieder was von der Schokolade kriegen.! Liebe Gigi, fütterst du die Küken gut? Und malt mir meine Heile auch mal was ? Nennes Küßchen haben so gut geschmeckt. Aber mitbringen sollst du ihn nicht, das tut mir zu weh. Und er würde es nicht begreifen, daß ich hier bleiben muß. Aber ein Bild von den Kindern hätte ich so gern, wenn es auch ein altes ist. Draußen scheint die Junisonne, aber ich sehe nur ihren Widerschein. Die kalten Hände kommen vom Mangel an Bewegung – bring mir heute abend frische Wäsche und Strümpfe, nimm einen Beutel mit, dann gebe ich dir morgen die alten mit. Ich küsse euch alle, Papa
Mein liebes Herz!
Ich bin heute nachmittag nach einem langem inneren Kampf so viel ruhiger geworden, - ich weiß nicht, ist es nur die Müdigkeit, auch die Weltmüdigkeit, oder eine von Gott kommende Befriedung. Ich sehe alles klar und gefaßt: das Schicksal hat ausgeholt und nun wird es uns treffen, die wir solange im Grauen der Welt verschont bleiben zu können. Aber ich will es tragen, auch das Schlimmste, wenn ich euch nur gefaßt und ergeben weiß in diesen Willen. Nur die Sorgen um euch, um euer Fortbestehen, um die lieben, lieben unschuldigen Kinder kann ich nicht abtun, und muß ich immer wieder über mich Herr werden lassen. Schon die allernächste Zukunft ist ja so dunkel. Hilf mir, liebste Mama, mit deiner Zuversicht. Du wirst es so schwer haben, und ich bin vielleicht lange nicht da. …..
Noch hat sich niemand um mich gekümmert und dieses Warten ist schrecklich. Sonst habe ich nichts auszustehen, - außer einem, daß die Tür zu ist und draußen der Sommer beginnt. Aber viele erleben das in diesen Jahren, ich bin bereit, auch das zu tragen, weil ich mich frei von Schuld weiß und nun erst zu ahnen beginne, wo das Christentum beginnt. … Euer Papa
Randbemerkung: Ob du mir wohl noch etwas zu rauchen auftreiben kannst? Bestell Frl. Brunner und den übrigen sie sollen mir treu bleiben, hörst du?
Liebste Mama, meine lieben Kinder!
Es hat mir so wohl getan, ein paar Worte von dir zu lesen. Ich bin allein in einem Raum, in dem 4 Betten stehen. Ein Kissen könnte ich dringend gebrauchen. Und zu lesen und zu rauchen. Sieh doch mal zu, ob du nicht irgendwo ein paar Zigaretten auftreibst, vielleicht bei Frl. Brunner oder Unteroffizier Hildebrand (In E3, auch Herrn Stöter). Und meine Zigarren liegen auf dem Schreibtisch. Dann möchte ich etwas zu lesen haben: „Das Wunschkind“ und Bavink, „Ergebnisse der Naturwissenschaft“ (oder so ähnlich, ein dickes in Pappkarton, das du damals im Krankenhaus hattest, es steht im Bücherbört etwa in der Mitte zusammen mit den anderen naturwissenschaftlichen Büchern.) Das strengt den Kopf wenigstens an, der sonst leerzulaufen droht. Und einen Bleistift, ferner Klosettpapier musst du mir bringen.
Weswegen ich hier bin, weiss ich nicht. Man hat diesmal nur kurz nach Sterilisationen gefragt. Auch die Aktion kam kurz zur Sprache, - aber man war im ganzen konzilianter im Ton. Die Engländer scheinen das Gefängnis heute abend übernommen zu haben. Regelrecht verhört bin ich bislang nicht.- Sprich mit Schlüter mal, und frag ihn, ob ob er etwas bei Dr. Benze in Braunschweig unternehmen will.
Ich behalte den Kopf hoch, es ist nur im ersten Augenblick grausam unfassbar, nachher sieht man alles im psychologischen Zusammenhang. Hoffentlich lässt man uns die Korrespondenzmöglichkeit. Und hoffentlich hat man euch nicht wieder erschreckt ausser durch die Nachricht selbst. Tröste die Kinder und bleib selbst tapfer. Ich küsse euch alle von Herzen! Sag auch Käthe einen Gruß, Euer Papa
Helmstedt, Rathaus Sonnabend abends.
Liebe Ilse,
Es ist soweit, sie haben mich am Donnerstag in Königslutter verhaftet, ich weiss nicht warum. Es ging so schnell, dass ich im weissen Mantel ins Amtsgerichtsgefängnis musste, dort habe ich seitdem in Einzelhaft gesessen und Qualen der Ungewissheit ausgestanden. Dr. Müller, der gleichfalls verhaftet war, hat einen Selbstmordversuch unternommen. Nun steht Lisa mit den Kindern da – ich weiß nicht, wann und ob ich sie wiedersehe. Sie hat mir 2 Tage das Essen bringen dürfen und wir haben uns schriftlich etwas verständigen können. Aber Freitagnachmittag wurde ich nach hier ins Rathaus gebracht, wie ich mit 2 Herren (Herr v. Veltheim aus Bartensleben und einem Herren Emil Dieterichs aus Volkmarsdorf) letzterer ist seit 4 Tagen hier, vom Feld fortgeholt. Kannst du seine Frau irgendwie verständigen?
Und fahr zu Lisa und gib ihr Bescheid. Wohin wir von hier kommen ist uns ungewiss, vielleicht nach Braunschweig, vielleicht nach Bielefeld. Ich habe innerlich mit allem abgeschlossen – Wir sind im Chaos drin. Gott schütze euch alle. Ich bleibe tapfer, Fritz
Meine liebe Mama ! Liebste Kinder !
Ich bin in Helmstedt im Rathaus mit noch 2 Herren. Endlich kann wieder mit jemanden sprechen. Sie wissen alle beide nicht warum. Einer ist der Herr von Veltheim aus Bartensleben. Wohin die Fahrt nun geht wissen wir nicht. Ich habe Mantel, Handtuch, Seife, Rasierapparat mit, sonst nichts. (Auch kein Geld) Aber seid getrost, ich bin tapfer, nun erst recht, wo ich den sarkastischen Unterton des halbjungen Amerikaners merkte.Denn es sind noch die gleichen Amerikaner, die mich allein imAuto aus Königslutter abholten. Ob sie uns verschleppen? Hier sind sie im Abzug. Was auch komme, du liebste, hoffe und sei geduldig. Und wenn es zu Schlimmsten, zur langen, langen Ungewissheit kommt, denk an die vielen, denen es gleich ergeht.
Ich schlage mich schon durch und irgendwo ist immer noch ein anständiger deutscher Mensch. Laß die Kinder den Glauben an die Menschen behalten ich habe ihn verloren, aber dafür das gefunden, was ich dir neulich schrieb: die Geduld zum Leiden. Lass dich trösten von ihren Augen, den 3 süssen Quellen unserer Tröstung . Gott erspare ihnen Leid und Kummer, den wir hier in vielen gottverfluchten Jahren durchmachen mussten. Und bleib gesund du Gute, für die drei und für mich,- denn einmal komme ich ja doch wieder, das weiß und glaube ich. Sie sollen mich nicht zerbrechen, ich werde die Kraft finden. Und wenn ich zu Fuß zurückkommen muß, einmal, vielleicht bald, vielleicht nach langer Zeit – ich schaffe auch das – wir sind ja in Deutschland. Ich muß schließen, der gute Bote naht,- ich finde keinen anderen Schluß als: behaltet mich so lieb, wie in den ganzen schönen Jahren die wir hatten, nun da es dunkel geworden ist. Gott schütze Euch alle, liebe Kinder, seid artig und lieb bis ich wiederkomme. Jeden Abend, wenn die Sonne untergeht, will ich fest an Euch denken.
Euer Papa
Glaubt mir es, es tut wohl, endlich einmal tapfer sein zu können, nachdem man so lange beschützt dahinlebte, und Kameradschaft zu erfahren bei den beiden Leidensgenossen .
Randbemerkung: Schlüter soll versuchen, durch Benze beim Ministerium etwas zu erreichen.
Liebe Mama!
Eben wird mir gesagt, ich soll meine Sachen zusammenpacken. Was nun wird weiß ich nicht, vielleicht werde ich woanders hin gebracht. Bleib stark, ich werde es auch sein. Wir werden vielleicht lange nichts voneinander hören. Behalt mich lieb, bleib gesund für die Kinder. Ich küsse euch alle, ihr einzigen Menschen.
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Es ging dann in das ehemalige Marine-Kriegsgefangenenlager (MARLAG) in Westertimke bei Bremervörde, das vom britischen Militär verwaltet wurde. Ein Briefverkehr mit den Internierten war nach dem Konzept der Aktion nur streng zensiert in eine Richtung, von außen zum Internierten, möglich. Die Internierten fanden aber doch illegale Wege über Mittelspersonen für Briefe an ihren Angehörigen. So auch F.B. und Mithäftlinge aus Westertimke. Dies lief über Hilfskräfte, die Lagerzugang hatten und Briefe nach draußen schmuggeln konnten, die dann über Scheinadressen versendet wurden.
Briefe aus Westertimke:
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5.10.45
Meine liebste Lisa , ihr lieben Kinder !
Wenn dieser Brief durch fremde menschliche Hilfsbereitschaft glücklich zu euch kommt, so wollen wir das als Zeugnis dafür annehmen, daß unser Glaube an das Gute in der Welt ,trotz allem was wir erleben, nicht schwach werden darf .In den über 4 Monaten,in denen wir nichts voneinander hören durften, ist meine Gewißheit, daß wir auch das Schwerste ertragen werden, wenn wir nur in der geistlichen, demütigen Bereitschaft zur Gnade leben, zu einer trostvollen Festigkeit geworden jund ich habe in vielen Morgenandachten, Gottesdiensten, die wir hier erleben dürfen und in meinem allabendlichen Gebet für euch immer wieder im tiefsten Herzen gefühlt, wie plötzlich die Gemeinschaft mit dir, liebste Frau, und mit Euch, ihr lieben Kinder, fast lebendig spürbar da war, auch wenn wir durch unüberwindliche Schranken getrennt waren. …..
….. Ich habe diese Dinge vorangestellt, um dir, meine Lisa, zu zeigen, wie es in mir aussieht, denn das ist das Wichtigste. Ich weiss, dass du es nicht anders trägst und dass du tapfer deinen schweren Weg gehst mit all den anderen Frauen, die gleiches Los erdulden und noch schlimmeres, wie die arme Frau Müller und Frau Freise. Und wenn ich an Ilse in Helmstedt, Marie in Schöningen und Rose denke, die auch wohl noch in der qualvollen Ungewissheit um ihre Lieben leben müssen, dann wird unser Geschick wieder zu einem der vielen, vielen, die alle in gemeinsamen namenlosen Leid um unsere zerstörte, geschlagenen Heimat münden.
Und wieder wächst darin die Bereitschaft, mitzuleiden, um dadurch dem Grausamen und Unbarmherzigen der Schuld der Menschheit ein Gewicht entgegenzusetzen und die Waage der Gerechtigkeit, die Gott in Händen hält ins Gleichgewicht zu bringen. So schrieb ich die schon aus dem Gefängnis und so denke ich noch heute. Ich habe hier so viel rührende Kameradschaft und gläubige Nächstenliebe gefunden, dass ich nicht am Menschen zu verzweifeln brauche.
Ich bin gesund und wohlauf und habe in den Monaten des Lagerlebens hier in Westertimke nicht einmal eine Erkältung gehabt. Daß mir die Kost noch etwas von meinem Gewicht genommen haben, ist wohl erklärlich. Aber der Dank an Gott, daß er mich bislang völlig gesund gehalten hat und auch sonst Krankheiten von unserem Lager ferngehalten hat, erfüllt mich ganz. Du brauchst dir in der Beziehung keine Sorgen zu machen. Wenn ich nur wüßte, ob Ihr liebsten 4 und auch die anderen Lieben gesund geblieben sind! Ob Ihr wohl noch in Königslutter noch in unserer Wohnung lebt oder ob man Euch aus der Dienstwohnung herausgesetzt hat und wo Ihr Unterkunft gefunden habt , das sind so die Punkte, um die ständig das Denken kreist. Ob Ihr wohl ausreichend zu essen und für den Winter wenigstens ein warmes Zimmer habt? …
Liebste, Du mußt versuchen mir zu sc hreiben, aber es ist größte Vorsicht (und Verschwiegenheit) nötig, den die Kontrollen sind äußerst streng. Sobald Du diesen Brief bekommen hast, mußt Du mit der Antwort sofort zu Fr. v. Veltheime in Groß-Veltheim (bei Lucklum) fahren, die Herr Franz Rudolf Cordes, Lüneburg, Schomakerstr. 10 an den Sohn eines Lagerkameraden in Lüneburg weiterschickt. Frag Frau v. Veltheim, durch die Du wohl schon vor 6 Wochen von meinem Aufenthalt hier erfuhrst, ob sie noch einaml hier herauf fährt, um ihrem Mann Kleidung zu bringen. Wenn ja, dann gib ihr für mich Winterkleidung mit (den alten Mantel, Strickjacke …) Man kann durch den Bürgermeister des Dorfes Westertimke Pakete für Lagerinsassen abgeben lassen. Lebensmittel sind aber nicht zugelassen und werden herausgenommen. Die Kleidungsstücke all mit Namen versehen, in das Paket einen Zettel mit Adresse: Dr. F.B., Internierungslager, Westertimke, MARLAG, Pen VII (alles in Druckschrift) einlegen. Keinen Brief dabeifügen! Wenn Frau V. Veltheim nicht nach hier kommt dann bleibt weiter nichts übrig, al daß du selbst oder vielleicht Wilhelm aus Weferlingen nach hier kommt und das Paket beim Bürgermeister selbst abgibt, da Postpakete von diesem Umfang nicht geschickt werden, so viel ich weiß. Ich weiß sonst keinen anderen Weg. Man fährt mit der Bahn bis Bremen und dann mit der Kleinbahn nach Tarmstedt, von dort 4 km zu Fuß bis Westertimke. Sprechen mit mir natürlich unmöglich. Es ist auch möglich, daß wir inzwischen nach einem anderen Lager (wahrscheinlich Fallingbostel) verlegt werden. Dann wird aber das Paket, wie ich hoffe, nach dort weiter geschickt werden. Liebste, bring die Kinder nach Weferlingen, wenn Du keinen anderen Weg siehst, aber irgendwie werdet ihr es schon möglich machen, mir Kleidung zu schicken. Wir wissen ja nicht, wie lange wir noch festgehalten werden, wenn wir auch auf eine günstige Wendung noch vor Einbruch des Winters hoffen. Durch Wildschütz, der nicht mehr hier ist, habe ich erfahren, daß Du, meine liebe Frau, Ende Juni wohlauf und zuversichtlich warst,- Du wirst es auch jetzt sein. Vielleicht hast Du inzwischen auch Botschaft durch einen entlassenen Lagerkameraden bekommen, ich habe viel beauftragt,- aber wir erfahren ja nicht, ob sie nach Haus gelangt sind. (Bekannte auch aus Königslutter sind im Lager, Winter, Gerlach)
Liebste, es ist noch soviel zu schreiben, man weiß nicht, wo man anfangen und aufhören soll. Unser Geld auf der Bank wird ja noch eine zeitlang für Euch reichen, dann mußt Du Dich mit Bitte um Hilfe an Wilhelm wenden. Am liebsten wäre es mir, wenn ihr ganz nach Weferlingen übersiedeln könntet. Herr und Frau Roth sind gewiß noch bei Euch. Sie könnten ja unsere Sachen und Möbel bewahren, wenn keine andere Unterkunft dafür gefunden wird. Daß Ihr nur den Winter über nicht zu sehr darben und zu frieren braucht! Aber Du wirst das alles schon schaffen, das weiß ich,- für unsere lieben Kinder wird gesorgt werden,- ich mache mir darum nicht unnötig Sorgen, hörst Du! Daß in Weferlingen durch das Wehrmachtsentlassungslager viel Unruhe und Durcheinander ist, habe ich durch Lagerkameraden, die auf Wilhelms Hof verpflegt wurden, erfahren. Aber für Euch würde im Notfall doch wohl noch ein Plätzchen im Hause sein.Wenn Du hinkommst, tröste meine Mutter, für die ich auch ständig bete. Ich denke viel an sie. Vielleicht mache ich mir ja ganz unnötige Gedanken um Euch, vielleicht hat man Euch bis jetzt noch gar nicht die Wohnung gekündigt, aber nach allem was man hier hört, muß man damit rechnen. Oder habt Ihr noch andere Evakuierte aufnehmen müssen? Habt Ihr Kartoffeln von Wilhelm in Aussicht? Habt Ihr den Garten einigermaßen abernten können? Wie tragen die lieben Kinder, deren letzten Brief ich als kostbarsten Besitz verwahre, das Fernsein ihres Papas? Ich höre immer ihre lieben Stimmen, wenn sie abends für mich beten.
Wenn Du ein Paket schickst, leg ein paar Bilder von Euch bei! Unser Nenne wird nun soviel größer geworden sein, ob er wohl seine Dampfmaschine noch so liebt? Und unsere Blümchen-Heile, die so schön springen kann – ich höre sie immer bitten „Mal springen..“. Und unsere große Gigi, mit ihrer Bücherleidenschaft,- ach wie schön ist es, daran denken zu können in der bitteren Fremde und Verbannung! …
Unsere liebe Tante Käthe wird Dir auch getreulich helfen, ich denke immer an sie mit, wenn ich Euch vor mir sehe. Sie ist Dir gewiß ein großer Trost. Ob Ilse die Ungewißheit um unseren lieben Wilhelm auch tapfer erträgt? Und Marie in Helmstedt? Ach so viele Fragen, auf die nur der Wind antwortet! Grüß sie alle, auch Lisbeth in W. Und laß sie wissen, daß ich auch mit ihnen verbunden bin.
Warum man mich hier festhält weiss ich bis heute nicht. Eine Vernehmung zu irgendwelchen konkreten Punkten hat nicht stattgefunden. Es handelt sich wohl bei den meisten hier um eine generelle Inhaftierung, deren Dauer von der politischen Lage und anderen Faktoren abhängt. Du wirst ja wohl auch von anderen erfahren haben, dass wir hier nicht schlecht behandelt werden und dass unsere schlimmste Qual nur in der Ungewissheit der Dauer besteht. … Ob ich nochmal in den nächsten Wochen Gelegenheit zu einem Brief haben werde, weiß ich nicht,- Du wirst in diesen rasch hingeschriebenen Zeilen alles finden, was Du von mir wissen mußt und wirst nun so ruhig und zuversichtlich werden, wie ich Dich kenne, meine liebste Lisa. …
Immer, immer Euer Papa
28.10.45
Mein liebstes Herz, liebe Kinder, - nun bin ich froh und gestärkt, wie nie zuvor in diesen grausamen Monaten: ich weiß, daß Ihr von mir Kunde habt und Wintermantel und Paket mit Wäsche (alles vollzählig, bis auf den Schlafanzug, der fehlte, wahrscheinlich zu verlockend und darum „konfisziert“) sind mir am 27.10. ausgehändigt. Nun bist Du, meine Herzensfrau, den weiten Weg zum Verbannungsort selbst gefahren (ich schließe es aus kleinen Anzeichen!) und hast von der Straße mit den schon kahlen Birken u. d. Vogelbeerbäumen unser Lager liegen sehen. Es ist gut, daß ich davon nichts wußte,- das trennende Gitter schmerzt dann unerträglich, aber Du Tapfere, Getreue, es ist so gut wiedereinmal Hilfe des Allermächtigsten zu spüren. Und jedes Stück der Sachen ist ein Stück Heimat und Fürsorge, aus der die Hoffnung wächst. Ich bin nun so viel, viel ruhiger als die meisten der etwa 2000 Kameraden (vom ehemaligen Minister bis zum Bauern, vom Hochschullehrer bis zum Volksschullehrer, vom Arzt bis zum Techniker), die oftmals nur den Straßenanzug bei ihrer Verhaftung trugen. Aber in all dieser Primitivität in der Bettlerarmut, in der wir leben , liegt für viele von uns jetzt der unschätzbare Erziehungswert, der uns die wahren Werte der Dinge sehen gelehrt hat. In der grenzenlosen Armut unserer nächsten Jahre, in der alle Besitzordnung sich umkehrt, werden wir … (schwer lesbar)
Und wieviel ruhiger bin ich, da ich Euch 4 in der alten Heimat weiß (ihr seid noch in Königslutter, ich fühle es), der ich Euch in der Nähe hilfreicher Verwandter weiß, der ich eine Heimat habe zwischen Euch als die vielen hier, die statt alles dessen nur marternde Zweifel und Fragen haben. Wir alle wollen das nicht vergessen. Ich habe gelernt, jeden Morgen in einer kurzen Andacht um 8:10 mit vielen Kameraden Gott für täglich Brot und Hilfe zu danken und für Euch zu beten. Das Wachstum des Glaubens hier zu sehen ist ein besonderes Erlebnis. Wenn Du kannst, Liebste, vereine Dich zu dieser Morgenstunde im gleichen, gläubigen Geist mit mir,- laß auch die Kinder aus ihren kleinen, unschuldigen Herzen ein Gebet für ihren Papa – und die vielen anderen im Lager sprechen. Es wäre schön, das dann zu fühlen. Abends um 10 (beim Schlafengehen) küsse ich jeden von Euch,- nun da ich Euch wieder leibhaftig vor mir sehe in den Bildern, wie reich ich bin! Wie haben unsere Kameraden, vor allem Herr von Veltheim und mein Freund Piesker (Staatsanwalt aus Celle) sich mit mir über die Kinderbilder gefreut. Manchen hatte man ihre Bilder bei der Einlieferung abgenommen. Jetzt ist man im allg. nachsichtiger als in den ersten Wochen. Die E. Behandeln uns korrekt, manchmal auch in kleinen Dingen zuvorkommend, aber die Internierung als solche ist eben hart durch die völlige Abgrenzung von zu Hause und die Ungewissheit der Dauer. Wir hoffen und hoffen und lassen uns durch Gerüchte gern trösten, aber die kühle Vernunft sagt oft anders: es ist zu viel Haß in die Welt gesät, (schwer leserliche Zeile) der nun geerntet wird und leider ist viel, unmenschlich viel Unrecht und Schuld auch von den Deutschen aufgehäuft,- wir müssen es büßen. Aber die Deutschen selbst sollten uns und sich nicht mehr schmähen wollen als unsere Eroberer – was aus manchen Zeitungsartikeln züngelt ist zu giftig und gemein.
Hoffentlich hat sich diese Niedertracht nicht auch auch an Dich gewagt ,- ich glaube es ja nicht, denn ich wüßte keine persönlichen Feinde bei uns. Ich vertraue darauf, daß mancher Dir helfen wird..(schwer leserliche Zeilen, kleine „Predigten“)....
… Ob und wann dieser Brief abgeht, ist noch ungewiß. Wir dürfen nicht schreiben, Übertretung des Verbotes zieht Arreststrafen nach sich, daher immer Vorsicht bei Erzählungen! Gerade jetzt ist hier verschärfte Überwachung, viel Schotten jetzt als Wachablösung angekommen. Aber: Du kannst Briefe schreiben, sie sind kürzlich zugelassen nur immer einen „geschäftlichen Anlaß“ dafür nehmen z.B. Frage nach Lebensversicherung, oder wichtigen Papieren, oder Vermögensangelegenheiten oder dergl. Und nur kurz von Familie berichten, keine Kommentare zu Tagesfragen – Du verstehst? Dann: alles mit Schreibmaschine oder Blockschrift schreiben.
Kommst Du mit dem Geld hin? Ist Dir meine Dienstentlassung schon zugestellt? Könnt oder wollt Ihr nach Weferlingen übersiedeln? Ist etwas von Heinrich (Barnstorf) u. Wilhelm (Utermöhlen) in Helmstedt bekannt? Aus Speyer (Familie Hans Utermöhlen) wird ja keine Nachricht da sein. Wie stellen sich die Leute zu Dir ein? Und vor allem: Was machen die Kinder, können sie noch so fröhlich lachen wie früher? Und an Weihnachten zu denken, macht bitter und weh. Du sollst ihnen sagen, daß Papa so viel an sie denkt, wenn er den Sternenwagen sieht. Sie sollen alle ihre Wünsche hineinlegen, dann nehme ich sie mir heraus. Und Regine u. Heile sollen fleißig Papas Bücher lesen, weil Papa das jetzt nicht kann. Und der liebe kleine Nenne wird bestimmt mal Treckerführer, das ist ein notwendigerer Beruf als Arzt oder dergl.. Nenne, weißt Du noch, wenn Papa nicht zum Essen kommen wollte? Jetzt würde er sofort da sein!! Immer Hunger! Trotzdem: Unsere Verpflegung , so knapp sie ist, entspricht durchaus den Rationen der Bevölkerung Nur zu wenig Frischgemüse. Wenn Du Pakete schickst, leg ein paar Mohrrüben mit ein. Unterbringung hier auf Strohsäcken in Baracken, 18 Mann zusammen, daher Raum zum Schreiben (daher Durcheinander des Inhalts, oft gestört). Noch keine Heizmöglichkeit, soll aber eingerichtet werden. Wir brauchen nicht zu arbeiten, daher oft zermürbende Langweile, weil kaum Bücher vorhanden. Trotzdem rege Versuche zur geistigen Frischhaltung. Viel Vorträge aus allen Wissensgebieten, Varieteabende, Balladenabende u.s.w., alles improvisiert, aber rührend und hilfreich. Ich habe auch Vorträge gehalten, z.B. jeden Abend vorm Schlafengehen Kameraden ein Gedicht rezitiert. Halte jetzt Vortragsreihe über Anatomie u. Physiologie. Habe nur ein paar englische Schmöker. (Englische Sprachkurse sind am regsten besucht). Brauche unbedingt Bücher, hoffentlich gelingt es Dir, sie zu schicken (s. Unten) Anfangs wurden sie meistens abgenommen.
Liebste, es ist ganz ungewiß, wann ich zurückkomme, wir müssen ehrlich vor uns selbst sein, es eine Frage der politischen Gesamtentwicklung. Man will die Partei als Ganzes ausschalten und in diesem Prozeß bin ich wie viele, viele anderer geraten, ohne besonders aktiv gewesen zu sein. Heinrich (Barnstorf ) wird, wenn er nicht bei Russen, so bei Engländern interniert sein, auch Hans (Utermöhlen) in Speyer. Wihelm (Utermöhlen) wohl nicht, aber ob er zurück konnte? Ich denke so oft an Ilse (Utermöhlen) und Marie (Barnstorf ) und Rose, Jürgen und Klaus ( Utermöhlen in Speyer)
Und die armen Berliner. Du siehst, wir sind nicht allein im Unglück.
Aber ich halte durch !! Gott wird mir Kraft und Gesundheit schenken und Dir auch, daß Du tapfer und von Hoffnung ist, das weiß ich. Laß Dich durch nichts beirren, nimm Hilfe an, wo sie geboten wird und suche sie auch selbst. Jetzt keine falsche Scham. Wende Dich an alle Verwandten vor allem Wilhelm (Barnstorf), Mutter, aber auch die landwirtschaftlichen Vettern in Twieflingen, Eilum, Dettum. Du und die Kinder , - ihr seid die Hauptsache, ihr müßt durchkommen. Ja, ich auch, aber ich kann jetzt außer meinem Willen zum Leben nicht viel tun. Aber ich werde leben!
Wenn es nicht anders geht, nimm Beruf als Lehrerin wieder auf, gib die Kinder nach Weferlingen. Ihr werdet gemeinsam schon Herberge finden. Verkauf Möbel und Sachen, wenn es nicht anders geht, z.B. die Fotoapparate. Du findest sie auf dem Boden in den Sägespänen der Wasserleitung am Ende. Hol sie dort hervor. Behalte besonders sorgfältig alle Ausweispapiere (meine Approbation, Zeugnisse u.s.w.). Sie waren doch zuletzt in dem kleinen Lederkoffer, der in meinem Zimmer stand. Auch den Inhalt meines Schreibtisches (Familienforschung usw) und die Kartons unter dem Chaiselongue mit alten Akten. Und suche meine Bücher zu erhalten. Wenn Ihr ausziehen müßt und sie nicht gleich mitnehmen könnt, laß sie in Kisten oder sonst wie bei Bekannten in Königslutter (Schlüter, Schmidt-Reindahl oder andere). (ist von Haberlandt u. Meumann etwas bekannt?). Liebste, das klingt alles so ernst, aber man muß hier an alles denken und ich möchte, daß du weißt, wie ich denke und daß wir gefaßt auch dem Schlimmsten entgegensehen. Und daß ich genau weiß, Du wirst alles recht machen und jeder Lage begegnen, weil ich Dich kenne, Du liebste, tapfere Frau.
Ich hörte, man kann Pakete schicken bis 4 kg. Da hier auch manchmal Pakete ankommen (persönlich abgeben ist aber wohl besser) schicke mir im Abstand von 8 Tagen im Karton (Inhaltsverzeichnis auf Innenseite usw. wie bei der Wäsche) noch 2 lange Handtücher (Leinen, die alten von Mutter, 1 Drillsack, noch 1 Paar Strümpfe von Vater, etwas Leukoplast, Vitamintabletten aus dem Arzneifach, wenn noch vorhanden, (laß Dich von Dr. Schlüter dabei beraten) , etwas Flicken, Seifenlappen. 1 Büchse mit Salz (hier sehr knapp), 1 Büchse Zucker, ein paar Zwiebäcke oder dergl. Haltbares. Und verteile auf die 2 Päckchen folgende Bücher (auch mit Tinte (be)zeichnen ): 1.) Bibel oder Neues Testament (klein, möglichst Dünndruck, wende Dich an Pastor Diestelmann, der wird es vielleicht leihen, am liebsten altes u. Neues Testament. 2.) Sigmund Freud, Einführung in die Psychoanalyse (auf dem Boden in der Bücherkiste), 3.) Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit (ebenfalls Bücherkiste), 4.) Wells, Geschichte der Welt (Bücherbört bei Geschichtwerken), 5.) O. v. Taube, Das Opferfest (Roman, Bücherschrank mit Schiebscheiben) 6.) Avenarius, Hausbuch der Lyrik (bei Gedichtbänden) 7.) Kipling, Dschungelbuch (Schiebeschrank). Alles Dünndruckausgaben und „unbedenklichen“ Inhalts. Ob sie ankommen bzw. ausgehändigt werden ist unsicher, aber Verluste muß man hinnehmen. Leg in einem Paket einen Brief einen kurzen Brief in obigen Sinn ein.- Ob ich noch lange hier im Lager bin, ist ungewiß, es sind dauernd Verlegungen anscheinend nach Fallingbostel. Wenn ich bis 10. Dez. nicht zu Hause bin, Liebste, dann mußt Du nochmal eine Fahrt machen. Bring mir dann möglichst im Koffer 1 alte, aber heile Hose, 1 Paar Schuhe (möglichst solide, die hiesigen halten wohl noch solange), Nähzeug-Nachschub, noch 1 Hemd u. Unterhosen, die Strickjacke... und an Büchern: Spengler, Untergang des Abendlandes (2 Bände), Bavink, Ergebnisse der Naturwissenschaften (was ich im Gefängnis hatte). Dazu kannst Du dann etwas Lebensmittel u. Rauchwaren tun, wenn es möglich ist, aber auch im Verzeichnis anführen. Vielleicht läßt man zu Weihnachten so was durch. Aber nichts Euch vom Munde absparen!!Lebensmittel werden meistens, nicht immer aus den Paketen genommen. Wenn Du Koffer bringst, versuche immer den eng. Offizier des G.S.J. zu sprechen (Vernehmungsoffizier). Erkundige Dich bei Frau v. Veltheim danach. Das ist immer das richtigste. Sie gibt vor allem Auskunft, ob ich noch hier bin. Wenn nicht, dann mußt Du nach Fallingbostel über Rotenburg weiterfahren. Dort bei Dr. Magunna übernachten. Liebste, ich weiß, Du tust all das Schwere für mich, es gibt ja keine andere Möglichkeiten. Du wirst mich schon ausfindig machen, nun Du die Spur von mir hast. Und bleib immer mit Frau v. Veltheim in Verbindung, sie kann Dir viel helfen. Der Baron sagte mir, Du sollst getrost bei ihr um Lebensmittel nachfragen. Auch sonst hat sie viel Erfahrung mit Engländern. Liebste, den beiligenden Brief schick an Frau Bangemann, Celle, Breite Str. 24 in besonderem Umschlag, addressiert an Frau Piesker. Dabei ein paar Zeilen, daß Frau B. den Brief an Frau P. weiterleiten möge.(den Brief im Sonderumschlag). Er hat auch 4 Kinder im Alter wie unsere. Dann noch folgende Frauen benachrichtigen: 1) Gerlach, Königslutter, Bahnhofstr. 3, Mann wohlauf, am 28.10. von hier fort, wahrscheinlich nach Lager Sandbostel bei Bremervörde. 2) Adolphi, Schöningen, Niedernstr. (Feinkostgeschäft) durch Marie, Mann hier seit Juli, wohlauf, braucht warme Winerkleidung, gib ihr Ratschläge, alles alte Sachen. 4) Frau Lachmann, Schöppenstedt. Wilhelm u. Herr Rahl(?) kennen den Mann, durch Rahls, ist nicht mehr hier, seit 4 Wochen in Fallingbostel. - Hier waren noch Wildschütz (seit 29.9. fort) Dann mein Freund Schwetge aus Göttingen, leider nur 3 Wochen hier, was für ein eigenartiges Wiedersehen. Braunschweiger sind auch zahlreich hier, aber manche sind in Weferlingen von der Wehrmacht entlassen u. in Dettum, Fabrik, in Haft genommen. Daher weiß ich von Weferlinger Zuständen.
Bis jetzt bin ich nicht zu irgendeiner Frage vernommen, heute wurde ich aber zum Secret Service Officer befohlen, aber zunächst noch zurückgeschickt. Vielleicht morgen. Darum weiss ich noch nicht ob man mir spezielle Vorwürfe macht. Da manche durch Aktion von aussen entlassen wurden, versuch den Bürgermeister Ahrens durch Vermittlung von Schmidt-Reindahl und evtl. Pastor Diestelmann als „Bürgen“ zu fragen, ob ein Versuch einer Befürwortung gemacht werden kann. Vor allem geh mal zu Rechtsanwalt Dr. Kahn, Braunschweig (Wohnung bei Dr. Lorch erfragen), der mich gut vom Gericht kennt und besprich mit ihm den ganzen Fall, er wird am besten wissen, ob irgendetwas möglich ist.
31.10.
Heute sollte durch Lüneburg Nachricht von Dir kommen. Ob es möglich ist, ist ganz ungewiß wegen des Truppenwechsels. Daher auch ganz unsicher, wann dieser Brief fort geht. Ich muß eben warten, wie Du auch. Aber ich bin getrost, das sollst Du wissen alle Tage und Nächte, wenn Du einsam und in Sorge liegst.
Liebste Frau, gib allen Verwandten Nachricht, daß ich wohlauf bin, aber laß sie keinesfalls darüber sprechen. Du darfst Dich dadurch nicht selbst gefährden, Du mußt sehr vorsichtig sein, denn bist nur für die Kinder da, jetzt nur für die Kinder und dann für mich. Die liebe Tante Käthe wird Dir ja auch nach Kräften helfen, ich denke so oft auch an sie und ihre schwere Arbeit. Hoffentlich hat sie noch Arbeit. Wenn nur Ilse (Utermöhlen) mit ihren Kindern und Mutter durchhalten kann, sie ist ja sehr tapfer und resolut, aber ob sie der Arbeit gewachsen ist, die sie nun doch wohl tun muß. Ob Lisbeth (Barnstorf/Böttcher) von ihrem Mann (Helmut) etwas weiß? Wohin man sieht, alles gleiche Schicksale. Sollten wir darum verzagen?
Das Schlimmste ist Deutschlands Zerfall auf allen Gebieten vor allem in seelischer Hinsicht, das quält am meisten. Und dabei immer noch die Sorge um einen kommenden kriegerischen Konflikt zwischen unseren Eroberern, wo ihr so auf der Grenze liegt. Was dann wird , - Sorge und Ungewissheit überall.
1.11.45
Ich war bei einer kurzen Vernehmung, aber nur Angabe von Personalien, mein Haftbefehl ist anscheinend verloren gegangen, man fragte mich, warum ich verhaftet sei (!). Also man scheint mir keine speziellen Vorwürfe zu machen. Ich sitze wohl als S.A.-Sanitäts-Sturmführer hier. Es ist darum unbestimmt, wie lange die Internierung dauert. Wir mögen hier dazu unser Schicksal von dem Ausgang des Nürnberger Prozesses abhängig zu machen (schwer lesbar) , in dem die S.A. als ganzes angeklagt ist. Das kann dann vielleicht noch länger dauern und wir müssen uns auch damit abfinden, Weihnachten hier zu erleben und euch nicht einmal schreiben zu dürfen, - es wird sehr, sehr hart sein, aber wir müssen es wie Kriegsereignisse nehmen, wie Soldaten die an der Front stehen. Und ich bin immer bei Euch, wenn Ihr an mich in Liebe denkt. Ich bin ja so froh, daß Du nun weißt, wo Du mich in Gedanken suchen mußt. Auch wenn ich in der nächsten Zeit von hier in ein anderes Lager verlegt werden sollte,- es sind seit 3 Tagen große Veränderungen im Gange, man arbeitet mit Hochdruck auf – dann würdest Du mich finden, das weiß ich, auch wenn ich zunächst noch keine Möglichkeit finde, Dir den neuen Ort mitzuteilen. Man redet davon, daß Entlassungen kommen sollen in Bezug auf Postverkehr mit Angehörigen.Päckchen mußt Du auf jeden Fall schicken, vielleicht werden sie in solchem Fall nachgeschickt. ,- vor allem auch Brief schicken mit irgendeinem geschäftlichen Vorwand. Die Frau eines Kameraden war gestern mit einem Fragebogen (von 4 Seiten, der für Beamte vorgeschrieben ist) hier und hat mit dem G.S.J. Kommandanten persönlich gesprochen und dann ihren Mann sehen dürfen! Also auch das geht, wenn die Frau Mut und diplomatisches Geschick hat und wenn der Offizier (bei uns ein polnischer Kapitän) menschlich entgegenkommend ist. Ob Du das versuchen würdest?? Ich muß Dir alle solche Entscheidungen selbst überlassen, Du wirst schon das Richtigste tun, aber laß Dich beraten (Frau v. Veltheim, Rechtsanwalt Kahn) Wenn die Internierung noch länger dauert, weißt Du ja, was ich hier brauche, nur immer alte Sachen verwenden, damit der Verlust nicht so groß ist. Verboten sind Messer, Feuerzeuge, Schreibpapier u. dergl. Rauchware wirst Du nicht auftreiben können. Bücher werde ich immer gebrauchen können. Ich nenne noch einige Titel: Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung (Reclam, Bücherbört), Goethe, Faust, Müller-Seifert, Medizinisches Taschenbuch, Thomas Mann, Zauberberg, Dickens, Pickwickier. Liebste, ich weiß, alles klingt so nach langer Dauer, aber all unser Denken kreist um die Frage wie werden wir seelisch und körperlich durchhalten und darum man an alles denken. Bis jetzt ist ja noch keine Nachricht von Dir da,- ob sie kommt? Wie dieser Brief fortgeht ist deshalb auch ungewiß, aber irgendwann wird es wohl gehen.
Gestern habe ich wieder zahlreiche Braunschweiger gesprochen, darunter Herrn Denecke(?) aus Evessen, der von Kuthe berichtete. . K. Ist noch in Wolfenbüttel (Gefängnis), wird aber wohl demnächst nach hier kommen. Ob ich wohl durch ihn von Euch hören werde? Auch Mühlenkamp, Ahlum war dabei und ein Herr Hebbel aus Schöningen, der mir sagen konnte, daß Heinrich (Barnstorf) nicht zurück ist. Sein Kollege, Studienrat Herrmann, ist auch in Wolfenbüttel in Haft, vielleicht sehe ich ihn auch noch. Ich will den Brief zum vorläufigen Abschluß bringen, weil es jederzeit nötig sein kann ihn abzugeben – entweder weil er mitgenommen wird oder weil ich selbst fortkomme. Ich glaube, das Wesentliche steht darin und wenn Du es auch in all dem Durcheinander nur zwischen den Zeilen findest: Du und die Kinder ihr werdet Hilfe finden, das weiß ich, das hält mich aufrecht, ich weiß Euch in Gottes Schutz. ….
In aller Liebe Euer Papa
5.11.45
Erste Seite nicht lesbar
…. Es gehen wieder viele hoffnungsvolle „Parolen“ um von größeren Entlassungen, die bevorstehen sollen, wir „Alten“ haben wenig Zuversicht zu solchen Deutungen. Aber es kommt wie es will, Liebste, ich bin nun so getrost und stark, daß ich alles tragen werde, weil ich weiß, Du trägst es in gleichem Geist. Ihr verlaßt mich nicht, wo ich auch bin. Die beiden Päckchen sind unberaubt zu mir gekommen, es war wie ein Weihnachtsfest, das Auspacken – im Dunklen, denn es war Sperrstunde und die anderen 17 in diesem gedrängten Zimmer sollen nicht alles von dieser Schmuggelei wissen. Dann habe ich voll Rührung und tief innerer Freude die Monde, Bretzen und Autos betrachtet, die die lieben Kinderfinger für ihren Papa gefertigt haben. Wie schmeckt das alles nach zuhaus. Liebe Kinder, ich esse jeden Abend beim Schlafengehen eins dieser Kekschen und träume dann von Euch. Und ich träume oft , daß ich mit Euch in einer Konditorei bin, denkt mal an. Wenn ich wiederkomme, sollt ihr mir mal ganz allein was kochen oder backen. Die Zigaretten waren so eine überaus kostbare Beigabe, daß ich nach hiesigen Begriffen jetzt Millionär bin. Ich habe mir für 5 Zigaretten zwei englische Bücher gekauft. Von morgen ab bekomme ich Zusatzverpflegung in Brot und Butter als „alter Häftling", das ist auch was wert.
.............
Von Studienrat Hermann, Schöningen, erfuhr ich Näheres über Heinrichs Entlassung, ich bin erstaunt, daß man ihn bis jetzt laufen gelassen hat. Rate ihm, er sollte jetzt immer einen Koffer mit den notwendigsten Sachen bei sich führen. Ich weiß wie es mir und unzähligen anderen gegangen ist
Jeden Abend betrachte ich mir Eure lieben Bilder und lese die Briefe,- bis ich sie auswendig kann, denn ich muß sie vielleicht vor einer Verlegung in ein anderes Lager vernichten, obwohl sie mein kostbarster Besitz sind. Aber das Risiko ist groß. Die Bilder werde ich natürlich behalten, obwohl man so etwas uns „Verbrechern“ schon abgenommen hat. Gestern beim Gottesdienst war es wie ein Fingerzeig, daß wir alle „Lobe den Herrn“ sangen und ich hörte meine Kinder mit ihren feinen Stimmen darin.
…Ja, wie die Kinder sich über die kleinsten Dinge freuen können, auch das ein Geschenk dieser Zeit. Hier ist ihre hohe Schule, weil das Leid aller Deutschen sich hier trifft, wenn auch nur in den Männern. Was habe ich für bittere Worte erlebt, aber auch was für entsagungsvolle Würde des Unglücks. Ein solch würdiger Leidensträger ist der frühere Reichsminister und Reichsforstmeister v. Keudell (es war wohl Walter v. Keudell, Innenminister 1927-28 Innenminister, unter Göring Oberlandforstmeister, lebte von 1884-1973) der uns allen ein Vorbild geistigen und deutscher Haltung ist. Er leitet unsere Lagerschule. Seine Heimat, sein Lebenswerk, sein Wald liegt an der Oder, von seiner Familie weiß er nichts und das richtet durch sein Beispiel andere auf. Wie viel wertvolle menschliche Substanz ist in der Partei gewesen – und wie hat sie mit diesem Kredit gewirtschaftet! Das größte Verbrechen neben den Bestialitäten – auch dafür gibt es leider Zeugen hier – ist der Mißbrauch gläubigen Vertrauens durch moralisch gewissenlose Hochstapler vom Schlage vieler Gauleiter. Hier erfährt man ja durch die Nächstbeteiligten diese Dinge, deren Opfer wir sind. Die deutsche Seele wird einem immer rätselhafter, so reich und weit – und so arm und eng! Wir können viele Denker gebrauchen in den kommenden Jahren, vielleicht ist Ina Seidel auch darunter und mancher der anderen, die sich frei und wahr erhalten haben. Oh wie sehne ich mich nach einem trostvollen Wort deutscher Dichtung – Raabe, Carossa, Goethe, Mörike, da die wenigen Verse, die wir hier haben nicht mehr genügen. ….
8.11.45
Meine Liebste, liebe Kinder,
noch einmal habe ich die Möglichkeit Euch zu schreiben, da jede der 2 bisherigen ihre Ungewissheit des Erfolgs in sich hatten, diese letzte aber sicher ist, wiederhole ich manches... Ich weiß nun, daß Du hier warst, sogar zweimal, daß Du mich schon vorher im Sennelager gesucht hast – ach was hast Du auf diesen Reisen alles wohl erleben uns müssen und daß Du nun weißt, wie unser Lager aussieht ….
Wiederholungen der alten Briefinhalte
Von meinem Tagesablauf willst Du wissen? 7 Uhr aufstehen, Kaffee Empfang, Waschen in der Waschbaracke, 8:10 tägliche Morgenandacht, die immer Kraft und Besinnung gibt, 9 Uhr Zählappell, dann Unterricht in Strafrecht, Sprachen und dergl. (alle Fächer sind hier vertreten) – ich selbst gebe Unterricht in Anatomie u. Physiologie, 12:30 Essen (Suppen, oft gut, oft dünn) 13-15 Uhr Mittagsruhe, wieder Unterricht oder herumlaufen, 17 Uhr Zählappell, abends Vorträge, bunte Abende, alles rührend improvisiert, da kaum Bücher im Lager, 10 Uhr abends schlafen wir auf unseren Strohsäcken ein, ich schlafe immer gut, träume aber viel. In letzter Nacht habe ich zum 1. Mal seit langer Zeit von Deinem lieben Vater geträumt, der nun schon 25 Jahre tot ist. Oft sind auch die Kinder bei mir und Du gehst hindurch durch diesen Traum und ich koste noch lange von dieser stillen Süßigkeit.
Viele Bekannte Personen aus dem Raum Wolfenbüttel, Braunschweig werden werden eingeliefert.
Bleib mit Frau v. Veltheim in Verbindung, sie kann bei den Engländern viel nützen.
… Dank allen denen, die Dir helfen durchzuhalten, Dr. Schlüter, Frl. Brunner, Stöter und allen anderen. Versuch durch Dr. Kahn, Rechtsanwalt in Brschwg., zu erfahren, ob u. In welcher Form ein Gesuch für mich gestellt werden kann, vielleicht kann der Bürgermeister Ahrens oder Pastor Diestelmann dabei ein Leumundszeugnis abgeben. Viel verspreche ich mir nicht davon. Ich gelte anscheinend auch als „automatic arrest“, d.h. man hat keine „speziellen“ Vorwürfe gegen mich, hat mich nie nach der „Aktion“ gefragt. Ich werde wohl als SA Führer angesehen und darum auch im Zuge der allgemeinen „Überprüfung“ mitgeschleppt. Wie lange das dauert, wer weiß es, es hängt von der politischen Entwicklung, vielleicht von den Nürnberger Prozessen ab. Es ist ermüdend all dies noch einmal zu schreiben.....
Es wird alles noch gut werden, wir fangen alle neu an. Für unsere Kinder wird es uns gelingen, wenn wir zusammen stehen alle, die wir nach diesem Weltuntergang noch übrig geblieben sind. Geht es uns anders als Hans (Utermöhlen) und Heinrich (Barnstorf) und alle den anderen, die nun auch zunächst brotlos sind? Nein, ich sehe überall nur Hoffnung, auch wo alles grauer Nebel scheint. Wenn ich bei Euch bin … und einmal werde ich wieder da sein, dann werden wir mehr sein als vorher, weil dieser Reichtum durch das Schicksal in uns entstand...
Jeden Abend, ihr lieben Kinder, esse ich ein paar Eurer Kekschen. Wie habe ich mich über das Auto und die Bretzeln und Schnecken … Daß Gigi Klavierstunde hat ist aber fein. Da spielt sie mir einen schönen Marsch, wenn ich zum ersten Mal wieder in die Stube komme. Und Nenne will mir eine Haus bauen? Kannst Du denn noch so gut bauen mit Deinem Baukasten? Daß Ihr Euch über die Schokolade gefreut habt, glaube ich schon. Aber ihr laßt Euch doch keine von den Engländern schenken, die Euren Papa eingesperrt haben, nicht wahr? Hier sind so viele Papas, die nichts getan haben, als daß sie früher treu zum Führer hielten und deswegen sind sie eingesperrt. Laßt Euch das alles von Mama erklären, die kann es am allerbesten. ….
….Trost und fromme Worte für Lisa...
Sei vorsichtig und gefährde Dich nicht selbst durch irgendwelche Äußerungen, hörst Du? Hier waren auch viele Frauen interniert u.a. Frl. Knaust, Helmstedt. Also Vorsicht!
…
Man scheint demnächst auch Briefe von uns erlauben zu wollen, wie sich überhaupt sehr viel an Strenge gelockert hat. Auch die Schotten, die uns jetzt bewachen, haben sich als überraschend entgegenkommend erwiesen...
Liebste Lisa, nun geht der Platz schon wieder zu ende und ich habe das Gefühl, noch nichts von dem gesagt zu haben was in mir drängt und zu Dir will. Es ist soviel aufgehäuft, daß der Abfluß zu eng dafür ist. Aber Du wirst die meisten ungesagten Dinge zwischen den Zeilen lesen und heraushören, daß die wesentlichen Tatsache zwischen allen unwichtigen Dingen, die darin stehen die ist: Ich bin zutiefst bei Euch und um Euch; ich bin voll Hoffnung und Lebenswillen und weiß Euch und mich geborgen in Gottes Güte. Unser Leben wird äußerlich ärmer, aber innerlich unendlich reicher sein, wenn ich wieder bei Euch sein darf. Ich trage diese harte Strafe nicht in empörter Auflehnung sondern empfinde sie als ein Teil der Menschenbuße, die das Geschick Deutschlands nötig macht, nur bin ich nicht dem Feind, sondern Gott dafür verantwortlich. Und wie ich so denken viele in der Glaubensgemeinschaft, die hier allmählich zwischen den Konfessionen aufwächst. Aus dieser Haltung und aus einem demütigen Stolz auf wirklich deutsches Wesen wird uns doch vielleicht noch einmal zu einer Neugeburt unserer Heimat kommen. So vieles ist auf ewig dahin, was wir noch grausam vermissen werden, aber haben wir nicht doch soviel behalten, das neues Wachstum verspricht: unsere süßen, geliebten Kinder? Sie werden es schwerer haben als wir in ihrer Jugend, aber wir werden ihnen doch alle unsere Liebe schenken können, nun erst recht. Und ewige, unzerstörte Schätze sind auch noch da für sie: Bücher und geistige Werte (bewahr mir nur meine Bücher in allen Fällen) und alle Dinge der Natur. Sie sollen nicht darben!
Es ist spät geworden, draußen strahlt nach einem regennassen Tag unser Sternenwagen leuchtend aus den Wolken. Er trägt seine Fracht von Euch zu mir und von mir zu Euch. Wie oft habe ich mir schon aus seinem Anblick Trost geholt in den Wochen und Monaten des völligen Verstummens. Nun weiß ich, es waren Deine Blicke aus dem Schlafzimmerfenster, die sich dort oben mit meinen trafen. So sind wir in dieser Stunde des Schlafengehens zusammen wie immer und alles, was an Grausamkeit auf uns lastet, fällt ab, nun wenn ich in der Stille, da alles schweigt, an Euch denken kann. Gott bitten, daß er Euch behütet, es ist mein letztes Tun an diesem, wie an jedem Abend Sorgt Euch nicht, ich bleibe bei Euch.
Immer in Liebe Euer Papa
19.11.45
Ein Brief auf durchsichtigem Durchschlagpapier, daher kaum lesbar
Ihr Lieben alle!
Heute habe ich Deinen „legalen“ Brief vom 13.11. ausgehändigt bekommen, vom polnischen Captain und mit der Bemerkung „keine Antwort!“ versehen,- so muß ich also etwas „illegal“ werden. Dazu hat sich ein neuer Weg eröffnet und kann Dir wohl schon morgen antworten.
…........... Ungewissheit über das System der zahlreichen Entlassungen für kurzzeitig Internierte und das Festhalten einiger „älterer“ Internierter, wie F.B. selbst
Religiöse Überlegungen zu einem „neuen Leben“ und die Dankbarkeit für „neuen Glauben“
Wir haben hier einen kleinen Kreis (Pisker gehört dazu), der dieses innere Licht gefunden hat und der nun alles trägt wie ein Geschenk. Ich verdanke den Aussprachen mit diesen Menschen und den Morgenandachten eines Kameraden Singer (Studienrat und Theologe) sehr, sehr viel. ....
Am Sonntag war der Appell ein besonderes Erlebnis für mich, denn ich wurde als Preisträger in einem literarischen Wettbewerb für ein paar meiner (alten) Gedichte mit 12 Zigaretten ausgezeichnet !! Das war ein festlicher Sonntag.
Dienstag, 20.11: Vielleicht geht dieser Brief noch heute ab, ich muß sehen, ihn fertig zu stellen. Ich lege einen Brief für Fr. Helms und Fr. Kuthe bei, die Du ihnen geben sollst. Dr. Bohnen , Helmstedt, ist im Nachbarlager Milag, ebenso Dr. Morr, Helmstedt.
Heute habe ich eine Zwiebel geschenkt bekommen, neulich eine Mohrrübe, alles Köstlichkeiten, die man erst würdigen kann, wenn man sie ein halbes Jahr nur in Vorstellungen erlebt hat.
Viele Fragen werden gestellt:
. Wie sieht es in Weferlingen aus, wie in Helmstedt? Wie leben sie dort an der russischen Grenze? (schwer lesbar). Ach soviel Fragen , die Du alle beantworten müßtest. Habt Ihr es warm genug? Und könnt Ihr die Miete aufbringen? Habt Ihr Kleidung abgeben müssen? Und werden sonst Maßnahmen der Regierung bei den „Nazis“ durchgeführt? Alles ist für uns aus der Welt Verbannte von Bedeutung. Ich weiß, es ist gar nicht möglich , alle Fragen zu beantworten, die ein halbes Jahr – und was für ein halbes Jahr – aufgehäuft hat.....
Wir müssen Geduld üben, je schwerer Dunkelheit und Kälte es uns machen: Wir werden geprüft, das wollen wir nicht vergessen. Und wer uns prüft, ist nicht der Mensch! Diesem gegenüber gilt Tapferkeit,- der Prüfung aber wollen wir in Demut begegnen.
Wie gerne würde ich von meiner Mutter einmal ein paar Zeilen bekommen, aber das wird ja schon gehen. Berichte ihr nur von mir, laß sie alles Wesentliche wissen, sie trägt sicher schwer an meinem Fortsein und an der ganzen Zeit. Ihr gilt mein Brief auch, sag ihr das! Und schreib ihr auch in meinem Namen auch mit. ….....
25.11.45
Brief enthält hauptsächlich „Päckenlogistik“ (Inhalte, Wünsche...)
Heute habe ich von Dr. Herrmann, Heinrichs Kollege, Einzelheiten über Heinrichs Rückzug aus Altengrabow u. seine Entlassung in Weferlingen gehört. Bestell seiner Frau durch Heinrich schöne Grüße. Heinrich soll sich auf alles einrichten: warme Sachen, wenig Geld, kein Messer, keine Eßwaren, werden bei der Aufnahme abgenommen. Ich grüße ihn herzlichst als „alten Kämpfer“! Von Hans (Utermöhlen) fürchte ich das Gleiche. Ich habe hier viele seiner Kollegen (Chemieindustrie...), die ihn von früher kennen, so z.B. Dr. König, dann seinen Betriebsobman – ich glaube Müller – u.a. auch Herr Wolff (von Wolff u. C.) (Wollf-Walsrode) war im Lager.
… Es kommen ständig viele Neuzugänge, jetzt viele aus Norwegen von der Wehrmacht, aber auch noch Zivilisten. Wenn nur die Entlassungen, die oft ganz plötzlich kommen, dem an Zahl entsprächen, aber einstweilen ist nicht zu erkennen, nach welchem Prinzip man die Leute entläßt. Es sind Ortsgruppen Verwalter (?) dabei, die erst wenige Wochen hier waren – und wir „Alten“ sitzen nun seit ½ Jahr hier und nichts geschieht. Ich glaube sicher, daß meine Papiere nochmal verloren gegangen sind und nicht in Nienburg beim Engl. Korps bearbeitet sind; erst vor 3 Wochen ist ein neuer Personalbogen ausgefüllt worden, vielleicht kommt es nun zu einer Entscheidung über v. Veltheim und mich. Wenn es überhaupt beabsichtigt ist, größere Gruppen von Internierten frei zu lassen, dann hoffen wir, dazu zu gehören. Um gehen die Gerüchte um eine größere „Amnestie“ zu Weihnachten, aber man kennt ja den „Begnadigungswahn“ der Häftlinge.
Es kann ebensogut geplant sein, den Ausgang der Nürnberger „Anklage“ abzuwarten, aber dann müßten eigentlich alle S.A. Führer hier erscheinen und die meisten sind noch zu Hause. So rätselt man an dieser Fragen aller Fragen herum und fühlt sich wohl oft als rechtloses Objekt fremden Hasses, aber daß in uns jemals ein Gefühl der Zerknirschung aufkam, das wohl das Ziel ist, das trifft nicht zu. Wir ehrlichen Beurteiler des Gewesenen sehen unendlich viel Schuld aufgehäuft, aber sie ist auf alle Völker gleichmäßig verteilt und keiner hat das Recht, den vielen, vielen ehrlichen Idealisten, die man hier auch findet, die Ehre und Freiheit zu nehmen. Über allem persönlichen Leid und Kummer steht die Trauer um unser zerschlagenes Vaterland. Gerade heute im Gottesdienst des Totensonntags hat mich diese Leid wieder tief durchwühlt und all die Gräber und namenlosen Totenstätten des Krieges vor meinem Auge erstehen lassen... Welches Maß an Tapferkeit und Haltung hat unser Volk gezeigt, man muß ihm vieles von dem Würdelosen und Ekelhaften vergeben, das es jetzt an den Tag legt. Auch in diesem Sinne ist die Erziehung hier segensreich, man bekommt den richtigen Maßstab für das Echte, das auch die Zeit des 3. Reiches gebracht hatte, gerade weil man das Falsche und Verlogene, ja, das Böse abfallen sieht und die Menschen sieht, die die Uniform ausgezogen haben. Manchmal hört man, daß auch der ehrliche Engländer diese Haltung bei uns anerkennt. Die einfachen engl. Soldaten haben meistens diese anständige Einstellung, nur ist ist sie noch durch jahrelange Hetze unsicher. Gott walte es, daß wir trotz allem noch zu einer Einigung mit den Westmächten kommen, es ist unsere einzige Rettung.- ….
28.11.45
… Versuche meine Anzüge vor etwaigen Requirierungen dadurch zu schützen, daß Du sie teilweise nach Weferlingen „evakuierst“. Man weiß nie, auf welche Einfälle die „Antifa“ noch verfällt. Du hast mich zwar in Deinem Brief beruhigt, daß Euch in dieser Beziehung bislang nichts geschehen ist, aber uns werden immer wieder derartige Gerüchte zugetragen und die giftigen Artikel der Zeitungen halten den Argwohn wach..
15.01.46
… Ich wohne mit 3 anderen Ärzten, netten , ruhigen Kameraden in einem 4 Bettenzimmer, habe ein für die hiesigen Verhältnisse sehr gutes Bett mit engl. Steppdecken, den ganzen Tag ein warmes Zimmer (der Ofen brennt von 8 Uhr an), genug Ruhe und Gelegenheit zum lesen (auch durch Bücheraustausch mit einigen gleichfalls in der „Führerbaracke“ wohnenden Dolmetschern, sehr klugen und literarisch interessierten Menschen). Und vor allem, ich habe durch die täglichen Sprechstundentätigkeiten vor- und nachmittags etwas zu tun und so fliegen die Tage, ja die Wochen seitdem unvergleichlich schneller dahin. Man hat mir diese Lebensverbesserung als einem der lager ältesten Ärzte zugedacht und sie hat mir in jeder Beziehung gut getan. Wir haben jetzt Waschmöglichkeit (fließendes Wasser mit Becken), Wasserklosett !!. Sonnabends Möglichkeit zu warmen Ganz Waschungen, kurz, die Wanzen können erfolgreich abgewehrt werden, was in den übrigen Baracken nicht recht gelingt. Vor allem seit ich die Bücher habe, bin ich wieder Mensch geworden. Ein sehr begehrter Mensch übrigens, von dem die Lagerfama weiß: das ist der mit dem 2 bändigen Spengler!! Konstantin Bauer und manche andere weilen ganze Nachmittage als Teilhaber bei mir. Herr Helms ist auch oft bei mir. Hier sind als Bekannte aufgetaucht: Dr. Bohnen u. Dr. Ruhe aus Helmstedt. Wolfenbüttler und Braunschweiger kommen jetzt massenhaft an, so daß wir über die allgemeinen Zustände in der Heimat informiert sind. Ich mache mir viele Sorgen wegen der Raubüberfälle in den Dörfern – um Euch und die Weferlinger....
3.2.46: Liebste, 14 Tage habe ich den Brief liegengelassen, weil ich inzwischen ein paar Zettelchen mit mikroskopischen, von Kameraden viel bewunderten Gekritzel durch unseren Freund P.s Mithilfe auf etwas verschlungenen Wegen (über Herrmannsburg-Celle) am 29. abgehen lassen. …..
Bewunderung für die beschwerlichen Reisen im Güterwagen und Übernachtungen auf dem Boden von Wartesälen in Hannover und Bremen…
Ich bin fast froh darüber, daß Du das für mich tun mußtest, weil es Dich dem großen allgemeinen deutschen Leiden näher gebracht hat, das immer über unserem persönlichen Schicksal stehen muß. Wir dürfen es nicht vergessen, das sind wir den Toten und den Lebenden, denen die alles verloren, schuldig, und auch unseren Kindern, die nur durch uns einmal wissen werden, wie Deutschland wirklich war und ist. Denn so wie es in den „Prozeßberichten“ und anderen Anklagen verzerrt wird, so ist unser liebes Vaterland nie gewesen, mögen sich auch viele, viele Nazis an ihm versündigt haben. (Man kann hier im Lager nur ein guter Deutscher werden, gerade wenn man die gläubigen und nun enttäuschten Männer z.B. aus dem Volksdeutschland oder aus Österreich kennen lernt).........Ich hoffe immer wieder, nun möge mein Internierungsschicksal doch bald klären, nachdem seit 31.12. endlich mein Lebenslauf und ein Bericht über meine ärztliche Tätigkeit in Königslutter vom G.S.J Captain angefordert wurde. Vor 14 Tagen ließ er mich rufen (Ich war mit unserem anderen ganz alten Lagerinsassen durch seinen „Vertrauensmann“ Herrn von Kuedell zur Überprüfung empfohlen worden) und sagte mir nicht unfreundlich – wie sonst meist seine Gewohnheit – ich müsse warten, bis die Entscheidung des Korps aus Nienburg da sei. Das dauert erfahrungsgemäß 3-4 Wochen, aber ich weiß nun wenigstens, daß mein Fall wieder in der Aktenbearbeitung ist. … In der letzten Zeit scheint man auf ein anderes System loszusteuern, man entläßt wenig, verlegt wenig, verhaftet wenig,- vielleicht kommt doch bald einmal eine wirkliche Überprüfung des Internierungsproblems. Nur – man ist eine Nummer unter 60 – 70 000 anderen und kann nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ermitteln, wann man einmal an der Reihe ist. Ja, wenn Ordnung im engl. Aktensystem wäre! Aber meine Fragebögen sind bestimmt 2 x verloren gegangen.Wenn nur von außen her ein Fürsprecher meinen „Fall“ der prüfenden Stelle unter die Augen gebracht werden könnte!... Es kommt darauf an, daß ich als nicht „aktiver Nazi“ geführt werde, der ich ja auch nie war, sondern nur ärztlich in der S.A. tätig. Davon wird auch vielleicht die Entscheidung über die endgültige Entlassung aus dem Staatsdienst abhängen, aber das ist erst in zweiter Linie wichtig............
… man gewinnt jetzt den Eindruck, die Frage der Internierungslager wird doch bald grundsätzlich überprüft werden, so wenig das Einzelschicksal rascher dadurch entschieden wird. Irgendwann in absehbarer Zeit muß man ja auch über mich im Klaren sein, ob ich als „Verbrecher“ oder für die Sicherheit gefährlicher oder harmloser Nazi gelten soll. Wenn sich nur jemand von außen für mich einsetzen könnte! Einen konkreten Vorwurf hat man mir nicht gemacht, man wollte nur wissen welche Vorschriften in der Anstalt hinsichtlich der Vernichtung von Kranken bestanden. Ich habe in meinem Bericht darüber nur angegeben, daß diese Vorschriften (Ausfüllung der Fragebögen über Patienten und Einsendung derselben nach Berlin) nach amtlichen Anweisungen des Ministeriums (Reichsinnenm.) für jeden Direktor und Anstaltsarzt verbindlich waren und sonst nichts von uns verlangt wurde, was nicht jeder andere deutsche Anstaltsarzt auch tun mußte u. getan hat.
In der S.A. war ich seit 1933 als Arzt, habe aber nur die üblichen ärztlichen Untersuchungen und hygienischen Unterricht durchgeführt, in der Partei, in der ich am 1.5.1937 durch S.A. automatisch übernommen wurde, hatte ich kein Amt gehabt. Ich schreibe das nochmal, weil es meiner Ansicht nach den Hintergrund für eine befürwortende Eingabe sein kann... Ungewissheit über die Wirkung einer Eingabe von Leuten wie Pastor Diestelmann und anderen. …
8.2.: Gestern erfuhr ich durch einen Österreicher, der vorn beim G.S.J Kapitän als Schreiber arbeitet, daß mein Buch „Freud, Psychoanalyse“ begeisterte Leser unter den englischen Vernehmungsoffizieren bis zum polnischen Kapitän gefunden hat, durch einen Österreicher gerettet werden sollte, weil mein Name drin stand, aber dann „verloren“ gegangen ist. Von den übrigen Büchern wußte er nichts,- es ist wohl „Kraus, Letzte Tage der Menschheit“ u. „Kiplings Dschungelbuch“. Ja, ich träume noch oft von wunderbaren Entdeckungen in Antiquarien, die sich in verwüsteten Städten befinden, mit allen Einzelheiten des Inhalts u. Abbildungen. Und hier bin ich so glücklich mit meiner kleinen Bibliothek von 7 Büchern wozu noch einige englische kommen. Zweimal wöchentlich mache ich in einem kleinen Kreis Interessierter Spengler-Lesungen. Das Werk gibt uns außerordentlich viel. Jetzt soll auch die Naturphilosophie von Bavink dazu kommen. Aus meinem Lyrikband habe ich oft vorgelesen, auch früher in den Morgenfeiern, die jetzt ruhen (in winterlicher Kälte). Im Sommer u. Herbst haben wir viel Lönslieder gesungen, wozu die Texte meist aus meinem Gedächtnis an unsere Jugend genommen wurden. Auch Balladen von Münchhausen und Miegel habe ich meiner Erinnerung abgerungen und entweder hier selbst gesprochen oder durch andere Kameraden im „Westertimker Kulturbund“, einer regelmäßigen Folge von Ernst u. Scherz vortragen lassen. Die übrigen Vorträge sind weiter im Gange, über Astrologie, Spritismus, Goethe, Atom, Henry Ford – dazu ab und zu ein Beethoven- oder Mozartabend (auf einem ziemlich trostlosen Klavier), bunte Abende, sogar mit Bühnenbildern u. Berufsmusikern („Im weißen Rössel“), dabei oft die englischen Sergeanten als Zuhörer,- es ist nicht mehr so ursprünglich und vielseitig wie im Herbst, aber noch immer wehrt sich das einstige Volk der „Dichter u. Denker“ gegen den hoffnunglosen Stumpfsinn....
24.2.46
... Ich habe immer noch das Gefühl, man ist ganz vom Zufall abhängig...(mit dem die Akten durchgearbeitet werden und eine Entlassungsentscheidung getroffen wird. ...) Wenn man diesen Zufall durch einen Vorstoß von außen, eine Leumunderklärung durch eine unverdächtige Stelle herbeiführen ließe – bei Piesker ist das, glaube ich auch so gewesen, dann kann alles viel schneller laufen. Ich weiß nur nicht, ob sich jemand für mich verwenden will. Sag Herrn Schmidt-Reindahl herzlichen Dank u. Gruß und besprich mit ihm nochmal die Sache, oder mit Dr. Kahn und Pastor Diestelmann. Wenn man mich als nicht „aktiven Nazi“ erkennt und außerdem der Verdacht , mit Gestapo oder derartigen Stellen, zusammengearbeitet zu haben, einwandfrei zerstreut wird, dann kann das meine „Überprüfung“ nur beschleunigen. Es heißt, daß vor der Entlassung von Internierten heimatliche Ausschüsse, darin Bürgermeister u. Geistliche befragt werden sollen,- ob es wahr ist, weiß ich nicht! Wir klammern uns ja hier alle an solche Strohhalme, ich muß es auch Deiner Tatkraft und der Hilfe teuer Freunde überlassen, ob ihr einen Weg findet. Ich kann mir nicht denken, daß wirklich ein ernstlicher Gegner gegen mich irgendwo sitzt , obwohl man gegenüber anonymen Anzeigen oder sonstigen Behauptungen ja völlig machtlos ist. Wenn Ihr irgendetwas Erfolgversprechendes erfahren habt, dann deute es mir im Brief an. Wenn man nur Gelegenheit bekäme, sich wirklich gegen Vorwürfe und Beschuldigungen zu verteidigen, aber darin liegt wohl das ?? dieses Systems der Vergeltung für Dinge, die ??? Wir sind völlig kraft- und machtlos, das ist immer wieder das Bedrückendste. ...