Brief, hschr., schwarze Tinte, fünf Seiten auf drei Blättern relativ hellen, sehr glatten, festen und un­li­nier­ten Papiers im For­mat 21,4×28,2 cm; sehr ungleichmäßiger Federdruck. Kein Um­schlag.

Camana [sic], via Arequipa, Peru,

den 10. Jan. 1932.

Meine liebe Käthe,

Du bist ein Mädel so lieb, wie es sicher wenige gibt und ich bin ein so unaufmerksamer Mensch. Und dabei doch so überaus glücklich und dankbar für all das Gute das Du mir stets1 in Deinen Briefen sagst. Es ist eben viel zu schön und paßt fast garnicht hier zu 7 dem Kaffernland wo ich wohne; es ist viel zu schön, sich dem hinzugeben; ich tue es nur allzu gerne aber dann überkommt mich eine derartige Sehnsucht2, daß ich’s dann meist nicht │ mehr tue. Man muß hier oft alles tun um solch aufkommende Bilder zu verwischen und doch denkt man so gern daran. 10

3Und oft ist’s wie eine Leidenschaft, die unterdrückt ist, die durchbrechen will – und was nützt es.4 vorläufig garnichts.

Aber es ist doch etwas Schönes und das werde ich Dir nie vergeßen, daß Du immer so an mich denkst und mitlebst.

Wenn diese so große Entfernung nicht immer dazwischen wäre die einem jeden kleinen Versuch mal5 hinüber zu kommen vorläufig zu Schanden macht.

Und trotz alle dem soll man Geduld haben. ║II.║ Wie lange noch, wohl noch ziemlich lange. Es ist oft ein hartes Spiel dieses Geduldsspiel, aber es wird wohl zu Ende gespielt werden müßen.

Als ich all die, so schönen Bilder sah, auf Deinem Defner Kalender,6 da gab’s manchen unausgesprochenen Wunsch und ich schäme mich oft wenn ich mich dann dabei ertappe wie ich dann weich werde. Es paßt nicht7 in die Gegend in der ich wohne, wo alles das Gegenteil von dem ist8 und doch kann man seinen Charakter nicht ganz ändern.

Was ich oft verfluche │ ist, daß man leider durch die Umstände gezwungen wird seine besten Jahre noch etwas länger allein zu verbringen; denn unter solchen Verhältnißen kann man eben mal kein Heim gründen.

Ja so ist oft das Leben. Aber man kann ja auch spät heiraten, wenn’s nicht anders geht wird es schon so sein müßen. Die Leidenschaft wird bis dahin ja nicht erstickt werden, aber ganz das Gleiche wird es doch nicht sein. Vielleicht bekommt man später vernünftigere Gedanken, das wäre ja sehr zu wünschen.

Morgen ist Montag da gehts wieder in [sic] die Arbeit, da werden die Gedanken ║III.║ ganz von selbst wieder vernünftig.

Also nimm es mir bitte weiter nicht übel, meine so netten Verwünschungen; es kommt doch immer wieder ins Geleise und dann ist eben vorläufig garnichts an all dem zu ändern.

Von Herzen wünsche ich Dir alles Gute im neuen Jahre, einmal wird es schon wieder besser werden nur scheints diesmal etwas länger zu gehen.

Ich grüß Dich vielmals und herzlich und bleibe stets Dein dankbarer

Friedel.

 Anmerkungen

1 Zuerst «steets», dann das zweite ‘e’ mit kleinem Gegenschrägstrich getilgt.

2 Das ‘u’ aus einem anderen Buchstaben korrigiert und dabei unverhältnimäßig groß geraten.

3 Ab hier kleinerer Einzug sic.

4 Punkt statt Fragezeichen sowie anschließender Kleinbuchstabe sic.

5 Das ‘a’ aus einem anderen Buchstaben korrigiert.

6 Die sog. Defner-Kalender kamen ab 1930 auf den Markt. Sie hießen nach dem Österreicher Adalbert Defner (1884-1969), ursprünglich Zoolog und Gymnasiallehrer, der nach heeresphotographischen Erfahrungen im Ersten Krieg auf Landschaftsphotograph umsattelte. Er ist den Gebrüdern Vargas (Brief 22/Anm. 20) insofern vergleichbar, als auch er bereits in jungen Jahren photographisch experimentierte und mit seiner Arbeit stets einen künstlerischen Anspruch verband. Nach dem Krieg übersiedelte er nach Wernigerode im Harz, wo er 1919 im Haus der Eltern seiner ersten Frau eine Photowerkstatt einrichtete (1930 aufgelöst). 1925 zog es ihn zurück nach Österreich. In Igls bei Innsbruck gründete er 1929 die ‹Lichtbildwerkstätte Dr. Adalbert Defner›, von der aus er in den folgenden Jahren seine qualitativ hochwertigen Landschaftsaufnahmen, zu Ansichtskarten (den sog. Defner-Karten) und ab 1930 auch zu den bewußten Kalendern verarbeitet, in alle Welt verkaufte. Namentlich die Kalender, gedruckt im 1922 in Wernigerode gegründeten Verlag Otto Paulmann (ab 1952 in Weinheim), erfreuten sich enormer Beliebtheit und fanden «reißenden Absatz bis nach Asien und Amerika […] – erst 2013 wurde dieser Verkaufsschlager eingestellt» (Thomas Defner, Susanne Gurschler: zeitblende [sic] Tirol. Defner-Fotografien 1925 bis heute. Innsbruck: Tyrolia 2017, S. 8a; zu den Karten ebda., S. 9a). 1932 war ein Spitzenjahr des Betriebes: Weit mehr als 300.000 Ansichtskarten und Billetts v.a. für den deutschen Markt wurden von zeitweise mehr als achtzehn Angestellten in Handarbeit gefertigt. Auch Bildbände mit Landschaftsaufnahmen veröffentlichte Defner (ebda., S. 8a-b). Seine Kinder und Kindeskinder führten bzw. führen die Werkstatt weiter, die heute ‹Defner Photo Verlag› heißt. – Von Defner findet sich auch eine (charakteristisch weichgezeichnete) Aufnahme in dem Bändchen ‹Blühende Welt› («Sommerwiese in den Bergen», S. 28), das Käthe – sofern unsere diesbezügliche Annahme denn zutrifft – ihrem Cousin erst einige Monate zuvor geschenkt hatte; s. Brief 27, Z. 4 mit Anm.

7 Folgt durchgestrichener Buchstabe, evtl. ‘f’ oder ‘G’.

8 Fehlendes einschließendes Komma sic. – Diese Feststellung einer scharfen Diskrepanz zwischen Hüben und Drüben – s. a. oben Z. 6ff. –, die man unerachtet ihres ästhetischen Auslösers zweifellos nicht allein auf «Bilder» (Z. 20), auf die landschaftlichen Unterschiede beziehen darf, hat Friedel schon früher gelegentlich getan, z.B. im Vorgängerbrief 27, Z. 5, und vor allem in 19, Z. 21-28. Gerade der letztere Brief steht hierin in engem Verhältnis zum vorliegenden, indem sein Vf. dort, gewissermaßen als Korollarium jener Feststellung, seiner Desillusion über seine Frauenbekanntschaften in der Neuen Welt Ausdruck gibt (19, Z. 34-37), so wie er hier ebenfalls unmittelbar zu dem – wenngleich etwas anders, nämlich ökonomisch, akzentuierten – Problem der Verheiratung übergeht (Z. 24-30).