Zusammenfassung des Berufswegs von 1930 - 1937
Nach einer Zeit als Medizinischer-Praktikant, 1930/31, am Städtischen Krankenhaus Braunschweig, war Fritz Barnstorf Volontär/Assistenzarzt an der Landesheilanstalt Königslutter von . Auf Anraten des Leiters der Anstalt, Dr. Grütter, trat er der S.A. als Arzt im Sanitätsdienst bei. Eine Bewerbung als beamteter Anstaltsarzt blieb aber doch erfolglos, weil ein Mitbewerber schon länger der NSDAP und S.A. angehört hatte und trotz schlechterer Eignung (Beurteilung durch Dr. Grütter) als Beamter übernommen wurde.
Die nächste Station war dann eine ab 1934 eine Anstellung an der Provinzial-Heilanstalt Haldensleben/Bezirk Magdeburg. Für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis als „Anstaltsarzt“ mußte 1935 eine Anfrage bei der NSDAP auf „politische Zuverlässigkeit“ gestellt werden, die dann lautete „..Dr. B. ist zuverlässig, seit 4.11.33 ist er Sturmbannarzt in der S.S....“
Am 1.5.37 erfolgte ein „korporativer“ Eintritt in die NSDAP, die für alle S.A-Mitglieder ohne Parteimitgliedschaft vorgenommen wurde.
Im Februar 1938 wurde F.B. ein 14 tägiger „Weiterbildung/Forschungsaufenthalt“ an der „Forschungsanstalt für Psychiatrie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“ in München genehmigt. Es gibt einen Hinweis auf einen Aufenthalt zur Weiterbildung in seiner Personalakte, in einem Bewerbungsbrief, der sich auf die „Insulintherapie“ bezieht. Es scheint aber so zu sein, daß der Aufenthalt in München vom 11. 2. bis 27. 2. 1938 das Thema der „Psychiatrischen Genealogie, (genetische Psychiatrie)“ als Schwerpunkt hatte. Der Direktor der Anstalt, Ernst Rüdin, war maßgeblicher Betreiber dieser „eugenischen“ Forschungsrichtung der Psychiatrie dieser Zeit und Vordenker der Aktionen, die wenig später zu den Morden an „lebensunwerten“ Menschen führten. (Aktion Tiergartenstrasse 4)
Nur einige Postkarten mit wenig Informationen zu Zweck und Ergebnis des 14 tägigen Aufenthalts sind erhalten:
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München, 11 .2. 1938:
Heute früh war ich schon bei Prof. Rüdin. Er und sein Assistent, der Braunschweiger Schulz. Letzterer geriet in Ekstase (?), daß ich aus Braunschweig kam. …
13. 2. :
Heute morgen habe ich meine Tätigkeit in der Forschungsanstalt aufgenommen. Sie bestand im Lesen von Akten, Schriftwechseln und Sippentafeln. Eine Mitarbeiterin des Instituts Frl. Adda Jura, zeigte mir sehr interessante Sippenforschungen über große Männer wie Nietzsche, Mahler, Strauß u.v.a. ...
14. 2.:
… Ich war bis 4 Uhr im Institut, habe dort gelesen und war ganz auf mich angewiesen, Von den eigentlichen Institutsärzten habe ich noch niemanden weiter kennen gelernt. Sie sind zur Zeit auf ihren weiten Sippenforschungsreisen in ganz Deutschland. Dagegen habe ich im Kasino, wo ich jetzt regelmäßig einen Mittagstisch esse, eine ganze Menge Kollegen aus den anderen Abteilungen der Forschungsanstalt kennen gelernt. Es sind alles Süddeutsche und z.T. anscheinend recht nett….
15. 2.:
Forschungsanstalt für Psychiatrie München
… Im unteren Stock ist das Institut für Genealogie u. Demografie, in den anderen Hirnforschungs- und Kriminalbiologische Institute. Mein Arbeitsplatz liegt nach hinten hinaus. …
23 . 2. :
… Heute nachmittag will ich nach der großen Anstalt Haar-Eglfing hinausfahren und dort die Kollegen bitten, mir die Anstalt und insbesondere die neue Behandlungsmethode der Schizophrenie mit Insulin zu zeigen. …
25. 2. :
… Vorgestern war ich also in Eglfing. Es ist eine schöne, riesengroße Anstalt (2400 Kranke). Die Verbindungen zur Stadt wie auch die Wohnungen der Ärzte würde sie mir sympathisch machen können. Ich habe die Frauenabteilung besichtigt. Die Insulinstation war sehr interessant, leider war nachmittags dort nicht viel los. …
Der berufliche Weg nach 1938
Die Familie Barnstorf fühlte sich schon immer mehr der Gegend um Braunschweig zugehörig, so daß F.B. verstärkt seit 1938 mit der Anstalt in Königslutter in Kontakt trat, um wieder dorthin wechseln zu können. Der Kriegsausbruch verhinderte dies dann zunächst.
Die Heilanstalt Königslutter (HAK) wies in einem Schreiben an das Braunschweiger Innenministerium Anfang 1940 auf eine angespannte Personalsituation hin und nannte auch F.B. als möglichen Ersatz für einen ausscheidenden Arzt. Ein Wechsel von Fritz wurde im Januar '40 durch eine Kündigungsgenehmigung durch das Innenministeriums der Provinz Sachsen vorbereitet. Die Stelle in Königslutter war für ihn frei.
Der gerade Weg eines schnellen Wechsels wurde aber durch eine Einberufung von F.B. Ende Januar 1940 jäh unterbrochen. Er mußte in Bückeburg zunächst eine Grundausbildung als Sanitätssoldat durchlaufen. (Auszüge aus den Briefen folgen unten) Es war für ihn in dieser Zeit völlig unklar wohin er nach den 8 Wochen „idiotischen Stumpfsinns“ (Zitat aus einem Brief) kommandiert würde. Der ursprüngliche Tauglichkeitsgrad „GV“ (garnisonsverwendungsfähig) wurde auf ein „KV“ (kriegsverwendungsfähig) geändert und weckte bei ihm natürlich Befürchtungen über den Einsatz in einem Lazarett weit weg hinter einer Frontlinie. Später wurde er wieder auf „GV“ gesetzt, was die Kommandierung an ein Reservelazarett ermöglichte.
Das Jahr 1940 war wie in den meisten anderen psychiatrischen Krankenhäusern ein Jahr des Umbruchs in vielerlei Hinsicht. Der Kriegsverlauf erforderte zunehmend die Einrichtung von „Reservelazaretten“, auch in den Heilanstalten Deutschlands. So z.B. in Haldensleben, Königslutter und Göttingen, so daß es F.B. möglich erschien, in eins dieser Lazarette kommandiert zu werden.
Lisa B. war im März zu einem Erkundungsbesuch in der HAK und traf dort auch den gerade als Direktor eingesetzten Dr. Meumann, der noch ohne Familie dort wohnte. Er meinte, daß eine Einstellung F.B.s zur Zeit noch unsicher wäre. Es herrschte also große Unsicherheit über die zukünftige Arbeit von F.B. und dem Wohnort der Familie.
Nach Beginn des Krieges wurde F.B. 1940 zu einer Sanitätsarzt Grundausbildung in Bückeburg eingezogen. Hier die Auszüge der Briefe an Lisa Barnstorf.
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Zitate aus Briefen 1940 zwischen Haldensleben (Lisa: L) und Bückeburg/Göttingen (Fritz: F)
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22.2. F
Neue Tauglichkeit KV (Kriegsverwendungsfähig)
„... ich sehe sehr schwarz, was eine Kommandierung an ein Reservelazarett angeht... ich werde unter Umständen in ein Frontlazarett ausrücken müssen...“
26.2. F
„ Aussichten auf eine Kommandierung in das Reservelazarett Haldensleben wohl gering „
2.3. L
Dr. Metz klagt über Ärztemangel (eingezogene Kollegen) und will eine „Reklamation“ auf eine Arztstelle stellen
2.3. F
„ .. aber dann weiß ich auch, daß ich der Sache des Krieges um dieser friedlichen und unschuldigen Kinder willen dienen muß. Denn um ihre Zukunft geht es und ich bin froh, daß ich dieser Zukunft nicht mit der Waffe, sondern durch helfen können dienen darf.“
Überlegungen zum Einsatz in Frontlazaretten oder doch noch als „reklamierter“ Arzt in Haldensleben.
6.3. F
Antrag auf Entlassung wurde entsprochen:
Gedanken über die Unsicherheit, wo nun Möglichkeiten an Reservelazaretten (Haldensleben, Kgsl) bestehen...
7.3. F
Brief von Meumann aus Kgsl.
19.3. L
Bericht über einen Besuch in Kgsl. Bei Direktor Meumann. Er wohnt noch ohne Familie in seiner zukünftigen Wohnung. Seine Familie wird nach Ostern kommen. Er sieht für uns keine Möglichkeit für einen Umzug. Lage für eine Einstellung F. Unklar
2.4. F
F. wurde auf „GV“ (Garnisonsverwendungsfähig) umgestuft, was eine Verwendung in einem Reservelazarett bedeutet. Aber völlige Ungewissheit wo.
14.4.
Meumann: Die Besetzung der Arztstelle in Kgsl. muß durch das Reichsinnenministerium (wie bei ihm) genehmigt werden. Große Hoffnung auf eine Ansiedlung in der heimatlichen Gegend (Elm...)
„Neuerdings munkelt man hier von einer Verlegung unserer Abteilung, weil hier Aufmarschgebiet ist. Es ziehen endlos Truppen durch. Man redet von Halberstadt, Goslar,- Braunschweig(!) und (höre u. Staune) Krakau in Polen. Aber das ist alles noch sog. Latrinenparole.
14.4. F
.“ Eben hörte ich den in seinen Andeutungen so überaus beredten Wehrmachtsbericht, hinter dem das furchtbare Ringen da oben hoch im Norden, Blut und Tod so unheimlich klar sichtbar wird. Bomben auf deutsche Kleinstädte, Holland bedroht – , die Entwicklung geht folgerichtig weiter, der Krieg hat nun begonnen. Wir sind alle gewiß, daß wir ihn nicht verlieren werden, aber was wird bis zu jenem Tag des großen Aufatmens noch alles von deutschen Männern, Frauen und Kindern an Opfern gefordert werden müssen.“ „Aber man nicht ohne trauerndes Mitgefühl immer wieder die jungen und alten Familienväter von hier hinausziehen sehen... Wer wird wiederkommen? Ich bin sicher kein richtiger Soldat, wenn ich so denke und schreibe. Aber das weiß ich ja und will es auch nicht mehr anders ...
„Heute kam wieder Nachricht von Metz. Er legte die Abschrift eines Schreibens der Sanitätsabteilung Magdeburg an die hiesige Sa.Ersatz Abteilung bei, in dem es heißt: bei der Sa.Ers. Abteilung haben die Ärzte Dr. Rohrwasser u. Dr. Barnstorf ihre Grundausbildung beendet; sie sind in Zivil Ärzte der L.H.A. Haldensleben (1000 Betten) Ich bitte, wenn irgend möglich, die beiden Genannten im Bereich der San.Abtlg. Magdeburg (Dr. Keller) zu verwenden, damit sie später bei Einrichtung des Res.Lazaretts Haldensleben dort evtl. eingesetzt werden können und in der Lage sind, den Anstaltsdirektor, der gleichzeitig Chefarzt des Aufstellungsstabes des Res.Laz. Haldensleben ist, für die Anstalt, soweit militärische Belange dies zulassen, behilflich zu sein.
Gez. Dr. Keller
Das ist wenigstens ein Anfang. Ich sprach mit dem Spieß, der meinte, daß die Kompanie diese Absichten nur unterstützen würde. Die Entscheidung liege natürlich bei der hiesigen Abteilung..
Allerdings wird nun abzuwarten sein, wann die Anforderung aus dem Bereich der San.Abtlg. Magdeburg kommte, die ja ein weites Gebiet von Stendal bis Halberstadt umfaßt. Und sehr viele Lazarette sind dort auch noch nicht eröffnet. Aber die Notwendigkeit dazu wird ja nun jeden Tag einsetzen können. Und wenn ich dann in einem der kleinen Nester (Wolmirstedt, Tangerhütte, Gardelegen, Staßfurth oder dergl.) sitzen sollte, es wird doch eine Gelegenheit sein, sich einmal zu sehen. … Metz schrieb auch, Königslutter läge nicht im Bereich der San.Abtlg. Magdeburg, aber es ließe sich später sicher eine Versetzung erreichen. Dies Frage jetzt anzuschneiden, wäre natürlich unklug. Und außer dem rührt sich auch Braunschweig gar nicht. Nun hat eben Haldensleben den Vorrang. Aber wir sind noch lange nicht so weit.
19.4. F
… Schickt mir sofort meinen Koffer. Ich kann ihn hier auf Kammer solange aufbewahren, bis er gebraucht wird. Und er kann jeden Tag gebraucht werden, man hört von der Eröffnung von Reservelazaretten in Magdeburg. Wir haben nochmal mit dem Stabsarzt gesprochen. Sobald wir namentlich von Keller angefordert werden, geht es los. Auch der Kommandeur ist damit einverstanden....
21.4. F
… daß wir hier bald fortkommen halte ich für ausgeschlossen, vor allem nach dem sehr deprimierenden Bescheid, den Metz mir heute gegeben hat. Er hat gestern mit Keller gesprochen, der ihm mitteilte, daß auf sein Schreiben eine ablehnende Antwort des Korpsarztes eingegangen sei. Allerdings scheint diese Ablehnung auf irrtümlichen Voraussetzungen zu beruhen, denn der Korpsarzt schrieb, unsere Grundausbildung sei noch nicht beendet, außerdem seien wir beide K.V (Kriegs-Verwendungsfähig) und würden zu einer Fronttruppe versetzt werden. Ich nehme an, daß die abgeänderte Beurteilung von der hiesigen Abteilung noch garnicht dem Korps gemeldet ist. …
Hier hat uns der Stabsarzt nochmals gesagt, daß wir beide Garnisons-Verwendungsfähig seien und daß man uns gern möglichst rasch an ein Lazarett schicken wolle, aber eine namentliche Anforderung müsse vorliegen. ...
11.5. F
Pfingstsonntag
Gedanken über den Kriegsverlauf: „... was ist diesen wenigen Stunden eines Tages, seitdem gestern unaufhörlich die deutschen Todesboten unheimlich brummend über uns nach Westen fliegen, schon alles an Leid auf die blühende Welt herabgeregnet! Und wieder müssen wir sagen: haben wir nicht schon seit ¾ Jahren uns an den Gedanken gewöhnt, daß dies einmal kommen müßte und müssen wir nicht doch noch dankbar sein, weil wir noch in Ruhe und Sicherheit an einander denken dürfen....“
Große Unsicherheit über eine Anforderung in Richtung Magdeburg. Das Kriegsgeschehen nimmt Fahrt auf...
.. idiotischer Stumpfsinn der doppelt zermürbend ist, weil da draußen soviel vorgeht. Man ist jede Stunde mit seinen Gedanken bei denen draußen bei denen, die man bis jetzt noch in relativer Sicherheit wußte. Heinrich wird wohl mit im Vormarsch (Frankreich) sein. Die beiden Wilhelms liegen sicher fest, sie werden jetzt aber sicher mehr zu tun bekommen. … Die nächsten Tage und Wochen werden uns den modernen Krieg in allen seinen Möglichkeiten zeigen und es wird sich viel Überraschendes ergeben. Ich habe seit 8 Tagen gewußt, daß es nicht das Mittelmeer, sondern der Westen den Kampf bringen würde. Man konnte es aus so vielen Anzeichen entnehmen. Daß Holland allerdings Widerstand leisten würde, habe ich nicht erwartet. Und nun wird das Blut in Strömen fließen, bis die Erde satt ist, die jetzt so verschwenderisch in Blüte steht. ...
12.5. Pfingstnachmittag F
….Heute ist es grau am Himmel, nur selten blickt die Sonne mal hervor. Aus Westen, jenem nahen, schlimmen Westen bläst ein kalter Wind und es ist sehr still im Wald. Auch die Vögel scheinen zu lauschen, ob sie nichts vernehmen von jenem unheimlichen Dröhnen, das wir immer zu hören glauben, wenn wir jetzt einmal still und allein sind. …
Ach es ist eine Zeit, in der man sich an alles klammern muß, was einem den Glauben an ein Fünkchen von Gutem im Menschen noch halten kann....
22.5. F (Göttingen)
berichtet von Verwundetentransporten ins Lazarett nach Königslutter, das nun eröffnet worden sei.
24.5. F
Gestern war ich im Kino. Die Wochenschau war grausig, aber sie sagte die Wahrheit über das Geschehen im Westen. Du mußt unbedingt auch in den nächsten Tagen, wenn die große Wochenschau kommt, einmal hingehen und sehen, wie der Krieg in Wirklichket ist
27.5. L
Grausige Bilder in der Wochenschau: vom Einmarsch in Belgien und Holland. „.. es war erschütternd und grausig, den Einsatz von Stukas zu sehen...
28.5. F
… Eben ist der Wehrmachtsbericht vorüber, dessen Sätze heute wie jeden Tag die furchtbaren Anstrengungen und Blutopfer durchblicken lassen,an die man immer wieder mit Erschütterung denken muß. Wie lange tobt die Hölle nun schon da oben in dem unglückseligsten Winkel der Erde, der nun die Vernichtung alles Lebendigen durchmachen muß. Es müssen unvorstellbare Dinge dort geschehen und wir sehen noch garnicht, was dieser Sieg uns gekostet hat. Ich habe mit einem Leichtverwundeten Infanteristen gesprochen, der mit dem ersten größeren Leichtverwundetenzug am Mittwoch hier ankam. Er hat vor Sedan seine Verwundung bekommen und ist noch mit einem anderen Kameraden der einzige (!) der von seiner Kompanie übrig geblieben ist. Die französischen Kolonialtruppen sind die schlimmsten Gegner gewesen. Nach Schätzungen, die hier in der Sanitätstruppe eingingen, muß man mit ½ Million deutscher Gefallener u. Verwundeter rechnen.
1.6. L
„... Und nun das Neueste von unserem Lazarett: wir haben seit Mittwoch die ersten Verwundeten hier oben, größtenteils leicht verwundete. Gestern und heute sind noch weitere Transporte gekommen. Gestern wurden Hals über Kopf 91 Patienten der Anstalt, darunter auch Kuthe (Bote der Familie), abtransportiert, zunächst nach Berlin, wohin von da, war noch unbekannt. Ein ganzes Haus mußte für Verwundete noch freigemacht werden, und zwar sofort bis 1.Juni. Kuthe hat sich hier angstschlotternd verabschiedet, er tat mir richtig leid. Keiner weiß ob die Kranken nun wieder in eine Anstalt kommen oder zu irgendwelchen Arbeiten in besetzten Gebieten verwendet werden sollen.“
5.6 F
„… nun ist also auch Haldensleben in vollem Betrieb. Daß Kuthe so ins Ungewisse verschwinden mußte tut auch mir leid...“
15.6 F
Wieder Gedanken über die Opfer, die deutsche Soldaten für die „Zukunft ihrer Kinder“ bringen müssen.
„Wenn nur das Weltengericht wirklich einmal die Schuldigen treffen könnte. Jeder Franzose, der jetzt verblutet, hat es so wenig verdient, als ihr Opfer zu fallen, wie unsere Kameraden an der Front.“
18.6. F
Eben sind wieder die Nachrichten auf mich eingeprasselt mit ihren nun nicht mehr faßbaren Wirbel der Ereignisse, die Du ja schon für die Tage bis zu Eurem Kommen vorausgesagt hattest. Als gestern die Sondermeldung von Frankreichs Anfrage (Petains Angebot zur Kapitulation) kam, war ich so fassungslos, daß ich alle Arbeit hingeworfen und meinem Vorgesetzten erklärt habe: für heute ist es genug, was er durchaus einsah. Und wenn sich heute auch vieles etwas anders ansieht, hinterhältiger, undurchsichtiger,- als ob man Deutschland wieder irgendwie einer neuen Situation genüberstellen wollte, die sich dann für England und Amerika ausnutzen ließe,- es ist unvorstellbar, was jetzt über Frankreichs Boden für ein Gewitter niedergeht, wie nun 25 Jahre in all ihren düsteren Erinnerungen auferstehen und zur „Vergeltung“ mahnen,- und wie in diesen Augenblicken in München 2 Männer (Hitler, Mussolini) zusammensitzen, die der Verlockung dieses gefährlichen Mahnens hoffentlich so weit widerstehen werden, daß einem dauerhaften und in sich friedlichen Frieden keine Hindernisse bereitet werden. Ich muß gestehen, daß ich in diesem Augenblick kaum schon die Möglichkeit einer wirklich weitreichenden Friedensplanung erkennen kann, noch rast der entfesselte Dämon und wird nur widerwillig sich hier und da ein stück seiner Beute entreißen lassen. Frankreich wird gewiß kapitulieren müssen, und das bedingungslos, und es wird rasch genug gehen, aber nicht so rasch, daß unseren Soldaten sinnlos blutige Opfer erspart bleiben. Was sich jetzt auf dem deutsche Rheinufer am Oberrhein abspielt, mag man sich auch nicht ausmalen. Die Worte französische Ferngeschütze und die ominösen Worte des Rundfunksprechers „Rückgeführte aus dem Besetzungsgebiet“ sagen ja genug über das Schicksal von Karlsruhe, Lahr, Freiburg und anderen Städten aus. Aber es ist nun schon so: ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. ….
18.6. L
„Denk nur, gestern erzählte mir Frau Reimann (Frau eines Anstaltsarztes und Nachbarin) , daß Kuthe am 13. gestorben ist. In einer Anstalt in Brandenburg, angeblich an einem Herzleiden. Das hat mir doch sehr leid getan!“
20.7. ..
F. wird nach Haldensleben kommandiert und nach einigen Tagen zurück an das Reservelazarett Göttingen beordert.
Im November 1940 (Datum unsicher) gab es aus der „Kanzlei des Führers“ von Dr. Hefelmann, der für die „Aktion T4“ zuständig war, eine Weisung an die Regierung der Provinz Sachsen. (Dies wurde der Personalakte F.B.‘s entnommen):
Der Oberpräsident (Provinz Sachsen) Merseburg an das Innenministerium Land Braunschweig:
„Die Kanzlei des Führers (Dr. Hefelmann) teilte mir am 6.11.40 telefonisch mit, daß die Entlassung des Prov. Med.Rats Dr. Barnstorf aus dem Militärdienst erreicht und nunmehr sein Übertritt in den Braunschweigischen Staatsdienst möglich sei.
Da aus dringenden Gründen die sofortige Entlassung Dr. Barnstorfs und seine unmittelbare Dienstaufnahme am LAK notwendig sei, bat Dr. Hefelmann )von der schriftlichen Stellung eines Antrages abzusehen und das Telefongespräch als Antrag auf die Entlassung Dr. Barnstorfs anzusehen zu wollen...“
6.11. F aus Bückeburg
Entlassungsformalien in Bückeburg:
Da sitze ich nun als Zivilist an dem historischen Tisch mit Sofa in der Ecke des „Berliner Hofes“...
Also es war eine wahre Wonne, zu sehen, wie die unnahbarsten Minen der Unteroffiziere, Feldwebel und Stabsärzte plötzlich dahinschmolzen vor einem .. Zauberpapier. … Erhebliches Rätselraten: Wozu wird dieser einfache Soldat verwendet. Ja, man entdeckte plötzlich das Unrechte, das hier geschehen war, indem man die Beförderung (zum Gefreiten) vergessen hatte und wollte alles nachholen. „Was macht das sonst in Berlin für einen Eindruck!“ Also bis auf die Unterschrift des Kommandeurs bin ich entlassen. Man hat lange auf ihn gewartet und freut sich schon auf das entsetzte Gesicht, das er morgen früh machen wird, weil er eine „wichtige Eilsache“ nicht früher erledigt hat. Morgen früh hole ich die Unterschrift und fahre nach Braunschweig …..
18.11. F aus Königslutter
… Der gestrige Sonntag war genauso wie früher: entsetzlich langweilig und tot, weil kein Lisa Utermöhlen kam, die auch nach Haus gefahren sein mußte. Ich bin eine zeitlang auf dem „Gebiet“ herumgestrichen, dann habe ich Krankengeschichten durchstöbert, um mich einzuarbeiten. Es läuft hier auch alles schon fast wieder im alten Trott und ich fange an, mich an die mancherlei Primitivitäten meiner ehemaligen psychiatrischen Ausbildungsstätte zu gewöhnen.
Gemeinsame Bekannte habe ich noch nicht getroffen. Mit Mally Wilke habe ich mich lange unterhalten; sie ist eine intelligente Frau mit viel Erinnerungen an bekannte Künstler.
Bei Meumanns ging es sehr „feucht“ zu. Frau Meumann scheint eine ganz nette Frau zu sein und hat – erstaunlicherweise, denn sie bezieht auch „Zusatzlebensmittel“ (!) - ganz tüchtig beim Weintrinken mitgetan. Es wurde 1 Uhr und ich war ganz niedlich bettschwer, aber ich habe Contenance bewahren können (Ich war allein geladen)
25.11. F aus Königslutter
… „Müller hat gestern erzählt, Kgsl. würde vorläufig nicht von „Maßnahmen“ betroffen, allerdings wird es Durchgangsanstalt und muß wohl auch Kranke abgeben. Alles scheint jetzt sorgsamer geprüft zu werden. ...“
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Weitere persönliche Dokumente in Form von Briefen über die Zeit von 1941 bis 1945 gibt es nicht.