Brief, hschr., schwarze Tinte, drei Seiten auf zwei Blättern unlinierten Büttenpapiers mit dem seit 1923 in Um­lauf befindlichen Wasserzeichen ‹M.K.-Papier› (Namenszug im Doppelkreis) der Papierfabrik Max Krau­se, Format 22×28 cm; kein Um­schlag. Eine mit dem Briefdatum versehene, mit Bleistift ausgeführte Hand­zeichnung auf einem durch Abtrennung ge­won­ne­nen halben Blatt einer anderen Papiersorte (21×13,8 cm, unliniert, heller und dünner als das Büttenpapier, kein Wasserzeichen) als Einlage (s. letzte Anm.).

Camana [sic], den 9. Okt. 1931.

Liebe Käthe,

Mehrere Briefe schon schulde ich Dir und dabei erhalte ich letzthin noch ein so 4 feinsinniges Geschenk, das Buch über die blühende Welt.1 Ist das etwas wunderschönes [sic]. 5 Viel zu schön für hier. Und wenn man diese Aufnahmen all der blühenden Wiesen, Felder und so mancher Waldeswinkel sieht, dann mag man sich wohl darauf ertappen, auf dem Wunsche, gerne wieder einmal dort zu sein, wo der Gruß herkommt. Aber es bleiben eben Wünsche.

Hier haben wir seit einiger Zeit auch sehr schwer unter den so bekannten │ schlechten Verhältnißen zu leiden;2 sodaß man eben nur von einem Dahinleben sprechen kann. Und wenn sich die Lage noch etwas zuspitzt, so werden wir nächstes Jahr vielleicht auch die Tore schließen, denn ständig mit Verlusten zu arbeiten das hält selbst ein starkes Haus auf die Dauer nicht aus.3

4Dann gehe ich jedenfalls aus Peru heraus, vielleicht nach den Staaten, denn in Europa hat’s ja auch keinen Wert.

 Wir hatten gerade dieses Jahr hier unsere Kulturen etwas ausgedehnt, besonders den Reis, aber es geht selbst bei größter Einschränkung nicht mehr, weil die Preise dermaßen tief gesunken sind und ständig noch sinken, daß man dagegen ║II.║ nicht mehr ankommt. Auf alle Fälle wird im kommenden Jahre eine Veränderung eintreten und werde ich falls die Sache 19 aufgelöst würde von hier fortgehen.

In Camana [sic] gefällt es mir sonst besser als in Majes. Die Nähe des Meeres bedingt ein besseres, sagen wir angenehmeres Klima. 21 Auch unter der Malaria habe ich hier fast nichts mehr zu leiden.5

So muß man mal sehen was die nächsten Monate bringen. Wir leben in einer ziemlich wechselvollen Zeit von der man nicht genau feststellen kann, wann der Tiefstand erreicht ist.6

Ich grüße Dich für heute vielmals und herzlich und verbleibe Dein Friedel7

 Anmerkungen

1 Möglicherweise das Bändchen: Blühende Welt. Siebenundvierzig Landschaftsaufnahmen. Königstein i.Ts. und Leipzig: Verlag Der Eiserne Hammer – Karl Robert Langewiesche 1929, 48 S. Der Titel wurde noch mehrfach aufgelegt (u.a. 1930 [welche Auflage hier natürlich auch in Betracht kommt], 1937, 1949, 1953, 1955, 1957) und im Krieg (ca. 1943) auch als Feldpostausgabe herausgebracht. Nach dem Kriege firmierte der Verlag nicht mehr als ‹Der Eiserne Hammer›, sondern als ‹Langewiesche-Bücherei›. Allerdings war ‹Der Eiserne Hammer› strenggenommen ohnehin kein Verlagsname, sondern lediglich eine (besonders preiswerte – und wegen der überaus schmalen und leichten Büchlein, deren keines mehr als fünfzig Seiten umfaßte, auch besonders gut per Luftpost versendbare!) Buchreihe, die der Verleger Karl Robert Langewiesche 1927 anläßlich des 25jährigen Jubiläums seines 1902 gegründeten Verlages Langewiesche «„für Alle“, das heißt für den Gelehrten und den Ungelehrten, den Armen und den Reichen …» geschaffen hatte (rückseitiger Klappentext) und die Bildmaterial aus Natur, Architektur, Kunst und Volkskunde präsentierte. Langewiesche, geb. 1874, starb bereits 1931, doch seine Witwe Stefanie (1878-1956) führte den Verlag weiter, der bis heute als einer der ältesten noch selbständigen Verlage Deutschlands Bestand hat. – Die ‹Blühende Welt› zeigt Schwarzweiß-Aufnahmen von blühenden Wiesen, Feldern und Bäumen vornehmlich aus dem süddeutschen Raum, besonders zahlreich auch aus Friedels Schweizer Heimat und aus gebirgigen Regionen, was seine Rührung beim Betrachten der Bilder nur vertieft haben dürfte (seine Liebe zu den Bergen drückt er in Brief 3, Z. 27ff., aus.).

2 Zu den Auswirkungen der herrschenden Weltwirtschaftskrise auf Peru s. Briefe 23, bes. Z. 50-55 mit Anm.en 24. 28. 30, und 24, Z. 64-69 mit Anm.en 25. 27. – In Camaná machte sich der Absturz des Weltmarktpreises für Baumwolle besonders gravierend bemerkbar; s. Flores Galindo/Plaza/Oré, a.O. (Brief 26/Anm.1), hier S. 64. – Das «auch» in Z. 8 legt nahe, daß Käthe von ihren eigenen wirtschaftlichen Sorgen berichtet hatte, namentlich von der Kündigung ihrer Arbeitsstelle bei der Konservenfabrik Julius Roever Mitte August 1931 (s. Einleitung).

3 Die Befürchtung sollte sich bewahrheiten, s. Brief 29, Z. 20f.

4 Kleinerer Einzug hier und beim folgenden Absatz sic.

5 Zu Friedels Erkrankung an der Malaria s. Brief 11, Z. 31-39 mit Anm., sowie bes. noch Brief 26/Anm. 6.

6 Man hat den Eindruck, daß Friedel hier wie oben Z. 8f. ausschließlich an die wirtschaftlichen Verhältnisse denkt und nicht an die politischen Unruhen und Gewaltausbrüche, die den laufenden Wahlkampf in Peru begleiteten: Zwei Tage nach Briefdatum fanden Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung und zur Präsidentschaft statt, die im wesentlichen zwischen dem abgesetzten Ex-Putschisten Sánchez Cerro und dem Apristen Haya de la Torre ausgefochten wurden (Briefe 23/Anm.en 25. 31 [Ende der Anm.]; 24/Anm. 24). Sánchez Cerro erhielt die meisten Stimmen und trat das Präsidentenamt am 8. Dezember an, derweil die Verfassungsgebende Versammlung ihre Arbeit aufnahm. Da die Apristen aber ihre Niederlage nicht akzeptierten und die Kommunisten dem alt-neuen Präsidenten gleichfalls entschiedenen Widerstand entgegensetzten, blieb die peruanische Politik auch in den folgenden Jahren von blutigen Attentaten, Aufständen und Terrorakten geprägt; s. a. Brief 31/Anm. 7).

7 Obwohl vom Vf. nicht eigens erwähnt oder angekündigt, ja im überlieferten Briefkonvolut dem vorliegenden Brief nicht einmal einliegend, sondern mit anderen Zeichnungen Friedels zusammengelegt, ist hier dank ihrer eindeutigen Datierung eine Bleistiftzeichnung Friedels zuzuordnen. Überschrieben ist sie mit: «Skizze – Wohnhaus San José, Camaná, Peru.». (San José ist der Hauptort des ehemals gleichnamigen Distriktes – seit 1944 Distrito Mariscal Cáceres geheißen – in der Provinz Camaná, einer von acht Provinzen des Départements Arequipa. Die Ortschaft, 2,5 km westlich der Provinzhauptstadt Camaná gelegen, zählt heute etwas über eintausend Einwohner und damit weniger als das zum selben Distrikt gehörende Pucchum, zu welchem s. Brief 17/Anm. 1.) Rechts unten ist das Datum «9.10.31.» angebracht. Die Skizze zeigt das Grundstück mit einem Grundriß des Hauses, den man am besten von unten nach oben liest: Zwischen zwei mit «Zaun» bezeichneten waagrechten Strichen (deren linker weniger als halb so lang wie der rechte ist) öffnet sich der «Eingang» zum Haus, das hinter (auf der Zeichnung: über) dem rechten, längeren Zaunstück liegt. (Hinter dem linken Zaunstück ist ein zweireihiger Blumen- sowie ein ebenfalls zweireihiger Gemüsegarten angelegt.) Der Hauseingang, der senkrecht zum Zaun genau gegenüber der Gartenanlage steht, führt zunächst in einen Vorbau mit langgestreckter, bis an die dem Zaun gegenüberliegende Seite des Hauses (oben auf der Zeichnung) reichender «Veranda» und kleinem, zum Zaun schauenden «Fremdenzimmer». Von der großen Veranda geht dann ein «Hausgang» links an «Wohnzimmer», das von ihm aus durch eine Tür betreten werden kann, und dahinter liegendem, durchs Wohnzimmer erreichbaren «Schlafzimmer» vorbei auf eine kleinere «Veranda», von der wiederum links eine Tür zum «Vorratsraum» abzweigt – der seinerseits zu einer kleinen «Dusche» führt und über diese mit dem «Schlafzimmer» auf der zaunabgewandten Seite des Hauses verbunden ist –, rechts eine Tür zum «Esszimmer» und geradeaus eine auf den großen «Haushof». Auf dem «Haushof» steht, wenn man das Wohnhaus im Rücken hat, linker Hand, etwa auf der Höhe der «Dusche» des Wohnhauses, ein mit «Hausbursche» bezeichnetes separates Gebäude, rechter Hand, auf der Höhe des Eßzimmers, zwei nebeneinanderliegende und ebenfalls vom Haus abgesonderte, «Küche» und «Köchin» zugewiesene Räume. Der «Haushof» geht durch eine Pforte in den offenbar sehr großen, die gesamte Breite des Hauses einnehmenden «Hühnerhof» über. Im Schlaf‑, Wohn- und Eßzimmer hat Friedel zusätzlich die Anordnung der Möbel eingezeichnet, diese jedoch, anders als in der großzügiger angelegten «Skizze zum Wohnhaus in Maran Grande.» (Brief 24/Anm. 16), nicht benannt. – Man fragt sich, wo der ältere Herr unterkam, mit dem Friedel nach Auskunft eines späteren Briefes (32, Z. 63-65) das Haus teilte: ob er dauerhaft das Fremdenzimmer belegte – aber wo schliefen dann allfällige Gäste? – oder womöglich den Verschlag des «Hausburschen» bewohnte?